BGH, Urteil vom 18.07.2012 - 2 StR 605/11
Fundstelle
openJur 2012, 123887
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. Juni 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Vorwegvollzug von drei Jahren und sechs Monaten der verhängten Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Von Rechts wegen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes, Totschlags, Unterschlagung und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Außerdem hat es angeordnet, dass drei Jahre und sechs Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung des 1 Angeklagten in einer Entziehungsanstalt vollstreckt werden sollen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, der nach zunächst unbeschränkter Einlegung und Begründung des Rechtsmittels durch Schriftsatz vom 4. November 2011 erklärt hat, er beschränke die Revision auf die Verurteilung wegen Totschlags (Fall II.1. der Urteilsgründe) und nehme die beiden Maßregeln vom Rechtsmittelangriff aus. Die teilweise Zurücknahme der Revision ist unwirksam, soweit sie den Maßregelausspruch betrifft. Jedoch hat das Rechtsmittel nur in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang hinsichtlich der Anordnung des Vorwegvollzuges der Strafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Erfolg.

A.

Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte schon in der Schulzeit durch leichte Erregbarkeit aufgefallen. Seit dem 12. oder 13. Lebensjahr konsumierte er Haschisch und Alkohol. Im Jahre 1995 wurde er wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und begann in der Haft den Konsum von Kokain und Heroin. Nach weiteren leichten Straftaten versuchte er im Jahre 1999 einen schweren Raub zur Beschaffung von Geld für den Drogenerwerb, weshalb er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt wurde. Eine Drogentherapie unter Zurückstellung der Vollstreckung eines Strafrests blieb ohne dauerhaften Erfolg. Im Jahre 2003 wurde der Angeklagte wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und es wurde wegen seiner Drogensucht, die eine Persönlichkeitsänderung zur Folge hatte, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Maßregel wurde alsbald für erledigt erklärt, weil ihr Vollzug nicht das erhoffte Ergebnis erzielte. Nach der Entlassung aus der Strafhaft 2 beging der Angeklagte eine Reihe von Diebstählen zur Beschaffung von Geldmitteln zum Drogenerwerb. Ende des Jahres 2009 wurde der Angeklagte in das Methadonprogramm aufgenommen und es gelang ihm zunächst eine Stabilisierung seiner Lage. Jedoch wurde er im März 2010 mit dem Konsum von Heroin und Kokain rückfällig.

Zu dieser Zeit hielt sich der Angeklagte zeitweise bei dem Drogenkonsumenten F. in Z. auf und übernachtete in dessen Sozialwoh- nung. Er tötete F. am 27. oder 28. Mai 2010 aus einem unbekannten Be- weggrund, wobei er ihm einen Bruch des Kehlkopfhorns, einen Rippenbruch und mindestens 14 Stichverletzungen in Brust und Rücken beibrachte (Fall II.1. der Urteilsgründe). Am 3. Juni 2010 hielt der Angeklagte sich in F. auf und drang in eine Gartenhütte ein, um dort Drogen konsumieren und übernachten zu können. Am Folgetag wurde er in der Mittagszeit von der Inhaberin Fa. angetroffen, die um Hilfe rief. Um nicht entdeckt und ver- folgt zu werden, erwürgte der Angeklagte Fa. . Danach nahm er ihr Bargeld und eine Bankkarte weg (Fall II.2. der Urteilsgründe). Am 29. Juni 2010 hielt der Angeklagte sich in B. auf, wo er der Geschädigten M. die Handtasche wegnahm, um Geld für den Drogenerwerb zu erbeuten (Fall II.3. der Urteilsgründe).

B.

Die Revision ist hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs durch teilweise Zurücknahme vom Beschwerdeführer auf den Totschlag zum Nachteil von F. (Fall II.1. der Urteilsgründe) - sowie davon untrennbar - auf die Gesamtstrafe beschränkt worden. Das Rechtsmittel konnte aber nicht wirksam durch Teilrücknahme weiterhin so beschränkt werden, dass der Maßregelausspruch von dem Rechtsmittelangriff ausgenommen ist. 3 Eine Beschränkung der Revision nach § 344 Abs. 1 StPO ist nur zulässig, soweit die Beschwerdepunkte nach dem inneren Zusammenhang des Urteils - losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil - tatsächlich und rechtlich unabhängig beurteilt werden können, ohne eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen; für eine teilweise Zurücknahme des Rechtsmittels gilt nichts anderes. Weiter muss gewährleistet sein, dass die nach Teilanfechtung stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleiben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1980 - 1 StR 262/80, BGHSt 29, 359, 365 f.; Urteil vom 2. März 1995 - 1 StR 595/94, BGHSt 41, 57, 59). Die Revisionsbeschränkung unter Ausklammerung eines Maßregelausspruchs ist deshalb unwirksam, wenn zugleich der Schuldspruch angegriffen wird, der von der Maßregelfrage nicht getrennt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 - 4 StR 504/09, NStZ-RR 2010, 171 f.; Senat, Beschluss vom 22. Juni 2011 - 2 StR 139/11, StV 2012, 72). Auch der Angriff auf einen Teil des Schuldspruchs führt zur Unwirksamkeit der Beschränkung hinsichtlich des Maßregelausspruchs, wenn diese Rechtsfolgenentscheidung auch an den Schuldspruch hinsichtlich des angefochtenen Teil der Verurteilung anknüpft.

So liegt es hier. Das Landgericht hat die Anordnung der Maßregeln auch auf das Tötungsdelikt zum Nachteil des Geschädigten F. gestützt. Der Revisionsangriff gegen den wegen dieser Tat ergangenen Schuldspruch erfaßt daher auch den Maßregelausspruch; denn es ist nicht auszuschließen, dass dieser ohne Berücksichtigung der Symptomtat vom 27./28. Mai 2010 anders ausgefallen wäre.

C. I. Die Revision ist unbegründet, soweit sie die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.1. der Urteilsgründe des Landgerichts betrifft.

1. Insoweit ist der Schuldspruch wegen Totschlags rechtsfehlerfrei begründet worden, weil sich das Landgericht ohne Lücken, Denkfehler oder Widersprüche aufgrund einer Gesamtschau von Indizien, unter anderem dem Auffinden des Rucksacks mit Reisepass und Methadonbezugskarte des Getöteten im Gepäck des Angeklagten, den vom Angeklagten am Tatort hinterlassenen Blutspuren sowie der aufgezeichneten Telekommunikationsverbindungsdaten, von seiner Täterschaft überzeugt hat.

2. Auch der Strafausspruch wegen dieser Tat begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Obwohl das Landgericht den Anlass der Tat und das Motiv des Angeklagten für ihre Begehung nicht feststellen konnte, ist die Annahme, es habe kein Fall des § 213 (1. Alternative) StGB vorgelegen, mit Blick auf die Persönlichkeiten von Täter und Opfer sowie deren Lebenssituation rechtlich unbedenklich begründet worden.

II. Der Maßregelausspruch hält der Nachprüfung durch das Revisionsgericht im Wesentlichen stand.

1. a) Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ist rechtsfehlerfrei.

aa) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte einen Hang zum Rauschmittelkonsum im Übermaß aufweist.

bb) Es hat den weiterhin für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen 7 dem Hang des Angeklagten zum Rauschmittelkonsum im Übermaß und der Begehung der Anlasstaten für die Maßregelanordnung nur knapp begründet. Jedoch ergibt sich dieser Symptomzusammenhang zumindest aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe mit hinreichender Deutlichkeit.

Eine Tatbegehung durch den Angeklagten im akuten Rausch ist nicht festgestellt worden. Außer dem akuten Rausch während der Tatbegehung nennt das Gesetz aber auch die Alternative, dass die Tat in sonstiger Weise auf den Hang zum Rauschmittelkonsum im Übermaß zurückgeht. Dabei muss ein Ursachenzusammenhang festgestellt werden, der etwa bei Geldbeschaffungsdelikten mit dem Folgeziel des Drogenerwerbs oder aber im sozialen Verfall des Täters infolge des Rauschmittelkonsums bestehen kann. Der Hang zum übermäßigen Rauschmittelkonsum muss zudem nicht die alleinige Ursache der Begehung von Straftaten sein (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11). Eine dissoziale Persönlichkeitsstruktur des Täters schließt die Mitursächlichkeit des Hangs zum Rauschmittelkonsum für die Tatbegehung nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2002 - 5 StR 543/01, NStZ-RR 2002, 107). Allerdings muss die hangbedingte Tat zugleich wiederum Symptomcharakter für künftige weitere Straftaten besitzen, deren Prognose den materiellen Maßregelgrund bildet. Die Vor- und Anlasstaten der Maßregelentscheidung sind wichtige Indizien für die Prognosebeweiswürdigung. Sie lassen hier in der Gesamtschau einen Symptomzusammenhang zwischen dem Hang zum Drogenkonsum und der Kriminalität des Angeklagten erkennen. Die Tötung von F. erfolgte im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Dro- genkonsum in der Wohnung des Opfers. Auch der Verdeckungsmord des Angeklagten zum Nachteil von Fa. wegen seiner Entdeckung in de- ren Gartenhütte, die er für seinen Drogenkonsum aufgesucht hatte, steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Hang zum übermäßigen Rauschmittelkonsum. Früher bereits abgeurteilte Gewaltdelikte lassen in ähnli-14 cher Weise einen Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und Kriminalität des Angeklagten erkennen.

cc) Rechtlich fehlerfrei hat das Landgericht zudem aus der von sozialem Verfall und zunehmend schwerer werdender Kriminalität bis hin zu den Tötungsverbrechen geprägten Biographie des Angeklagten auf die Gefahr weiterer erheblicher rechtswidriger Taten infolge seines Hanges zum Drogenkonsum geschlossen.

dd) Schließlich ist auch die Annahme hinreichender Erfolgsaussichten der Maßregel im Sinne von § 64 Satz 2 StGB durch das Revisionsgericht nicht zu beanstanden.

Das Landgericht hat konkrete Erfolgsaussichten rechtsfehlerfrei aus der Therapiebereitschaft des Angeklagten und seinen früheren Versuchen, sich eigenständig von der Drogensucht zu lösen, begründet. Dass einzelne Therapieversuche im Zusammenhang mit früherer Straf- oder Maßregelvollstreckung nach § 64 StGB erfolglos geblieben sind, schließt einen künftigen Erfolg dann nicht aus.

b) Die Anordnung des Vorwegvollzuges von drei Jahren und sechs Monaten der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beruht aber auf rechtsfehlerhaften Überlegungen.

Das Landgericht hat angenommen, es könne im Fall des Angeklagten ausnahmsweise nicht von einer Strafrestaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung der Hälfte der Gesamtfreiheitsstrafe unter Anrechnung des Maßregelvollzuges ausgegangen werden. Eine solche Annahme lässt das Gesetz in § 67 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 5 Satz 1 StGB jedoch nicht zu. Die dortige Anknüpfung an den Halbstrafenzeitpunkt ist zwingend (vgl. BGH, Beschluss vom 15 2. September 2009 - 5 StR 327/09, BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 17; Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 67 Rn. 11a). Nur die Frage, ob das Gericht von der Möglichkeit der Anordnung des Vorwegvollzuges eines Teils der Strafe Gebrauch macht, liegt in seinem Ermessen.

Diese Ermessensentscheidung kann der Senat nicht durch eine eigene Entscheidung ersetzen; daher ist die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung ist wiederum ohne Rechtsfehler getroffen worden.

Die formellen Maßregelvoraussetzungen nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 2 und 3 StGB liegen im Hinblick auf die Vorverurteilungen wegen Vergewaltigung, versuchten schweren Raubes und Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie im Hinblick auf die wiederholte Strafvollstreckung von mehr als einem Jahr Dauer vor. Gegen die weitere Annahme des sachverständig beratenen Landgerichts, dass der Angeklagte bei Gesamtwürdigung von Täter und Taten infolge eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), bestehen ebenfalls keine rechtlichen Bedenken. Schließlich ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit selbst bei besonders strenger Prüfung angesichts der Mehrzahl der bisherigen schweren Straftaten des Angeklagten, die gegen Leib und Leben der Geschädigten oder ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gerichtet waren und die das Gefahrenpotenzial für künftige Straftaten andeuten, gewahrt.

Zwar ist gemäß der nach § 31 BVerfGG bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts § 66 Abs. 1 StGB verfassungswidrig. Er gilt aber bis zur Neugestaltung des Maßregelrechts, längstens bis zum 31. Mai 2013, weiter (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2010 - 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 404 ff.). Während der Dauer seiner Weitergeltung muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG handelt. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts darf die Regelung der Sicherungsverwahrung nur aufgrund einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" angewandt werden. Dies setzt eine eingehende Prognoseentscheidung über das Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung erheblicher Gewalt- oder Sexualdelikte ohne die Maßregel voraus (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 374/11, NStZ-RR 2012, 106, 107). Auch nach diesem Maßstab ist die Anordnung der Maßregel durch das Landgericht indes nicht zu beanstanden.

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