OLG Hamburg, Beschluss vom 14.06.2010 - 3 Ws 73/10
Fundstelle
openJur 2010, 621
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 629 KLs 6/08

Die Bestellung zum Pflichtverteidiger umfasst nicht die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren.

(Leitsätze: die Mitglieder des 3. Strafsenats)

Tenor

Auf die Beschwerde der Rechtsanwältin K. werden der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 29, vom 17.09.09 und die Abhilfeentscheidung der Rechtspflegerin vom 13.05.09 aufgehoben.

Die der Beschwerdeführerin aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung wird auf 4.385,52 € (viertausenddreihundertfünfundachtzig 52/100 Euro) festgesetzt.

Der weitergehende Festsetzungsantrag der Beschwerdeführerin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Dem Beschwerdeverfahren liegt ein Strafverfahren gegen die Verurteilten M. und T. wegen Betruges zugrunde, in dessen Rahmen insgesamt 214 Adhäsionsanträge beim Landgericht anhängig waren, die überwiegend auf Schadensersatz in Höhe von 99,90 € gerichtet waren. Das Landgericht lehnte es ab, über die Adhäsionsanträge zu entscheiden. Die Beschwerdeführerin begehrt aufgrund ihrer Bestellung zur Pflichtverteidigerin des Verurteilten M. neben den Gebühren für die Pflichtverteidigung für 211 Adhäsionsanträge bezogen auf einen Streitwert von jeweils 99,90 € eine Gebühr von jeweils 50,- € gemäß Ziff. 4143 VV, mithin insgesamt 10.550,- € zuzüglich Mehrwertsteuer.

Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Am 26.02.08 beantragte die Beschwerdeführerin ihre Bestellung zur Pflichtverteidigerin des Angeklagten M. Anschließend beantragte sie, die ihr zugestellten Adhäsionsanträge abzuweisen. Am 06.01.09 erinnerte die Verteidigerin an die Erledigung ihres Antrages auf Pflichtverteidigerbestellung und beantragte, unter Hinweis auf die neueste Rechtsprechung, ausdrücklich die Beiordnung gemäß § 404 Abs. 5 StPO.

Am 16.02.10, dem ersten Hauptverhandlungstag, wurde die Beschwerdeführerin ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls auf Anordnung des Vorsitzenden zur Pflichtverteidigerin des Angeklagten M. bestellt. Einen Hinweis auf eine Beiordnung gemäß § 404 Abs. 5 StPO enthält das Protokoll nicht.

Dem Kostenfestsetzungs- und Erstattungsantrag der Beschwerdeführerin vom 14.04.09 entsprach die Rechtspflegerin des Landgerichts am 20.04.09 lediglich bezüglich der Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 4.385,52 €. Eine Erstattung der Gebühren für das Adhäsionsverfahren lehnte sie ab, weil dieses nicht durchgeführt wurde.

Der Erinnerung der Beschwerdeführerin vom 21.04.09 half die Rechtspflegerin am 13.05.09 in Höhe von 697,34 € ab. Die Gebühr nach Ziff. 4143 VV sei zwar entstanden, es sei aber von einem einheitlichen Streitwert in Höhe von 21.078,90 (211 x 99,90 €) auszugehen, der eine Gebühr von lediglich 586,- € zuzüglich Mehrwertsteuer auslöse.

Die weitergehende Erinnerung wies das Landgericht durch den angefochtenen Beschluss vom 17.09.09 ab. Gegen diesen am 22.09.09 zugestellten Beschluss wendet sich die Verteidigerin mit ihrer Beschwerde vom 28.09.09, die am 29.09.09 bei Gericht einging.

II.

Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG statthafte und in zulässiger Form erhobene Beschwerde ist bezüglich des angestrebten Ergebnisses erfolglos. Sie führt aber, da ein Verschlechterungsverbot im Kostenfestsetzungsverfahren nicht gilt, zu der aus dem Tenor ersichtlichen Reduzierung der Gebührenhöhe.

1. Eine ausdrückliche oder konkludente Beiordnung der Beschwerdeführerin gemäß § 404 Abs. 5 StPO für das Adhäsionsverfahren ist nicht erfolgt. Zwar hat die Beschwerdeführerin einen entsprechenden Antrag gestellt. Diesem wurde aber nicht entsprochen. Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, der Vorsitzende des Tatgerichts habe erklärt, eine gesonderte Beiordnung sei nicht erforderlich, da nach Auffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts die Pflichtverteidigerbestellung auch für das Adhäsionsverfahren gelte, handelt es sich um keine konkludente Beiordnung, sondern lediglich um die Äußerung einer Rechtsauffassung. Die von der Beschwerdeführerin wiedergegebene Äußerung des Vorsitzenden deutet vielmehr darauf hin, dass dieser keinen Raum für eine eigene Entscheidung sah, sondern von einer gesetzlichen Folge aufgrund der Pflichtverteidigerbestellung ausging. Für diese Auslegung spricht auch, dass die ansonsten gemäß § 405 Abs. 5 S. 1 StPO i.V.m. § 114 S. 1 ZPO erforderliche Prüfung der Bedürftigkeit des Angeklagten und der Erfolgsaussichten seiner Rechtsverfolgung unterblieb.

2. Damit kommt es vorliegend für einen Zahlungsanspruch gegen die Landeskasse auf die Frage an, ob die Pflichtverteidigerbestellung regelmäßig auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bisher ausdrücklich offen gelassen (NJW 2001, 2486, 2487). Ein Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung bejaht diese Frage (OLG Schleswig, NStZ 1998, 101 f.; OLG Hamm, StraFo 2001, 361 f.; OLG Köln, StraFo 2005, 394 f.; Hans. OLG Hamburg, 1. Strafsenat, NStZ-RR 2006, 347, 349; OLG Dresden, Beschluss vom 13.06.07 – 1 Ws 155/06, zitiert nach Juris). Der überwiegende Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung fordert für einen Anspruch gegenüber der Landeskasse eine gesonderte Beiordnung für das Adhäsionsverfahren (OLG Saarbrücken, StV 2000, 433 f.; OLG München, StV 2004, 38; OLG Zweibrücken, JurBüro 2006, 643 f.; OLG Celle, NStZ-RR 2008, 190 ff.; Thüringer OLG, Rpfleger, 2008, 529 ff; Brandenburgisches OLG, Beschlüsse vom 29.04.08 – 2 Ws 59/08 und vom 30.09.08 – 1 Ws 142/08, zitiert nach Juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 22.10.08 – 1 Ws 576/08, zitiert nach Juris; OLG Stuttgart, Justiz 2009, 201 f.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 22.04.10 – 1 Ws 178/10, zitiert nach Juris).

Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung und deren Argumentation an. Von ausschlaggebender Bedeutung ist der eindeutige Wortlaut des § 405 Abs. 5 StPO. In Satz 1 dieses Absatzes wird ausdrücklich eine gesonderte Beiordnung gefordert, die sich an den Voraussetzungen der Vorschriften für bürgerliche Rechtstreitigkeiten zu orientieren hat. Soweit von der Gegenauffassung vorgebracht wird, diese Einschränkung beziehe sich nur auf Angeschuldigte, bei denen die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigung nicht vorlägen (OLG Hamm a.a.O.), ergibt sich diese Einschränkung nicht aus dem Gesetz und widerspricht zudem dem Regelungszweck des § 404 Abs. 5 S. 2 StPO, der auch für Angeschuldigte, die bereits einen Verteidiger haben, ausdrücklich das Bedürfnis für eine gesonderte Beiordnung voraussetzt.

Nach allem hat die Beschwerdeführerin für einen Gebührenanspruchs gem. Ziff. 4143 VV mangels entsprechender Beiordnung keinen Anspruch gegen die Landeskasse.

3. Demgemäß bedurften die Abhilfeentscheidung der Rechtspflegerin vom 13.05.09 und die ihr folgende Entscheidung des Landgerichts vom 17.09.09 der Aufhebung. Ein Verschlechterungsverbot steht der Aufhebung dieser Entscheidungen und der Festsetzung eines geringeren Betrages nicht entgegen. Ein Verbot der Schlechterstellung ist für Beschwerdeentscheidungen weder in der StPO noch im RVG geregelt. Es wird nach zutreffender herrschender Meinung im Bereich der mit der „einfachen“ Beschwerde anfechtbaren Kostenfestsetzungsentscheidungen abgelehnt (OLG Düsseldorf, MDR 1991, 370; OLG Karlsruhe, MDR 1986, 694, Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 464 b StPO Rdnr. 8 m.w.N.).

Demgemäß ist bereits eine Überzahlung in Höhe von 697,34 € eingetreten.

III.

Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst (§ 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG).