VG Cottbus, Urteil vom 27.07.2012 - 1 K 870/11
Fundstelle
openJur 2012, 124074
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen der Schülerbeförderung für ihren am 2. Juli 2000 geborenen Sohn.

Mit Formular vom 20. April 2009 bestellte die Klägerin, die seinerzeit in der H.-straße 36 in K., Ortsteil S. lebte, beim Beklagten einen Schülerfahrausweis für ihren Sohn für die Strecke zur L.-straße im Ortsteil S., da das Kind die dort befindliche Grundschule besuchte. Der Fahrausweis wurde erteilt.

Unter dem 3. März 2010 teilte die Klägerin dem Beklagten eine Änderung zum Schülerfahrausweis mit, da sie nach K. umgezogen seien. Es werde nunmehr ein Schülerfahrausweis für die Strecke vom Bahnhof K., S.- Straße, zur weiterhin besuchten Grundschule in der L.-straße im Ortsteil S. benötigt.

Der Beklagte lehnte die Ausstellung eines solchen Schülerfahrausweises mit Bescheid vom 15. August 2011 ab. Nach § 3 Abs. 6 der Schülerbeförderungssatzung würden beim Besuch einer anderen als der zuständigen Grundschule nur die Aufwendungen ersetzt, die für den Besuch der zuständigen Schule notwendig wären (fiktive Fahrtkosten). Dies gelte auch, wenn das Staatliche Schulamt den Besuch einer anderen Schule gemäß § 106 Abs. 4 BbgSchulG gestatte. Die zuständige Schule für den Sohn der Klägerin sei die Grundschule "..." in K..

Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 17. August 2011 Widerspruch, zu dessen Begründung sie ausführte, Hintergrund für den weiteren Besuch der Grundschule in S. durch ihren Sohn sei der Umstand, dass sie 2010 aufgrund der Trennung von ihrem Lebensgefährten nach K. gezogen sei und ihr Sohn zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Schulwechsel und drei Trennungen erlebt habe und nun traumatisiert sei. Es sei notwendig, dass er weiter die Grundschule in S. besuche, da ihm aus psychologischer Sicht ein weiterer Schulwechsel nicht zuzumuten sei. Sie sei aufgrund des Bezugs von Hartz-IV-Leistungen auch nicht in der Lage, die Beförderungskosten selbst zu tragen.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2011 als unbegründet zurück. In Vertiefung der Begründung des Ausgangsbescheides führte er unter anderem aus, dass die im Rahmen des Widerspruchs vorgetragenen Sachverhalte hinsichtlich der familiären und finanziellen Situation nicht zu einer Ermessensentscheidung zur Regelung eines Einzelfalles herangezogen werden könnten, da die Satzung keine derartigen Regelungen enthalte. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 24. November 2011 mit Postzustellungsurkunde zugestellt.

Die Klägerin hat am 25. November 2011 Klage erhoben, die sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres Widerspruchsvorbringens begründet.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2011 zu verpflichten, Leistungen der Schülerbeförderung für ihren Sohn für den Weg zwischen der Wohnung in der K.- Straße in K. und der Grundschule , L.-straße in K., Ortsteil S. für das Schuljahr 2011/2012 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er wiederholt und vertieft die Ausführungen von Ausgangs- und insbesondere Widerspruchsbescheid.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 7. Mai 2012 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen, wird auf die Gerichtsakte und den vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.

Gründe

Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend oder vertreten war, denn sie wurde unter Hinweis auf diese Möglichkeit ordnungsgemäß geladen (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]).

Die Klage ist jedenfalls unbegründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Gewährung von Schülerbeförderungsleistungen im begehrten Umfang für ihren Sohn. Der Bescheid des Beklagten vom 15. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Dem Erfolg der vorliegenden Klage steht bereits der Umstand entgegen, dass die Klägerin für den geltend gemachten Anspruch nicht aktivlegitimiert ist. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 der hier maßgeblichen Satzung des Landkreises für die Schülerbeförderung (im Folgenden: SBS) vom 31. März 2004, zuletzt geändert durch Satzung vom 29. Juni 2011 (Amtsblatt für den Landkreis Nr. 22/2011 vom 30. Juni 2011, S. 3), sind anspruchsberechtigt für Schülerbeförderungsleistungen die Schüler. Die maßgebliche Satzung ordnet somit die Ansprüche auf Schülerbeförderung unmissverständlich dem Schüler zu, nicht aber seinen Personensorgeberechtigten. Diese können daher Schülerbeförderungsleistungen nicht im eigenen Namen im Klageverfahren einfordern (vgl. Beschluss der Kammer vom 4. Juni 2012 - VG 1 L 93/12 -).

Im vorliegenden Fall besteht aber auch ungeachtet des vorstehenden Umstands kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Schülerbeförderung zur Grundschule. Einen solchen schließt § 3 Abs. 6 Satz 1 SBS aus, denn die Bestimmung beschränkt in den Fällen, in denen der Schüler eine andere als die zuständige Schule (auch mit Gestattung des Staatlichen Schulamtes gemäß § 106 Abs. 4 BbgSchulG) besucht, die Ansprüche auf eine Erstattung der fiktiven Fahrkosten, die für den Besuch der zuständigen Schule notwendig wären.

Die Bestimmung ist vorliegend einschlägig, denn der Sohn der Klägerin besucht mit der Grundschule im Ortsteil S., von K. eine andere als die zuständige Schule. Zuständige Schule ist hier gemäß § 106 des Gesetzes über die Schulen im Land Brandenburg (Brandenburgisches Schulgesetz - BbgSchulG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. August 2002 (GVBl. I S. 78), zuletzt ändert durch Gesetz vom 19. Dezember 2011 (GVBl. I Nr. 35), - auf den § 3 Abs. 6 SBS, wie aus Satz 2 ersichtlich, Bezug nimmt - i.V.m. der § 2 Satzung zur Bestimmung der Schulbezirke und Überschneidungsgebiete für die Grundschulen der Stadt K. (Schulbezirkssatzung) vom 5. Juli 2010 (Amtsblatt für die Stadt K. Nr. 7 vom 28. Juli 2010, S. 31) und der Anlage I zu dieser Satzung die Grundschule "..." in der K.-Straße, K.

Dass das Staatliche Schulamt W. den weiteren Besuch der Grundschule - aus welchen Gründen auch immer - gestattet hat (§ 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG), ist nach § 3 Abs. 6 Satz 2 SBS für die Frage der Schülerbeförderung und insbesondere der Beschränkung auf die Kosten des Weges zur zuständigen Schule ohne Bedeutung. Die Schülerbeförderungssatzung differenziert auch nicht nach den Gründen den Besuch der anderen als der zuständigen Grundschule.

Da sich die zuständige Grundschule nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Beklagen im Schriftsatz vom 24. Januar 2012 in einer geringeren Entfernung als zwei Kilometer von der Wohnung der Klägerin und ihres Sohnes befindet, scheitert eine Erstattung der fiktiven Kosten für den Weg zur zuständigen Grundschule an 2-km-Mindestentfernung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 SBS.

Die vorstehend angeführten Bestimmungen der Schülerbeförderungssatzung des Landkreises begegnen auch keinen Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht.

§ 112 Abs. 1 BbgSchulG scheidet insoweit als Maßstab aus, denn mit der Änderung der die Schülerbeförderung betreffenden Bestimmung des Brandenburgischen Schulgesetzes durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben vom 4. Juni 2003 (GVBl. I S. 172), insoweit in Kraft getreten am 1. August 2003, hat der Landesgesetzgeber nach seinen Erwägungen in der Gesetzesbegründung (vgl. LT-Drs. 3/5695) die Zielsetzung verfolgt, den Landkreisen erhebliche erweiterte Spielräume bei der Ausgestaltung des Schülerfahrtkostenerstattung einzuräumen, indem sie die Möglichkeit erhalten, den Umfang der notwendigen Beförderungskosten und das Erstattungsverfahren selbständig zu regeln. Er hat daher davon abgesehen, allgemeine Kriterien oder Standards für den Vollzug des Gesetzes vorzugeben.

Auch ein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Bestimmungen ist insoweit nicht gegeben, denn weder das Verfassungsrecht des Bundes noch das des Landes enthalten Vorgaben für die Schülerbeförderung (vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juni 2008 - 2 LB 5/07 -, juris Rn. 34; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 24. Mai 2007 - 2 LC 9/07 -, NdsVBl 2007, 336, juris Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Juni 1991 - 9 S 2111/90 -, juris Rn. 41; 35; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Januar 1997 - 9 S 1904/94 -, DVBl 1997, 1184, juris Rn. 17; OVG für das Land Sachen-Anhalt, Urteil vom 19. August 1998 - A 2 S 875/97 -, LKV 1999, 276, juris Rn. 14). Die nach Maßgabe des Landesrechts gewährte Schülerbeförderung stellt verfassungsrechtlich gesehen eine freiwillige Leistung der öffentlichen Hand dar, so dass dem Landkreis bei der Ausgestaltung der Schülerbeförderungssatzung ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. In diesem Zusammenhang ist von maßgeblicher Bedeutung allein, dass die getroffene Regelung sachlich gerechtfertigt ist und nicht willkürlich erscheint. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, ob es andere denkbare, insbesondere für die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Erziehungsberechtigten günstigere Regelungen gibt, die ebenfalls sachlich gerechtfertigt sind oder möglicherweise sogar sinnvoller erscheinen (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 12. August 2011 - 2 LA 283/10 -, juris Rn. 11; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Juni 1991 - 9 S 2111/90 -, juris Rn. 46). Es ist anerkannt, dass eine Regelung, die die Beförderung bzw. Erstattung der Beförderungskosten auf den Weg/Betrag begrenzt, der für den Schulweg zur nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs bzw. zur zuständigen Schule entsteht oder entstehen würde, verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begegnet (vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juni 2008 - 2 LB 5/07 -, juris Rn. 40; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Januar 1997 - 9 S 1904/94 -, DVBl 1997, 1184, juris Rn. 18).

Die vorliegend maßgebliche Bestimmung des § 3 Abs. 6 SBS, die mit der Änderungssatzung vom 29. Juni 2011 ohne Übergangsregelung eingefügt worden war, begegnet auch unter dem Gesichtspunkt eines rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes keinen durchgreifenden Bedenken. Die Regelung entfaltete keine Rückwirkung, denn die darin angeordneten Rechtsfolgen traten erst zum 1. Juli 2011, also ausgehend von der Bekanntmachung für die Zukunft ein. Allerdings traf die neue Bestimmung nicht nur neu einzuschulende Schüler, sondern auch alle diejenigen, die ihre Schule noch unter der Geltung der alten, großzügigeren Satzungsregelung gewählt hatten. Damit treffen die geänderten Rechtsfolgen auch Gegebenheiten aus der Zeit vor der Verkündung der Regelung, denn die Wahl einer bestimmten Schule erfolgt regelmäßig nicht von Schuljahr zu Schuljahr, sondern aus naheliegenden, vor allem pädagogischen Gründen für längere Zeit. Eine solche tatbestandliche Rückanknüpfung oder unechte Rückwirkung (zu diesen Begriffen vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 1971 - 2 BvL 2/66, 2 BvR 168, 196, 197, 210, 472/66 -, BVerfGE 30, 367, juris Rn. 71; BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 -, BVerfGE 72, 200, juris Rn. 90 f.; BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1988 - 1 BvR 743/86, 1 BvL 80/86 -, BVerfGE 79, 29, juris Rn. 52 f.; BVerfG, Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -, BVerfGE 101, 239, juris Rn. 96 f.) ist bei der Kürzung von freiwilligen staatlichen Leistungen wie hier der Schülerbeförderung verfassungsrechtlich grundsätzlich erlaubt, denn wer im Hinblick auf eine staatliche Subvention Dispositionen mit weit in die Zukunft reichenden Wirkungen trifft, kann nicht darauf vertrauen, dass die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gewährten Subventionen zeitlich unbegrenzt fortbestehen. Vielmehr muss er damit rechnen, dass grundlegende Änderungen in den allgemeinen Rahmenbedingungen der Förderung nicht unberücksichtigt bleiben und folglich die Leistungen gekürzt werden. Nur wenn das Vertrauen auf die Fortgeltung der bestehenden Rechtslage den Vorrang verdient, ist die Regelung unzulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 1988 - 2 BvL 9/85, 2 BvL 3/86 -, BVerfGE 78, 249, juris Rn. 90). Unter diesem Blickwinkel begegnet die Regelung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Beschränkung von Leistungen der Schülerbeförderung ist jedenfalls durch das gewichtige öffentliche Interesse an der Konzentration der knappen zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel auf die wirklich notwendigen Kosten gerechtfertigt, denen gegenüber das Vertrauen auf den Fortbestand der Förderung keinen Vorrang beanspruchen kann.

Das Fehlen einer Übergangsregelung ist ebenfalls unschädlich. Grundsätzlich können der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers auch dann, wenn die Einschränkung der staatlichen Leistung an sich verfassungsrechtlich zulässig ist, aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes je nach Lage der Verhältnisse verfassungsrechtliche Schranken erwachsen und der Normgeber verpflichtet sein, eine angemessene Übergangsregelung zu treffen. Dabei kommt es darauf an, ob er bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe unter Berücksichtigung aller Umstände die Grenze der Zumutbarkeit überschritten hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 1988 - 2 BvL 9/85, 2 BvL 3/86 -, BVerfGE 78, 249, juris Rn. 92). Der Verzicht des Landkreises auf eine Übergangsregelung bei der Änderung der Schülerbeförderungssatzung hält sich indessen in den Grenzen der Zumutbarkeit. Insoweit ist insbesondere in die Betrachtung einzubeziehen, dass die fragliche Änderung durch den neuen § 3 Abs. 6 SBS, der sich inhaltlich ohnehin nur auf den Bereich der Primarstufe bezieht, nicht während des laufenden Schuljahres Geltung erlangt hat, sondern mit dem 1. Juli 2011 in der Übergangsphase zwischen zwei Schuljahren. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens lag auch noch einen Monat vor Beginn des neuen Schuljahres am 1. August 2011 (vgl. § 43 Abs. 1 BbgSchulG), so dass den Eltern der möglicherweise betroffenen Grundschüler ein hinreichend bemessener Zeitraum verblieb, einen Wechsel auf die leicht zu bestimmende zuständige Grundschule zu organisieren (Urteil der Kammer vom 4. Juni 2012 - VG 1 K 265/12 -).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.