Bayerischer VGH, Urteil vom 24.05.2012 - 2 N 10.2781
Fundstelle
openJur 2012, 122907
  • Rkr:
Tenor

I. Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Antragsgegnerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 71b „F…-… Teil II“ vom 31. März 1967 der Antragsgegnerin.

Die Antragstellerin ist als Wohnungseigentümergemeinschaft Eigentümerin der Grundstücke FlNr. 635/1 der Gemarkung S… sowie FlNr. 357/1 der Gemarkung F…. Das Grundstück FlNr. 635/1 ist mit einem Hochhaus bebaut, das ca. 530 Appartements sowie im Erdgeschoss gewerbliche Flächen enthält. Auf dem Grundstück FlNr. 357/1 befinden sich Teile der Tiefgarage. Das Gebäude wurde mit Baugenehmigung vom 31. März 1967 ursprünglich als Appartement-Hotel mit Restaurant, Café und Läden genehmigt. Der Bauantrag stammte vom 30. April 1965. Mit Tekturantrag vom 9. September 1967 wurde die Errichtung eines Boarding-Hauses mit Läden und Restaurant beantragt, wobei als Nutzung „vorwiegend Wohnzwecke, teilweise gewerblich: Läden und Restaurant“ angegeben wurde. Auf Basis dieser Pläne sowie teilweise später abgeänderter Pläne erteilte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 7. Juli 1969 die Baugenehmigung für ein „Appartment-Wohnhochhaus (E + 18) mit Restaurant und Läden“. Mit notarieller Urkunde vom 9. August 1968 wurde bereits die Wohnungseigentümergemeinschaft gegründet, wobei ausweislich der Notarurkunde einige Einheiten schon verkauft waren. In der Folge wurden weitere Anlagen genehmigt wie beispielsweise ein Müllhaus sowie das Schwimmbad.

Im Bebauungsplan Nr. 71b sind die Grundstücke der Antragstellerin als MK 1 (Kerngebiet) festgesetzt. Erlaubt ist eine Bebauung mit einem Hauptgebäude (Grundfläche max. 1500 m²) mit 19 Vollgeschossen plus Terrassengeschoss mit Flachdach. Dazu kommen zwei angebaute Nebengebäude mit einem Vollgeschoss und Flachdach (westlich mit 250 m² und östlich mit 110 m² maximaler Grundfläche). Außerdem sind ein Tiefgaragenbau mit Zufahrten sowie oberirdische Stellplätze festgesetzt. Das MK 1, das nur aus den beiden Grundstücken der Antragstellerin besteht, wird im Westen begrenzt durch die Grenze des Bebauungsplans sowie eine festgesetzte öffentliche Grünanlage, welche auch die Nordgrenze bildet. Im Osten bildet die D…allee die Grenze und im Süden die S…straße. Im Süden (westlich der S…straße) schließt sich das WR 3 an. Südöstlich der S…straße liegt das MK. Östlich der D…allee liegen das WR 5 (südlich der G…straße) sowie das MK 2 (nördlich der G…straße). An letzteres schließt sich im Osten eine Fläche für Gemeinbedarf an, die mit „Katholische Kirche“ gekennzeichnet ist.

Mit Schriftsatz vom 11. November 2010 stellte die Antragstellerin einen Normenkontrollantrag. Zur Begründung führt sie aus, die Grundstücke seien damals als Kerngebiet festgesetzt worden, weil im Hinblick auf den Bedarf für die Olympiade 1972 ein großes Hotel hätte errichtet werden sollen, welches in einem allgemeinen oder reinen Wohngebiet nach der Baunutzungsverordnung von 1962 nicht zulässig gewesen wäre. Bereits während des Baus sei jedoch die geplante Nutzung als Hotel aufgegeben worden. Das Gebäude sei so errichtet worden, wie es nunmehr genutzt werde. Die Festsetzung als Kerngebiet sei daher seit Begründung des Wohnungseigentums funktionslos geworden. Die Antragsgegnerin betrachte diese Festsetzung jedoch weiterhin als wirksam und habe darauf basierend zwei Baugenehmigungen für Nutzungsänderungen erlassen (Bescheide vom 22. Mai 2007 für ein „Freizeitcenter mit Internetcafé“ mit Geldspielautomaten sowie vom 17. Dezember 2007 für ein „Freizeitcenter mit Billardcafé“ ebenfalls mit Geldspielautomaten). Die Antragstellerin könne die beiden erteilten Baugenehmigungen nicht selbst anfechten. Die Baugenehmigungen für zwei Spielhallen würden sich aber negativ auf das Grundstück auswirken. Der Normenkontrollantrag sei zulässig, da die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO bei der Frage der Funktionslosigkeit nicht zur Anwendung komme. Die Antragstellerin habe ihr Antragsrecht auch nicht verwirkt, da sie erst im Zusammenhang mit der Genehmigung der ersten Spielhalle davon erfahren habe, dass das Grundstück immer noch als Kerngebiet festgesetzt sei. Der Normenkontrollantrag sei auch begründet. Das Verwaltungsgericht München habe in seinem Urteil vom 27. Oktober 2008 (Az. M 8 K 08.369) betreffend die Baugenehmigung vom 17. Dezember 2007 nach Einnahme eines Augenscheins festgestellt, dass sich abgesehen von der Wohnnutzung und den beiden genehmigten Spielhallen keine weitere kerngebietstypische Nutzung im Anwesen der Antragstellerin befinde. Es lägen vielmehr ausschließlich Nutzungen vor, welche nach § 4 BauNVO im allgemeinen Wohngebiet entweder allgemein oder ausnahmsweise zulässig seien. Die Antragstellerin sei inzwischen auch zivilrechtlich gegen die Miteigentümerin vorgegangen, welche die zweite Baugenehmigung erhalten habe. Das Landgericht München I habe der Miteigentümerin mit rechtskräftigem Urteil vom 4. April 2011 die Nutzung der Teileigentumseinheiten Nr. 4 und Nr. 11 zum Zweck des Betriebs einer Spielhalle untersagt. Es sei jedoch möglich, dass andere Miteigentümer eine Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung beantragen. Im Aufstellungsverfahren sei die Antragsgegnerin immer von der Hotelnutzung ausgegangen. Eine andere kerngebietstypische Nutzung sei nie angedacht gewesen und wohl auch nicht im Sinn der Antragsgegnerin.

Die Antragstellerin beantragt zuletzt,

den Bebauungsplan Nr. 71b der Antragsgegnerin vom 31. März 1967 hinsichtlich der Teilfläche MK 1 für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung führt die Antragsgegnerin aus, dass sehr wohl die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. anzuwenden sei. Daher gelte eine Zwei-Jahres-Frist ab dem 1. Januar 2007, die hier überschritten und der Antrag somit verfristet sei. Der Antrag sei aber auch unbegründet. Der Bebauungsplan umfasse insgesamt eine Fläche von rund 40 ha. Die wesentlichen Planungsziele und Festsetzungen seien bereits seit mehreren Jahrzehnten umgesetzt. Lediglich auf der Teilfläche, auf welcher sich das Gebäude der Antragstellerin befinde, entspreche die tatsächliche Nutzung nicht der beabsichtigten Festsetzung als Kerngebiet. Mit einer Fläche von 15.900 m² handle es sich aber um weniger als 4 Prozent der Gesamtfläche des Bebauungsplans. Die sonstigen Festsetzungen für die Grundstücke der Antragstellerin, also die überbaubare Grundstücksfläche oder die Geschossflächenzahl würden eingehalten. Da der heutige Gebäudebestand samt Nutzung mit Ausnahme der Grundstücke der Antragstellerin den Festsetzungen des Bebauungsplans entspräche, könne nicht von einer Funktionslosigkeit in der Gesamtheit ausgegangen werden. Auch das Verwaltungsgericht München sei nur von einer Funktionslosigkeit die Grundstücke der Antragstellerin betreffend ausgegangen. Die Teilflächen der Antragstellerin bildeten zusammen mit den Teilflächen MK (4.000 m²) und MK 2 (6.150 m²), auf welchen ebenfalls Kerngebiete festgesetzt seien, ein zusammenhängendes Baugebiet mit der Funktion eines kleinen Quartierszentrums. Das Gebäude sei ursprünglich als Hotel geplant und auch so zu bauen begonnen worden. Jetzt befänden sich ab dem ersten Obergeschoss ca. 530 Kleinappartements zur dauerhaften Wohnnutzung in dem Gebäude. Im Erdgeschoss befänden sich weitere genehmigte Nutzungen wie eine Gaststätte bzw. ein Freizeitcenter mit Internetcafé. Weitere kerngebietstypische Nutzungen seien beantragt bzw. genehmigt, aber angefochten. Das Gebäude sei nun mehr als 40 Jahre alt und hätte eine zu erwartende Betriebszeit von 40 bis 50 Jahren bis zu einer vollständigen Sanierung. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass das Grundstück noch einer kerngebietstypischen Nutzung zugeführt werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Behördenakten, der Gerichts- und Behördenakten im Verfahren Az. 2 B 09.1613 und die Niederschriften über den Augenschein vom 20. März 2012 sowie die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2012 verwiesen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag ist bereits unzulässig, da die Antragstellerin ihre Antragsbefugnis verwirkt hat.

1. Die Antragstellerin ist als Eigentümerin der hier das gesamte Teilgebiet MK1 bildenden Grundstücke grundsätzlich antragsbefugt im Sinn von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Es ist hier auch ausreichend substanziiert die Möglichkeit dargelegt, dass die Antragstellerin durch die Festsetzungen des Bebauungsplans nachteilig in ihrem Grundeigentum verletzt sein kann.

Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin ihre Antragsbefugnis jedoch verwirkt. Die Verwirkung stellt einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, der auch im Prozessrecht Anwendung findet (vgl. Ehlers in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO 22. EL 2011, § 40 RdNrn. 103 ff.).

a) Eine Verwirkung kommt in der Regel nur in Betracht, wenn keine Rechtsbehelfsfristen laufen (vgl. Ehlers, a.a.O., § 40 RdNr. 104). Dies ist hier der Fall, da die Frage der Funktionslosigkeit des Bebauungsplans inmitten steht. Bis 31. Dezember 1996 war ein Normenkontrollantrag nicht fristgebunden. Das Antragsrecht konnte nur verwirkt werden (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010, § 47 RdNrn. 73 ff.). Nach der Neufassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO galt zunächst eine Antragsfrist von zwei Jahren nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift, die mit dem Gesetz vom 21.12.2006 (BGBl I S. 3316) auf ein Jahr verkürzt wurde. Da der Bebauungsplan bereits im Jahr 1967 bekannt gemacht wurde, würde nach § 195 Abs. 7 VwGO i.V.m. Art. 10 Abs. 4 6. VwGOÄndG eine Frist von zwei Jahren ab dem 1. Januar 1997 gelten, die jedenfalls abgelaufen wäre.

Die Frage der Geltung der Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist aber in der Rechtsprechung und Literatur umstritten, soweit es um die Feststellung der Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans geht. Nach einer Auffassung (Schmidt, a.a.O., § 47 RdNr. 74; OVG Niedersachsen vom 16.11.2004 Az. 9 KN 249/03 BauR 2005, 523) verbleibt es auch bei einer möglichen Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans bei der gesetzlichen Antragsfrist. Wollte man auf den Zeitpunkt der Funktionslosigkeit abstellen, so wäre die Frist angesichts des Fehlens exakter Anhaltspunkte für deren Eintritt bedeutungslos. Die Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans könne daher nur im Rahmen einer Inzidentkontrolle festgestellt werden. Die überzeugendere Gegenauffassung (vgl. BayVGH vom 25.3.2004 Az. 25 N 01.308 VGH n.F. 57, 167 = BayVBl 2005, 366 = NVwZ-RR 2005, 776; VGH Baden-Württemberg vom 10.6.2010 Az. 5 S 2986/08 VBlBW 2011, 103; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage 2011, § 47 RdNr. 85; Gerhardt/Bier in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 22. EL 2011, § 47 RdNr. 38 und 111) geht hingegen davon aus, dass die Antragsfrist in diesem Fall keine Anwendung findet. Zwar hatte die Einführung der Antragsfrist den Grund, dass ohne eine Befristung eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtssicherheit befürchtet wurde. Dahinter mag die Überlegung stehen, dass Bebauungspläne, auch wenn sie rechtswidrig zustande gekommen sein, jedenfalls nach einer Zeitspanne von zwei Jahren schon weitgehend vollzogen sind, was den Gesetzgeber dazu bewogen haben mag, der Rechtssicherheit den Vorrang gegenüber den Gesichtspunkten der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) einzuräumen. Im Fall einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, die zur Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans führen, ist diese Interessenlage jedoch ins Gegenteil verkehrt. Das rechtsstaatliche Bedürfnis nach einer prinzipalen Normenkontrolle tritt hier umso deutlicher zu Tage, je mehr sich die tatsächlichen Gegebenheiten von den städtebaulichen Intentionen des Bebauungsplans entfernt haben und je offensichtlicher die Chancen einer Planverwirklichung schwinden. Die Zumutung für einen bauwilligen Grundstückeigentümer, sich an einen von der Wirklichkeit überholten Bebauungsplan halten zu müssen, wird zunehmend größer, während Aspekte der Rechtssicherheit zunehmend in den Hintergrund treten (vgl. BayVGH vom 25.3.2004, a.a.O.). Schon mit Rücksicht auf den gesetzlichen Zweck des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO verbietet sich somit die entsprechende Anwendung der Antragsfrist auf funktionslos gewordene Bebauungspläne. Die gegenteilige Auffassung wäre zudem mit dem aus Art. 19 Abs. 4 GG herzuleitenden Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz kaum zu vereinbaren.

16Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Fall der Frage der Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans nicht zur Anwendung gelangt, so dass als Regulativ die Verwirkung in Betracht kommt.

b) Die Verwirkung setzt ein sogenanntes Zeitmoment, also eine längere Dauer der Untätigkeit des Berechtigten voraus (vgl. Ehlers, a.a.O., § 40 RdNr. 105). Dies ist hier gegeben. Der angegriffene Bebauungsplan trat am 31. März 1967 in Kraft. Am selben Tag wurde die Baugenehmigung für den Bau des Appartment-Hotels erteilt, welches in dem damals festgesetzten Kerngebiet gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO 1962 als „Betrieb des Beherbergungsgewerbes“ allgemein zulässig war und auch nach der aktuellen Fassung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO 1990 zulässig wäre. Spätestens mit der Baugenehmigung vom 7. Juli 1969, mit welcher ein „Appartment-Wohnhochhaus (E + 18) mit Restaurant und Läden“ und damit eine im Kerngebiet nur mehr ausnahmsweise zulässige Nutzung (§ 7 Abs. 3 BauNVO 1962, § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO 1990) genehmigt wurde, könnte eine Funktionslosigkeit des Bebauungsplans eingetreten sein, falls man nicht schon auf die Gründung der Wohnungseigentümergemeinschaft am 9. August 1968 oder den Bezug des Gebäudes noch vor Erteilung der Baugenehmigung vom 7. Juli 1969 abstellt. Allerdings ist dies alles in engem zeitlichen Zusammenhang erfolgt, da bereits mit der Baugenehmigung vom 31. März 1967 die Bauarbeiten begonnen wurden und das Gebäude schon im August 1968 vollständig bezugsfertig war. Der Normenkontrollantrag wurde aber erst am 11. November 2010 rechtshängig. Damit steht ein Zeitraum von gut 40 Jahren fest, in welchem die Antragstellerin nicht tätig wurde. Sie kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie bislang – bis zur Genehmigung zweier kerngebietstypischer Spielhallen – keinen Anlass für eine Feststellung der Funktionslosigkeit des Bebauungsplans gehabt habe und es den einzelnen Eigentümern nicht zuzumuten sei, sich über den Inhalt eines Bebauungsplans sowie dessen rechtliche Auswirkungen zu informieren. Ein Bebauungsplan ist als Satzung eine öffentlich bekanntgemachte, allgemeingültige Rechtsnorm (§ 10 Abs. 1 BauGB). Damit kommt es nicht auf die Kenntnisnahme des Inhalts durch den Einzelnen an. Dass die Antragstellerin bislang keinen Anlass für eine Feststellung der Funktionslosigkeit hatte, muss im Rahmen des Zeitmoments ebenso außer Betracht bleiben. Auch der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin war immer klar, dass der Bebauungsplan ein Kerngebiet für ihre Grundstücke festsetzt. Der Antragstellerin war zudem schon immer bekannt, dass das Gebäude dagegen ganz überwiegend zu Wohnzwecken und lediglich in Teilen des Erdgeschosses gewerblich genutzt wird. Es hätte ihr freigestanden, sich über die rechtlichen Konsequenzen der Festsetzung des Bebauungsplans zu informieren, auch ohne dass hierfür ein konkreter Anlass vorhanden gewesen ist. Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin war im Übrigen bereits in das Bebauungsplanverfahren eingebunden und hatte den ursprünglichen Bauantrag für ein Appartment-Hotel schon im April 1965, also gut zwei Jahre vor Inkrafttreten des Bebauungsplans, gestellt.

18c) Weiterhin setzt die Verwirkung ein sogenanntes Umstandsmoment voraus, d.h. die Ausübung des prozessualen Rechts unterliegt dem Gebot von Treu und Glauben (vgl. BVerwG vom 18.12.1989 Az. 4 NB 14/89 NVwZ 1990, 554; vom 23.1.1992 Az. 4 NB 2/90 NVwZ 1992, 974; OVG Lüneburg vom 26.7.1990 Az. 3 OVG C 12/88 NuR 1991, 192; Schmidt, a.a.O., § 47 RdNr. 75; Gerhardt/Bier, a.a.O., § 47 RdNr. 38; Dürr, Die Antragsbefugnis bei der Normenkontrolle von Bebauungsplänen, Baden-Baden 1987, S. 107). Für prozessuale Rechte, die zum Schutz subjektiver Rechte geschaffen sind, gilt ganz allgemein, dass ihre Wahrnehmung – unabhängig von einer Verwirkung der materiellen Rechtsposition – im Einzelfall verwirkt sein kann (vgl. BVerwG vom 18.12.1989, a.a.O.). Die Verwirkung tritt nur ein, wenn besondere Umstände die Antragstellung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Eine Verwirkung des Antragsrechts nach § 47 Abs. 2 VwGO ist im Einzelfall möglich, wenn der Antragsteller dadurch, dass er zur Durchsetzung des geltend gemachten Rechts das Gericht anruft, sich zu seinem früheren Verhalten in einen mit Treu und Glauben unvereinbaren Widerspruch setzt (vgl. BVerwG vom 18.12.1989, a.a.O.; vom 23.1.1992, a.a.O.). Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Antragsteller zunächst die ihm günstigen Festsetzungen eines Bebauungsplans ausnutzt und sich erst dann gegen die ihm ungünstigen Festsetzungen wendet (vgl. BVerwG vom 23.1.1989, a.a.O.), also z.B. die Ungültigkeit eines Bebauungsplans rügt, der zuvor Grundlage für eine ihm erteilte Baugenehmigung bildete (vgl. Dürr, a.a.O.). Entscheidend sind jedoch immer die besonderen Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG vom 23.1.1992, a.a.O.; Schmidt, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall hat die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin schon während des Aufstellungsverfahrens für den hier verfahrensgegenständlichen Bebauungsplan am 30. April 1965 einen Bauantrag auf Errichtung eines Appartment-Hotels mit Restaurant, Café und Läden gestellt, der im Ergebnis antragsgemäß aufgrund der Festsetzung Kerngebiet für die betreffenden Grundstückflächen am 31. März 1967 genehmigt wurde. Am selben Tag trat auch der Bebauungsplan in Kraft. Die Bauarbeiten wurden aufgrund dieser Baugenehmigung aufgenommen. Bereits mit Notarurkunden vom 13. Juni 1967 wurden erste Einheiten als Wohnungseigentum verkauft. Schon am 9. September 1967 reichte die Rechtsvorgängerin – in Kenntnis des Inhalts des Bebauungsplans – einen neuen Bauantrag als Tektur ein, der das Vorhaben nunmehr als „Boarding-Haus mit Läden und Restaurant“ bezeichnete und in der Baubeschreibung als Nutzung „vorwiegend Wohnzwecke, teilweise gewerblich: Läden und Restaurant“ angab. Statt der ursprünglich im Wesentlichen für die 18 Oberschosse geplanten Hotelnutzung wurde nun auf eine reine Wohnnutzung umgeschwenkt. Die eigentliche Wohnungseigentümergemeinschaft wurde erst mit Notarurkunde vom 9. August 1968 gegründet. Mit Schreiben vom 27. November 1968 stimmte die Antragsgegnerin dem Teilbezug des 1. bis 6. Obergeschosses zu. Ein Zeitungsausschnitt aus der Süddeutschen Zeitung vom 8. Januar 1969 (in der Bauakte) berichtet über den Einzug der ersten Bewohner und zeigt das Gebäude vollständig errichtet. Die Antragsgegnerin genehmigte mit Bescheid vom 7. Juli 1969 schließlich ein „Appartment-Wohnhochhaus (E + 18) mit Restaurant und Läden“. Ein weiterer Zeitungsbericht der Süddeutschen Zeitung vom 12. Juli 1969 1969 (in der Bauakte) meldet die Fertigstellung des Innenausbaus bis zum 12. Obergeschoß und die Bezugsfertigkeit der weiteren Obergeschosse bis August. In der Folge ergingen noch weitere Baugenehmigungen für den Gesamtkomplex, beispielsweise mit Bescheid vom 20. November 1969 zum Neubau einen Müllhauses und mit Bescheid vom 2. November 1970 zum Bau eines Schwimmbeckens sowie einer Sauna. Beide Anlagen waren bereits für den ursprünglichen Hotelbau geplant, wurden aber zurückgestellt. Das Schwimmbecken (Freibad) liegt zudem außerhalb der Baugrenzen des Bebauungsplans, wie in einem Aktenvermerk vom 17. November 1969 ausdrücklich festgestellt wurde. Mit Bescheid vom 9. November 2000 wurde der jetzigen Antragstellerin zudem die Verlängerung des Aufzugs vom 18. Obergeschoß ins Terrassengeschoß genehmigt. Weitere Genehmigungen wurden an einzelne Sondereigentümer erteilt, u.a. für die Zusammenlegung zweier Wohneinheiten sowie den Anbau eines Wintergartens und die Zweckentfremdung einer Wohneinheit in ein Büro.

Die ursprüngliche Baugenehmigung vom 31. März 1967 entspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans, der für die Grundstücke der Antragstellerin ein Kerngebiet vorsieht. Der Hotelbetrieb war gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO 1962 als „Betrieb des Beherbergungsgewerbes“ allgemein zulässig und ist dies auch nach der aktuellen Fassung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO 1990. Mit dieser Baugenehmigung wurde der Bau begonnen und auch im Wesentlichen fertig gestellt, wie sich aus obigem Zeitablauf ergibt. Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin hat somit die insoweit für sie damals positiven Festsetzungen des Bebauungsplans ausgenutzt, indem sie sich auf der Grundlage dieser Festsetzungen eine Baugenehmigung erteilen ließ. Wann genau eine Neuausrichtung des Bauwerks auf dauerhafte Wohnnutzung erfolgte, ist nicht mehr feststellbar. Spätestens jedoch mit dem Verkauf erster Wohneinheiten im Juni 1967 deutet sich eine solche an und zeigt sich schließlich im Bauantrag vom 9. September 1967. Der Bauantrag wird lediglich als „Tektur“ und die Nutzung als „Boarding-Haus“ bezeichnet. Gegenstand des Tekturantrags war auch lediglich die Nutzungsänderung und keine weitere bauliche Änderung, wie sich aus der Bauakte ergibt sowie dem Hinweis der Bauherrin im Bauantrag, dass das Gebäude als solches bereits genehmigt sei. Ein Boarding-Haus stellt nach der Rechtsprechung (vgl. BayVGH vom 24.9.1996 Az. 20 B 96.379 n.V.; VG Würzburg vom 19.5.2006 Az. W 5 K 05.711 – juris; VGH Baden-Württemberg vom 4.5.2001 Az. 3 S 597/00 VBlBW 2001, 487) einen speziellen Typ eines Beherbergungsbetriebs dar, bei dem im Unterschied zum Wohn- oder Appartementhaus kein dauerhaftes Wohnen vorgesehen ist, andererseits im Gegensatz zu einem Hotel keine nennenswerten Dienstleistungen angeboten werden. Die Verweildauer der Gäste ist in einem Boarding-Haus üblicherweise etwas länger als in einem Hotel. Auch ein Boarding-Haus wäre somit als Beherbergungsbetrieb im Kerngebiet allgemein zulässig gewesen. Erst in der weiteren Baubeschreibung wird die Nutzungsart als „überwiegend Wohnzwecke“ bezeichnet. Die gewählte Bezeichnung des Vorhabens macht erkennbar, dass sich die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin wohl bewusst war, dass eine dauerhafte Wohnnutzung den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entspricht. Im Betreff der dann am 7. Juli 1969 erteilten Baugenehmigung wird das Vorhaben erstmals als Appartment-Wohnhochhaus bezeichnet. Die Bezeichnung Appartment-Hotel, die sich auch noch auf den zur Tektur eingereichten Plänen befindet, ist teilweise per Hand ausgestrichen und das Wort „Hotel“ durch „Haus“ ersetzt. Zwischenzeitlich war allerdings bereits ein Großteil der Wohnungen bezogen. Sowohl die Kenntnis ihrer Rechtsvorgängerin von den Festsetzungen des Bebauungsplans als auch den erteilten Baugenehmigungen muss sich die Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin im Eigentum zurechnen lassen. Mit dem Übergang des Eigentums an einem Grundstück gehen grundsätzlich auch die Rechte und Pflichten aus einer Baugenehmigung über (vgl. VGH Baden-Württemberg vom 30.3.1995 Az. 3 S 1106/94 NVwZ-RR 1995, 562; BayVGH vom 2.7.1996 Az. 26 CS 96.1371 – juris). Zudem gebietet es die allgemeine Sorgfaltspflicht einem jeden Käufer von bebautem Grundeigentum, sich über die geltende Rechtslage, welche auch vorhandene Bebauungspläne einschließt, sowie vorhandene Baugenehmigungen zu informieren. Diese tragen im Übrigen wesentlich zur Wertbildung einer Immobilie bei. Zudem hat die Antragstellerin im Jahr 2000 selbst eine Baugenehmigung beantragt und erhalten. Dass es in diesem Zusammenhang für die Erweiterung der Aufzugsanlage nicht unmittelbar auf die Festsetzungen des Bebauungsplans ankam, ist insoweit unerheblich, da sich jeder Bauherr bei einem Bauvorhaben über die geltenden Rechtsvorschriften, also auch einen Bebauungsplan, erkundigen muss, um festzustellen, ob eventuell Festsetzungen eines solchen dem Bauvorhaben entgegenstehen könnten.

Im Ergebnis hat daher die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin die damals für sie positive Festsetzung des Kerngebiets zunächst zur Erlangung der Baugenehmigung vom 31. März 1967 ausgenutzt. Durch die dann von ihr beantragte und ausgenutzte Genehmigung der Nutzungsänderung von Hotel in Wohnen hat die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin die Ursache für eine eventuelle Funktionslosigkeit des Bebauungsplans selbst gesetzt. Die nunmehrige Berufung auf die eventuelle Funktionslosigkeit des Bebauungsplans, weil das Gebäude im Wesentlichen wohngenutzt ist und damit wohl mehr den Charakter eines allgemeinen Wohngebiets aufweist, um andere bebauungsplankonforme, kerngebietstypische Nutzungen abzuwenden, erweist sich hier im Einzelfall daher als Verstoß gegen Treu und Glauben. Denn die Antragstellerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin hat diesen Zustand – wie dargestellt – selbst herbeigeführt. Zudem zeigt gerade der nunmehrige Anlass für diesen Normenkontrollantrag, dass einzelne Sondereigentümer beim Erwerb ihres Anteils ein Vertrauen in die Festsetzungen des Bebauungsplans haben konnten, insbesondere im Hinblick auf die möglichen Nutzungen der gewerblichen Einheiten im Erdgeschoß des Gebäudes. Die Antragstellerin kann sich auch nicht damit entschuldigen, dass erst durch den jetzigen Bauwunsch eines Sondereigentümers ein Anlass gesetzt worden sei, um die Festsetzungen des Bebauungsplans in Frage zu stellen. Der erste Anlass wurde bereits im September 1967 mit dem Bauantrag für eine Nutzungsänderung gesetzt. Es gehört zur allgemeinen Sorgfaltspflicht, sich über die geltenden Rechtsnormen, hier insbesondere den Inhalt des Bebauungsplans, und die erteilten Baugenehmigungen zu informieren, wenn eine Immobilie erworben wird. Die Kenntnis von Rechtsvorschriften wird immer vorausgesetzt. Auf die konkrete Kenntnisnahme des Einzelnen kommt es nicht an. Im Übrigen hätte es für die Antragstellerin selbst bereits im Jahr 2000 Anlass zur konkreten Kenntnisnahme gegeben, als sie sich die Aufzugsverlängerung genehmigen ließ.

d) Die Antragstellerin hat mithin ihre Antragsbefugnis verwirkt. Dem kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass sich die Antragsgegnerin ebenfalls treuwidrig verhalte. Bei der Verwirkung prozessualer Rechte im Normenkontrollverfahren geht es regelmäßig um das Verhalten desjenigen, welcher sich auf das Bestehen des prozessualen Rechts beruft, also hier der Antragstellerin. Zwar hat die Antragsgegnerin durch die Änderung ihres Flächennutzungsplans im Jahr 1992 möglicherweise selbst kundgetan, dass sie an der Festsetzung Kerngebiet auf lange Sicht nicht mehr festhalten möchte und langfristig ein allgemeines Wohngebiet für die Grundstücke der Antragstellerin für geeigneter hält. Es erfolgte aber keine dem korrespondierende Änderung des Bebauungsplans. Insoweit ist das Verhalten der Antragsgegnerin möglicherweise widersprüchlich. Auch hat die Antragsgegnerin die im Ergebnis planwidrige Wohnnutzung im Jahr 1969 genehmigt. Allerdings handelt es sich bei diesen Punkten um Fragen des materiellen Rechts und betrifft somit die Frage, ob sich die Antragsgegnerin heute selbst noch auf die Wirksamkeit des Bebauungsplans berufen kann. Dies berührt jedoch alles nicht die hier inmitten stehende Frage, ob die Antragstellerin ihre Antragsbefugnis, also ein prozessuales Recht, verwirkt hat.

Im Übrigen könnte es anderenfalls nicht nur auf das Vertrauen der Antragsgegnerin ankommen, denn andere, die den Bebauungsplan ausnutzen wollen, wie beispielsweise einzelne Sondereigentümer im vorliegenden Fall, haben ebenfalls ein Interesse daran, dass dessen Rechtsgültigkeit nicht mehr in Frage gestellt werden kann.

Unabhängig davon wäre das Antragsrecht der Antragstellerin bereits im Jahr 1992 bei der Änderung des Flächennutzungsplans verwirkt gewesen. Denn das erforderliche Umstandsmoment wurde bereits Ende der 1960er Jahre gesetzt und bis zur Änderung des Flächennutzungsplans waren mehr als 20 Jahre vergangen. Entsprechend käme es auf ein möglicherweise widersprüchliches Verhalten der Antragsgegnerin durch Änderung des Flächennutzungsplans im Jahr 1992 nicht mehr entscheidungserheblich an.

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 50.000,-- Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 und 7 GKG).