AG Neumarkt i.d.OPf., Urteil vom 30.03.2012 - 1 C 652/11
Fundstelle
openJur 2012, 121419
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung im Zusammenhang mit der Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages in Anspruch.

Mit Antrag vom 11.03.1999 schloss die Klägerin mit der Beklagten zum 01.041999 einen Lebensversicherungsvertrag. Vereinbart wurden monatliche Beiträge in Höhe von 50,- DM bzw. 25,56 €. Mit Schreiben vom 18.10.2006 erklärte die Klägerin die Kündigung des Lebensversicherungsvertrages. Die Klägerin erhielt darauf nach Abrechnung der Beklagten zum 01,11.2006 einen Betrag von 2.125,96 € (netto) zurückerstattet. Mit Schreiben vom 12.08.2008 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Widerspruch nach § 5a VVG a.F. und verlangte die vollständige Rückzahlung der gezahlten Prämien zuzüglich 2insen. Mit der Klageschrift vom 19.08.2011 erklärte die Klägerin zugleich den Widerruf nach § 7 VerbrKrG und ebenso vorsorglich die Anfechtung nach §§ 119,123 BGB. Die Beklagte erbrachte an die Klägerin keine weiteren Zahlungen.

Die Klägerin behauptet, sich nicht mehr daran erinnern zu können, ob ihr die nach § 5a VVG zur Übergabe vorgesehenen Unterlagen (Police, Allgemeine Versicherungsbedingungen, Verbraucherinformationen und Widerspruchsbelehrung) zugegangen seien. Sie ist der Ansicht, dies zulässig mit Nichtwissen bestreiten zu können. Ebenso bestreitet sie mit Nichtwissen, dass eine etwaig zugesandte Widerspruchsbelehrung den gesetzlichen Vorgaben entsprochen hätte. Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Versicherungsvertrag, obwohl bereits gekündigt, noch wirksam widerrufen werden könne. Jedenfalls müsse die zuvor erklärte Kündigung in einen Widerspruch ausgelegt bzw. umgedeutet werden. Ihr Widerspruch sei auch nicht verfristet, auch wenn er nicht binnen der Jahresfrist des § 5a Abs. 2S, 4 VVG (Fassung von 1994) erklärt worden sei. Diese Vorschrift sei unwirksam, da sie Vorgaben des Europäischen Gemeinschaftsrechts nicht wirksam umgesetzt habe. Der Klägerin stehe deshalb ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht zu. Darüber hinaus sei die Klägerin nach §§ 495, 355 BGB (mangels Belehrung zum Widerrufsrecht unbegrenzt) zum Widerruf des Vertrages berechtigt. Die vereinbarte monatliche Prämienzahlung sei ein Zahlungsaufschub i.S. des § 499 BGB. An den notwendigen Angaben des effektiven Jahreszinses (u.a.) i.S. der §§ 602, 494 BGB fehle es aber. Die Beklagte sei nach dem wirksam erklärten Widerruf deshalb nach §§ 812, 818 Abs. 1 BGB zur vollen Rückgewähr der erbrachten Prämien zuzüglich Zinsen von 7 % verpflichtet. Die Beklagte hafte der Klägerin insoweit auch insoweit auf Schadensersatz wegen Beratungsverschuldens. Die Klägerin sei von der Beklagten nicht über die Besonderheiten des Lebensversicherungsvertrages, wie etwa die Vorabverrechnung von Provisionsansprüchen der Vermittler und ihr Widerrufsrecht belehrt worden. Hilfsweise stehe der Klägerin jedenfalls der sogenannte Mindestzurückkaufswert zu. Insoweit habe die Beklagte die Berechnung des ausgezahlten Betrages unzutreffend ermittelt, insbesondere unzulässig eine Zillmerung und Stornoabzüge vorgenommen. Die Ansprüche der Klägerin seien nicht verjährt. Auf Verwirkung dürfe sich die Beklagte nach Treu und Glauben nicht berufen, in jedem Fäll sei der Rechtsstreit im Vorlageverfahren dem EuGH vorzulegen.

Die Klägerin beantragt:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.325,09 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.09.2011 zu zahlen.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 261,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Hilfsweise:

die Beklagten zu verurteilen:

a. Klägerin in prüfbarer und - soweit für die Prüfung erforderlich - belegter Form darüber Auskunft zu erteilen, mit welchen Abschlusskosten die Beklagte den Zeitwert nach § 176 III VVG und welchem Abzug sie die Auszahlungsbeträge für den mit der Klägerin abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag belastet hat,

b. die von der Beklagten erteilten Auskünfte durch die Vorlage entsprechender Unterlagen zu belegen,

c. gegebenenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskünfte an Eides Statt zu versichern und

d. die Beklagte zur Zahlung eines Betrages an die Klägerin in einer nach der Auskunft noch zu bestimmenden Höhe nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.09.2011 zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte behauptet, der Klägerin beim Vertragsabschluss die gesetzlich geforderten Unterlagen vollständig überlassen zu haben, einschließlich einer ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung. Die Klägerin dürfe sich insoweit nicht auf ein Bestreiten mit Nichtwissen beschränken. Die Beklagte habe der Klägerin im Rahmen der Abrechnung des Versicherungsvertrages einen anhand der einschlägigen höchstrichterlichen Vorgaben berechneten Rückkaufswert ausgezahlt. Das Widerspruchsrecht der Klägerin sei 14 Tage nach Überlassung der Unterlagen abgelaufen, spätestens aber mit Ablauf der 1-Jahresfrist des § 5a Abs. 2S, 4 VVG a.F.. Dieser entspreche den einschlägigen Vorgaben der Europäischen Richtlinie. Selbst ein unterstellter Europarechtsvorstoß würde jedoch der Klägerin keine Rechtsposition über den eindeutigen Wortlaut des § 5a VVG hinaus einräumen. Etwaige Ansprüche der Klägerin seien im Übrigen verjährt. Auch ein Widerrufsrecht nach § 7 VerbrKrG stehe der Klägerin nicht zu. Zum einen liege in der Vereinbarung monatlicher Prämienzahlung kein Zahlungsaufschub. Im Übrigen sei das Widerrufsrecht wegen Zeitablaufs erloschen. Schließlich sei nach der wirksamen Kündigung des Vertrages ein Widerspruch mangels fortbestehenden Vertrages gar nicht mehr möglich gewesen. Ein Grund für eine Anfechtung sei nicht gegeben. Anhaltspunkte für ein Beratungsverschulden vor dem Abschluss dar (nicht fondgebundenen) Lebensversicherung bestünden nicht. Auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch zum Rückkaufswert sei nicht begründet, jedenfalls aber verjährt. Die Klägerin habe durch die Beklagte bereits deutlich mehr als die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals erhalten.

Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Mit Beschluss vom 02.03.2012 ist mit Zustimmung der Parteien die Entscheidung im schriftlichen Verfahren angeordnet worden, wobei die Frist zur Einreichung von Schriftsätzen auf den 23.03.2012 bestimmt war.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

A.

Die Klägerin hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Rückerstattung ihrer geleisteten Prämien (zuzüglich Zinsen). Etwaige Rückerstattungs- bzw. Schadensersatzansprüche sind jedenfalls verwirkt.

I. Der Verwirkungseinwand ist ein Anwendungsfall des allgemeinen Einwands aus Treu und Glauben (§ 242 BGB; BGH ZIP 2001, 670). Der Einwand der Verwirkung stellt keine Einrede im Sinne des bürgerlichen Rechts dar, die der Geltendmachung durch den Einredeberechtigten bedürfte; er ist vielmehr, wenn er mit dem zugrundeliegenden Sachverhalt ordnungsgemäß vorgetragen ist, wie jeder Einwand aus § 242 BGB von Amts wegen zu prüfen (BGH NJW 1966, 343, 345). Ein Recht ist verwirkt, wenn sich ein Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin (Zeitmoment) bei objektiver Beurteilung darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (Umstandsmoment; BGH ZIP 2001, 670; BGH VersR 1996, 315). Die Verwirkung setzt also voraus, dass der Berechtigte sein Recht über längere Zeit nicht geltend macht und sich der Verpflichtete darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde, wobei der Verstoß gegen Treu und Glauben in der illoyalen Verspätung der Rechtsausübung liegt. Eine Verwirkung kommt nur dann in Betracht, wenn eben - abgesehen vom bloßen Zeitablauf - Umstände vorliegen, die für den Schuldner einen Vertrauenstatbestand schaffen und die spätere Geltendmachung des Rechts als treuwidrig erscheinen lassen (st. Rspr. BGH NJW 2008, 1302 m.w.N.). Die Beurteilung, ob ein Anspruch verwirkt ist, hängt in erster Linie von den Umständen des Einzelfalls ab (BGH VersR 1996, 315).

II. Gemessen daran ist ohne weiteres von der Verwirkung etwaiger Ansprüche auszugehen, die über die bereits geleistete Zahlung des Rückkaufswerts (dazu sogleich) hinausgehen.

Die Klägerin hat nach Abschluss des Vertrages im Jahr 1999 nach eigenem Vortrag vom 01.04.1999 bis 01.10.2006 ihrer Prämienzahlungspflicht genügt. Sie hat damit zum Ausdruck gebracht, über 71/2 Jahre einer wirksamen vertraglichen Absprachenachkommen zu wollen, die in dar Gewährung von Versicherungsschutz einerseits und der Zahlung der vereinbarten Prämien andererseits besteht. Neben den vorgenannten 71/2 Jahren der Vertragsdurchführung ist weiter zu berücksichtigen, dass die Klägerin den Widerspruch erst knapp 22 Monate nach ihrer Kündigung ausgesprochen hat (Zeitmoment). Die Beklagte durfte nach der erklärten Kündigung und der (zunächst widerspruchsfrei gebliebenen) Abrechnung des Versicherungsvertrages umso mehr darauf vertrauen, dass keine darüberhinausgehenden Forderungen aus anderem Rechtsgrund an sie herangetragen würden (Umstandsmoment).

In diesem Zusammenhang kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte ihrerseits treuwidrig handeln würde, indem sie sich auf Verwirkung beruft, obwohl sie ihrerseits ihrer Pflicht zur vollständigen Unterrichtung und Belehrung der Klägerin (bestritten) nicht nachgekommen ist. Dass die Klägerin die Unterlagen nicht vollständig erhalten hat und insoweit auch nicht zutreffend belehrt worden ist, ist zwischen den Parteien streitig. Soweit die Klägerin sich aber auf ein treuwidriges Handeln der Beklagten berufen will, obliegt es ihr, die tatsächlichen Voraussetzungen für eine solche Treuwidrigkeit zu belegen. Da diese zentrale Frage zwischen den Parteien offen geblieben ist, ist der Klägerin der insoweit obliegende Beweis einer Treuwidrigkeit durch eigenes Fehlverhalten der Beklagten in Gestalt der unzureichenden Übersendung der Vertragsunterlagen, nicht gelungen.

Auch das Argument, dass die Beklagte die von ihr vermisste Rechtssicherheit ohne weiteres dadurch habe herbeiführen können, dass sie die (bestritten) unvollständige Belehrung nachholt, trägt nicht. In der hier gegebenen Situation, in der jede Partei darauf beharrt, die Unterlagen vollständig übersandt bzw. nicht erhalten zu haben, ist ein Nachholen der vollständigen Unterrichtung kein Thema, Die Beklagte ging aus ihrer Sicht nachvollziehbar davon aus, alles Erforderliche getan zu haben. Für sie bestand kein Anlass zur "Nachbesserung", umso weniger nach der durch die Klägerin ausgesprochenen Kündigung des Vertrages, mit der sie spätestens von einer bestehenden Rechtssicherheit ausgehen konnte.

In der vorgegebenen Konstellation durfte sich die Beklagte deshalb aufgrund der verstrichenen Zeit und der Abfolge der Vertragsdurchführung bzw. -abwicklung darauf einrichten, dass weitergehende Forderungen an sie nicht herangetragen würden. Die Voraussetzungen einer Verwirkung weitergehender Ansprüche - gleich ob auf Bereicherungsrecht oder Schadensersatzrecht gestützt - liegen damit vor. Das Klagebegehren der Klägerin ist insoweit rechtsmissbräuchlich (ebenso OLG Köln, Urt. v. 03.02.2012, 20 U 140/11, juris; OLG Celle, Urt. v. 09.02.2012, 8 U 91/11, juris; OLG Celle, Urt. v. 02.02.2012, 8 U 125/11 - juris; LG Köln, Urt. v. 01.06.2011, 26 O 337/10, juris).

Zutreffend wird in den vorgenannten Urteilen auch hervorgehoben, dass dieses Ergebnis in jeder Hinsicht der Billigkeit entspricht: Ohne eine Beendigung des Schwebezustandes durch die einmal getroffene Wahl der Kündigung des Vertrages hätte der Versicherungsnehmer es in der Hand, zu "spekulieren", ob er beim Eintritt des Versicherungsfalls Vertragsleistungen in Anspruch nimmt, oder aber - ggf. kurz vor Ablauf der Vertragsdauer - noch einen Widerruf erklärt und damit faktisch in den Genuss kostenlosen Versicherungsschutzes gekommen wäre.

Nach dem Vorstehenden kommt es auf die weiteren zwischen den Parteien kontrovers diskutierten Rechtsfragen, insbesondere die Europarechtswidrigkeit des § 5a VVG nicht an (s. hierzu auch BGH Vorlagebeschl. v. 28.03.2012- IV ZR 76/11).

B.

Die Klage ist auch im Hilfsantrag unbegründet.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Auskunft darüber, mit welchen Abschlusskosten die Beklagte den Zeitwert und welchem Abzug sie die Auszahlungsbeträge belastet hat - also zur die Berechnung des ausgekehrten Rückkaufswertes - aus Rechtsgründen nicht zu.

Ein solcher Anspruch könnte sich allenfalls auf der Grundlage des § 242 BGB ergeben. Ein solcher Anspruch auf Offenlegung der Berechnungsgrundlagen ergäbe sich dann, wenn die Klägerin anderenfalls Ansprüche auf (weiter gehende) Zahlung des Rückkaufswerts nicht oder nur unzumutbar schwer durchsetzen könnten, weil sie in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang ihres Rechts im Ungewissen, die Beklagte aber in der Lage wäre, die verlangte Auskunft unschwer zu erteilen (BGH VersR 1983, 746; BGH NJW 2002, 3771).

Voraussetzung für einen solchen Auskunftsanspruch ist jedoch, dass dieser überhaupt der Vorbereitung eines berechtigten und noch in Betracht zu ziehenden Zahlungsanspruchs sein kann (BGH NJW 2002, 3771). Ein weitergehender Zahlungsanspruch, also über die an die Klägerin bereits ausgekehrten 2.125,96 € (netto) hinaus besteht aber ersichtlich nicht. Der nach den maßgeblichen Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu errechnende Rückkaufswert beläuft sich stets auf eine Höhe, die deutlich geringer ist als die Summe der gezahlten Prämien. Grund hierfür sind in Abzug zu bringende Kosten für Risikoanteile und laufende Verwaltungskosten. Hier hat die Beklagte an die Klägerin aber bei der Abrechnung des gekündigten Lebensversicherungsvertrages einen Rückkaufswert von (netto) über 91% der Summe der geleisteten Beiträge bezahlt. Dies entspricht in jeder Hinsicht mehr, als dem erfahrungsgemäß zu erwartenden Betrag, orientiert an einer Berechnung der Summe der Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals. Ein weitergehender Zahlungsanspruch der Klägerin ist deshalb ausgeschlossen (zu allem vgl. OLG Köln, Beschl. v. 25.06.2010, 20 U 199/09 - juris).

Einen darüber hinausgehenden Auskunftsanspruch hat die Klägerin auch deshalb nicht da ein solcher in unverhältnismäßiger Weise in die berechtigten Geheimhaltungsinteressen der Beklagten eingreifen würde (dazu OLG Köln VersR 2009,770; LG Nürnberg-Fürth VersR 2007,1260).

Nach alledem war die Klage als unbegründet abzuweisen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709 S. 2, 711 ZPO.

Zitate17
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte