VG Augsburg, Urteil vom 27.09.2011 - Au 3 K 09.1571
Fundstelle
openJur 2012, 118065
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung von Akteneinsicht in die beim Kreisjugendamt des Beklagten geführten Akten.

1. Der Kläger ist Vater einer am ... 2003 geborenen Tochter.

Der Kläger war seit dem 12. April 2003 verheiratet, lebt aber seit dem 5. September 2007 von seiner Ehefrau getrennt. Die mittlerweile erfolgte Scheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Mit Beschluss des Oberlandesgerichtes ... vom 12. August 2008 Az. ... wurde im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter des Klägers auf den Kläger übertragen.

Seit einem Kuraufenthalt der Mutter des gemeinsamen Kindes hält sich dieses ab dem 27. Mai 2008 beim Kläger auf.

Im Weiteren schlossen sich diverse gerichtliche Verfahren bezogen auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Umgangsrecht und die Personensorge vor dem Amtsgericht ..., dem Amtsgericht ... sowie diverse Rechtsmittelverfahren vor dem Oberlandesgericht ... an. Insoweit wird auf die beigezogenen Behördenakten verwiesen.

An den Verfahren, betreffend die Personensorge der Tochter des Klägers, waren jeweils das Kreisjugendamt des Beklagten sowie das Jugend- und Versorgungsamt des Landratsamtes ... beteiligt.

2. Der Kläger beantragt,

ihm vollständige Akteneinsicht nach § 25 SGB X bezüglich der seine Person und die Tochter betreffend geführten Akte des Kreisjugendamtes ... zu gewähren.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, mit Schreiben vom 19. März 2009 habe der Beklagte mitgeteilt, dass unter Berufung auf § 65 Abs. 1 Ziffer 1 SGB VIII eine Weitergabe der angeforderten Unterlagen an den Kläger nicht erfolgen könne. Nach § 25 SGB X bestehe ein Anspruch auf Akteneinsicht. Insbesondere zur weiteren Klärung der anhängigen Verfahren vor dem Amtsgericht ... sei die Akteneinsicht zwingend erforderlich. Da das Jugendamt des Beklagten die von der Ehefrau des Klägers zugesandten E-Mails in die Familiengerichtsakte aufgenommen habe, seien diese Bestandteile der Akte geworden. Hierzu mache der Antragsteller seinen Anspruch auf uneingeschränkte Akteneinsicht und Auskunft geltend.

3. Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nach Auffassung des Beklagten der Kläger durch die bisher erfolgten Entscheidungen der Verwaltungsbehörde in seinen Rechten im Hinblick auf § 25 SGB X nicht verletzt sei, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen sei. Der Kläger habe am 3. März 2009 Einsicht in die Verfahrensakten - Regelung der elterlichen Sorge für das am 17. Juli 2003 geborene Kind - bereits erhalten. Daten in Form von Aktenauszügen (insbesondere sog. E-Mails), die dem Beklagten im Sorgerechtsverfahren von der Mutter des Kindes zum Zwecke der persönlichen Hilfe im Sinne von § 65 SGB VIII anvertraut worden seien, hätten dem Kläger vorenthalten werden müssen, da die Ehefrau des Klägers die Einwilligung insoweit verweigert habe. Bezüglich des strafrechtlichen Teils des Verfahrens sei der Kläger auf eine Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft ... verwiesen worden.

4. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wurde mit Beschluss des Gerichts vom 2. Juni 2010 (Au 3 K 09.1571) abgelehnt. Hierauf wird verwiesen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Klägers wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 1. Juni 2011 Az. 12 C 10.1510 zurückgewiesen. Die gegen die Beschwerdeentscheidung gerichtete Anhörungsrüge wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 4. August 2011 Az. 12 C 11.1428 zurück.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Akteneinsicht nach § 25 SGB X bezüglich der seine Person und die Tochter betreffend geführten weiteren Aktenteile des Kreisjugendamtes ...

1. Rechtsgrundlage für einen Akteneinsichtsanspruch in einem jugendhilferechtlichen Verwaltungsverfahren ist grundsätzlich § 25 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Danach hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist.

Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X richtet sich der Akteneinsichtsanspruch auf „die das Verfahren betreffenden Akten“. Hierunter ist nach ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung (nur) ein laufendes Verwaltungsverfahren zu verstehen (vgl. BVerwG vom 4.9.2003 NJW 2004, 1543/1544; NdsOVG vom 14.8.2002 Az. 4 LC 88/02). Ob die beim Beklagten geführten Akten solche im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind, kann bereits bezweifelt werden, da diese nicht im Rahmen eines auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichteten Verwaltungsverfahrens geführt wurden. Bei den streitgegenständlichen Akten des Beklagten handelt es sich um solche der Familiengerichtshilfe. Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 6 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) gehört nämlich die Aufgabe der Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten nicht zu den Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB VIII, an die typischerweise der Anspruch auf Akteneinsicht in § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X anknüpft, sondern zu den anderen Aufgaben zu Gunsten junger Menschen und Familien. Die Mitwirkung des Jugendamtes in familiengerichtlichen Verfahren ist in § 50 SGB VIII geregelt. Insoweit ist bereits zu erwägen, ob der Kläger nicht auf die prozessuale Möglichkeit zu verweisen ist, in diesen familiengerichtlichen Verfahren auf eine Einsichtnahme in die diesbezüglichen Teile der Akten des Jugendamtes des Beklagten hinzuwirken.

2. Der Gewährung der begehrten Akteneinsicht steht jedenfalls § 25 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 65 Abs. 1 SGB VIII entgegen. Danach ist eine Behörde zur Gestattung der Akteneinsicht nicht berechtigt, soweit die streitbefangenen Sozialdaten dem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut wurden und kein Ausnahmefall nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 SGB VIII vorliegt.

Sozialdaten sind nach der Legaldefinition in § 67 Abs. 1 SGB X Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener), die von einer der in § 35 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) genannten Stellen im Hinblick auf die Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Einen solchen „persönlichen“ Bezug weisen alle Informationen auf, die über eine individualisierbare natürliche Person etwas aussagen und damit zur Identifikation dienen. Dementsprechend fallen auch alle Kenntnisse aus der privaten Sphäre, die ein Mitarbeiter des Jugendamtes bei Erfüllung seiner Aufgaben von einer außenstehenden Person erlangt hat, unter die Geheimhaltungspflicht. Dies gilt sowohl für die Namen von Beteiligten (insbesondere Informanten), aber auch für deren inhaltliche Angaben (vgl. VG Göttingen vom 9.2.2006 Az. 2 A 199/05 <juris>; VG Oldenburg vom 14.12.2009 Az. 13 A 1158/08 <juris>).

Demnach handelt es sich sowohl bei den Darstellungen der Ehefrau des Klägers betreffend den Umgang des Klägers mit der gemeinsamen Tochter als auch bei den im Austausch der Kreisjugendämter erfolgten Stellungnahmen um Sozialdaten im Sinne von § 67 Abs. 1 SGB X. Diese unterfallen damit dem grundsätzlichen Sozialdatenschutz.

Nach den allgemeinen Regeln des Sozialdatenschutzes darf eine Weitergabe von Daten nur nach einer Güterabwägung erfolgen, nämlich dann, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Behördeninformation wider besseres Wissen und in Schädigungsabsicht erfolgte (vgl. BVerwG vom 4.9.2003 a.a.O.). Demgegenüber sind anvertraute Daten im Sinne von § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, im Jugendhilferecht unabhängig davon geheim zu halten, ob ein Geheimhaltungsgrund im berechtigten Interesse des Informanten liegt oder ob ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, der Informant habe wider besseres Wissens in der vorgefassten Absicht, den Ruf eines anderen zu schädigen, gehandelt oder auch leichtfertig falsche Informationen gegeben.

Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung von § 65 Abs. 1 SGB VIII den Datenschutz im Jugendhilferecht höher gewichtet als das nachvollziehbare Interesse von Betroffenen, über sämtliche Behördeninformationen zu verfügen, um sich eventuell hiergegen wehren zu können (vgl. VG Oldenburg vom 14.12.2009 Az. 13 A 1158/08 <juris>). Das besondere Weitergabeverbot des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII überlagert für seinen Regelungsbereich die allgemeinen Regelungen über die Akteneinsicht und den Schutz bzw. die Weitergabe von Sozialdaten u.a. aus § 25 SGB X (vgl. BayVGH vom 1.6.2011 Az. 12 C 10.1510 <juris>). Damit die Jugendämter ihrer Aufgabe, eventuelle familiäre Probleme rechtzeitig zu entdecken und zu lösen, gerecht werden können, ist die Gewährung von Diskretion im Umgang mit datenschutzrechtlich relevanten Vorgängen Voraussetzung. Folglich bestimmt § 65 SGB VIII, dass Sozialdaten im Jugendhilferecht daher nur in den gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 SGB VIII genannten Fällen weitergegeben werden dürfen, d.h. insbesondere, wenn der Datengeber in die Weitergabe einwilligt. In verfassungsrechtlicher Hinsicht bestehen gegen diese Entscheidung des Gesetzgebers keine Bedenken; § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII ist nicht im Hinblick auf einen dadurch eingeschränkten Schutz des Persönlichkeitsrechtes der von Anzeigen Betroffenen grundrechtswidrig (vgl. hierzu OVG SH vom 11.5.2009 Az. 15 A 160/08). Auch mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) kommt keine andere Beurteilung in Betracht, denn der Kläger begehrt die Akteneinsicht, um sich gegenüber Äußerungen seiner Ehefrau zu wehren, demnach also für ein etwaiges Vorgehen gegen die Informantin, nicht aber zum Zwecke des Rechtsschutzes gegen eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerwG vom 23.6.1982 Az. 1 C 222/79 <juris>).

Die nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erforderliche Einwilligung ist nicht gegeben, vielmehr hat die Ehefrau des Klägers diese mit Schreiben vom 14. März 2009 an den Beklagten verweigert. Der Beklagte hatte damit aus Rechtsgründen keine andere Möglichkeit, als dem Kläger die uneingeschränkte Akteneinsicht zu verweigern.

Letztlich kann demnach dahinstehen, ob dem Kläger Akteneinsicht über die Bestimmung des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X in unmittelbarer Anwendung oder lediglich ein aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteter Anspruch auf Akteneinsicht (vgl. VG Düsseldorf vom 3.3.1986 ZfJ 1987, 592 ff.) bzw. ein aus dem Grundsatz der Offenheit des Verwaltungshandelns abgeleiteter Anspruch auf Akteneinsicht (so OVG NRW vom 13.8.1998 DVBl 1999, 1053 ff.) zur Seite steht. Die Entscheidung des Beklagten, eine uneingeschränkte Akteneinsicht in den Verwaltungsvorgang zu verweigern, ist - wie dargelegt - jedenfalls nicht zu beanstanden. Abgesehen von den dem Kläger vorenthaltenen 31 Mitteilungen via E-Mail der Ehefrau an den Beklagten unter Berufung auf die gesetzliche Bestimmung in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII wurde dem Kläger im März 2009 hingegen zu Recht umfassende Akteneinsicht in die Akten des Beklagten der Familiengerichtshilfe gewährt.

Nach alledem war die Klage als unbegründet abzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 188 Satz 2 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.