OLG Hamm, Beschluss vom 06.05.2010 - 2 Ss 220/09 - 85 - OLG Hamm
Fundstelle
openJur 2012, 125325
  • Rkr:
Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Straf-

richter - Recklinghausen zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Recklinghausen hat gegen den Angeklagten durch Urteil vom 18. Februar 2009 wegen Beleidigung eine Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen zu je 20,00 € verhängt. Es hat folgende Feststellungen getroffen:

"Der Angeklagte und der Zeuge X haben in Nachbarschaft zueinander gelebt. Der am 07.05.1951 geborene Angeklagte ist nicht vorbestraft. Er ist verheiratet. Er erzielt ein Renteneinkommen in Höhe von 650,00 € pro Monat.

Am 10.07.2008 befuhr der Angeklagte in Begleitung seiner Ehefrau mit einem Pkw die C-Straße in E. Der Zeuge X verrichtete vor seinem Haus auf der C-Straße in E Gartenarbeiten. Der Angeklagte hielt mit seinem Pkw an, öffnete das Fenster, brach in Lachen aus und machte sich über das Gebiss des Zeugen X lustig."

In den Urteilsgründen heißt es weiter:

"Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der schriftlichen und verlesenen Einlassung des Angeklagten sowie aufgrund der Vernehmung des Zeugen X.

Der Angeklagte hat geltend gemacht, vom Zeugen X ständig beleidigt worden zu sein und dieser finde immer wieder neue Gründe, um ihn anzuzeigen. So sei es auch am 10.07.2008 gewesen. Er - der Angeklagte - sei mit seinem Wagen verkehrsbedingt am Gartenzaun des Zeugen X zum Stehen gekommen. Der Zeuge habe ihn beschimpft. Daraufhin habe er - der Angeklagte - das Beifahrerfenster aufgemacht und laut gelacht. Wie erwartet, sei dem Zeugen X das Gebiss herausgefallen. Dieses habe ihn veranlasst, noch lauter und herzhafter zu lachen. In dem Moment habe er nicht weiterfahren können. Dem Zeugen sei erneut das Gebiss herausgefallen. Ihm - dem Angeklagten - habe der Bauch weh getan, so dass er weiter gefahren sei.

Der Zeuge X hat bekundet, dass der Angeklagte sich über seine Zähne lustig gemacht habe und dabei gelacht habe. Besondere Belastungstendenzen des Zeugen waren nicht erkennbar. Die Aussage des Zeugen deckt sich überwiegend mit der Einlassung des Angeklagten. Dabei ist das Gericht aufgrund der Bekundungen des Zeugen X auch zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Angeklagte verbal zu den Zähnen des Zeugen geäußert hat.

Dieses erfüllt den Tatbestand der Beleidigung. Der Angeklagte hat sich über die Menschenwürde des Zeugen hinweggesetzt und diesen in seiner Ehre missachtet, indem er den Zeugen hemmungslos auslachte, bis ihm der Bauch weh getan hätte.

Zur Überzeugung des Gerichts geschah dieses vorsätzlich und planmäßig. Für den Angeklagten hat kein Grund bestanden, das Fahrzeug anzuhalten, die Scheibe herunterzudrehen und dem Zeugen durch Auslachen seine Missachtung kundzugeben.

Der Angeklagte hat sich mithin wegen Beleidigung nach § 185 StGB strafbar gemacht."

Es folgen Ausführungen zum Strafantrag, zu der Strafzumessung und der Kostenentscheidung.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger am 20. Februar 2009 ein als Berufung bezeichnetes Rechtsmittel bei dem Amtsgericht Recklinghausen eingelegt. Mit Schriftsatz vom 26. März 2009 hat der Verteidiger den Übergang von dem Rechtsmittel der Berufung zu dem Rechtsmittel der Sprungrevision erklärt, die mit näheren Ausführungen auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt ist. Das mit Gründen versehene Urteil ist dem insoweit nicht bevollmächtigen Verteidiger am 12. März 2009 und dem Angeklagten (erst) am 17. Oktober 2009 zugestellt worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 22. März 2010 beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig. Es hat auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.

1.

a)

Unschädlich ist, dass der Angeklagte sein Rechtsmittel zunächst mit Schreiben seines Verteidigers vom 20. Februar 2009 ausdrücklich als Berufung bezeichnet und mit Schriftsatz seines Verteidigers innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist

mitgeteilt hat, das Rechtsmittel als Revision zu führen.

Es ist gefestigte Rechtsprechung, dass der Rechtsmittelführer, der in der Rechtsmitteleinlegungsfrist Berufung eingelegt hat, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO noch erklären darf, von der ursprünglich gewählten Berufung zur Revision überzugehen (BGHSt 5, 338 = NJW 1954, 687). Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 03. Dezember 2003 (in

5 StR 249/03 = NJW 2004, 789 f) nochmals bekräftigt.

b)

Obwohl in dem angefochtenen Urteil eine Geldstrafe von lediglich 15 Tagessätzen verhängt worden ist, ist die Revision zulässig, ohne dass es zuvor der Zulassung der Berufung nach § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO bedurft hätte. Während teilweise die Auffassung vertreten wird, die Zulässigkeit der Revision setze bei Verurteilungen zu Geldstrafen von nicht mehr als 15 Tagessätzen die Annahme der Berufung voraus (Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 335 Rdnr. 21 m.w.N.), hält der Senat mit der herrschenden Meinung (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.) an seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass die Annahmeberufung des § 313 StPO nicht zum Ausschluss oder zur Einschränkung der Sprungrevision für die dort erfassten Bagatellsachen führt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. August 2003, NJW 2003, 3286 f. m.w.N.).

2.

Die auf die allein erhobene Sachrüge gebotene materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, die zur Aufhebung des angefochten Urteils mit den Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache führen.

Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung nicht.

Unter einer Beleidigung ist die Kundgabe der Nichtachtung oder Missachtung zu verstehen (vgl. BGHSt 1, 298; 11, 67; 16, 58 f). Dabei kann die Beleidigung durch ehrenrührige Tatsachenbehauptung sowie durch herabsetzende Werturteile gegen-über dem Betroffenen begangen werden (vgl. OLG Hamm, Entscheidung vom

10. Oktober 2005 in 3 Ss 231/05). Bei der Tatsachenbehauptung steht die objektive Beziehung zwischen der Äußerung - die wörtlich, schriftlich, bildlich oder durch schlüssige Handlungen erfolgen kann (Fischer, StGB, 57 Aufl., § 185 Rdnr. 5) - und der Realität im Vordergrund, so dass sie auch einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich ist. Hingegen sind Meinungen, auf die sich der grundgesetzliche Schutz der Meinungsfreiheit in erster Linie bezieht, durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (vgl. BVerfG, StV 2000, 416; NJW 1994, 1779). Zu bewerten ist die beanstandete Äußerung in ihrer Gesamtheit; einzelne Elemente dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht herausgelöst und einer vereinzelten Betrachtung zugeführt werden, weil dies den Charakter der Äußerung verfälscht und ihr damit den ihr zustehenden Grundrechtsschutz von vornherein versagen würde (vgl. BGH a.a.O.).

In Anwendung dieser Grundsätze handelt es sich bei dem durch "Meinen" und "Werten" geprägten Auslachen durch den Angeklagten um ein Werturteil in Bezug auf die Person des Zeugen X.

Ob ein Werturteil überhaupt einen abwertenden Charakter hat und damit eine strafbewehrte Persönlichkeitsverletzung darstellt, hat der Tatrichter unter umfassender Auslegung des tatsächlichen Gehalts der Äußerung, ihrer Zielsetzung und der von ihr ausgehenden Wirkungen zu bewerten. Nicht jede Verletzung von Persönlichkeitsrechten stellt eine gem. § 185 StGB strafbare Ehrverletzung dar. So liegt in der bloßen Ablehnung eines anderen für sich allein keine Beleidigung, wenn damit eine Ehrverletzung noch nicht einhergeht. Deshalb ist es eine anhand der Umstände des Einzelfalls tatrichterlich zu entscheidende Interpretationsfrage, ob mit einer Äußerung zugleich auch die Minderwertigkeit des Betroffenen zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Senatsbeschluss vom 22. September 2003 in 2 Ss 452/03; OLG Zweibrücken NStZ 1994, 490). Die tatrichterliche Auslegung unterliegt dabei allerdings nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung (vgl. BVerfG NJW 2000, 199). Das Revisionsgericht darf nur überprüfen, ob die Auslegung auf einem Rechtsirrtum beruht oder gegen Sprach- und Denkgesetze verstößt (vgl. BGHSt 21, 371) oder ob sie lückenhaft ist, also ob im Rahmen der Auslegung alle Begleitumstände berücksichtigt worden sind (vgl. BGHSt 40, 97). Das Revisionsgericht hat zudem zu berücksichtigen, ob der Tatrichter bei der Anwendung der §§ 185 ff. StGB die Beeinträchtigung, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit, die durch

§ 185 StGB eingeschränkt wird, auf der anderen Seite droht, gesehen und richtig gewertet hat. Urteile, die den Sinn der Äußerung erkennbar verfehlen und deren rechtliche Würdigung darauf gestützt wird, halten den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nicht stand. Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit liegt auch dann vor, wenn das Strafgericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zu Grunde legt, ohne vorher andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben (vgl. BVerfG NJW 1990, 980 und 1995, 3303; OLG Hamm, Entscheidung vom 10.Oktober 2005 in 3 Ss 231/05).

Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil nicht hinreichend gerecht.

Das Amtsgericht hat die Umstände, die für die Beurteilung der Frage des Vorliegens eines Angriffs auf die Ehre maßgeblich sind, nicht so umfassend aufgeklärt und im Urteil mitgeteilt, dass dem Senat aus den Urteilsfeststellungen heraus eine Überprüfung möglich ist.

Die Beleidigung i.S.v. § 185 StGB setzt eine Äußerung der Missachtung oder Nichtachtung in dem spezifischen Sinn voraus, dass dem Betroffenen der sittliche, personale oder soziale Geltungswert durch das Zuschreiben negativer Qualitäten ganz oder teilweise abgesprochen wird, ihm also Minderwertigkeit bzw. Unzulänglichkeit unter einem dieser drei Aspekte attestiert wird (vgl. Lenckner, in Schönke-Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 185 Rdnr. 2). Nicht ausreichend sind bloße Unhöflichkeiten und Taktlosigkeiten sowie unpassende Scherze und "Foppereien", soweit nicht besondere Umstände, die die Ansicht von der Minderwertigkeit des Betroffenen ausdrücken, hinzukommen (Lenckner, a.a.O.). Zu verlangen ist eine eindeutige Abwertung des Betroffenen. Nicht jede Verletzung von Persönlichkeitsrechten stellt auch schon eine Ehrverletzung dar. § 185 StGB schützt nur einen speziellen Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nicht aber dieses selbst, weshalb eine Missachtung der Persönlichkeit nur dann eine Beleidigung sein kann, wenn der andere damit gerade in seiner Ehre im Sinne seines personalen Geltungswertes getroffen werden soll (Lenckner, a.a.O.).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind die Gründe des angefochtenen Urteils in entscheidenden Punkten lückenhaft und unklar, so dass die Würdigung rechtlich nicht nachvollziehbar ist. Das Urteil erschöpft sich in der pauschalen Feststellung, der Angeklagte sei in Lachen ausgebrochen und habe sich über das Gebiss des Zeugen X lustig gemacht und der ebenso pauschalen Bewertung, der Angeklagte habe sich über die Menschenwürde des Zeugen hinweggesetzt und diesen in seiner Ehre missachtet, indem er ihn ausgelacht habe, bis ihm der Bauch weh getan habe.

Zwar kann eine Beleidigung auch in einer an sich nicht ehrverletzenden Äußerung oder Handlung gefunden werden (RGSt 1, 391). Die Urteilsfeststellungen lassen aber nicht erkennen, welche besonderen Umstände dem Lachen bzw. Lustigmachen den objektiven Erklärungswert geben könnten, der Zeuge X solle dadurch - über eine bloße Taktlosigkeit hinausgehend - als sittlich, personal oder sozial minderwertig hingestellt werden.

Das gilt auch dann, wenn man die Urteilsausführungen in ihrer Gesamtheit betrachtet und berücksichtigt, dass der Angeklagte sich auch verbal zu den Zähnen geäußert haben soll. Da der konkrete Inhalt etwaiger Äußerungen in dem Urteil nicht dargestellt ist, ist dem Senat eine Überprüfung, ob hierdurch eine - und ggf. welche - Minderwertigkeit zum Ausdruck gebracht wurde, verwehrt.

Der Senat kann in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Es ist nicht auszuschließen, dass Feststellungen getroffen werden, die einen Schuldspruch wegen Beleidigung tragen, insbesondere zu besonderen Umständen, nach denen eine Minderwertigkeit des Betroffenen zum Ausdruck gebracht wurde und auch werden sollte.

Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere als Strafrichter tätige Abteilung des Amtsgerichts Recklinghausen zurückzuverweisen.

Bei der erneut anstehenden Entscheidung werden neben den näheren Begleitumständen Mimik und Gestik des Lachenden, Tonfall, Dauer u.ä. von Bedeutung sein können.