OLG München, Beschluss vom 13.10.2011 - 5 W 1832/11
Fundstelle
openJur 2012, 118732
  • Rkr:
Tenor

1) Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 06.09.2011 aufgehoben.

2) Eine Kostenentscheidung ergeht nicht.

3) Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit der von dem Kläger am 23.08.2004 gezeichneten Beteiligung zu einem Nennwert von 25.000 € an der Film- und Entertainment VIP Medienfonds 4 GmbH & Co. KG (...) und mit dem konzeptionsgemäß hierfür mit der Beklagten zur teilweisen Finanzierung der Anlage eingegangenen Darlehensvertrag über 11.375 €.

Er stützt seine Klage zum einen auf einen behaupteten Anspruch aus Prospekthaftung im engeren Sinne mit der Begründung, der für die Anlage herausgegebene und (auch) von der Beklagten zu verantwortende Prospekt sei inhaltlich aus mehreren Gründen falsch, zum anderen auf einen behaupteten Anspruch wegen Aufklärungspflichtverletzung bei Eingehung des Darlehensvertrages, § 311 Abs. 2 BGB.

Der Kläger trägt unter anderem vor, die Beklagte habe die Fehlerhaftigkeit bzw. den irreführenden Charakter des Prospekts bereits im März 2004 und damit vor Abschluss des Darlehensvertrages mit ihm, dem Kläger, gekannt. Er fordert daher von der Beklagten Zug um Zug gegen Abtretung der treuhänderischen Beteiligung die Rückzahlung des aus Eigenmitteln erbrachten Beteiligungsteilbetrages nebst Zinsen ab Zeichnung, die Feststellung, dass der Beklagten aus dem zum Zwecke der Teilfinanzierung der Beteiligung eingegangenen Darlehensvertrag keine Ansprüche gegen ihn – den Kläger – zustehen, und die Verurteilung der Beklagten zur Freistellung von sämtlichen weiteren steuerlichen und wirtschaftlichen Nachteilen, die für ihn – den Kläger – aus der Anlage resultieren.

Die Beklagte hält sich dagegen nicht für verpflichtet, Schadensersatz zu leisten.

Beim Oberlandesgericht München ist unter dem Aktenzeichen KAP 1/07 ein Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz anhängig. Die Beklagte ist dort Musterbeklagte zu 2). Zu klären sind in diesem Verfahren – soweit es die hiesige Beklagte betrifft – deren Prospektverantwortlichkeit (Feststellungsziel Nr. 3) und als Feststellungsziel Nr. 1 die Fehlerhaftigkeit des Prospekts unter mehreren Gesichtspunkten. Zum Feststellungsziel Nr. 1 ist als Streitpunkt (1) die fehlerhafte Darstellung des steuerrechtlichen Anerkennungsrisikos im Prospekt geltend gemacht. Tatsächliche Zahlungsflüsse und deren Modalitäten (einschließlich der zeitlichen Abfolge) entsprächen nicht den Prospektangaben und hätten steuerschädliche Auswirkungen. Auf den im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Vorlagebeschluss gemäß § 4 KapMuG wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Die Beklagte meint, die im Musterverfahren zu treffenden Feststellungen seien für die Entscheidung des Verfahrens – auch hinsichtlich des Anspruchs aus vorvertraglicher Pflichtverletzung – vorgreiflich im Sinne des § 7 Abs. 1 KapMuG.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten den Widerruf seiner auf Abschluss des Anteilsfinanzierungsdarlehens gerichteten Willenserklärung erklärt (...).

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 19.11.2009 das Verfahren nach § 7 KapMuG mit im Einzelnen begründetem Beschluss ausgesetzt (...). Dieser Beschluss wurde den Klägervertretern am 04.12.2009 zugestellt; Rechtsbehelfe gegen den Beschluss haben die Parteien nicht eingelegt.

Mit am 12.09.2011 zugestelltem Beschluss vom 06.09.2011 (...) hat das Landgericht den (mit der Wiederholung der teils abgeänderten Klageanträgen verbundenen) Antrag des Klägers vom 22.08.2011 auf Fortsetzung des Verfahrens abgelehnt mit der Begründung, der Aussetzungsbeschluss sei anfechtbar gewesen, aber nicht angefochten worden; einer Wiederaufnahme stehe daher die Rechtskraft des Aussetzungsbeschlusses entgegen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der sofortigen Beschwerde vom 26.09.2011 (...), der das Landgericht mit begründetem Beschluss vom 29.09.2011 (...) nicht abgeholfen hat.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Deshalb ist der Beschluss über die Ablehnung der Wiederaufnahme des Verfahrens aufzuheben.

1.

Die Beschwerde ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass der Aussetzungbeschluss anfechtbar war, aber nicht angefochten wurde und somit in formelle Rechtskraft erwachsen ist.

a) Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ist auch gegen den auf § 7 Abs. 1 KapMuG gestützten Aussetzungsbeschluss aus §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, wenn der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 KapMuG nicht eröffnet ist und damit auch § 7 Abs. 1 Satz 4 KapMuG nicht zur Anwendung kommt (siehe BGH, Beschluss vom 30.11.2010 – XI ZB 23/10, WM 2011, 110, Rn. 10, zum Beschluss des erkennenden Senats vom 25.06.2010 - 5 W 1564/10).

Diese Negativbedingungen waren im vorliegenden Verfahren gegeben.

Die Entscheidung des Landgerichts, das Verfahren nach § 7 Abs. 1 KapMuG auszusetzen, hätte auch in dieser Sache keinen Bestand gehabt. Die Aussetzung eines Verfahrens, dessen Ergebnis nicht vom Ergebnis eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz abhängig ist, hat in § 7 Abs. 1 KapMuG keine Grundlage. Das Landgericht hat vorliegend ausweislich der Gründe des Aussetzungsbeschlusses nicht geprüft, ob eine Haftung aus vorvertraglichem Verschulden nach § 311 Abs. 2 BGB im Ergebnis zu bejahen oder zu verneinen ist. Vielmehr ist das Landgericht davon ausgegangen, dass auch Verfahren über einen vertraglichen Haftungsanspruch nach § 7 KapMuG ausgesetzt werden können, wenn im Musterverfahren zu treffende Feststellungen auch für den vertraglichen Anspruch von Bedeutung sein könnten. Dies steht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht im Einklang.

16Das Begehren des Klägers ist gestützt auf mehrere Haftungsgrundlagen, nämlich (zumindest) auf Prospekthaftung im engeren Sinne und auf vorvertragliche Haftung für Aufklärungsverschulden. Nur soweit eine Prospekthaftung im engeren Sinne und damit Ansprüche aufgrund einer fehlerhaften öffentlichen Kapitalmarktinformation geltend gemacht werden, kann und muss das Streitverhältnis zwischen den Parteien nach § 7 KapMuG ausgesetzt werden. Für die daneben auch geltend gemachte Haftung auf vertraglicher Grundlage nach § 311 Abs.2 BGB ist § 7 KapMuG nicht anwendbar (BGH a.a.O. Rn. 14).

Hieraus folgt, dass der Kläger gegen den Aussetzungsbeschluss mit Erfolg Beschwerde hätte einlegen können, wie dies seine Prozessbevollmächtigten senatsbekannt in zahlreichen Fällen auch getan haben.

b) Hiernach ist - da der Aussetzungbeschluss ordnungsgemäß zugestellt wurde und da Beschwerde iSd § 252 ZPO (diese Vorschrift ist auf alle Fälle der Aussetzung anzuwenden; Prütting / Gehrlein - Anders, ZPO, 3. Aufl., § 252 Rn. 1) nicht eingelegt wurde - der Aussetzungsbeschluss, wie das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss vom 06.09.2011 zutreffend annimmt, in Rechtskraft erwachsen.

aa) Hierbei kann es sich aber nur um eine Rechtskraft im formellen Sinne handeln, die das Landgericht entgegen seiner Auffassung nicht hindert, sich mit den für eine Fortsetzung des Verfahrens sprechenden Argumenten des Klägers zu befassen. Hierfür spricht schon die weitere Erwägung des Landgerichts, dass es sich bei der Frage der Verfahrensfortsetzung (wie zu ergänzen ist: aus Sicht des Klägers zumindest) um eine Ermessensentscheidung handelt. Die Entscheidung des Landgerichts lässt aber schon eine Ausübung seines Ermessens nicht erkennen.

20bb) Insbesondere fehlt eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass im KapMuG gesetzgeberisch der hier vorliegende Fall nicht vorgesehen ist, dass ein Gericht ein nicht KapMuG-fähiges Verfahren unter Berufung auf § 7 KapMuG aussetzt. Folgerichtig fehlt (anders als in den Fällen der §§ 148 f, 152 ff, 239 ff ZPO) eine gesetzgeberische Anordnung, wann und wie ein derart zu Unrecht ausgesetztes Verfahren fortzusetzen ist. In den bisher zu Tage getretenen zahlreichen Fällen der unzutreffend beschlossenen Aussetzung wurde dieses Problem durch die - im KapMuG jedenfalls nicht ausdrücklich vorgesehene - Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses im Rahmen des Beschwerdeverfahrens behoben, wodurch gleichzeitig die Fortsetzung des Verfahrens per se eintrat. Ein Beharren auf der formellen Rechtskraft des Aussetzungsbeschlusses würde den durch die nicht gesetzeskonforme Anwendung des § 7 KapMuG herbeigeführten Zustand perpetuieren.

cc) Der Hinweis des Landgerichts an den Kläger, er werde den rechtskräftigen Abschluss des "Musterverfahrens abwarten müssen" (...), ist zudem auch deshalb unergiebig, weil mangels eines Abhängigkeitsverhältnisses im Sinne des § 16 Abs. 1 S. 1 KapMuG der auf Verletzung der darlehensvertraglichen Pflichten gestützten Klage von den zu erwartenden Feststellungen des Musterentscheids eine Bindung des Landgerichts an diese Feststellungen gerade nicht eintreten wird.

dd) Ein Zeitpunkt, zu dem - unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Landgerichts - mit der Fortsetzung des Verfahrens zu rechnen ist, ist hinsichtlich der auf Verletzung der darlehensvertraglichen Pflichten gestützten Klageansprüche in keiner Weise absehbar. Vor dem Hintergrund, dass das Landgericht in der Begründung des Aussetzungsbeschlusses zutreffend erkannt hat, dass das klägerische Begehren - jedenfalls teilweise - auch nicht auf den erfolgten Widerruf des Darlehensvertrages gestützt werden kann, wird die Entscheidung des Landgerichts vom 06.09.2011 daher im Ergebnis dem Justizgewährungsanspruch des Klägers nicht gerecht (vgl. BGH, Urteil vom 4.11.2010 - III ZR 32/10, BGHZ 187, 286, Rn. 11 m.w.N.).

c) Im übrigen ist die Beschwerde gegen den Beschluss vom 06.09.2011 gem. §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und zulässig.

aa) § 252 ZPO ist auch auf den Beschluss vom 06.09.2011 anwendbar; diese Vorschrift erfasst auch Entscheidungen, die wie hier der Herbeiführung eines Verfahrensstillstandes gleichkommen (Prütting / Gehrlein, a.a.O., Rn. 4).

bb) Da es sich bei dem klägerischen Begehren um ein das Verfahren betreffendes Gesuch handelt, das das Landgericht zurückgewiesen hat, ist die Beschwerde statthaft gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO .

cc) Die Frist des § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO ist gewahrt.

2.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Der Kläger verweist zu Recht auf die zu identischen Sachverhalten in Parallelverfahren ergangenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 25.01.2011 (XI ZB 32/10) und vom 30.11.2010 (XI ZB 23/10, a.a.O.), wonach eine Aussetzung nach § 7 KapMuG vorliegend nicht in Betracht kam.

Das - hier somit zu verneinende - Vorliegen einer Aussetzungsvoraussetzung unterliegt der uneingeschränkten Prüfung durch den Senat als Beschwerdegericht (Prütting / Gehrlein, a.a.O. Rn. 5; BGH, Beschluss vom 12.12.2005 - II ZB 30/04, MDR 2006, 704, Rn. 6).

Da hiernach die Aussetzung des Verfahrens schon im Ansatz nicht in Betracht kam, liegt es nicht im Ermessen (weder des Ausgangs- noch des Beschwerdegerichts), ob das Verfahren wieder aufgenommen wird; dies ist vielmehr zwingend.

3.

Das Landgericht wird daher den Antrag des Klägers auf Fortsetzung des Verfahrens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs neu zu verbescheiden haben.

III.

1.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind Teil der Prozesskosten, weshalb eine Kostenentscheidung nicht veranlasst ist (BGH, Beschluss vom 12.12.2005 - II ZB 30/04, MDR 2006, 704, Rn. 12).

2.

Die Rechtsbeschwerde wird im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 ZPO) der Frage zugelassen, wie im Falle einer unterbliebenen Anfechtung einer zu Unrecht auf § 7 KapMuG gestützten Aussetzung zu verfahren ist. Gerichtsbekannt ist eine ungewöhnlich große Zahl gleichgelagerter Verfahren rechtshängig und derzeit ausgesetzt, so dass das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist.