Bayerischer VerfGH, Entscheidung vom 23.08.2012 - Vf. 4-VII-12
Fundstelle
openJur 2012, 123771
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag wird abgewiesen.

2. Dem Antragsteller wird eine Gebühr von 750 € auferlegt.

Gründe

I.

Die Popularklage betrifft die Frage, ob der Bebauungsplan Nr. 159 der Gemeinde Vaterstetten „Krippenhaus zwischen Birken- und Eulenweg“ vom 20. März 2012 gegen Normen der Bayerischen Verfassung verstößt.

1. Mit dem angegriffenen qualifizierten Bebauungsplan wird auf einer Teilfläche der Grundstücke Fl.Nrn. 2269, 2273 und 2277 der Gemarkung Vaterstetten eine Gemeinbedarfsfläche für die Errichtung einer Kinderbetreuungseinrichtung im Nordwesten des Hauptorts Vaterstetten festgesetzt. Die überplante Fläche grenzt im Osten an die Bebauung des Hauptorts und weist auch zur Ortsbebauung hin relativ großzügige Grünflächen auf. Im Norden, Süden und Westen grenzt sie an den Außenbereich. Der Flächennutzungsplan wurde im Parallelverfahren geändert. Ursprünglich war geplant, das neue Krippenhaus auf einem Grundstück in der Ortsmitte unweit des S-Bahnhofs zu errichten. Dieses Grundstück veräußerte die Gemeinde jedoch als Wohnbauland, um mit dem Erlös die Kosten für das Krippenhaus zu decken.

Die Entscheidung über den Standort der Kinderkrippe war in der Gemeinde umstritten. Teilweise wurde die Ansicht vertreten, der im Bebauungsplan festgesetzte Standort habe eine „Ausbeulung“ des Hauptorts in den Außenbereich zur Folge. Der Antragsteller, Mitglied des Gemeinderats, trat gegen den festgesetzten Standort ein.

2. Nach der Planbegründung wurden bei der Festlegung des endgültigen Standorts drei Planungsalternativen entwickelt und geprüft. Planungsziele waren unter anderem der Erhalt eines Feldgehölzes, der Erhalt der Fußwegebeziehungen, die Verteilung neu entstehender Verkehre, die Vermeidung einer Erschließungsfunktion für Eulen- und Birkenweg und die Vermeidung von Nutzungskonflikten. Nach Ansicht der Gemeinde gewährleistet die ausgewählte Variante 3 eine unabhängig von weiteren baulichen Entwicklungen im Bereich Vaterstetten-West funktionierende Erschließung für den Krippenstandort. Sie soll zunächst über den Birkenweg erfolgen. Für das Krippengebäude sind eine Grundfläche von 800 m² und eine maximale Wandhöhe von 8,5 m festgesetzt. Das bestehende Feldgehölz wird als Fläche für den Erhalt von Bäumen und Sträuchern festgesetzt. Daneben sind Maßnahmen zur Ortsrandeingrünung und zur Begrünung der Parkflächen vorgesehen. Die von der Kinderkrippe ausgehenden Geräuscheinwirkungen werden nicht als schädliche Umwelteinwirkungen beurteilt.

3. In seiner Sitzung vom 8. November 2011 billigte der Grundstücks- und Bauausschuss des Gemeinderats den Bebauungsplan. Die zugrunde liegende Änderung des Flächennutzungsplans wurde mit Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 12. Januar 2012 genehmigt. Am 1. März 2012 beschloss der Gemeinderat den Bebauungsplan als Satzung. Am 20. März 2012 wurde die Satzung vom ersten Bürgermeister ausgefertigt und am 21. März 2012 ortsüblich bekannt gemacht.

II.

1. Mit seiner am 22. März 2012 eingegangenen Popularklage rügt der Antragsteller, der angegriffene Bebauungsplan Nr. 159 verstoße gegen Grundrechte, namentlich gegen Art. 141 BV („Naturschutzgrundrecht“), Art. 118 BV (Gleichheitssatz, Willkürverbot) und Art. 3 BV (Rechtsstaatsprinzip). Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend:

Es gebe keinen sachlichen Grund, von dem bislang vorgesehenen Krippenstandort auf einem Grundstück im Innenbereich abzugehen, das der Gemeinde im Gegenzug für eine Baulandausweisung kostenlos übereignet worden sei. Insbesondere stelle eine Krippe an dieser Stelle keine unliebsame oder schädliche Konkurrenz für andere Einrichtungen dar. Die Gemeinde handle aus „kommunaler Geldgier“. Die Änderung des Flächennutzungsplans sei nicht abgewartet worden.

Art. 141 BV werde mehrfach in krasser Weise verletzt. Angesichts des ursprünglich geplanten, für die Krippe besonders geeigneten Standorts in der Ortsmitte fehle es der angegriffenen Planung an der notwendigen Erforderlichkeit im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB. Durch die nunmehr vorgesehene Bebauung am Ortsrand werde die oberbayerische Kulturlandschaft weiter zersiedelt und gegen die Verpflichtung verstoßen, den Boden als natürliche Lebensgrundlage vor einem übermäßigen Verbrauch zu schützen sowie das Landschaftsbild zu schonen und zu erhalten.

Die Planung verstoße gegen das Willkürverbot, da sie von keinem sachlich einleuchtenden Grund getragen werde. Die angegebenen Gründe seien vielmehr vorgeschoben und dienten nur dazu, finanzielle Vorteile zu erlangen. Der ursprünglich vorgesehene Standort sei durch die S-Bahn verkehrsmäßig bestens erschlossen. Der Kern der Abwägungsentscheidung nach § 1 Abs. 7 BauGB sei berührt, weil die Bedeutung der betroffenen Belange in krasser Weise verkannt und keine ordnungsgemäße Abwägung vorgenommen worden sei. Auch der in der Rechtsprechung entwickelte Berücksichtigungskatalog für naturschutzrechtliche Eingriffsregelungen sei nahezu unbeachtet geblieben. Bodenschutz- und Umweltklauseln in Art. 141 BV, §§ 1 und 1 a BauGB würden dadurch verletzt.

Gegen das Rechtsstaatsprinzip werde verstoßen, weil die Gemeinde die Schranken der Planungshoheit verkannt und die Grundsätze der Erforderlichkeit und des sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden missachtet habe. Die angegriffene Norm sei fehlerhaft zustande gekommen.

2. Der Antragsteller beantragt ferner, den angegriffenen Bebauungsplan durch einstweilige Anordnung außer Kraft zu setzen. Die Gemeinde wolle das durch den Bebauungsplan geschaffene Baurecht zügig umsetzen. Dadurch bestehe die Gefahr einer dauerhaften Bodenversiegelung und eines nicht wieder gutzumachenden Schadens an Natur und Landschaft. Rücknahme- und Widerrufsklauseln im Vertrag zur Veräußerung des ursprünglich als Standort vorgesehenen Grundstücks drohten zu verfallen. Außerdem werde die Fertigstellung der Kinderkrippe im Innenbereich verzögert, was auch förderungsrechtliche Nachteile nach sich ziehen könne.

III.

1. Der Bayerische Landtag hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

2. Die Bayerische Staatsregierung hat von einer Äußerung abgesehen.

3. Die Gemeinde Vaterstetten beantragt, die Popularklage und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen. Unabhängig von der möglicherweise fehlenden Zulässigkeit sei die Popularklage jedenfalls unbegründet.

Die überplante Fläche sei nicht Teil einer Erholungsfläche. Eine Einschränkung der Erholungsnutzung finde daher nicht statt. Das im Planungsbereich vorhandene, schützenswerte Feldgehölz werde vollständig erhalten.

Der Gemeinderat vertrete die Auffassung, dass der früher für die Kinderkrippe vorgesehene Standort in der Ortsmitte sich besser für eine Innenverdichtung durch Ausweisung von Wohnbauland eigne. Im Umfeld des neuen Standorts sollten in Übereinstimmung mit dem Regionalplan, der diesen Bereich als Entwicklungsfläche kennzeichne, weitere umfangreiche Wohnbauflächen entstehen. Derzeit laufe das Verfahren zur Aufstellung eines entsprechenden Gemeindeentwicklungsprogramms; dabei handle es sich um eine Vorstufe zur Neufassung des Flächennutzungsplans.

Landschaftliche Besonderheiten seien in dem überplanten Gebiet nicht vorhanden. Auch rechtlich sei das Gebiet nicht besonders geschützt. Es handle sich um eine typische intensiv genutzte landwirtschaftliche Fläche im unmittelbaren Anschluss an vorhandene Siedlungseinheiten. Damit ergäben sich keine Abwägungsfehler, die einen Verstoß gegen Art. 141 Abs. 1 Satz 4 BV darstellen könnten. Auch wenn die Planung großzügige Freiflächen aufweise, lasse sich daraus kein Abwägungsverstoß im Hinblick auf den Belang der Vermeidung einer übermäßigen Bodenversiegelung und den Grundsatz des sparsamen Umgangs mit Grund und Boden herleiten. Ein Versiegelungsverbot enthalte § 1 a Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht.

Da die Änderung der gemeindlichen Planungsziele hinsichtlich des Standorts der Kinderkrippe aus städtebaulichen Gründen erfolgt sei, liege keine Verletzung des Gleichheitssatzes oder des Willkürverbots vor.

Ein nach Art. 3 Abs. 1 BV erheblicher, offensichtlicher und schwerwiegender Widerspruch gegen Bundesrecht sei nicht ersichtlich. Die planerische Konzeption der Gemeinde sei städtebaulich begründet und enthalte keine sachfremden Erwägungen. Die für den Krippenstandort vorgesehenen Flächen seien bereits als Schwerpunktflächen für die Siedlungsentwicklung im Regionalplan dargestellt. Die Planung sei auch aus dem Flächennutzungsplan entwickelt worden.

IV.

Die Popularklage ist unzulässig.

1. Nach Art. 98 Satz 4 BV, Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG hat der Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verfassungswidrig einschränken. Die Verfassungswidrigkeit kann jedermann durch Beschwerde (Popularklage) geltend machen. Gesetze und Verordnungen im Sinn des Art. 98 Satz 4 BV sind alle Rechtsvorschriften des bayerischen Landesrechts (VerfGH vom 24.8.2009 = VerfGH 62, 167/170). Auch ein gemeindlicher Bebauungsplan, der vorliegend am 21. März 2012 ortüblich bekannt gemacht wurde (vgl. § 10 BauGB), gehört hierzu (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 22.7.2008 = VerfGH 61, 172/179; VerfGH vom 17.3.2011 = BayVBl 2011, 433).

2. Die Popularklage ist jedoch unzulässig, weil den Ausführungen des Antragstellers keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Grundrechtsverletzung zu entnehmen sind.

Nach Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG gehört zu den prozessualen Voraussetzungen einer Popularklage, dass der Antragsteller darlegt, inwiefern durch die angegriffene Rechtsvorschrift ein in der Verfassung gewährleistetes Grundrecht verfassungswidrig eingeschränkt wird. Die Popularklage ist unzulässig, wenn die geltend gemachte Verletzung einer Grundrechtsnorm nach Sachlage von vornherein nicht möglich ist, weil der Schutzbereich des angeblich verletzten Grundrechts durch die angefochtene Rechtsvorschrift nicht berührt wird. Eine ausreichende Grundrechtsrüge liegt nicht schon dann vor, wenn ein Antragsteller lediglich behauptet, dass die angegriffene Rechtsvorschrift nach seiner Auffassung gegen Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung verstößt. Der Verfassungsgerichtshof muss anhand von substanziiert bezeichneten Tatsachen und Vorgängen beurteilen können, ob der Schutzbereich der Grundrechtsnorm berührt ist. Die zur Überprüfung gestellten Tatsachen und Vorgänge müssen dies zumindest als möglich erscheinen lassen. Auf die tatsächlichen Gegebenheiten abstellende Darlegungen des Antragstellers sind besonders bei solchen Normen von Bedeutung, die keine ab-strakt-generellen Rechtsvorschriften im klassischen Sinn sind, sondern konkret-individuelle Elemente enthalten, wie dies bei einem Bebauungsplan der Fall ist (vgl. VerfGH vom 21.2.1986 = VerfGH 39, 17/21 f.; VerfGH vom 31.5.2006 = VerfGH 59, 109/114; VerfGH vom 14.2.2008 = VerfGH 61, 36/42 f.; VerfGH vom 13.8.2008 = VerfGH 61, 205/209 f.; VerfGH vom 29.2.2012; VerfGH vom 4.5.2012).

a) Der Antragsteller rügt eine Verletzung des Gleichheitssatzes und des Willkürverbots (Art. 118 Abs. 1 BV).

In seinem klassischen Gehalt verbietet der Gleichheitssatz, gleiche Sachverhalte in willkürlicher Weise ungleich und ungleiche Sachverhalte in willkürlicher Weise gleich zu behandeln. Davon zu unterscheiden ist das allgemeine Willkürverbot, das der Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit auch dort dient, wo es nicht um die Beurteilung konkreter Vergleichspaare oder die ausnahmslose Einhaltung eines einheitlichen Regelungssystems geht. Willkürlich in diesem Sinn wäre die angegriffene Norm, wenn die äußersten Grenzen des normgeberischen Ermessens überschritten wären, für die getroffene Regelung also jeder sachlich einleuchtende Grund fehlen würde (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 15.11.2006 = VerfGH 59, 219/228). Den Ausführungen des Antragstellers sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sein könnten.

aa) Der Antragsteller macht geltend, der Bebauungsplan für die Kinderkrippe auf einer bislang unbebauten Fläche im Außenbereich sei wegen des alternativ möglichen Standorts in der Ortsmitte nicht erforderlich, die von der Gemeinde für die angegriffene Planung angegebenen Gründe seien nur vorgeschoben.

Ob ein Bebauungsplan erforderlich ist, beurteilt sich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Nach dieser Vorschrift haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Was im Sinn des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB erforderlich ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde. Welche städtebaulichen Ziele sich eine Gemeinde hierbei setzt, liegt grundsätzlich in ihrem planerischen Ermessen. Das Gesetz ermächtigt die Gemeinde zu einer Städtebaupolitik, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht. Dazu gehört auch die Entscheidung, ob und in welchem Umfang sie im Gemeindegebiet Gemeinbedarfseinrichtungen (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB) unterbringt. Die Gemeinde braucht nicht einmal zwingend öffentliche Interessen zu verfolgen. Es muss sich lediglich um Belange handeln, die eine Bauleitplanung rechtfertigen können. Hierzu gehören vor allem die in § 1 Abs. 6 BauGB aufgeführten öffentlichen (städtebaulichen) Belange. Nicht erforderlich sind Bauleitpläne, wenn sie einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind (vgl. BVerwG vom 11.5.1999 = BayVBl 2000, 23; BVerwG vom 6.6.2002 = BVerwGE 116, 296/303; BVerwG vom 18.10.2006 = BauR 2007, 331; BVerwG vom 26.3.2009 = BVerwGE 133, 310/314; BVerwG vom 30.12.2009 = ZfBR 2010, 272).

Die Gemeinde legt in ihrer „städtebaulichen Begründung“ zum Bebauungsplan dar, ihre Planungsziele hätten sich geändert. Bei dem zunächst als Gemeinbedarfsfläche ausgewiesenen Grundstück im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 117 handle es sich um ein innerörtliches Filetgrundstück, das sich auch angesichts der Nähe zum S-Bahnhof und der dort vorhandenen Einkaufsmöglichkeiten für den Wohnungsbau geradezu aufdränge. Der dort ursprünglich vorgesehene kleine kompakte Krippenbau mit großen Freiflächen werde deshalb zugunsten einer Entwicklung für Wohnungen aufgegeben. Zudem solle nach dem Gemeindeentwicklungsprogramm am neuen Standort in Vaterstetten-West ein weiteres Wohnquartier entstehen. Als Grund benennt die Gemeinde hierfür den Siedlungsdruck im Münchner Umland, die demografischen Prozesse und das angestrebte Bevölkerungswachstum von 4 % bis 6 %. Es liege daher nahe, die soziale Infrastruktur im Bereich des künftigen Siedlungsgebiets durch den Bau der Kinderkrippe weiterzuentwickeln.

Demgegenüber stellt der Antragsteller die Erforderlichkeit der angegriffenen Planung insbesondere mit dem Hinweis auf den im Bebauungsplan Nr. 117 vorgesehenen Standort im Ortszentrum infrage. Das Vorbringen des Antragstellers vermag jedoch gemeindliche Willkür bei der Auslegung und Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht aufzuzeigen. Dies würde voraussetzen, dass die städtebaulichen Erwägungen und Ziele der Gemeinde unhaltbar oder klar sachfremd und deshalb nicht mehr vertretbar wären. Anhaltspunkte dafür sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Den Erwägungen der Gemeinde liegt vielmehr eine städtebaulich vertretbare Planungskonzeption zugrunde. Die Entscheidung für eine bestimmte Planung und das Verwerfen einer anderen gehört wesensmäßig zur Ausübung planerischen Ermessens der Gemeinde (vgl. BVerwG vom 14.2.1975 = BVerwGE 48, 56/60 ff.; BVerwG BayVBl 2000, 23).

bb) Der Einwand des Antragstellers, die Änderung des Flächennutzungsplans sei nicht abgewartet worden, lässt eine willkürliche Vorgehensweise der Gemeinde ebenso wenig erkennen.

Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB sind Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln. Der im Parallelverfahren geänderte Flächennutzungsplan enthält für den neuen Standort der Kinderkrippe anstelle der früher dort vorgesehenen landwirtschaftlichen Flächen nunmehr die erforderliche Darstellung einer Gemeinbedarfsfläche. Den Bebauungsplan Nr. 159 hat zwar der Grundstücks- und Bauausschuss des Gemeinderats am 8. November 2011 erstmalig gebilligt. Die maßgebliche Entscheidung, mit der der Bebauungsplan als Satzung beschlossen wurde, hat der Gemeinderat jedoch erst am 1. März 2012 und damit nach Genehmigung der Flächennutzungsplanänderung am 12. Januar 2012 durch die Regierung von Oberbayern getroffen. Der Tatbestand eines vorzeitigen Bebauungsplans (§ 8 Abs. 4 BauGB) liegt nicht vor. Dem Einwand des Antragstellers fehlt daher jede sachliche Grundlage.

cc) Der Rüge, die Aufgabe des bisherigen Krippenstandorts zugunsten des neuen am Ortsrand berühre den Kern der Abwägungsentscheidung nach § 1 Abs. 7 BauGB, lassen sich hinreichende Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Art. 118 Abs. 1 BV ebenfalls nicht entnehmen.

Warum die Gemeinde von ihrer ursprünglichen Planung abgerückt ist, wird in der Begründung des Bebauungsplans im Einzelnen dargelegt (vgl. oben aa)). Demgegenüber verweist der Antragsteller auf Vorteile des innerörtlichen Standorts, die sich seiner Ansicht nach u. a. aus der guten Erschließungssituation und der Möglichkeit einer schnelleren Realisierung ergeben, sowie auf Nachteile des neuen Standorts, die er vor allem in der Zersiedlung und Bodenversiegelung und der damit verbundenen Beeinträchtigung der Landschaft sieht. Er beanstandet damit das Abwägungsergebnis, indem er die Rechts- und Sachlage aus seiner Sicht darstellt und bewertet (vgl. VerfGH vom 4.5.2012). Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergeben sich jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine verfassungsrechtlich zu beanstandende, willkürliche Abwägung der Gemeinde. Gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB wird nicht verstoßen, wenn aufgrund einer vertretbaren Bewertung der berührten öffentlichen und privaten Belange des § 1 Abs. 6 BauGB wie hier im Fall der Kollision einzelner Belange bestimmte bevorzugt und andere zurückgesetzt werden. Die darin liegende Gewichtung der von der Planung berührten Belange gehört vielmehr zum Wesen der planerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde (vgl. BVerwG vom 14.2.1975 = BVerwGE 48, 56/64; BVerwG vom 7.7.1978 = BVerwGE 56, 110/116). Inwiefern die finanziellen Vorteile der von der Gemeinde gewählten Lösung hier die Willkürrüge des Antragstellers stützen könnten, ist nicht ersichtlich.

dd) Aus den Darlegungen oben unter aa) und cc) folgt zugleich, dass auch im Hinblick auf das Gebot des § 1 a Abs. 2 Satz 1 BauGB, mit Grund und Boden sparsam und schonend umzugehen, keine verfassungsrechtlich beachtliche Rüge erhoben wurde (vgl. VerfGH vom 17.3.2011 = BayVBl 2011, 433/435). Ein Bodenversiegelungsverbot leitet die fachgerichtliche Rechtsprechung aus dieser einfachrechtlichen sog. Bodenschutz-Klausel nicht her (vgl. BVerwG vom 19.4.2000 = NVwZ-RR 2000, 532/533).

b) Auch soweit der Antragsteller eine Verletzung des Art. 141 BV vor allem durch Zersiedlung, übermäßigen Bodenverbrauch und Beeinträchtigung des Landschaftsbilds rügt, fehlt es an der hinreichenden Darlegung einer Grundrechtsverletzung.

Grundrechtscharakter hat Art. 141 BV nur im Hinblick auf Absatz 3 Satz 1, der u. a. den Genuss der Naturschönheiten und die Erholung in der freien Natur schützt. Hierdurch wird dem einzelnen Erholungssuchenden aber kein Grundrecht auf unveränderten Fortbestand bestimmter Landschaftsbestandteile eingeräumt. Der Wortlaut des Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV ist dahingehend zu verstehen, dass der Genuss der vorhandenen Naturschönheiten und die Erholung in der vorhandenen freien Natur gestattet werden (VerfGH vom 27.10.1976 = VerfGH 29, 181/ 186; VerfGH vom 4.5.2012). Dazu trägt der Antragsteller aber nichts Näheres vor.

Auf eine Verletzung der Regelungen zum Naturschutz in Art. 141 Abs. 1 BV kann eine Popularklage nicht gestützt werden, weil diese Verfassungsnormen keine Grundrechte im Sinn des Art. 98 Satz 4 BV verbürgen, sondern Staatszielbestimmungen beinhalten (VerfGH vom 29.2.2012 m. w. N.; VerfGH vom 4.5.2012). Nur Regelungen, die mit zulässigen Grundrechtsrügen angefochten sind, prüft der Verfassungsgerichtshof auch daraufhin, ob sie gegen andere Normen des objektiven Verfassungsrechts verstoßen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 15.1. 2007 = VerfGH 60, 1/5; VerfGH vom 21.12.2011 = BayVBl 2012, 268; VerfGH vom 4.5.2012).

c) Auf eine Verletzung des Art. 3 BV kann eine Popularklage ebenso wenig gestützt werden.

Das in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verbürgte Rechtsstaatsprinzip enthält nur eine Staatszielbestimmung, kein Grundrecht (vgl. VerfGH vom 29.6.2004 = VerfGH 57, 62/65; VerfGH vom 29.2.2012; VerfGH vom 4.5.2012).

Im Ergebnis gilt dasselbe für das in Art. 3 Abs. 2 BV enthaltene Nachhaltigkeitsprinzip, wonach der Staat die natürlichen Lebensgrundlagen und die kulturelle Überlieferung schützt. Den Staat trifft insoweit eine Schutzpflicht; die Vorschrift enthält aber kein Grundrecht (vgl. VerfGH vom 27.9.1995 = VerfGH 48, 119/125; VerfGH vom 15.7.2002 = VerfGH 55, 98/119; VerfGH vom 31.5.2006 = 59, 109/ 115).

V.

Durch die Entscheidung über die Popularklage hat sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt.

VI.

Es ist angemessen, dem Antragsteller eine Gebühr von 750 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).

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