VG München, Urteil vom 18.11.2011 - M 22 K 10.31019
Fundstelle
openJur 2012, 119296
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger, nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger zugehörig zur Volksgruppe der Tadschiken, reiste am 7. Mai 2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 8. Juni 2010 seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Zur Begründung des Asylantrags gab der Kläger in seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt … (Bundesamt) am 5. August 2010 im Wesentlichen an, sein Großvater habe Land auf den Namen seines Vaters übertragen lassen. Vor fünf Jahren sei sein Vater verstorben. Etwa siebeneinhalb Monate vor seiner Ausreise habe ein Onkel väterlicherseits von ihnen verlangt, das Land auf seinen Namen zu überschreiben. Der Onkel sei immer wieder zu ihnen gekommen und habe gedroht, sie sonst alle zu töten. Den letzten Besuch habe es etwa eine Woche vor seiner Ausreise gegeben. Deswegen sei er von seiner Mutter nach Deutschland geschickt worden. Die Reise hätten sein in München lebender Onkel sowie ein Onkel in Afghanistan finanziert. Auf dem Landweg sei er schließlich nach Deutschland gelangt. Darüber hinaus hat der Kläger vorgetragen, er sei auch wegen des Bürgerkriegs aus seinem Heimatland ausgereist.

Mit Bescheid vom …. Oktober 2010 erging folgende Entscheidung:

1. Der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte wird abgelehnt.

2. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen nicht vor.

3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes liegen nicht vor.

4. Der Kläger wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung endet die Ausreisefrist einen Monat nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten, wird er nach Afghanistan abgeschoben. Der Kläger kann auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist.

Am 10. November 2010 erhob der Kläger bei der Rechtsantragsstelle Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte:

1. Der Bescheid des Bundesamtes … vom 26. Oktober 2010, Az.: 5427985-423, wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.

3. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vorliegen,

hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Behörden- und Gerichtsakte, insbesondere auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 10. November 2011 verwiesen.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.

Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).

Das Gericht verweist zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid, die auch nach Durchführung des gerichtlichen Verfahrens Bestand haben (§ 77 Abs. 1, Abs. 2 AsylVfG).

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG.

Der Kläger ist auf dem Landweg nach Deutschland eingereist, also über einen sicheren Drittstaat, was gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylVfG seine Berufung auf das Asylgrundrecht ausschließt., Seine Asylanerkennung scheidet auch schon deshalb aus, weil der Kläger nicht politisch verfolgt ist (siehe unten Ziff. 2).

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie).

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Verfolgung kann gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen (staatsähnliche Akteure), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern staatliche oder nichtstaatliche Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht Willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Der Kläger hat eine begründete Furcht vor politischer Verfolgung im genannten Sinne nicht dargelegt.

Sein Vortrag lässt jeglichen Bezug zu den asylerheblichen Merkmalen, Rasse, Religion usw. (siehe oben), wegen der der Kläger angeblich verfolgt wurde oder Verfolgung zu befürchten habe, vermissen. Nicht jede unangemessene Behandlung ist eine solche gerade in Anknüpfung an die genannten asylerheblichen Merkmale geschehene. Es geht beim Kläger um eine rein private Erbauseinandersetzung mit seinem Onkel. Das hat mit Asyl nichts zu tun.

Davon abgesehen ist der Vortrag des Klägers nicht glaubhaft. Auffällig ist in diesem Zusammenhang schon der äußerst vage und unsubstanziierte Sachvortrag des Klägers. Wenn er das von ihm Geschilderte tatsächlich erlebt hätte, wenn sein Onkel über mehrere Monate unmittelbar vor seiner Ausreise immer wieder zu ihnen gekommen wäre und sie mit dem Tod bedroht hätte, so wäre er auch in der Lage gewesen, trotz seines Alters von 16 Jahren darüber konkreter und detaillierter vorzutragen. Es widerspricht jedenfalls jeglicher Lebenserfahrung, dass sich jemand an derartige Ereignisse, die noch dazu eine entscheidende Rolle in seinem Leben gespielt haben, nur noch so vage und unsubstanziiert erinnern kann. Der Sachvortrag des Klägers hierzu erweckt jedenfalls nicht den Eindruck, dass er das von ihm Geschilderte auch tatsächlich erlebt hat. Auch vor Gericht blieb die Schilderung rein formelhaft.

Gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens spricht im Übrigen auch, dass nach den Angaben des Klägers er zusammen mit seinen zwei Brüdern Erbe der Ländereien seines Vaters ist. Unter diesen Voraussetzungen hätte es wenig Sinn gemacht, allein den Kläger zu seinem Onkel nach Deutschland zu schicken.

3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 liegen nicht vor.

a) Ein Ausländer darf gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG nicht in seinen Herkunftsstaat abgeschoben werden, wenn ihm dort Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Dies gilt gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (QualfRL) auch dann, wenn die Gefahr von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht und kein ausreichender staatlicher oder quasistaatlicher Schutz zur Verfügung steht. Zudem ist gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 QualfRL zu unterscheiden, ob der Ausländer der Gefahr im Herkunftsland bereits ausgesetzt war bzw. ihm entsprechende Misshandlung unmittelbar bevor standen oder, ob er ohne derartige Bedrohung ausgereist ist.

Selbst wenn man den Vortrag des Klägers als glaubhaft ansähe - was das Gericht nicht tut (siehe oben, Nr. 1.) -, lägen die Voraussetzungen dieses Abschiebungsverbotes nicht vor. Der Onkel kann nicht als nichtstaatlicher Akteur angesehen werden, da nicht dargelegt oder ersichtlich ist, dass er die dafür erforderliche, dem Staat oder den quasistaatlichen Parteien bzw. Organisationen ähnliche Bedrohungsmächtigkeit aufweist (siehe hierzu VG Regensburg vom 17.5.2005, Az.: RO 3 K 04.30596; VG Göttingen vom 10.5.2006 Asylmagazin 2006, 24; OVG Schleswig vom 27.1.2006 InfAuslR 2007, 256). Weiter ist nicht dargelegt oder ersichtlich, dass vor dem Onkel kein Schutz zu erlangen ist, weil der Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht Willens sind, Schutz vor der Verfolgung bzw. ernsthaften Schaden zu bieten (§ 60 Abs. 2, Abs. 11 i.V.m. Art. 6 c de gesamten EG-Qualifikationsrichtlinie).

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor. Eine Abschiebung ist gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (siehe Urteil vom 15.04.1997, BVerwGE 104, 265, Az.: 9 C 38/96) nur in Frage, wenn die umschriebenen Gefahren durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen oder dem Staat zuzurechnen sind.

Schon diese letztere Voraussetzung ist hier nicht gegeben.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Danach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Die Vorschrift setzt die sich aus Art. 18 i.V.m. Art. 15 Buchst. c QualRL ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines „subsidiären Schutzstatus“ bzw. „subsidiären Schutzes“ in nationales Recht um.

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG vom 24.06.2008, Az.: 10 C 43/07, a.a.O.). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u. a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts i.S. von Art. 15 Buchst. c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher „innerstaatlicher bewaffneter Konflikt“ kann überdies landesweit oder regional (z.B. in der Herkunftsregion des Ausländers) bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (vgl. BVerwG vom 24.06.2008, Az.: 10 C 43/07, a.a.O.).

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende – und damit allgemeine – Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH vom 17.02.2009, C-465/07).

Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten i.S. von Art. 1 Nr. 2 des Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (BGBl. 1990 II S. 1637) - ZP II - oder aber als anhaltende Kampfhandlungen bewaffneter Gruppen im Sinne von Art. 1 Nr. 1 ZP II zu qualifizieren sind, kann dahinstehen, weil nach der Überzeugung des Gerichts der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Bezüglich der Gefahrendichte ist zunächst auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG vom 14.07.2009 BVerwGE 134, 188 = NVwZ 2010, 196). Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG vom 27.04.2010 NVwZ 2011, 51).

Der Kläger stammt aus der Provinz Kabul, so dass hinsichtlich der Gefahrensituation primär darauf abzustellen ist.

Die Provinz Kabul wird von der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA, Internet: www.unama.unmissions.org) der Zentralregion Afghanistans (Provinzen: Parwan, Kabul, Panjshir, Wardak, Logar und Kapisa) zugeordnet. UNAMA hat für diese Region im Jahr 2009 279 zivile Tote bei einer Gesamteinwohnerzahl von 5,7 Millionen gezählt. Für das Jahr 2010 wurden 231 zivile Tote in der Zentralregion ermittelt (UNAMA, Afghanistan Report Protection on Civilians in Armed Conflict, 2010). Der Halbjahresbericht der UNAMA vom Juli 2011 für das 1. Halbjahr 2011 geht für ganz Afghanistan von 1.462 Toten und 2.144 Verletzten (gesamt: 3.606) aus. Gegenüber den Zahlen für das erste Halbjahr 2010 – 1.271 Tote, 1.997 Verletzte (gesamt: 3.268) – liegt eine ca. 10-prozentige Steigerung vor. Eine nähere Aufschlüsselung nach Regionen erfolgt in diesem Bericht nicht.

Für das Jahr 2009 wurden für Gesamtafghanistan 2.412 getötete und 3.566 verletzte Zivilisten ermittelt. Für das Jahr 2010 wird von 2.777 Toten und 4.343 Verletzten (gesamt: 7.120) ausgegangen. Das Verhältnis Tote/Verletzte beträgt für das Jahr 2009 1:1,5. Gleiches gilt für das Jahr 2010 und auch für das 1. Halbjahr 2011. Der Bericht der UNAMA geht für das erste Halbjahr 2011 im Vergleich mit den Zahlen des erste Halbjahres 2010 von einer Steigerung der Zahl der Toten von 15 Prozent und einer Steigerung der Zahl der Verletzten von 7 Prozent aus. Unter Zugrundelegung dieser Steigerung ergibt sich für das Gesamtjahr 2011 für die Zentralregion eine geschätzte Zahl der toten zivilen Opfer von 266 Personen. Bei Berücksichtigung des Verhältnisses Tote/Verletzte ergibt sich eine geschätzte Zahl der Verletzten von 399 Personen. Bei somit ca. 700 geschätzten toten/verletz-ten Zivilisten in der Zentralregion beträgt bei einer Einwohnerzahl von ca. 5,7 Millionen die Wahrscheinlichkeit Opfer eines Anschlags zu werden ca. 0,013 Prozent.

Auch wenn man davon ausgeht, dass die Sicherheitslage in Gesamtafghanistan und auch in der Zentralregion weiterhin angespannt bleibt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, das praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist (zu Kabul siehe BayVGH, Urteil vom 3.2.2011, Az.: 13 a B 10.30394; Beschluss vom 17.11.2011, Az.: 13 a ZB 11.30158).

Es ist auch nicht anzunehmen, dass sich die allgemeine Gefahr bei dem Kläger durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzt.

c) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor.

Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Bei der Prüfung dieses Abschiebungsverbots darf dabei die allgemeine und immer noch prekäre Lage in Afghanistan vom Bundesamt und vom Gericht nicht berücksichtigt werden. Denn nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG wird Gefahren im Zielland, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur über Anordnungen der obersten Landesbehörde über die Aussetzung der Abschiebung Rechnung getragen (sog. Abschiebestopp) und zwar auch dann, wenn diese allgemeinen Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995, Az.: 9 C 9.95). Allgemeine Gefahren in diesem Sine sind alle Gefahren, die der Bevölkerung in Afghanistan aufgrund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer von terroristischen Übergriffen zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren aufgrund krimineller Aktivitäten und Rache-bestrebungen von Privatpersonen einschließlich der „Blutrache“ und „Ehrenmorde“.

Auch die Gerichte haben solche Ermessensentscheidungen der obersten Landesbehörden über die Anordnung oder Nichtanordnung eines Abschiebestopps zu respektieren (BVerwGE 99, 324). Für Personen aus Afghani-stan besteht ein solcher politischer Abschiebestopp-Erlass in Bayern nicht.

Von diesem Grundsatz hat die höchstrichterliche Rechtsprechung nur dann eine ganz besondere Ausnahme zugelassen, wenn ansonsten der Ausländer „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (ständige Rechtsprechung des BVerwG, siehe BVerwGE 99,324; BVerwGE 102, 249; BVerwGE 114, 379; BVerwG, Urteil vom 29.6.2010, Az.: 10 C 10/09; BVerwG, Urteil vom 29.9.2011, Az.: 10 C 23.10). Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen und sich alsbald nach der Rückkehr realisieren (BVerwG, Urteil vom 29.6.2010, Az.: 10 C 10/09; BVerwG, Urteil vom 29.9.2011, Az.: 10 C 23.10). Eine solche, die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ganz ausnahmsweise überwindende Gefahrensituation, für deren Annahme strenge Maßstäbe gelten (siehe hierzu BVerwG, Urteil vom 29.6.2010, Az.: 10 C 10/09; BVerwG, Urteil vom 29.9.2011, Az.: 10 C 23.10), hat der Kläger nicht dargetan und liegt auch nicht vor. Das Gericht folgt den zutreffend auf die Erkenntnislage gestützten umfangreichen Ausführungen des Bundesamts (vgl. hierzu auch VGH Hessen, Urteil vom 26.11.2009, Asylmagazin 2010,63; BayVGH, Urteil vom 3.2.2011, Az.: 13 a B 10.30394; BayVGH, Urteil vom 8. Dezember 2011, Az.: 13 a B 11.30276; Lagebericht AA vom 9.2.2011).

Wie dem Sachvortrag des Klägers zu entnehmen ist, leben seine Mutter und eine Reihe von weiteren Verwandten weiterhin in … und Umgebung. Unter den gegebenen Voraussetzungen ist davon auszugehen, dass er bei Rückkehr in sein Heimatland dort Unterkunft und Unterstützung finden wird. Das zum Leben notwendige Existenzminimum ist insofern ge-sichert. Eine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben besteht nicht.

Ein individuelles, speziell den Kläger treffendes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht ebenfalls nicht.

4. Die nach Maßgabe des § 34 AsylVfG erlassene Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig. Der Kläger ist weder als Asylberechtigter anerkannt, noch ist ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden, noch besitzt er einen Aufenthaltstitel.

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO.

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