BGH, Beschluss vom 30.07.2012 - V ZB 245/11
Fundstelle
openJur 2012, 123917
  • Rkr:
Tenor

Dem Betroffenen wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. Ackermann Verfahrenskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren bewilligt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom 10. September 2011 ihn in seinen Rechten verletzt hat.

Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Landeshauptstadt Wiesbaden zu 50 % auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht statt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

Der Betroffene ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 7. September 2011 gegen eine Zahlung von 5.000 € mit Hilfe von Schleusern nach Deutschland ein, ohne im Besitz eines Passes und Aufenthaltstitels zu sein. Er wurde am 9. September 2011 in Wiesbaden festgenommen.

Auf Antrag des Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 10. September 2011 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis einschließlich 9. Dezember 2011 angeordnet.

Während des gegen die Haftanordnung gerichteten Beschwerdeverfahrens stellte der Betroffene einen Asylantrag, der am 12. September 2011 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) einging. Mit Bescheid vom 6. Oktober 2011 lehnte das Bundesamt den Antrag als offensichtlich unbegründet ab und forderte ihn unter Androhung der Abschiebung in die Türkei auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen.

Das Landgericht hat die Beschwerde nach der Anhörung des Betroffenen zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er nach der am 22. November 2011 erfolgten Abschiebung die Feststellung, dass er durch die Haftanordnung und ihre Aufrechterhaltung in seinen Rechten verletzt worden ist.

II.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG gegeben. Der im Laufe des Beschwerdeverfahrens gestellte Asylantrag habe der Aufrechterhaltung der Sicherungshaft auch im Hinblick auf die Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG nicht entgegengestanden, weil sich der Betroffene im Zeitpunkt der Asylantragstellung in Sicherungshaft befunden habe. Es sei davon auszugehen gewesen, dass der Betroffene innerhalb der angeordneten Haftdauer in die Türkei habe zurückgeschoben werden können.

III.

Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand. Die Entscheidung des Amtsgerichts hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.

1. Wegen des Fehlens einer den Anforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG entsprechenden Antragsbegründung hätte die Haft nicht angeordnet werden dürfen. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 7).

a) Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang 5 führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 14; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 8).

b) So verhält es sich hier. Bei einer beabsichtigten Abschiebung muss die Behörde in dem Haftantrag nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG die Vollstreckungsvoraussetzungen darlegen, zu denen die Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG aF gehört (Senat, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 252/10, juris Rn. 16). Fehlt es an einer für die Vollstreckung erforderlichen Voraussetzung, darf auch eine kraft Gesetzes (§ 58 Abs. 2 Satz 1 AufenthG aF) vollziehbare Ausreisepflicht nicht durch eine Abschiebung durchgesetzt werden (Senat, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 252/10, juris Rn. 16). Dies hat die Beteiligte zu 2 nicht berücksichtigt. Sie hat nur die Tatsachen für die Begründung der vollziehbaren Ausreisepflicht des Betroffenen vorgetragen. Das mag für einen Antrag auf Anordnung der Haft zur Sicherung einer Zurückschiebung im Sinne des § 57 AufenthG aF ausreichen. Nach dem eindeutigen Inhalt des Haftantrags war aber nicht die Zurückschiebung, sondern die Abschiebung beantragt.

2. Dagegen hält die Beschwerdeentscheidung rechtlicher Nachprüfung stand, weil der ursprüngliche Begründungsmangel im Laufe des Beschwerdeverfahrens mit Wirkung für die Zukunft geheilt worden ist. Denn der Beteiligte zu 2 hat den Bescheid des Bundesamts vom 6. Oktober 2011 vorgelegt, der die Abschiebungsandrohung enthielt. Der Betroffene hatte in der nachfolgenden Anhörung Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.

Auch im Übrigen ist die Entscheidung rechtsfehlerfrei. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen; auf den zu einem 9 vergleichbaren Sachverhalt ergangenen Beschluss des Senats vom 3. Mai 2011 (V ZB 244/11, juris) wird verwiesen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Die Kostenquote entspricht dem Verhältnis des gesamten Zeitraums der Haft zu dem Zeitraum, für den das Rechtsmittel Erfolg hat.

Krüger Stresemann Czub Roth Brückner Vorinstanzen:

AG Wiesbaden, Entscheidung vom 10.09.2011 - 700 XIV 601/11 -

LG Wiesbaden, Entscheidung vom 17.10.2011 - 4 T 405/11 - 12