VG Augsburg, Urteil vom 19.04.2012 - Au 6 K 11.30420
Fundstelle
openJur 2012, 122147
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger, ein afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit, reiste nach seinen Angaben von Österreich kommend mit der Bahn in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte hier am 27. Juli 2011 die Anerkennung als Asylberechtigter.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 2. September 2011 gab er an, er stamme aus der Provinz …. Vor seiner Ausreise habe seinem Vater in dessen Geschäft geholfen. Wehrdienst habe er nicht geleistet, er sei jedoch ca. 1 1/2 Jahre bei dem Kommandeur … als Wachmann eingestellt gewesen. Dort habe er in der Regel in der Kommandozentrale übernachtet. Eines Tages sei er von den Taliban entführt und drei Nächte festgehalten worden. Man habe ihn misshandelt und aufgefordert, mit den Taliban zusammen zu arbeiten. Man habe von ihm verlangt, dass er den Taliban Einlass in die Kommandozentrale verschaffen sollte. Dafür seien ihm 100.000 Afghani angeboten worden. Nach seiner Rückkehr habe er sich mit seinem Vater besprochen. Nach ca. sechs Tagen sei er in den Iran ausgereist. Er habe weder seiner Frau noch seinen Eltern gesagt, dass er Afghanistan verlassen wolle.

Das Bundesamt lehnte den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter mit Bescheid vom 11. Oktober 2011 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Das Vorbringen des Klägers sei nicht hinreichend substantiiert und unglaubhaft. Konkrete Anhaltspunkte, die glaubhaft die Befürchtung einer politischen Verfolgung in Afghanistan begründen könnten, habe er nicht vorgetragen. Für die Provinz … sei zwar das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zumindest nicht auszuschließen. Eine ernsthafte individuelle Gefährdung des Klägers sei jedoch bei einer Rückkehr nicht zu befürchten. Der Bescheid wurde dem Kläger am 17. Oktober 2011 zugestellt.

Hiergegen erhob der Kläger am 24. Oktober 2011 Klage. Er beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren Bescheid.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 5. März 2012 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG).

Mit der Landung übersandte das Gericht den Beteiligten eine Liste derjenigen Auskünfte und Stellungnahmen, die es bei seiner Entscheidung verwerte.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf seine Asylanerkennung nach Art. 16a GG.

Nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen durch Gesetz zu bestimmenden Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Durch Anlage I zu § 26 a AsylVfG sind Norwegen und die Schweiz als sichere Drittstaaten bestimmt worden. Da somit alle Nachbarstaaten der Bundesrepublik Deutschland entweder auf Grund ihrer Mitgliedschaft in den Europäischen Gemeinschaften oder auf Grund der Anlage I zu § 26 a AsylVfG sichere Drittstaaten sind, hat jeder Asylsuchende, der auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist, den Ausschlussgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat verwirklicht (BVerwG vom 7.11.1995 InfAuslR 1996, 152). Die Drittstaatenregelung nach Art. 16 a Abs. 2 GG greift nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG vom 14.5.1996 Az. 2 BvR 1938/93 und Az. 2 BvR 2315/93 DVBl. 1996, S. 729 f.) immer dann ein, wenn feststeht, dass der Ausländer nur über (irgend)einen, der durch die Verfassung oder Gesetz bestimmten sicheren Drittstaaten in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein kann; es muss nicht geklärt werden, um welchen sicheren Drittstaat es sich dabei handelt. Da nach der derzeit geltenden Rechtslage (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG und Anlage I zu § 26 a AsylVfG) alle an die Bundesrepublik Deutschland angrenzenden Staaten (Anrainerstaaten) sichere Drittstaaten sind, ist ein auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland einreisender Ausländer von der Berufung auf Art. 16 a Abs. 1 GG ausgeschlossen, auch wenn sein Reiseweg nicht im einzelnen bekannt ist.

Der Kläger hat selbst angegeben, aus Österreich kommend mit der Bahn nach … gereist zu sein. Die Einreise ins Bundesgebiet hat demnach über einen sicheren Drittstaat stattgefunden. Eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG scheidet daher aus.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

a) Die Neuregelung des § 60 Abs. 1 AufenthG dient der Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (sog. „Qualifikationsrichtlinie“; Abl. Nr. L 304 vom 30.9.2004, S. 12 ff.). Mit dieser Richtlinie legt der Rat der Europäischen Union auf der Grundlage des Art. 63 Abs. 1 des EG-Vertrags Mindestnormen für die Anerkennung von Flüchtlingen fest. Die Qualifikationsrichtlinie geht in Art. 2 lit. c, Art. 6 – 8 von dem der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (GK; BGBl. II 1953, S. 559) zu Grunde liegenden Flüchtlingsbegriff im Sinne der sogenannten „Schutztheorie“ und nicht von dem bisherigen deutschen Begriff der „politischen Verfolgung“ aus (vgl. Marx, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2005, § 7 RdNr. 73 ff.). Die Neuregelung des § 60 Abs. 1 AufenthG führt daher unter Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie zu einer Anpassung des deutschen Rechts an die Internationale Staatenpraxis (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 91). Für die Auslegung des § 60 Abs. 1 AufenthG ist daher der Flüchtlingsbegriff nach Art. 1 GK maßgebend. Mit der Einführung des § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG hat der Gesetzgeber auch den Kreis der Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, entsprechend angepasst (vgl.: Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Inneren zum Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz/EU, Stand Dezember 2004, Ziffer 60.1.4). Demzufolge kann die Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Die bisher grundsätzlich geforderte Anknüpfung an staatliche Verantwortung für Verfolgung („mittelbare staatliche Verfolgung“) ist damit im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht mehr erforderlich. Nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG können Organisationen ohne Gebietsgewalt, Gruppen oder auch Einzelpersonen sein, von denen eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ausgeht. Nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie ist die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seinen Heimatstaat jedoch unverfolgt verlasen, so kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Droht diese Gefahr nur in einem Teil seinem Heimatstaates, so kann der Betroffene auf Gebiete verwiesen werden, in denen er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, es sei denn, es drohen dort andere nach den oben dargelegten Grundsätzen unzumutbare Nachteile und Gefahren (BVerfG vom 10.7.1989 BVerfGE 80, S. 345 f.).

b) Eine solche Gefahr hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht worden.

Das Vorbringen des Klägers im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt war kaum substantiiert. Auch bei seiner informatorischen Befragung durch das Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung beschränkte sich sein Vortrag im Grunde auf sehr allgemein gehaltene Angaben ohne individualisierte Einzelheiten. Er nannte keinerlei Details, die darauf schließen ließen, dass er das Vorgetragene tatsächlich erlebt habe. Weder die handelnden Personen oder Ortsangaben noch Hintergründe der behaupteten Entführung durch die Taliban konnte der Kläger benennen. Das vom Kläger vorgelegte ärztliche Attest vom 28. Oktober 2011 ist nicht geeignet, die Ausführungen des Klägers zu untermauern. Darin werden vier kleinere Vernarbungen beschrieben. Wie alt die Vernarbungen sind und woher sie stammen, bleibt völlig offen. Im Attest wurde dabei nur auf die Angaben des Klägers Bezug genommen, der der Ärztin mitteilt hatte, die Vernarbungen stammten von Verbrennungen durch die Taliban. Dem Gericht ist durchaus bewusst, dass der Kläger sich in einer gewissen Beweisnot befindet und ein voller Beweis nicht erbracht werden kann. Wenn aber, wie hier, die Schilderungen im Grunde über stereotype, oberflächliche Behauptungen, die gleichlautend von einer Vielzahl anderer Asylbewerber vorgetragen werden, nicht hinausgehen, lässt dies darauf schließen, dass der Kläger das Vorgetragene nicht selbst erlebt hat. Dies gilt vor allem auch vor dem Hintergrund, dass unklar bleibt, was eigentlich das Ziel des Überfalls gewesen sein sollte. Der Kläger geht selbst davon aus, dass er ein Zufallsopfer gewesen sei. Erst durch Kontrolle seines Ausweises sei klar geworden, dass er für den Kommandanten … gearbeitet habe. Dass diese zufällige Erkenntnis, ohne die Stellung des Klägers und seine Möglichkeiten innerhalb des Kommandobereichs zu kennen, die Taliban spontan veranlasst haben soll, mit Hilfe des Klägers in die Kommandozentrale vordringen zu wollen, ist nicht glaubhaft. Hätten sie dies beabsichtigt, wären sie nicht auf die Mithilfe des zufällig aufgegriffenen Klägers angewiesen gewesen. Nicht glaubhaft ist auch, dass der Kläger sich zunächst nach seiner angeblichen Freilassung mit seinem Vater beriet, dann aber, ohne mit seinen Eltern und seiner Frau darüber zu sprechen, in den Iran ausreiste. Er konnte auch nicht nachvollziehbar erklären, weshalb er nicht dem Rat seines Vaters folgte und sich an die Behörden wandte. Immerhin war der Kläger für den zuständigen Kommandanten in der Region bereits seit eineinhalb Jahren tätig und hätte sich deshalb auch an ihn mit der Bitte um Hilfe wenden können.

Glaubhafte Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung des Klägers durch staatliche Behörden, aber auch durch nichtstaatliche Akteure lassen sich deshalb dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 1 AufenthG kommt nicht in Betracht.

2. Der Kläger kann sich nicht auf subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes auf der Grundlage der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG berufen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht auch insoweit in vollem Umfang Bezug auf die Begründung im Bescheid des Bundesamts vom 23. Februar 2011 (§ 77 Abs. 2 AsylVfG) und führt nur ergänzend aus:

a) Die Klage ist hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 S. 2, Abs. 11 AufenthG i. V. m. Art. 15 lit. c RL 2004/83/EG nicht begründet.

Nach § 60 Abs. 7 S. 2, Abs. 11 AufenthG i. V. m. Art. 15 lit. c RL 2004/83/EG als vor § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorrangiger Anspruchsgrundlage (vgl. BVerwG vom 24.6.2008 Az. 10 C 43/07 <juris> RNrn. 16 ff.) ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre.

Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten im Sinn von Art. 1 Nr. 2 ZP II oder aber als anhaltende Kampfhandlungen bewaffneter Gruppen im Sinne von Art. 1 Nr. 1 ZP II zu qualifizieren sind, kann dahinstehen, weil der Kläger bei einer Rückkehr keiner individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre.

b) Für den Kläger verdichtet sich der innerstaatliche Konflikt nicht zu einer erheblichen individuellen Gefahr.

Für den Schutzanspruch nach § 60 Abs. 7 S. 2, Abs. 11 AufenthG i. V. m. Art. 15 lit. c RL 2004/83/EG bedarf es zusätzlich der Feststellung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben, d. h. die von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr für eine Vielzahl ziviler Personen muss sich in der Person des Schutzsuchenden verdichtet haben (vgl. BVerwG vom 24.6.2008 a.a.O. RdNrn. 43 ff.; BayVGH vom 3.2.2011 a.a.O. RdNr. 23).

Nicht jeder internationale oder innerstaatliche bewaffnete Konflikt hat eine solche Gefahrendichte, dass alle Bewohner des betroffenen Gebietes ernsthaft persönlich betroffen wären. Gerade Erwägungsgrund 26 der RL 2004/83/EG regelt, dass „Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind ... für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung“ darstellen, „die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre.“

Mit Ausnahme von Kombattanten, deren Status bereits die Anwendbarkeit von Art. 15 lit. c RL 2004/83/EG ausschließt, können individuelle gefahrerhöhende Umstände die Feststellung tragen, z. B. die Zugehörigkeit zu einer bestimmten, besonders bedrohten Ethnie, Berufsgruppe oder Gruppierung. Darüber hinaus kann die Verdichtung auch gegeben sein, wenn der Grad willkürlicher Gewalt im Konflikt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit dort Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung im Sinne des Art. 15 lit. c RL 2004/83/EG ausgesetzt zu sein (so EuGH vom 17.2.2009 Az. Rs C-465/07 Abl. EU v. 18.4.2009 Nr. C 90/4, RdNr. 35). Für letzteres ergeben sich nach Auffassung des Gerichts aufgrund der Auskunftslage keine hinreichenden Anhaltspunkte (zur Wahrscheinlichkeit, in den Südostregionen Opfer eines Anschlags zu werden vgl. auch BayVGH vom 8.12.2011 Az. 13a B 11.30276 RdNrn. 15 ff.). Auch individuelle Umstände, die dazu führen würden, dass der Kläger in gesteigerter Weise Ziel der Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts würde und damit aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen wäre, ergeben sich aus seinem Vorbringen nicht. Wie ausgeführt, sind seine Angaben sehr vage, nicht glaubhaft und deshalb nicht geeignet, eine eigene, individuelle Gefahr zu begründen. Es spricht deshalb derzeit nichts dafür, dass der Kläger aufgrund der von ihm geschilderten Umstände im Rahmen des bewaffneten internationalen Konfliktes in besonderer Weise von den Konfliktparteien bedroht ist. Allein aufgrund seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit ist eine gesteigerte Gefährdung ebenfalls nicht zu erwarten.

3. Auch sonstige (nationale) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht ersichtlich. Ergänzend zu den Ausführungen im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylVfG) wird noch ausgeführt:

a) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen nach § 60 a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).

Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (BVerwG vom 9.11.1996 BVerwGE 102, 249/258f.).

b) Eine solche extreme allgemeine Gefahrenlage ergibt sich für den Kläger weder aus seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit noch hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Kabul. Nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist die Sicherheitslage in Kabul unverändert stabil und deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (Lagebericht, a.a.O., S. 12). Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die allgemeine Sicherheitslage in seiner Person zu einer existenziellen Gefährdung bei einer Rückführung nach Kabul verdichten würde.

Insgesamt deutet die Auskunftslage nach Auffassung des Gerichts darauf hin, dass jedenfalls im Raum Kabul gerade die ausländischen Truppen in Afghanistan und afghanische Sicherheitskräfte sowie nicht-militärische Ziele, die häufig von Ausländern frequentiert werden, Angriffsziele der Taliban sind. Dabei nehmen die Attentäter auch Opfer unter der Zivilbevölkerung billigend in Kauf. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass gerade die Präsenz der internationalen Truppen und der allmähliche Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte dafür sorgen, dass sich die Sicherheitslage nicht noch weiter verschlechtert. Daher ist nach Auffassung des Gerichts in Kabul zumindest gegenwärtig noch von einer einigermaßen vorhandenen öffentlichen Sicherheit auszugehen. Die Gefahr einzelner Übergriffe gegen Rückkehrer, etwa eines vermuteten besonderen Wohlstandes ist nicht auszuschließen. Eine konkrete, jeden Rückkehrer gleichsam von selbst treffende Lebens- oder Leibesgefahr liegt darin jedoch nicht (so auch OVG Münster vom 5.4.2006 Az. 20 A 516104 A <juris> RdNr. 38 ff.; SächsOVG vom 23.8.2006 Az. A 1 B 58/06 <juris> RdNr. 25; OVG Schleswig-Holstein vom 21.11.2007 Az. 2 LB 38/07 <juris> RdNrn. 25 ff., 34; VGH BW vom. 14.5.2009, Az. A 11 S 983/06, juris, RdNr. 29).

c) Dem Kläger droht auch keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Kabul.

In der Gesamtschau der aktuellen Auskünfte ist davon auszugehen, dass die Rückkehrsituation, die ein Rückkehrer in Kabul vorfindet, wesentlich davon mitbestimmt wird, ob er sich auf familiäre oder sonstige verwandtschaftliche Strukturen verlassen kann, oder ob er auf sich allein gestellt zurückkehrt. Je stärker noch die soziale Verwurzelung des Rückkehrers oder je besser seine Vertrautheit mit den Lebensverhältnissen ist, desto leichter und besser kann er sich in die jetzige Situation in Afghanistan wieder eingliedern und dort jedenfalls ein Existenzminimum sichern. Trotz der teilweise äußerst schlechten Sicherheits- und Versorgungslage kann daher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jeder Rückkehrer aus Europa den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung nach Kabul erleiden müsste (vgl. hierzu auch BayVGH vom 3.2.2011 a.a.O. RdNrn. 34 ff.; VGH BW vom 14.5.2009 Az. A 11 S 983/06 <juris> RdNr. 28; OVG Münster v. 5.4.2006 Az. 20 A 516104 A <juris> RdNrn. 38 ff.).

Nach Auffassung des Gerichts kann sich deshalb zwar eine extreme Gefahrenlage in Kabul jedenfalls für besonders schutzbedürftige Rückkehrer wie alte oder behandlungsbedürftig kranke Personen, alleinstehende Frauen mit und ohne Kinder, Familien und Personen, die aufgrund besonderer persönlicher Merkmale zusätzlicher Diskriminierung unterliegen, ergeben. Für alleinstehende, junge und arbeitsfähige Männer aus der Bevölkerungsmehrheit ohne erhebliche gesundheitliche Einschränkungen, ist jedoch zumindest die Möglichkeit gegeben, sich eine neue Existenz aufzubauen (BayVGH vom 8.12.2011 a.a.O. RdNr. 37).

Der mittlerweile 21 Jahre alte Kläger ist zwar verheiratet. Seine Ehefrau lebt nach seinen Angaben jedoch mit seinen Eltern derzeit im Iran und wird von ihnen unterstützt. Für ihren Lebensunterhalt müsste der Kläger deshalb jedenfalls zunächst nicht aufkommen. Konkrete gesundheitliche Einschränkungen, die einer Rückkehr entgegen stehen würden, sind nicht vorgetragen. Aus den vorgelegten Attesten ergeben sich zum einen Vernarbungen, die einer Erwerbstätigkeit jedoch in keiner Weise entgegenstehen. Das Attest vom 28. Oktober 2011 führt daneben „posttraumatische Angstzustände, die zum Teil zu Schlafstörungen führen“, auf. Das Attest stammt von einer Allgemeinärztin, so dass davon auszugehen ist, dass die erforderliche Fachlichkeit zur Erstellung einer belastbaren und fundierten Diagnose fehlt. Im Übrigen geht aus dem Attest nicht hervor, auf welche Grundlagen sich die Diagnose stützt. Eine eingehende, den Kriterien für die Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung genügenden Untersuchung ist der Diagnose offensichtlich nicht vorausgegangen. Sie scheint vielmehr auf den unkritisch übernommenen Angaben des Klägers zu beruhen. Die ärztliche Stellungnahme einer Fachärztin für Psychiatrie vom 4. Januar 2012 beruht auf den Angaben des Klägers zu seinem angeblichen Verfolgungsschicksal, welche, wie ausgeführt, nicht glaubhaft sind. In der Stellungnahme heißt es, eindeutige Anhaltspunkte für eine PTBS seien nicht gefunden worden. Die vom Kläger vorgetragenen Rückenschmerzen mögen störend sein und auch häufiger zu Kopfschmerzen führen. Weshalb er deshalb aber bei einer Rückkehr nach Kabul nicht für seinen Lebensunterhalt sorgen könnte, ist nicht ersichtlich. Auch wenn der Kläger nur eine geringe Schulbildung hat, ist er doch durch die langjährige Arbeit in den Geschäften seines Vaters mit den wirtschaftlichen Gebräuchen in Afghanistan vertraut. Es ist deshalb zu erwarten, dass es ihm bei seiner Rückkehr gelingen wird, jedenfalls sein Existenzminimum zu sichern (vgl. BayVGH vom 3.2.2011 a.a.O. RdNr. 37; vom 8.12.2011 a.a.O. RdNr. 37). Besondere Schwierigkeiten wegen seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit hat der Kläger nicht zu erwarten.

4. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.