Bayerischer VGH, Beschluss vom 12.09.2011 - 12 ZB 11.1517
Fundstelle
openJur 2012, 118274
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 19. Mai 2011 ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 124a Abs. 4 VwGO).

2. Er ist aber unbegründet, weil die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, der besonderen rechtlichen Schwierigkeit und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), nicht hinreichend dargelegt sind oder aber nicht greifen.

2.1 Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Solche ernstlichen Zweifel bestehen etwa dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG vom 26.3.2007 BayVBl. 2007, 624 und vom 23.6.2000, NVwZ 2000, 1363) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (so BVerwG vom 10.3.2004 DVBl. 2004, 838). Das ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Kläger innerhalb der Begründungsfrist für den Zulassungsantrag dargelegt haben (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Ernstliche Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts sind hier aber nicht festzustellen.

§ 39 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) regelt gemäß § 39 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII in seinen Absätzen 4 bis 6 SGB VIII die laufenden Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen bei Vollzeitpflege (siehe dazu eingangs Tammen in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 6. Auflage 2009, § 39 RdNrn. 18 ff.). Nach § 33 Satz 2 SGB VIII sind für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen. Das örtlich zuständige Amt für Jugend und Familie hat hierzu durch Beschluss des Kreisjugendausschusses vom 1. Juli 2005 sog. Sonderpflegestellen konzipiert und die Kläger mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 15. Juni 2009 für die Zeit vom 30. Juli 2008 bis zum 30. Juni 2009 als eine solche Sonderpflegestelle anerkannt. Demzufolge wurde für den Zeitraum vom 30. Juli 2008 bis zum 30. November 2008 eine Pflegegeld bei Vollpflege in Höhe von 860,50 Euro (Pauschalbetrag 697 Euro zzgl. zusätzliches Pflegegeld für besonderen Betreuungsaufwand in Höhe von 202 Euro abzgl. 38,50 Euro anteiliges Kindergeld) festgesetzt. Für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 31. Dezember 2008 wurde die Gesamtleistung bei Vollpflege auf 948,50 Euro und für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 30. Juni 2009 auf 946 Euro festgesetzt. Unter der Nummer IV dieses Bescheides vom 15. Juni 2009 ordnete das Landratsamt Ansbach zudem an, dass die festgesetzten Hilfeleistungen – wie bisher – an die Kläger als Pflegefamilie zur Auszahlung kommen.

Die Kläger wenden sich im Wege der Versagungsgegenklage gegen diesen Bescheid und meinen, ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der klageabweisenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts lägen vor, weil sie entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts für die Zeit ab dem 30. Juli 2008 aufgrund der §§ 27, 33 Satz 2, § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII für die Betreuung ihres geistig behinderten und traumatisierten Pflegekindes L. an Stelle des bewilligten zusätzlichen Pflegegeldes für besonderen Betreuungsaufwand in Höhe von 202 Euro einen Anspruch auf einen „Erziehungsbeitrag (Sonderpflegebeitrag)“ in Höhe von monatlich 710,13 Euro aus (a) eigenem Recht, jedenfalls einen Anspruch hierauf (b) aufgrund Rechtsnachfolge oder aber (c) aufgrund Vollmacht hätten.

8Ungeachtet der Frage, ob die Höhe des Pflegegeldes in den verschiedenen Bescheiden richtig berechnet worden ist, dringen die Kläger mit ihren Angriffen gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil insoweit nicht durch.

Ihnen steht im hier maßgeblichen Bewilligungszeitraum aus eigenem Recht kein klagbarer Anspruch (zur Aktivlegitimation im Falle einer Erziehung in Vollzeitpflege siehe auch BayVGH vom 27.5.2011 Az. 12 CE 11.893) auf Bewilligung eines „Erziehungsbeitrages (Sonderpflegebeitrag)“ aus den §§ 27, 33 Satz 2, § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII zur Seite. Das Verwaltungsgericht hat unter Heranziehung der obergerichtlichen Rechtsprechung zutreffend entschieden, dass der Anspruch auf laufende Leistungen im Rahmen der Hilfe in Vollzeitpflege aus § 39 Abs. 2 Satz 4 in Verbindung mit § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII allein dem Personensorgeberechtigten zusteht (so ausdrücklich bereits BVerwG vom 12.9.1996 FamRZ 1997, 814 = FEVS 47, 433) und eben nicht den Pflegepersonen (so bereits BayVGH vom 5.4.2001 FEVS 52, 464; siehe dazu zudem Stähr in Hauck/Haines, SGB VIII, Stand: Januar 2011, § 39 RdNr. 5 m.w.N.). Zwar benenne § 39 SGB VIII nicht ausdrücklich den Anspruchsberechtigten für diesen „Annex-Anspruch“ zum Anspruch auf Hilfe in Vollzeitpflege. Es sei aber zu berücksichtigen, dass Pflege und Erziehung der Kinder und Jugendlichen das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht seien (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 GG, §1 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) und deshalb davon auszugehen sei, dass Leistungen im Kinder- und Jugendhilferecht, die die Hilfe zur Erziehung ergänzen sollen (§ 2 Abs. 2 Nr. 4, § 27 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII), auch ohne ausdrückliche Zuweisung den Personensorgeberechtigten zustehen sollen (so BVerwG a.a.O.; im Ergebnis ebenso Tammen in Münder/Wiesner/Meysen, Kinder- und Jugendhilferecht, 2. Aufl. 2011, S. 247 f.; Kunkel in LPK-SGB VIII, § 39 RdNrn. 9 f.; Fischer in Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII/KJHG, 3. Aufl.2007, § 39 RdNr. 7; a. A. Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 39 RdNr. 16, aber ohne überzeugende Begründung, siehe dazu BayVGH vom 5.4.2001 a.a.O.).

Die Feststellung der Leistungspflicht und auch der Leistungshöhe im Falle der Hilfe in Vollzeitpflege nach § 33 Satz 2, § 39 Abs. 1, 2 Satz 4 und Abs. 4 Satz 3 SGB VIII findet mithin im Verhältnis zwischen dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe und dem oder den Personensorgeberechtigten statt. Hiervon zu unterscheiden ist das Rechtsverhältnis zwischen dem Jugendhilfeträger und der oder den Pflegepersonen. Soweit nicht unmittelbar zwischen den Personensorgeberechtigten und den Pflegepersonen Vereinbarungen getroffen werden, kann das Jugendamt einen Pflegevertrag abschließen, der in jedem Falle zivilrechtlicher Natur ist. Hier kann allerdings auch auf öffentlich-rechtliche Tatbestände Bezug genommen werden, wenn - wie im vorliegende Fall - die Auszahlung des Pflegegeldes nach § 39 SGB VIII direkt an die Pflegepersonen erfolgt (so die Nummer IV des angefochtenen Bescheides vom 15. Juni 2009; dazu ausführlich Stähr, a.a.O., § 33 RdNrn. 22 ff.). Das räumt allerdings den Pflegepersonen, ohne sie dadurch rechtlich unzumutbar zu benachteiligen, noch keinen gegen den Jugendhilfeträger gerichteten einklagbaren Anspruch auf Bewilligung von Leistungen zum Unterhalt des Kindes in Vollzeitpflege ein.

Vor diesem Hintergrund geht auch die Annahme fehl, der Beklagte habe einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der den Klägern eine Aktivlegitimation einräume. Die Kläger werden im streitgegenständlichen Bescheid ausdrücklich lediglich als Empfänger der Auszahlung angesprochen.

Soweit die Kläger nunmehr geltend machen wollen, es gehe ihnen um freiwillige Zuwendungen, die der Jugendhilfeträger im Rahmen seiner Zuständigkeit als sog. freiwillige Leistungen gewähre, hat der Zulassungsantrag deshalb keinen Erfolg, weil solchermaßen freiwillige Leistungen des Beklagten nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht waren. Der mit Klageschrift vom 13.September 2010 im Wege der Versagungsgegenklage mit dem Begehren, an Stelle des bewilligten zusätzlichen Pflegegeldes für besonderen Betreuungsaufwand in Höhe von 202 Euro einen „Erziehungsbeitrag (Sonderpflegebeitrag)“ in Höhe von monatlich 710,13 Euro zu erhalten, angefochtene Bescheid vom 15. Juni 2009 regelt in Übereinstimmung mit dem Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 10. August 2010 allein Leistungen nach den § 33 Satz 2, § 39 Abs. 2 Satz 4, § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII. Auch die Hinweise des Kammervorsitzenden in der mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 2011 zeigen, dass es allein um die Aktivlegitimation für Leistungen nach den § 33 Satz 2, § 39 Abs. 2 Satz 4, § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII ging. Für eine Klageänderung dergestalt, dass den Klägern neben den begehrten und bereits bewilligten Jugendhilfe(annex)leistungen nun auch freiwillige Leistungen zustehen, bietet das Zulassungsverfahren hier keinen Raum.

Den Klägern steht der geltend gemachte Anspruch auch nicht „aufgrund Rechtsnachfolge“ deshalb zu, weil die Klägerin zu 1) mit Wirkung ab dem 14. Juli 2010 Vormund der L. geworden ist. Der Kläger zu 2) war auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht Vormund, so dass seine Aktivlegitimation bereits hieran scheitert. Das Verwaltungsgericht hat aber auch für die Klägerin zu 1) rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass ihre spätere Stellung als Vormund nicht dazu führt, für den davor liegenden Zeitraum vormundschaftliche Rechte geltend machen zu können. Da sich die Kläger im Wege der Versagungsgegenklage gegen einen Bescheid wenden, der für einen abgegrenzten in der Vergangenheit liegenden Zeitraum Leistungen bewilligt hat, ist auf diesen Bewilligungszeitraum abzustellen. Es kann deshalb nach wie vor dahin stehen, ob der für den hier streitgegenständlichen Zeitraum bestellte Vormund in der Sache selbst aktivlegitimiert gewesen wäre (siehe dazu aber BVerwG vom 15.12.1995 FEVS 47, 13).

Letztlich steht den Klägern der geltend gemachte Anspruch auch nicht aufgrund einer Vollmacht zur Seite. Da keiner der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum vom 30. Juli 2008 bis 30.Juni 2009 (siehe dazu Urteil vom 19. Mai 2011 Seite 7) Vormund war und auch sonst eine Übertragung der Personensorgeberechtigung auf sie nicht angenommen werden kann, bedürfte es zur Aktivlegitimation einer über eine gesetzliche oder gewillkürte Prozessstandschaft hinausreichende Rechtsstellung, den Anspruch als Rechtsinhaber im eigenen Namen und als Leistung an die eigene Person geltend zu machen (vgl. dazu Happ in Eyermann, a.a.O., § 42 RdNrn. 76 und 77; Schmidt-Kötters in Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 42 RdNrn. 114 und 116).

Für „Vollmacht gemäß § 1688 BGB“ vom 15. April 2005 nimmt der Senat insoweit Bezug auf die Begründung des Verwaltungsgerichts. Die Kläger sind diesen Ausführungen substantiiert nicht entgegengetreten (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

Soweit sich die Kläger im Übrigen auf § 1688 BGB stützen, bleibt der Senat bei der in der Entscheidung vom 17. Mai 2001 (a.a.O.) näher erläuterten Rechtsauffassung, dass die Pflegeperson im Falle des § 39 SGB VIII nicht Inhaltsadressat, sondern nur – wie hier geschehen – Bekanntgabeadressat eines Pflegegeldbescheides sein kann. Auch vor dem Hintergrund des § 1688 BGB kann die Pflegeperson nur den Anspruch in Vertretung des Personensorgeberechtigten, nicht aber im eigenen Namen geltend machen, denn ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung gemäß § 27, § 33 Satz 2 SGB VIII und - wie hier - auf wirtschaftliche Hilfe gemäß § 39 SGB VIII fällt gerade nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften, soweit diese die Geltendmachung und Verwaltung von Unterhalts-, Versicherungs-, Versorgungs- und sonstige Sozialleistungen für das Kind betreffen. § 1688 BGB erfasst nur Sozialleistungen, bei denen das Kind selbst anspruchsberechtigt ist. Diese Voraussetzung ist hinsichtlich der hier geltend gemachten Pflegegeldleistungen nach § 39 SGB VIII nicht erfüllt, da diese - wie ausgeführt - ausschließlich dem Personensorgeberechtigten zustehen (SächsOVG vom 6.12.2010 Az. 1 D 120/10 und vom 19.9.2006 JAmt 2007, 316 mit Hinweis auf OVG NW vom 25.4.2001 - 12 A 924/99 -, NVwZ-RR 2002, 123 und VG Magdeburg vom 7.1.2004 Az. 6 A 757/02 - juris). Anders formuliert, aus § 1688 BGB ergibt sich keine Anspruchsberechtigung der Pflegeperson, weil danach nur Ansprüche des Kindes in Vertretung des Personensorgeberechtigten geltend gemacht werden können (so wiederum ausdrücklich Kunkel, a.a.O., § 39 RdNr. 10, m.w.N.).

2.2 Die Berufung ist nicht wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen, weil sich die hier aufgeworfenen Fragen ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder aber in der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte und des Bundesverwaltungsgerichts bereits rechtskräftig geklärt sind (siehe zu alledem Happ in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 124 RdNr. 27 ff., 32).

2.3 Die Berufung der Kläger ist letztlich auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache dient in erster Linie der Rechtseinheit und der Fortentwicklung des Rechts. Er erfordert deshalb, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich werde, bisher höchstrichterlich oder durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt ist und eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung aufweist (vgl. dazu Happ in Eyermann, VwGO, 12. Auflage 2006, § 124 RdNr. 35 f.).

Diese Voraussetzungen erfüllt, wie sich aus den oben stehenden Ausführungen ergibt, die von den Klägern aufgeworfene Frage nach der „Anspruchsberechtigung“ nicht, denn diese Frage ist auch im Hinblick auf die Möglichkeit der von den Pauschalleistungen abweichenden Leistungsgewährung nach § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII in Schrifttum und Rechtsprechung hinreichend geklärt.

2.4 Da andere Zulassungsgründe schon nicht geltend gemacht worden sind, hat der Zulassungsantrag mithin insgesamt keinen Erfolg.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 VwGO.

4. Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1 VwGO).

5. Mit dieser Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 19. Mai 2011 gemäß § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.