Bayerisches LSG, Urteil vom 21.03.2012 - L 16 AS 789/10
Fundstelle
openJur 2012, 121779
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.06.2010 dahingehend abgeändert, dass der Bescheid des Beklagten vom 06.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2009 aufgehoben wird, soweit darin die Erstattung von für die Klägerin zu 2 erbrachten Leistungen in Höhe von 888,06 Euro angeordnet wurde.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Der Beklagte hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Rechtszügen zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Parteien ist streitig, in welcher Höhe den Klägern (Kl.) in der Zeit zwischen dem 01.11.2008 und dem 30.04.2009 Einkommen aus selbständiger Tätigkeit auf die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) anzurechnen war.

Der 1956 geborene Kl. zu 1 und seine 1946 geborene Ehefrau, die Kl. zu 2, stehen im dauernden Leistungsbezug bei dem Beklagten (Bekl.).

Der Kl. ist als Kommanditist an der Firma A. S. L. & Co. KG (nachfolgend KG) beteiligt. Darüber hinaus ist er auch Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Komplementärgesellschaft, der A. S. L., mit Sitz in B.. Das Haftungskapital der Komplementärgesellschaft beträgt 150 € laut Gesellschaftsvertrag vom 11.11.2007, die Kommanditeinlage des Kl. 1.000 €.

Seit Juni 2006 besteht zwischen der KG und dem Kl. zu 1 ein Beratervertrag. Danach ist der Kl. zu 1 über seine Tätigkeit als Geschäftsführer der KG hinaus zur Beratung der Gesellschaft auf dem Gebiet der EDV, zur Akquisition und zur Ausführung von Aufträgen verpflichtet. Als Vergütung erhält er ein Honorar in Höhe von 20 € zuzüglich Mehrwertsteuer je Arbeitsstunde. Zusätzlich ist Aufwendungsersatz für angefallene und nachgewiesene Aufwendungen möglich. Die Aufträge werden von der KG kaufmännisch abgewickelt. Der technische Service und die Ausführung des Beratungsauftrags erfolgt durch den Kl. zu 1 als Einzelfirma, regelmäßig unter der Firmierung "h..net". Der Kl. zu 1 erstellt Rechnungen und erhält von der KG eine Honorierung.

Am 22.09.2008 beantragten die Kl. die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit nach dem 31.10.2008.

Die Agentur für Arbeit B-Stadt bewilligte den Kl. mit Bescheid vom 10.11.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum vom 01.11.2008 bis 30.4.2009. Der Leistungsbetrag belief sich für jeden der Kl. auf 133,01 €, für die Bedarfsgemeinschaft also auf 266,02 € monatlich. Die Leistungsbewilligung erfolgte vorläufig gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II i. V. m. § 328 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) im Hinblick auf das noch nicht vollständig ermittelte Einkommen des Kl. zu 1 aus der selbständigen Tätigkeit. Die bewilligte Leistung umfasste nur die Regelleistung abzüglich anzurechnenden Einkommens. Kosten für Unterkunft und Heizung wurden nicht von der Agentur für Arbeit B-Stadt, sondern seitens des Landkreises B-Stadt durch eigene Bescheide bewilligt.

Am 24.11.2008 erging ein Änderungsbescheid. Die Agentur für Arbeit B-Stadt erhöhte den Leistungsbetrag je Kl. auf 148,01 € und bewilligte nunmehr insgesamt 296,02 € monatlich (Blatt 493). Auch dieser Änderungsbescheid erging hinsichtlich des zu ermittelnden Einkommens aus selbständiger Tätigkeit vorläufig.

Mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 06.07.2009 lehnte die Agentur für Arbeit B-Stadt die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Antrag vom 22.09.2008 hin ab. Der Bescheid war an den Kl. zu 1 adressiert. Wegen des festgestellten Einkommens aus selbständiger Tätigkeit sei er nicht hilfebedürftig i. S. d. SGB II. Dabei handle es sich um die endgültige Entscheidung bezüglich des Bewilligungsabschnitts vom 01.11.2008 bis zum 30.04.2009. Folgende Beträge seien zu erstatten:

- November bis Dezember 2008: monatlich 148,01 € Alg II, 118,31 € Krankenversicherungsbeitrag und 17,54 € Pflegeversicherungsbeitrag für den Kl. zu 1 und 148,01 € Sozialgeld für die Kl. zu 2.

- Januar bis April 2009: monatlich 148,01 € Alg II, 129,54 € Krankenversicherungsbeitrag und 17,79 € Pflegeversicherungsbeitrag für den Kl. zu 1 und 148,01 € Sozialgeld für die Kl. zu 2.

Insgesamt seien 2.637,14 € zu erstatten.

Unterlagen über die Berechnung der Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit finden sich in den Beklagtenakten sowohl für das Einzelunternehmen "A..net" als auch für die KG.

Mit Schreiben vom 15.7.2009 legte der Kl. zu 1 Widerspruch gegen den Bescheid vom 6.7.2009 ein. Die Berechnung des laufenden Einkommens aus selbständiger Tätigkeit sei nicht nachvollziehbar.

Im Widerspruchsbescheid vom 28.07.2009, der an den Kl. zu 1 adressiert war, verringerte die Agentur für Arbeit B-Stadt den Erstattungsbetrag von bisher 2.637,14 € auf nunmehr 1.776,12 € und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Aus den Gründen ergibt sich, dass die Reduzierung des Erstattungsbetrags darauf zurückgeht, dass nur noch die vorläufig erbrachten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zurückgefordert werden, nicht aber Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Die zu erstattenden Leistungen entfielen zu gleichen Teilen (je 888,06 €) auf den Kl. zu 1 und die Kl. zu 2. Zur Einkommensberechnung führte die Agentur für Arbeit aus: In den Monaten November 2008 bis April 2009 seien im Schnitt pro Monat 3.363,84 € Betriebseinnahmen in beiden Unternehmen angefallen (412,60 € bei der A..net und 2951,24 € bei der KG). Demgegenüber hätten die Betriebsausgaben durchschnittlich 1.209,51 € betragen (76,86 € bei der A..net und 1.132,56 € bei der KG). Der monatliche Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit des Kl. zu 1 habe sich daher auf 2.154,34 € belaufen. Bereinigt um die Freibeträge nach §§ 11, 30 SGB II sei daher ein anrechenbares Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 1.874,34 € vorhanden gewesen. Hinzu komme die Rente der Kl. zu 2 von 88,96 €, die abzüglich der Versicherungspauschale von 30 € in Höhe von 58,96 € zu berücksichtigen sei. Das Einkommen übersteige den Bedarf der Kl., der sich auf 2 x Regelleistung von 316 € + die vom Landkreis B-Stadt zu tragenden Kosten für Unterkunft und Heizung von 2 x 338,65 €, insgesamt 1.309,30 € monatlich belaufe.

Am 24.08.2009 hat der Kl. zu 1 gegen diesen Widerspruchsbescheid beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben. Beklagte war zunächst die Bundesagentur für Arbeit als Rechtsträgerin der Agentur für Arbeit B-Stadt. Der Kl. zu 1 hat vorgetragen, die Bundesagentur dürfe allein das Einkommen aus der A..net, also der Einzelfirma, der Bedarfsberechnung zu Grunde legen. Die Einnahmen der KG müssten dagegen außer Ansatz bleiben. Es handele sich um eine separate juristische Person, deren Einnahmen nicht einfach auf den Kl. zu 1 übertragen werden dürften. Darüber hinaus habe die Bundesagentur auch die Einkommensermittlung unzutreffend vorgenommen und diverse Aufwandspositionen zu Unrecht nicht zum Abzug zugelassen.

Das SG hat am 06.10.2009 einen Erörterungstermin abgehalten, in dem vereinbart wurde, dass der Kl. eine geordnete Aufstellung aller Einnahmen und Ausgaben der KG sowie des Einzelunternehmens "h..net" der Bundesagentur übermitteln und dabei alle Rechtspositionen belegen solle und dass die Parteien dann über diese Aufstellung zunächst außergerichtlich verhandeln sollten. Als Ergebnis dieser Verhandlungen hat die Bundesagentur mit Schriftsatz vom 01.03.2010 eine Aufstellung aller nach der Verhandlung noch streitigen und unstreitigen Einnahmen und Ausgaben im Zeitraum vom 01.11.2008 bis zum 30.04.2009 übermittelt. Danach stehen bei "h..net" Einnahmen von 3.555,31 € Ausgaben in Höhe von 1.086,85 € gegenüber, bei der KG Einnahmen von 16.954,04 € und Ausgaben in Höhe von 9.507,16 €. Der Gewinn der "h..net" habe somit in den sechs Monaten 2.468,46 € und im Monatsschnitt 411,41 € betragen. Der Gewinn der KG habe in den sechs Monaten 7.446,88 € und im Monatsschnitt 1.241,15 € betragen. Insgesamt habe das durchschnittliche monatliche Einkommen des Kl. zu 1 aus "h..net" und KG im Sechsmonatszeitraum 1.652,56 € betragen. Strittig seien dabei noch folgende Punkte:

- Rückstellungen für abzuführende Steuern in Höhe von 2.706,96 € und 3.265 €

- Beiträge zu einer Rechtsschutzversicherung in Höhe von 135,64 €

- Beiträge zu einer Haftpflichtversicherung in Höhe von 106,60 € + 46,17 € = 152,77 €.

Nach Berücksichtigung der Abzugsbeträge nach § 11 Abs. 2 SGB a. F. und der Freibeträge nach § 30 SGB II a. F. (wobei die Anwendbarkeit der letzteren bezüglich des KG-Gewinns zugunsten der Kl. unterstellt, aber eigentlich bestritten werde), ergebe sich ein monatlich zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 1.372,56 €, das den Bedarf von 1.346,06 € immer noch überschritten habe.

Der Kl. zu 1 hat gegen diese Aufstellung keine Einwände erhoben.

Das SG hat sich weiter für die Jahre 2008 und 2009 die Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen der KG sowie die Steuerbescheide der Kl. vorlegen lassen.

In der mündlichen Verhandlung vom 23.06.2010 hat der Kl. zu 1 klargestellt, dass er die Klage auch im Namen seiner Ehefrau, der Kl. zu 2, erhoben habe. Der Vorsitzende hat erklärt, dass das Rubrum entsprechend berichtigt werde.

Das SG hat den Landkreis B-Stadt und jetzigen Beklagten zum Verfahren gemäß § 75 Abs. 2 1. Alt. SGG notwendig beigeladen.

Die Kl. haben beim SG beantragt, den Bescheid der Bundesagentur vom 06.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.7.2009 aufzuheben und Leistungen in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Das SG hat mit Urteil vom 23.06.2010 (Az. S 22 AS 1911/09) die Klage abgewiesen. Die Bundesagentur habe den Gewinn des Kl. zu 1 aus der KG zu Recht als Einkommen zugerechnet. Dem stehe nicht entgegen, dass es sich bei der KG um eine Personengesellschaft handle, die selbständige Trägerin von Rechten und Pflichten sei (§§ 161 Abs. 2, 124 Handelsgesetzbuch - HGB). Da der Kl. zu 1 einziger Kommanditist der KG und Geschäftsführer und einziger Gesellschafter der Komplementärgesellschaft sei, sei die Gewinnverwendung der KG völlig in sein Belieben gestellt. Was die strittigen Rechnungsposten betreffe, so habe die Bundesagentur die Rückstellungen für Umsatzsteuerzahlungen in Höhe von 2.706,95 € und 3.265 € zu Recht unberücksichtigt gelassen. Seit dem 1.1.2008 sei in § 3 der Arbeitslosengeld II/ Sozialgeld-Verordnung (Alg II-VO) die Ermittlung des anrechenbaren Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit vom Steuerrecht gelöst worden (§ 3 Abs. 2 Alg II-VO). Auszugehen sei nunmehr von den im jeweiligen Bewilligungsabschnitt erzielten Betriebseinnahmen und den in diesem Zeitraum getätigten notwendigen Ausgaben. Damit stelle die Einkommensermittlung im Rahmen des SGB II im Ergebnis auf ein striktes Zufluss-/Abflussprinzip ab. Die Bildung von Rückstellungen sei damit nicht vereinbar. Im SGB II kommt es auf die bereiten Mittel zum Bestreiten des Lebensunterhalts an. Solange Zahlungen nicht geleistet würden, seien die entsprechenden Mittel noch vorhanden und für den eigenen existentiellen Bedarf zu verwenden. Rückstellungen für später fällige Zahlungen würden daher nicht berücksichtigt. Abweichend von der Auffassung der Bundesagentur hielt das SG die Beiträge für die Rechtsschutzversicherung in Höhe von 135,60 € für abzugsfähig, allerdings nicht bei der KG, sondern beim Einzelunternehmen "h..net.". Die Beiträge zur Haftpflichtversicherung hielt das SG in Übereinstimmung mit der Auffassung der Bundesagentur für nicht abzugsfähig: Es handle sich um eine offensichtlich vermeidbare Ausgabe, denn der Kl. zu 1 habe eine Gesellschaftsform mit Haftungsbeschränkung gewählt, so dass der Abschluss einer weitergehenden Haftpflichtversicherung unverständlich sei.

Aufgrund des Abzugs der Beiträge zur Rechtsschutzversicherung ergab sich für das SG ein im Vergleich zur Berechnung der Bundesagentur reduzierter monatlicher Durchschnittsgewinn der "h..net" von 388,80 € (statt 411,41 €), so dass das Einkommen des Kl. zu 1 aus seinen verschiedenen gewerblichen Betätigungen insgesamt 1.629,95 € betrage. Nach Bereinigung um die Absetzbeträge nach § 11 Abs. 2 SGB II a. F. und die Freibeträge nach § 30 SGB II a. F. ergebe sich ein anrechenbares monatliches Einkommen in Höhe von 1.349,95 €. Zusammen mit dem um die Versicherungspauschale bereinigten Renteneinkommen der Kl. zu 2 von 58,96 € ergebe sich ein Gesamteinkommen der Kl. von 1.480,91 €, aus dem sich der Bedarf in Höhe von 1.346,07 € vollständig decken lasse.

Das SG hat ferner darauf hingewiesen, dass ein Vergleich der Bilanzen der KG der Jahre 2008 und 2009 einen Rückgang der Verbindlichkeiten der KG gegenüber dem Einzelunternehmen "h..net" im Umfang von 8.617,40 € ergebe, der auf Zahlungen der KG an "h..net" im Jahre 2009 zurückzuführen sei. Ob und inwieweit dies zu berücksichtigen sei, könne dahinstehen, weil das im Übrigen festgestellte Einkommen den Bedarf bereits decke.

Das Urteil des SG weist im Rubrum lediglich den Kl. zu 1 aus. Im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen ist abwechselnd von den Klägern zu 1 und zu 2 oder vom "Kläger und dessen Ehefrau" die Rede. Unter Nr. 4 der Entscheidungsgründe heißt es, die Kl. hätten die Rückforderung der Bundesagentur als gegen jeden von ihnen gerichtet aufgefasst. Der für die Eheleute handelnde Kl. zu 1 habe in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Klage auch im Namen seiner Frau erhoben worden sei. Im Tatbestand wird nur der Antrag "des Klägers" wiedergegeben.

Das Urteil des SG ist dem Kl. zu 1 am 14.10.2010 zugestellt worden. Er hat am 27.10.2010 dagegen Berufung eingelegt.

Auf Aufforderung des Gerichts haben die Kl. eine Erklärung der Kl. zu 2 vorgelegt, wonach diese dem Kl. zu 1 Prozessvollmacht für das Berufungsverfahren erteile und die gesamte bisherige Prozessführung, auch im vorausgegangenen erstinstanzlichen Verfahren, genehmige.

Die Kl. begründen ihre Berufung wie folgt:

- Entgegen der Auffassung des SG sei der Kl. zu 1 nicht berechtigt gewesen, die im Bewilligungszeitraum von der KG erzielten Einnahmen zur Deckung seines eigenen Lebensunterhalts dem Gesellschaftsvermögen zu entnehmen. Denn die KG habe in dem Zeitraum keinen Gewinn, sondern nur Verluste erzielt. Die Aufteilung von Gewinnen und Verlusten erfolge nach den Regelungen im Gesellschaftsvertrag und den strengen gesetzlichen Vorschriften der §§ 120, 121 HGB. Insbesondere sei in § 120 Abs. 2 HGB geregelt, dass der einem Gesellschafter zukommende Gewinn dem Kapitalanteile des Gesellschafters zugeschrieben werde; der auf einen Gesellschafter entfallende Verlust sowie das während des Geschäftsjahrs auf den Kapitalanteil entnommene Geld werde davon abgeschrieben. Der Zugriff auf die liquiden Mittel der KG wäre dem Kl. zu 1 deshalb nur dann möglich gewesen, wenn sein Kapitalkonto ein Guthaben aufgewiesen hätte. Es falle unter den Straftatbestand des Bankrotts gemäß § 283 Abs. 1 StGB, wenn jemand bei Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsfähigkeit in einer anderen, den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden Weise seinen Vermögensstand verringere oder seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimliche oder verschleiere.

- Die angefochtenen Bescheide ließen die Kl. zu 2 nicht als Adressatin erkennen.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat am 28.10.2011 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem der Kl. zu 1 dargelegt hat, dass er sich einen Umstieg von der halbjährlichen auf die jährliche Gewinnermittlung wünsche, weil so Einnahmen und Ausgaben, die wirtschaftlich zusammengehörten, weniger stark auseinandergerissen würden. Die Bundesagentur hat dies abgelehnt, weil es sich um keinen Saisonbetrieb handle.

Die Kl. beantragen,

das Urteil des SG vom 23.06.2010 und den Bescheid des Beklagten vom 06.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2009 aufzuheben und den Bekl. zu verurteilen, den Kl. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe der streitgegenständlichen Regelleistung für die Zeit vom 01.11.2008 bis zum 30.04.2009 ohne Berücksichtigung von Einnahmen zu bewilligen, die von der H. Ltd. & Co. KG erzielt worden sind, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Bekl. beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte des Bekl. verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.

Zum 01.12.2012 hat auf der Beklagtenseite gemäß § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB II ein Parteiwechsel kraft Gesetzes stattgefunden. Mit der Verordnung vom 14.04.2011 (BGBl. I S. 645) ist die Anlage zu § 1 Kommunalträger-Zulassungsverordnung mit Wirkung zum 01.01.2012 dahingehend geändert worden, dass der jetzige Beklagte, der Landkreis B-Stadt, als Träger der Leistung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II zugelassen worden ist und insoweit für sein Gebiet an die Stelle der Bundesagentur für Arbeit getreten ist. Gemäß § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB II ist damit der Landkreis B-Stadt in allen laufenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, die entsprechende Leistungen betreffen, an die Stelle der Bundesagentur für Arbeit getreten (zum gesetzlichen Beteiligtenwechsel siehe BSG, Urteil vom 18.01.2011, Az. B 4 AS 90/10 R, Rdnr. 11).

Die Berufung ist begründet, soweit das SG die Klage insoweit abgewiesen hat, als sie gegen die Festsetzung der Erstattung der an die Kl. zu 2 erbrachten Leistungen in Höhe von 888,06 € gerichtet war. Denn insoweit hätte der Bekl. bzw. seine Rechtsvorgängerin die angefochtenen Bescheide nicht an den Kl. zu 1, sondern an die Kl. zu 2 richten müssen. Sowohl der Bescheid vom 06.07.2009 als auch der Widerspruchsbescheid vom 28.07.2009 richten sich aber ausdrücklich nur an den Kl. zu 1. Zwar legen sie offen, inwieweit die zurückgeforderten Zahlungen auf die Kl. zu 2 fallen. Daraus ist jedoch nicht eindeutig zu entnehmen, dass sich der Zahlungsbefehl gegen die Kl. zu 2 richtet. Für die Vollstreckbarkeit von Zahlungsbescheiden ist es jedoch erforderlich, dass sich der Zahlungsverpflichtete aus ihnen zweifelsfrei ergibt. Es genügt nicht, dass sich der Zahlungsverpflichtete nur aufgrund Interpretation des Bescheids auf der Grundlage von Spezialkenntnissen des jeweiligen Rechtsgebietes herleiten lässt. So liegt es hier: Die angefochtenen Bescheide enthalten nicht einmal den Namen der Kl. zu 2, auch nicht in den Gründen. Im Bescheid vom 06.07.2009 heißt es wörtlich: "Durch die Anrechnung Ihres Einkommens aus Selbständigkeit ergeben sich folgende Beträge, die von Ihnen (Hervorhebung vom Gericht) gemäß § 328 SGB III zu erstatten sind: ... 148,01 € Sozialgeld für Ihre Frau ... insgesamt: 2.637,14 €." Der Bescheid vom 06.07.2009 stellt zwar klar, in welchem Umfang die zu erstattenden Leistungen auf die Kl. zu 2 entfielen; er ordnet diesbezüglich aber eine Rückzahlungspflicht des Kl. zu 1 an. Insoweit die Kl. zu 2 als zahlungspflichtig anzusehen, stellt eine Überinterpretation des Bescheides in Richtung auf ein gewünschtes - weil rechtmäßiges - Ergebnis dar, für das sich im Bescheid selbst nicht genügend Anhaltspunkte finden. Nichts anderes ergibt sich aus dem Widerspruchsbescheid vom 28.07.2009: Erstens beschränkt er sich auf eine Zurückweisung des Widerspruchs und korrigiert nicht den Zahlungsbefehl gegen den Kl. zu 1 bezüglich der an die Kl. zu 2 erbrachten Leistungen. Zweitens ist auch seinen Gründen nur zu entnehmen, wie hoch der Betrag der zu erstattenden Leistungen ist, der für die Kl. zu 2 erbracht wurde, nicht aber dass Schuldner des Erstattungsanspruchs die Kl. zu 2 sein sollte. Dass die Rückzahlung von Leistungen immer von demjenigen geschuldet wird, an den die Leistungen gerichtet waren, ist keineswegs selbstverständlich, wie etwa die gesetzliche Regelung in § 34a SGB II zeigt. Deshalb konnten die Bescheide nur so verstanden werden, dass der Kl. zu 1 die Rückzahlung des gesamten Betrages der erbrachten Leistungen schuldete, auch soweit Leistungen für die Kl. zu 2 erbracht worden waren.

Im Übrigen wären die Bescheide auch dann hinsichtlich der Rückforderung der an die Kl. zu 2 erbrachten Leistungen aufzuheben, wenn man sie so interpretieren würde, dass sie insoweit die Erstattung durch die Kl. zu 2 anordneten. Denn der Kl. zu 1, an den die Bescheide allein adressiert waren, war nicht berechtigt, die Kl. zu 2 bei der Entgegennahme von Rückforderungsbescheiden zu vertreten. Die Vollmachtsvermutung des § 38 Satz 2 SGB II in der bis zum 31.03.2011 geltenden Fassung (= § 38 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der seit dem 01.04.2011 geltenden Fassung) beschränkt sich auf die Beantragung und Entgegennahme von Leistungen und bezieht sich nicht auf deren Rückforderung (Kallert in: Gagel, SGB II/ SGB III, 44. Ergl. Lief. 2012, § 38 SGB II Rdnr. 19). Anhaltspunkte dafür, dass der Kl. zu 1 ausdrücklich bevollmächtigt war, Erstattungsbescheide für die Kl. zu 2 entgegenzunehmen, liegen nicht vor.

Im Übrigen ist die Berufung der Kl. unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, soweit sie sich insoweit gegen die angefochtenen Bescheide richtet, als darin

- Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.11.2008 bis zum 30.04.2009 endgültig abgelehnt wurden und

- die Erstattung der an den Kl. zu 1 erbrachten Leistungen in Höhe von 888,06 € angeordnet wurde.

Die Bundesagentur war zur endgültigen Festsetzung aufgrund der in den vorangegangenen Bewilligungsbescheiden enthaltenen Vorläufigkeitsklauseln gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 2 SGB III ohne Beachtung der Vertrauensschutzregelungen der §§ 45, 48 SGB X befugt. Die vorausgegangenen Bescheide, die durch die endgültige Leistungsfestsetzung aufgehoben bzw. gegenstandslos wurden, enthielten hinreichend bestimmte Vorläufigkeitsklauseln, wonach die Leistungsfestsetzung hinsichtlich des noch zu ermittelnden Einkommens aus selbständiger Tätigkeit vorläufig sei. Die Erstattungsforderung ergibt sich aus § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II i. V. mit § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III. Ob die Bundesagentur gemäß § 24 SGB X verpflichtet war, die Kl. vor der endgültigen Festsetzung gemäß § 24 SGB X anzuhören, soweit diese zur Rückforderung von Leistungen führte, kann dahinstehen, weil ein eventueller Verstoß spätestens durch das Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt worden wäre.

Zu Recht hat das SG das von der KG erzielte Einkommen dem Kl. zu 1 als eigenes Einkommen zugerechnet und nach den Regelungen über Einkommen aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft i. S. des § 3 Alg II-V in der seit dem 01.01.2008 geltenden Fassung behandelt. Zwar handelt es sich bei der KG um eine rechtlich selbständige Personengesellschaft. Jedoch wurde diese vom Kl. vollständig beherrscht, da er Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Komplementär-L. sowie alleiniger Kommanditist war. Einkommen einer Gesellschaft, in der der Leistungsberechtigte - etwa als alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer - gesellschaftsrechtlich unabhängig vom Willen anderer über Entnahmen entscheiden kann, werden dem Leistungsberechtigten als eigenes Einkommen i. S. d. § 11 SGB II zugerechnet. In diesen Fällen hängt die Verwendung der Einnahmen der Gesellschaft allein vom Willen des Gesellschafters ab, was es rechtfertigt, ihm das Einkommen der Gesellschaft als eigenes Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zuzurechnen. Dieser wertenden Zurechnung liegt ein ähnlicher Gedanke wie der Rechtsprechung zugrunde, die die Tätigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers für seine Gesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. wenn er über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile oder über eine Sperrminorität verfügt) nicht als abhängige Beschäftigung i. S. d. § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV), sondern als selbständige Arbeit ansieht, weil der Gesellschafter-Geschäftsführer beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (siehe dazu z. B. BSG, SozR 4-2400 § 7 Nr. 8).

Die Befugnis des Allein-Komplementärs einer Kommanditgesellschaft zu unbegrenzten Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen ergibt sich aus § 161 Abs. 2 i. V. m. § 122 Abs. 2 HGB. Danach ist ein Gesellschafter nicht befugt, ohne Einwilligung der anderen Gesellschafter seinen Kapitalanteil über den durch § 122 Abs. 1 HGB gesetzten Rahmen hinaus durch Entnahmen zu reduzieren. Dies bedeutet im Gegenschluss, dass im Einvernehmen aller Gesellschafter Entnahmen unbegrenzt möglich sind (zur Dispositivität der Vorschrift siehe Hopt in: Baumbach/ Hopt, HGB, 35. A. 2012, § 122 Rdnr. 15). § 120 Abs. 2 HGB, auf den sich die Kl. berufen und wonach der einem Gesellschafter zukommende Gewinn seinem Kapitalanteile zugeschrieben wird, trifft keine Regelung über die Möglichkeit von Entnahmen. Auch auf § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Bankrott) können sich die Kl. nicht berufen. Danach wird bestraft, wer bei Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit Bestandteile seines Vermögens, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören, beiseite schafft. Ein Beiseiteschaffen im Sinne dieser Vorschrift liegt aber nicht vor, solange nur die zur Befriedigung eines angemessenen Lebensunterhalts erforderlichen Beträge entnommen werden (Fischer, Strafgesetzbuch, 59. A. 2012, § 283 Rdnr. 4a). Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Kl. zu 1 nach der Bilanz der KG vom 31.12.2008 Ansprüche gegen die KG in Höhe von 41.561 € hatte und so mit der Entnahme von Geld nur die Schulden der KG ihm gegenüber reduziert hätte.

Zu Recht hat das SG eine Berücksichtigung von Rückstellungen für künftige Umsatzsteuerzahlungen abgelehnt. Gemäß § 3 Abs. 2 Alg II-V sind nur tatsächlich geleistete Ausgaben absetzbar. Rückstellungen für künftige Ausgaben sind seit der Neufassung der Alg II-V zum 01.01.2008, die steuerliche Vorschriften ausdrücklich für nicht anwendbar erklärt, nicht mehr vorgesehen.

Ebensowenig ist die Berechnung des Durchschnittseinkommens bezogen auf den Bewilligungszeitraum zu beanstanden (siehe § 3 Abs. 4 Alg II-V). Es ist nicht ersichtlich, dass auf Grund der Art der Erwerbstätigkeit eine jährliche Berechnung des Einkommens nach § 3 Abs. 5 Alg II-V angezeigt wäre. Ein typischer Saisonbetrieb liegt nicht vor. Ein zeitliches Auseinanderfallen von Investitionen und zugehörigen Einnahmen gibt es bei jeder selbständigen Tätigkeit und rechtfertigt für sich genommen den Übergang zur jährlichen Berechnung nicht.

Dahinstehen kann, ob das SG bei seiner Berechnung nicht auch die Aufwendungen für die Haftpflichtversicherung als Betriebsausgaben hätte berücksichtigen müssen. Denn der Bedarf der Kl. wäre auch bei Abzug dieses Postens in Höhe von 152,77 € noch gedeckt. Auf sechs Monate verteilt, würde er die vom SG berechneten Einnahmen nur um 152,77 € / 6 = 25,46 € mindern. Das SG hat in nachvollziehbarer Weise die Höhe des zu berücksichtigenden monatlichen Gesamteinkommens auf 1.480,91 € beziffert. Insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen. Vermindert um 25,46 €, läge dieses monatliche Gesamteinkommen immer noch deutlich über dem Gesamtbedarf in Höhe von 1.346,07 € und erst recht oberhalb der zweifachen Regelleistung von 316 € x 2 = 632 €, die im vorliegenden Rechtsstreit allein streitig ist und auf die das Einkommen gemäß § 19 Satz 3 SGB II a. F. vorrangig anzurechnen ist. Der Landkreis B-Stadt ist nämlich als Bekl. in den vorliegenden Rechtsstreit als Rechtsnachfolger der Bundesagentur für Arbeit nur in dem Umfang eingetreten, in dem er von der Bundesagentur zuvor geführt worden war. Da die Zuständigkeit der Bundesagentur gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB II a. F. nicht die Kosten für Unterkunft und Heizung umfasste, bleibt auch nach dem gesetzlichen Beklagtenwechsel im vorliegenden Verfahren dieser Streitgegenstand außen vor. Die Anrechnung von Einkommen erfolgt gemäß § 19 Satz 3 SGB II a. F. erst bei der Regelleistung und erst zweitrangig auf die Kosten der Unterkunft und Heizung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).