OLG Köln, Urteil vom 21.01.2003 - 24 U 87/02
Fundstelle
openJur 2012, 124584
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 26.03.2002 (1 O 210/00) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

a) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.355,79 € nebst 4 % Zinsen seit dem 19.05.2000 zu zahlen.

b) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle zukünftig entstehenden materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 02.02.1996 mit einer Haftungsquote von 75 % zu ersetzen, soweit die Ersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

c) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Im übrigen werden die Berufung und die Anschlussberufung zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 32 % und die Beklagte zu 68 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 35 % und die Beklagte zu 65 %.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Sowohl die Berufung des Klägers als auch die Anschlussberufung der Beklagten sind zulässig. Zum Teil begründet ist jedoch nur die Berufung, während die auf die Klageabweisung zielende Anschlussberufung ohne Erfolg bleibt.

I.

Wegen des Sachverhaltes wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts Bezug genommen. Feststeht, dass der Kläger am 02.02.1996 auf dem von der Beklagten gepachteten Gelände einer F.-Tankstelle an der S. Straße in B. zu Fall kam. Er beabsichtigte, ein Dienstfahrzeug seiner ehemaligen Arbeitgeberin zu reinigen und stellte dieses ordnungsgemäß vor der Waschanlage der Tankstelle ab. Der Kläger nahm den Dampfstrahler aus der Halterung und bewegte sich mit diesem um das Auto herum, um dieses zu reinigen. Dabei rutschte er auf einer etwa 2 cm dicken und 50 cm langen vereisten Platte aus verharschtem Altschnee aus. Er fiel auf die linke Schulter und zog sich einen schweren Bänderriss zu, der operativ versorgt werden musste. Das Arbeitsverhältnis des Klägers als Hausmeister wurde wegen der Unfallfolgen aufgelöst, auch die Berechtigung zur Nutzung der Hausmeisterwohnung entfiel deswegen.

Die Beklagte hat, nachdem sie ihre Schadensersatzpflicht dem Grunde nach in Höhe von 50 % anerkannt hatte, im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens und zunächst auch im Berufungsverfahren im Hinblick auf gewisse Unterschiede im Vortrag des Klägers bestritten, dass dieser auf einer vereisten Fläche ausgerutscht sei und sich die beschriebenen Verletzungen zugezogen habe. Im Rahmen der durch den Senat in der Berufungsverhandlung durchgeführten Anhörung der Parteien ist der Sachverhalt jedoch in dem festgestellten Sinne wieder unstreitig geworden.

II.

1. Aufgrund des feststehenden Sachverhaltes haftet die Beklagte wegen der Verletzung ihrer Verkehrsicherungspflicht nach § 823 BGB und aus dem Gesichtpunkt der positiven Vertragsverletzung wegen Missachtung einer vertraglichen Schutzpflicht.

a) Jeder, der für Dritte Gefahrenquellen schafft, hat die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz dieser Personen zu treffen, damit sich die möglichen Gefahren nicht realisieren können. Erst recht muss derjenige, der eine erhöhte Gefahrenquelle im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit schafft, dafür sorgen, dass das von ihm angelockte Publikum in den gewerblich genutzten Räumlichkeiten oder auf dem Gewerbegrundstück nicht zu Schaden kommt (vgl. OLG Köln OLGR 1998, 364 = NJW RR 1999, 673 = VersR 1999, 501 = NZV 1999, 165; Palandt-Thomas, BGB, 62. Auflage, § 823 Rn. 58 und 87). Der Betreiber einer Tankstelle oder Autowaschanlage hat insbesondere Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass Kunden in dem ihnen für den bestimmungsgemäßen Gebrauch zugänglichen Bereich nicht auf Glatteis oder Schnee Schaden erleiden (OLG Köln a.a.O.; NZV 1994, 361; OLG Hamm OLGR 2001, 64; 1998, 210; OLG Koblenz JurBüro 2000, 163). Diese allgemeine deliktische Verkehrssicherungspflicht, die gegenüber dem Kunden zugleich eine vertragliche Schutzpflicht darstellt, hat die Beklagte verletzt. Es handelte sich nicht um Eis, das sich bei kaltem Wetter durch den Betrieb der Waschanlage bildet (vgl. dazu die Fälle OLG Köln OLGR 1998, 364; OLG Hamm a.a.O.), sondern um vereisten und verharschten Altschnee, der der Beklagten und ihrem Personal, für welches sie nach § 278 und § 831 BGB einzustehen hat, längst hätte auffallen müssen. Da sie den Betrieb der Waschanlage fortführte, war sie deshalb verpflichtet, die vereiste Fläche, die sich als Gefahrenquelle in dem für die Kunden bestimmungsgemäß zugänglichen unmittelbaren Bereich der Waschanlage befand, zu beseitigen. Indem sie dies unterließ, verletzte sie in einer für den Schaden des Klägers ursächlichen Weise ihre Verkehrssicherungspflicht. Davon ist auch das Landgericht ausgegangen.

b) Es hat dem Kläger aber ein Mitverschulden nach § 254 BGB in Höhe von 50 % angerechnet. Auch der Senat hält den Vorwurf des Mitverschuldens für berechtigt. Der Kläger hätte bei den damals herrschenden Witterungsverhältnissen mit vereisten Flächen oder verharschtem Altschnee rechnen und deshalb besondere Vorsicht walten lassen müssen. Allerdings erscheint dem Senat die Bewertung des Mitverschuldens- und Verursachungsbeitrages des Klägers lediglich in Höhe von 25 % angemessen. Der Kunde einer Autowaschanlage darf darauf vertrauen, dass der Betreiber seiner Verkehrsicherungspflicht ordnungsgemäß nachkommt (OLG Köln OLGR 1998, 364). Das Verschulden der Beklagten, die die grundsätzlich berechtigten Sicherungserwartungen ihrer Kunden erfüllen musste, wiegt wesentlich schwerer als die momentane Unachtsamkeit des Klägers (vgl. OLG Hamm OLGR 2001, 64, 65). Eine besondere Unachtsamkeit, die es geboten erscheinen lassen könnte, hiervon abzuweichen, ist nicht ersichtlich. Der Kläger hatte sein Fahrzeug an einen dafür vorgesehenen Platz abgestellt und sich mit dem Dampfstrahlgerät im engeren Umkreis des Fahrzeuges bewegt. Dass er sein Augenmerk hierbei nicht auf etwaige vereiste Flächen richtete, ist nicht als solch krasses Mitverschulden zu werten, dass eine Kürzung des Schadenersatzanspruches um mehr als 25 % berechtigt wäre.

Hierbei kommt der zwischen den Parteien auch in der Berufungsverhandlung nicht geklärten Frage, ob an der Waschstraße ein Hinweisschild "Vorsicht Glatteis" angebracht war, keine entscheidende Bedeutung zu. Die Beklagte hat in der Berufungsverhandlung in Übereinstimmung mit den Aussagen der vom Landgericht vernommenen Zeugen C., T., und N. angegeben, dieses Warnschild werde - wie auf dem Foto Bl. 121 d.A. ersichtlich - im Winter am Eingang der Waschstraße befestigt. Ob das am Unfalltage ebenfalls der Fall war, kann dahinstehen. Dieses Hinweisschild war jedenfalls nicht geeignet, einen Kunden, der darauf vertraut, dass die Beklagte ihrer Verkehrssicherungspflicht nachkommt, ernsthaft auf die Gefahr des Glatteises hinzuweisen. Die Verantwortlichkeit der Beklagten als Betreiberin der Waschstraße, Schaden von den Kunden abzuwenden, wird durch ein derartiges Schild nicht in einer Weise herabgesetzt, dass der Verschuldens- und Verursachungsanteil der Beklagten im Rahmen der nach § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung vermindert würde.

2.

a) Der mit dem Klageantrag zu 1) geltend gemachte Schadensersatz berechnet sich bei einer Mitverschuldensquote von 75 % wie folgt: Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts beläuft sich der Verdienstausfallschaden in der Zeit vom 02.08.1996 bis April 2000 auf insgesamt 37.304,31 DM, so dass sich ein ersatzfähiger Schaden von 27.978,23 DM ergibt. Unter Anrechnung der geleisteten Zahlungen von 8.650,-- und 4.632,55 DM verbleibt ein zu erstattender Verdienstausfallschaden in Höhe von 14.695,68 DM. Die als Schaden anzuerkennenden Kosten für Umzug und Renovierung betragen nach den ebenfalls nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts insgesamt 6.995,76 DM; bei einem Mitverschuldensanteil von 75 % sind 5.246,82 DM erstattungsfähig. Unter Anrechnung der geleisteten Zahlung von 3.600,-- DM verbleibt ein Betrag von 1.646,82 DM. Damit beträgt der gesamte ersatzfähige Schaden 16.342,50 DM, das sind 8.355,79 €.

b) Hieraus kann der Kläger Verzugszinsen ab dem 19.05.2000 nur in der gesetzlichen Höhe nach § 288 Abs. 1 BGB a.F. von 4 % verlangen. Soweit er teilweise einen Zinssatz von 5 % über den Basiszinssatz begehrt, steht dem entgegen, dass § 288 Abs. 1 BGB n.F. gemäß Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB nur für Forderungen gilt, die von dem 01.05.2000 an fällig geworden sind. Die geltend gemachten Ansprüche waren indessen schon vorher fällig.

c) Den Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich zukünftiger Schäden hat das Landgericht mit zutreffender Begründung für zulässig erachtet. Er ist nach den obigen Ausführungen mit der Maßgabe begründet, dass die Haftungsquote nicht nur 50 %, sondern 75 % beträgt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwert:

1. Instanz (die Streitwertfestsetzung durch das Landgericht ist insoweit abzuändern, als für den Hilfsantrag kein Wert anzusetzen ist, da über diesen nicht entschieden wurde)

für den Klageantrag zu 1) bis zum 18.12.2001 15.863,11 €

danach 17.780,13 €

für den Klageantrag zu 2) 2.556,46 €

für die Widerklage 16.642,55 €

insgesamt bis zum 18.12.2001 18.419,57 €

bis zum 18.02.2002 20.336,59 €

danach 36.979,14 €

Berufungsstreitwert:

Berufung

Antrag zu 1) 15.086,91 €

(17.780,14 € ./. 2.693,23 €)

Antrag zu 2) 1.278,23 €

(2.556,46 € : 2)

insgesamt 16.365,14 €

Anschlussberufung bis zum 29.10.2002

Klageabweisung 2.693,23 €

1.278,23 €

Widerklage 16.642,55 €

insgesamt 20.614,01 €

ab dem 29.10.2002 2.693,23 €

1.278,23 €

insgesamt 3.971,46 €