Bayerischer VGH, Beschluss vom 12.12.2011 - 6 C 11.2100
Fundstelle
openJur 2012, 119778
  • Rkr:
Tenor

Dem Kläger wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 17. August 2011 für das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin …, …, beigeordnet.

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i.V. mit § 114 ZPO liegen vor. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Klägers, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Bei der hierbei vom Gericht anzustellenden vorläufigen Prüfung dürfen im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll insbesondere nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den vom Rechtsstaatsprinzip gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (vgl. BVerfG vom 13.3.1990 DVBl 1990, 926/927; vom 27.9.2006 Az. 2 BvR 1292/06 u.a.; BayVGH vom 11.6.2008 Az. 5 C 08.1035 <juris> RdNr. 1). Hinreichend ist die Erfolgsaussicht danach jedenfalls dann, wenn der vom Beteiligten vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht.

Der Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit. Die Entlassungsverfügung ist auf § 55 Abs. 1 i.V. mit § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SG gestützt, wonach ein Soldat auf Zeit zu entlassen ist, wenn er seine Ernennung (u.a.) durch arglistige Täuschung herbeigeführt hat. Dem Kläger wird vorgeworfen, dass er im Bewerbungsbogen für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr vom 28. November 2006 bei der Frage nach rechtskräftigen Verurteilungen in einem Strafverfahren (insbesondere nach §§ 86, 86a, 125, 125a, 127, 129, 129a, 130, 131, 223 ff., 227 StGB) eine mit Strafbefehl vom 3. Mai 2006 (rechtskräftig seit 8.6.2006) verhängte Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu jeweils 10 Euro wegen unerlaubten Erwerbs und unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln (ca. 10 g Haschisch) unerwähnt gelassen hat.

Im Hauptsacheverfahren wird zu klären sein, inwieweit der Kläger bezüglich dieser nicht in das Führungszeugnis aufzunehmenden Geldstrafe (§ 32 Abs. 2 Nr. 5 a BZRG) nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG offenbarungspflichtig war und ob er gemäß § 53 Abs. 2 BZRG belehrt worden ist. Insbesondere werden auch nähere tatsächliche Feststellungen in Bezug auf das Bewusstsein des Klägers, eine für die Berufung in das Soldatenverhältnis auf Zeit erhebliche Täuschung zu begehen, getroffen werden müssen. Eine arglistige Täuschung setzt Vorsatz zumindest in Form des dolus eventualis voraus (Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 2. Aufl. 2010, RdNrn. 34, 35 zu § 46). Gegebenenfalls ist hierzu der damalige Vorgesetzte, der den Bewerbungsbogen vom 28. November 2006 zusammen mit dem Kläger ausgefüllt hat, als Zeuge zu vernehmen. Sollte dieser – wie in der Beschwerde angegeben – sinngemäß geäußert haben, dass „im Führungszeugnis nichts drinsteht, es passt alles“, stellt sich die Frage, ob der Kläger etwa einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen sein könnte (vgl. BVerwG vom 31.1.1980, Az. 2 C 50.78, BVerwGE 59, 366 ff.). Veranlassung zur näheren Aufklärung der „inneren Tatseite“ besteht auch deshalb, weil Vertrauensperson und Disziplinarvorgesetzter des Klägers sowie dessen nächsthöherer Disziplinarvorgesetzter Zweifel geäußert haben, ob beim Kläger Vorsatz vorgelegen habe. Die vom Verwaltungsgericht genannte Belehrung vom 10. Juli 2006 über den Missbrauch von Betäubungsmitteln bezieht sich nach ihrem Wortlaut bei den dienstrechtlichen Folgen wohl eher auf die Zeit ab Eintritt in den Grundwehrdienst und Ableistung des freiwilligen zusätzlichen Wehrdienstes.

Angesichts dessen erscheint ein Obsiegen des Klägers ebenso möglich wie ein Unterliegen. Eine umfassende Klärung der Fragen ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Die Beiordnung einer Rechtsanwältin beruht auf § 166 VwGO i.V. mit § 121 Abs. 2 ZPO. Die Vertretung ist angesichts der inmitten stehenden, von einem Rechtskundigen nicht ohne Weiteres zu überschauenden Rechts- und Tatsachenfragen und mit Blick darauf erforderlich, dass auch die Beklagte durch rechtskundige Bedienstete vertreten wird.

Eine Kostenentscheidung und eine Streitwertfestsetzung sind in dem erfolgreichen Beschwerdeverfahren nicht erforderlich (§ 166 VwGO i.V. mit § 127 Abs. 4 ZPO). Eine Gebühr fällt nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nicht an.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).