VG Würzburg, Beschluss vom 23.01.2012 - W 6 S 12.44
Fundstelle
openJur 2012, 120264
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1.

Der Antragsteller ist Inhaber der Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, C1, C1E, L und M.

Dem Antragsteller wurde ursprünglich die Fahrerlaubnis der Klasse 1b am 29. August 1984 und die Fahrerlaubnis der Klassen 1a und 3 am 4. Dezember 1986 erstmals erteilt. Der Antragsteller beging im Laufe der Jahre Verkehrsverstöße, die zum Eintrag von Punkten in das Verkehrszentralregister führten und dem Antragsgegner vom Kraftfahrtbundesamt wiederholt mitgeteilt wurden. Aufgrund einer Mitteilung des Kraftfahrtbundesamtes vom 10. August 2001 über 13 Punkte wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 31. August 2001 gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 StVG verwarnt. Nach einer erneuten Mitteilung des Kraftfahrtbundesamtes vom 16. Dezember 2003 wurde der Antragsteller mit Bescheid vom 12. Januar 2004 zur Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG verpflichtet. Nachdem der Antragsteller keine Bescheinigung über die Teilnahme am Aufbauseminar vorgelegt hatte, entzog der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 16. September 2004 die Fahrerlaubnis der Klassen 1b, 1a und 3. Nachdem der Antragsteller an einem Aufbauseminar teilgenommen hatte, erteilte der Beklagte dem Kläger am 14. Juli 2005 die Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, C1, C1E, L und M. Mit Schreiben vom 5. April 2006 teilte das Kraftfahrtbundesamt eine weitere Verkehrszuwiderhandlung mit. Der Antragsgegner verwarnte den Antragsteller mit Schreiben vom 27. April 2006 nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG, weil er kurzfristig weniger als 14 Punkte gehabt und innerhalb der letzten fünf Jahre an einem Aufbauseminar teilgenommen hatte.

Mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 teilte das Kraftfahrtbundesamt unter Vorlage eines vollständigen Auszugs aus dem Verkehrszentralregister mit, dass der Antragsteller mittlerweile 20 Punkte erreicht habe. In der Folgezeit erfolgten weitere Mitteilungen des Kraftfahrtbundesamtes an den Antragsgegner, die sowohl die bis dahin eingetretenen Tilgungen sowie neue Verkehrszuwiderhandlungen berücksichtigten. Die letzte Mitteilung vom 26. Oktober 2011 ergab einen Punktestand von 13 Punkten. Wegen der Einzelheiten und der Entwicklung des Punktestandes wird auf nachfolgende Auflistung verwiesen (vgl. auch Bl. 103 und 104 der Behördenakten):

OWI-Nr.Tattag/ Maßnahme/ RechtskraftBehörde/GerichtTatbestand / MaßnahmePkt.Punkte- standTilgung 114.02.2000 - 05.05.2000Kreis PaderbornF7: Überholt unter Nichtbeachten von Verkehrszeichen1 105.05.2005 203.09.2000 - 27.09.2000Kreis GöttingenG14: Zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten3 427.09.2005 315.02.2001 18.06.2001 05.07.2001AG ForchheimA16: Führen eines Kraftfahrzeuges trotz Fahrverbots610 430.03.2001 - 27.06.2001RP KasselG14: Zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten31327.06.200631.08.2001LRA FOVerwarnung13 509.10.2003 - 27.11.2003RP Karlsruhe334680: Zulässige Achslast überschritten31627.11.200812.01.2004LRA FOAO Aufbauseminar1616.09.2004LRA FOEntzug1628.10.2004LRA FOAusstellung/Abschluss Aufbauseminar1605.05.2005KBATilgung OWI 1-11514.07.2005LRA FONeuerteilung1527.05.2005KBATilgung OWI 2-312 622.10.2005 - 16.02.2006ZBS104607: Erforderlichen Abstand nicht eingehalten21416.02.2011 709.03.2006 - 02.08.2008PVA Artern141722: Zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten31702.08.201127.04.2006LRA SWVerwarnung statt Aufbauseminar1727.06.2006KBATilgung OWI 4-314 804.11.2006 24.01.2007 10.02.2007BG-Beh. ZBS Viechtach123500: verbotswidrig ein Mobil- oder Autotelefon benutzt115 915.05.2008 05.06.2008 24.06.2008BG-Beh. ZBS Viechtach123500: verbotswidrig ein Mobil- oder Autotelefon benutzt1161031.07.2008 04.09.2008 23.09.2008BG-Beh. RP Kassel141725: Zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten42027.11.2008KBATilgung OWI 5-31716.02.2011KBATilgung OWI 6-2151124.06.2011 06.10.2011 18.10.2011AG Hof14721: Zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten11602.08.2011KBATilgung OWI 7-313Mit Schreiben vom 6. Dezember 2011 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an, da er am 31. Juli 2008 durch die damalige Zuwiderhandlung bereits 20 Punkte erreicht gehabt habe.

Mit Bescheid vom 27. Dezember 2011 wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen (Nr. 1). Der Führerschein war unverzüglich beim Landratsamt Kitzingen abzuliefern (Nr. 2). Für den Fall, dass der Antragsteller seinen Führerschein nicht innerhalb von drei Tagen nach Zustellung dieses Bescheides beim Landratsamt Kitzingen abliefert, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR fällig (Nr. 3). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Fahrerlaubnis werde entzogen, weil sich der Antragsteller als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe. Gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG gelte der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn sich 18 oder mehr Punkte ergäben. Eine danach eintretende Tilgung von Punkten im Verkehrszentralregister sei für die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung ohne Bedeutung. Es gelte das so genannte „Tattagsprinzip“. Danach erreiche eine Person nach dem Punktsystem des § 4 StVG eine bestimmte Zahl an Punkten in dem Zeitpunkt, in dem die maßgebliche Zuwiderhandlung begangen worden sei. Werde die 18-Punkte-Schwelle erreicht, blieben Tilgungen ohne Einfluss auf die Pflicht der Behörde, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nachdem der Antragsteller im Jahr 2004 eine Bescheinigung über die Teilnahme am angeordneten Aufbauseminar nicht rechtzeitig vorgelegt hatte, war ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach § 4 Abs. 2 Satz 3 und 4 StVG hätten durch den Entzug der Fahrerlaubnis die Punkte der vorher begangenen Zuwiderhandlungen nicht gelöscht werden dürfen. Im Zeitpunkt der Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 14. Juli 2005 habe der Punktestand 15 Punkte betragen. Nach einer erneuten Verwarnung sowie unter Berücksichtigung des Wegfalls von Punkten infolge Tilgung sowie der Erhöhung des Punktestandes habe sich der Punktestand für den Antragsteller für die Verkehrszuwiderhandlung am 31. Juli 2008 auf 20 Punkte erhöht. Die späteren Tilgungen seien nicht mehr zu berücksichtigen gewesen. Der Antragsgegner sei verpflichtet, dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen. Der Führerschein sei gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 FeV innerhalb von drei Tagen abzuliefern. Für den Fall der Nichtablieferung werde ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR nach Art. 36 i.V.m. Art. 31 VwZVG angedroht. Widerspruch und Anfechtungsklage hätten keine aufschiebende Wirkung. Der Bescheid wurde dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 30. Dezember 2011 zugestellt.

Am 12. Januar 2012 lieferte der Antragsteller seinen Führerschein beim Beklagten ab.

2.

Am 12. Januar 2012 ließ der Antragsteller im Verfahren W 6 K 12.43 Klage erheben und im vorliegenden Verfahren

b e a n t r a g e n,

die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wiederherzustellen.

Zur Begründung ließ er im Wesentlichen vortragen, dem Antragsteller sei erst mit Schreiben vom 6. Dezember 2011 mitgeteilt worden, dass er am 31. Juli 2008 20 Punkte im Verkehrszentralregister erreicht habe. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich aus dem Verkehrszentralregister lediglich 13 Punkte ergeben. Die Behörde stütze sich bei ihrer Entscheidung auf das so genannte Tattagprinzip. Dieses Prinzip sei vorliegend jedoch nicht anzuwenden. Zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung, also am 27. Dezember 2011, hätten definitiv lediglich 13 Punkte vorgelegen. Der Beklagte könne sich nicht darauf stützen, dass sich vor über drei Jahren für einen kurzen Zeitraum 20 Punkte im Verkehrszentralregister ergeben hätten. Etwas anderes würde sich nur ergeben, wenn im Zeitpunkt der Behördenentscheidung 20 Punkte vorgelegen hätten. Zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung hätten die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG definitiv nicht vorgelegen.

3.

Der Antragsgegner b e a n t r a g t e mit Schriftsatz vom 19. Januar 2012,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, habe ein Fahrerlaubnisinhaber im Verkehrszentralregister 18 Punkte erreicht, so sei die Fahrerlaubnis wegen fehlender Eignung zu entziehen. Eine spätere Tilgung sei hierfür ohne Bedeutung. Das Bundesverwaltungsgericht gehe davon aus, im Rahmen des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG bilde die Begehung der Tat, durch die eine Person die 18 Punkte-Grenze erreiche oder überschreite, den für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei der 31. Juli 2008. Zu diesem Zeitpunkt habe der Antragsteller 20 Punkte erreicht. Weshalb nach Eintreffen des Schreibens des Kraftfahrtbundesamtes vom 13. Oktober 2008, mit dem die 20 Punkte mitgeteilt worden seien, nicht bereits die Fahrerlaubnis entzogen worden sei, könne nicht mehr abschließend beurteilt werden. Ein Sachbearbeiterwechsel habe stattgefunden. Eventuell sei die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Tattagprinzip noch nicht bekannt gewesen. Ein kraft Gesetz zwingend als ungeeignet anzusehender Fahrererlaubnisinhaber werde nicht allein durch einen reinen Zeitablauf wieder zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet. Dies gelte insbesondere im Fall von Betroffenen nach dem Mehrfachtäterpunktsystem.

4.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten einschließlich des Verfahrens W 6 K 12.43 Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist teilweise unzulässig.

Soweit der Antrag darauf gerichtet ist, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides des Beklagten hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen, ist der Antrag unzulässig. Die kraft Gesetzes (vgl. Art. 21a VwZVG) sofort vollziehbare Zwangsgeldandrohung hat sich nämlich bereits bei Einreichung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durch die am gleichen Tag erfolgte Abgabe des Führerscheins erledigt. Da der Antragsgegner nicht zu erkennen gegeben hat, dass er das angedrohte Zwangsgeld gleichwohl vollstrecken will, fehlt dem Antragsteller bereits bei der Einleitung des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO insoweit das Rechtsschutzbedürfnis, als sich dieser Antrag auf Nr. 3 des Bescheides bezog (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2009, Az. 11 CS 309.1968).

Im Übrigen ist der Antrag zulässig, aber unbegründet.

Im vorliegenden Fall der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG hat die erhobene Anfechtungsklage gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO). Bezüglich der Pflicht, den Führerschein bei der Behörde abzuliefern, ist von der sofortigen Vollziehbarkeit kraft Gesetzes auszugehen. Die unmittelbar auf die Fahrerlaubnisentziehung aufbauende Anordnung, den Führerschein abzuliefern, ist gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV unmittelbar kraft Gesetzes sofort vollziehbar (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2005, Az. 11 CS 05.1677). Die Androhung des Zwangsgeldes ist ebenfalls kraft Gesetzes sofort vollziehbar (Art. 21a VwZVG).

Entfällt kraft Gesetzes die aufschiebende Wirkung, so kann gemäß § 80 Abs. 5 VwGO das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung über einen derartigen Sofortantrag trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, wobei das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage abzuwägen ist. Auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache kommt es zwar grundsätzlich nicht an. Jedoch hat das Gericht bei seiner Interessenabwägung auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen, soweit sich diese bereits übersehen lassen.

Aufgrund der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren, welche im Sofortverfahren erforderlich, aber auch ausreichend ist, ist davon auszugehen, dass die Klage des Antragstellers voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Denn nach summarischer Prüfung ist die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.

Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich 18 oder mehr Punkte ergeben. Der Betroffene gilt in diesem Fall kraft Gesetzes als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Zutreffend geht der Antragsgegner von der Anwendung des so genannten Tattagprinzips im Rahmen des § 4 Abs. 3, 4 und 5 StVG aus (BVerwG, Ue.v. 25.09.2008, Az. 3 C 3/07, BVerwGE 132, 48 und Az. 3 C 21/07, BVerwGE 132, 57; BayVGH, B.v. 02.03.2010, Az. 11 CS 09.2446; VGH BW, B.v. 07.12.2010, Az. 10 S 2053/10, NJW 2011, 2313). Danach ergeben sich 18 oder mehr Punkte i.S. des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG bereits durch das Begehen eines Verkehrsverstoßes, der zum Erreichen oder Überschreiten der 18 Punkte führt, sofern der Verkehrsverstoß später rechtskräftig geahndet wird (Anwendung des so genannten Tattagprinzips).

Unter Zugrundelegung des Tattagprinzips hat der Antragsteller schon durch die Verwirklichung der Ordnungswidrigkeit am 31. Juli 2008 20 Punkte im Verkehrszentralregister erreicht. Das – erstmalige – objektive Erreichen der 18 Punkte genügt, selbst wenn die Fahrerlaubnisbehörde zum damaligen Zeitpunkt nicht gleich eine Entziehungsverfügung erlassen hat (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, StVR, 21. Aufl. 2011, § 4 StVG, RdNr. 39). Die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG vorgesehenen Maßnahmen wurden vorliegend durchlaufen. Mit Schreiben vom 31. August 2001 wurde der Antragsteller gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG seitens der damals zuständigen Fahrerlaubnisbehörde verwarnt. Mit Schreiben vom 12. Januar 2004 ordnete die zuständige Fahrerlaubnisbehörde die Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG an, der der Antragsteller erst verspätet nachkam. Mit Schreiben vom 27. April 2006 erfolgte statt eines Aufbauseminars eine erneute Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG. Der Antragsgegner berücksichtigte auch die zum jeweiligen Zeitpunkt relevanten Punktereduzierungen infolge der gesetzlich vorgesehenen Tilgung. Der Entzug der Fahrerlaubnis am 16. September 2004 führte gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 StVG nicht zur Tilgung von Punkten, weil die Entziehung auf der Nichtteilnahme am Aufbauseminar beruhte.

Das Gericht hat nach summarischer Prüfung und ausgehend vom Tattagprinzip keine rechtlichen Bedenken, dass der Antragsteller 18 Punkte und mehr erreicht hat, die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG zwingend die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit nach sich ziehen. Der Antragsteller hatte schon am 31. Juli 2008 die 18 Punkte überschritten. Das Vorbringen der Antragstellerseite führt zu keiner anderen Beurteilung.

Die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG normierte unwiderlegliche Vermutung der Fahrungeeignetheit wird bereits durch Begehung einer zum Erreichen von 18 Punkten weiteren Zuwiderhandlung, nicht erst mit Eintritt der Rechtskraft der die Zuwiderhandlung ahndenden Entscheidung ausgelöst. Die danach eintretende Tilgung von Punkten im Verkehrszentralregister ist für die Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung ohne Bedeutung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Tilgung vor oder nach der Entziehungsverfügung eingetreten ist. Sinn und Zweck der Regelung des § 4 StVG kommen zwingend zu dem Schluss, dass zugunsten des Betroffenen, der 18 Punkte erreicht hat und dem deshalb die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, eine nach dem Überschreiten dieser Schwelle eingetragene Punktetilgung nicht mehr berücksichtigt werden kann. Die Entziehung der Fahrerlaubnis beruht nach der Gesetzesbegründung auf dem Gedanken, dass die weitere Teilnahme derartiger Kraftfahrer am Straßenverkehr für die übrigen Verkehrsteilnehmer eine Gefahr darstellen würde (vgl. BVerwG, U.v. 25.09.2008, Az. 3 C 21/07, BVerwGE 132, 57; VGH BW, B.v. 07.12.2010, Az. 10 S 2053/10, NJW 2011, 2311; VGH BW, B.v. 10.05.2011, Az. 10 S 137/11, NJW 2011, 2456).

Die späteren Punktetilgungen nach Erreichen oder Überschreiten der 18 Punkte-Schwelle zum maßgeblichen Tattag sind rechtlich unerheblich. Diese bleiben auf die Entziehung der Fahrerlaubnis ohne Einfluss (vgl. BayVGH, B.v. 21.06.2010, Az. 11 CS 09.377). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG ist der Tag der Tatbegehung, an dem 18 Punkte erreicht oder überschritten werden, somit der 31. Juli 2008 (vgl. BayVGH, B.v. 02.03.2010, Az. 11 CS 09.2446). Der Punktestand bei Bescheidserlass ist irrelevant.

Des Weiteren ist ausgehend vom Tattag, dem 31. Juli 2008, unerheblich, dass der streitgegenständliche Bescheid erst mit Datum vom 27. Dezember 2011 erging und dem Antragsteller am 30. Dezember 2011 zugestellt wurde. Dafür sprechen sowohl Sinn und Zweck der Regelung in § 4 Abs. 1 Nr. 3 StVG als auch die Gesetzessystematik mit den besonderen Regelungen für die Wiedererteilung einer entzogenen Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 10 StVG (VGH BW, B.v. 07.12.2010, Az. 10 S 2053/10, NJW 2011, 2311, 2313; VGH BW, B.v. 27.08.2010, Az. 10 S 1645/10). Die Entziehung der Fahrerlaubnis erst nach gut drei Jahren ist weder rechtsmissbräuchlich noch verfristet, verwirkt oder sonst willkürlich. Denn ein kraft Gesetzes zwingend als ungeeignet anzusehender Fahrerlaubnisinhaber wird nicht allein durch den reinen Zeitablauf wieder zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet. Dies gilt insbesondere im Fall von Betroffenen nach dem Mehrfachtäterpunktsystem. Das Erreichen von 18 Punkten führt ausnahmslos zur Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, StVR, 14. Aufl. 2011, § 4 StVG, RdNrn. 39 und 58). Die gesetzliche Regelungssystematik schließt es aus, eine bereits wie vorliegend eingetretene unwiderlegliche Vermutung der mangelnden Eignung des Antragstellers etwa wegen Rechtsverwirkung außer Betracht zu lassen. So hat der Gesetzgeber – bei Erreichen von 18 Punkten oder mehr – über die zwingend angeordnete Fahrerlaubnisentziehung hinaus weitere Sicherungen hinsichtlich einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis vorgesehen und zwar sowohl in zeitlicher als auch in materieller Hinsicht. Er geht auf der Grundlage der Erfahrungen der Verkehrsbehörden davon aus, dass in aller Regel die Eignungsmängel, die zur Entziehung führen, nicht ohne Weiteres beseitigt werden können und dass deshalb nach der Entziehung der Fahrerlaubnis bis zu deren Neuerteilung ein bestimmter Mindestzeitraum vergehen soll (vgl. BT-Drs. 821/96, S. 73 f). In § 4 Abs. 10 Satz 1 StVG ist geregelt, dass eine neue Fahrerlaubnis frühestens sechs Monate nach Wirksamkeit der Entziehung erteilt werden darf, wobei diese Frist nach Satz 2 erst mit der Ablieferung des Führerscheins beginnt. Außerdem soll sichergestellt sein, dass die Gründe für die fehlende Eignung nicht fortbestehen. Der Eignungsmangel besteht bei Mehrfachtätern weniger in der mangelnden Kenntnis der Verkehrsvorschriften und/oder der unzureichenden Beherrschung des Fahrzeugs als vielmehr in einer falschen Einstellung zum Straßenverkehr, einer fehlerhaften Selbsteinschätzung und einer erhöhten Risikobereitschaft (vgl. BT-Drs. 821/96, S. 53). Aus diesem Grund gibt § 4 Abs. 10 Satz 3 StVG vor, dass die Fahrerlaubnisbehörde unbeschadet der weiteren Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis zum Nachweis, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wiederhergestellt ist, in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlichen Begutachtungsstelle für Kraftfahreignung anzuordnen hat (vgl. zu allem auch BVerwG, Ue.v. 25.09.2008, Az. 3 C 21/07, BVerwGE 132, 57 und Az. 3 C 3/07, BVerwGE 132, 48). Diese Vorgaben schließen es aus, die vorliegend bereits eingetretene unwiderlegliche Vermutung der mangelnden Eignung des Antragstellers wegen Rechtsverwirkung außer Betracht zu lassen (VGH BW, B.v. 27.08.2010, Az. 10 S 1645/10; VGH BW, B.v. 07.12.2010, Az. 10 S 2053/10, NJW 2011, 2311; VG Ansbach, B.v. 17.02.2010, Az. AN 10 S 09.02342).

Im Übrigen ist die Fahrerlaubnisbehörde nicht verpflichtet, unter möglichem Zeitdruck die Fahrerlaubnis möglichst schnell nach Erreichen der 18 Punkte-Grenze zu entziehen. Die Behörde soll gerade – auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung – ausreichend Zeit zur gründlichen Überprüfung haben. Hinzu kommt der Aspekt, dass die Fahrerlaubnisbehörde nach der gesetzlich vorgegebenen Systematik vielfach von den Mitteilungen des Kraftfahrtbundesamts über den jeweiligen Punktestand abhängig ist.

Das Gericht folgt im Übrigen den zutreffenden Feststellungen des angefochtenen Bescheides vom 27. Dezember 2011 und sieht insofern von einer weiteren Darstellung der Gründe entsprechend der Vorschrift des § 117 Abs. 5 VwGO ab.

Schließlich ist auch bei Abwägung des Interesses des Antragstellers an der vorläufigen Belassung seiner Fahrerlaubnis und dem öffentlichen Interesse ein überwiegendes öffentliches Sicherheitsinteresse festzustellen. Im Sinne der allgemeinen Verkehrssicherheit ist es nicht verantwortbar, den Antragsteller angesichts der dokumentierten nachhaltigen und über die Jahre hinweg begangenen wiederholten und punktebewerteten Verkehrsverstöße bis zur eventuellen Bestandskraft der Fahrerlaubnisentziehung am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Es besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sind. Eventuelle persönliche Härten, die beim Entzug der Fahrerlaubnis, der als sicherheitsrechtliche Maßnahme i.S. der Allgemeinheit erfolgt, können nicht berücksichtigt werden. Eventuelle persönliche oder berufliche Auswirkungen sind typisch und waren dem Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschrift bekannt (vgl. VG Bayreuth, B.v. 08.03.2003, Az. B 1 S 03.1063). Im Übrigen hat der Antragsteller ohnehin davon profitiert, dass ihm der Antragsgegner die Fahrerlaubnis nicht schon im Jahre 2008 entzogen hat und er so noch über drei Jahre lang von der Fahrerlaubnis Gebrauch machen konnte, obwohl er 18 Punkte überschritten hatte.

Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG. Die Kammer hat sich wegen der Höhe des Streitwerts an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit orientiert (NVwZ 2004, 1327, 1332). Für die Bemessung des Streitwerts sind vorliegend nur die Fahrerlaubnisklassen A1, B, C1 und E von Belang. Die übrigen Klassen werden durch diese abgedeckt. Nach Abschnitt II Nr. 46.2 des Streitwertkatalogs ist für die Fahrerlaubnis der Klasse A1 der halbe Auffangwert von 2.500,00 EUR, nach Nr. 46.3 für die Fahrerlaubnis der Klasse B der Auffangwert von 5.000,00 EUR, nach Nr. 46.5 für die Fahrerlaubnis der Klasse C1 ebenfalls der Auffangwert von 5.000,00 EUR und nach Nr. 46.8 für die Fahrerlaubnis der Klasse E der halbe Auffangwert von 2.500,00 EUR vorgesehen, mithin also 15.000,00 EUR, die nach den Empfehlungen in Abschnitt II Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für das Sofortverfahren zu halbieren sind, so dass ein Streitwert von 7.500,00 EUR festzusetzen war.

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