Bayerischer VGH, Beschluss vom 02.09.2011 - 2 CS 11.1418
Fundstelle
openJur 2012, 117854
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin nach § 146 Abs. 1 VwGO hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben.

1. Vorliegend kann dahinstehen, ob es sich - wie die Antragstellerin meint - beim Bauvorhaben aufgrund des davon ausgehenden Gefahrenpotentials um einen Sonderbau im Sinn von Art. 2 Abs. 4 Nr. 18 i. V. m. Nr. 10 BayBO handelt. Selbst wenn dies zuträfe und die Antragsgegnerin daher das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO rechtsirrig durchgeführt hätte, kann sich die Antragstellerin auf diesen möglichen Verfahrensfehler nicht berufen. Der Einzelne kann zwar verlangen, dass seine materiellen Rechte gewahrt werden. Er hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass dies in einem bestimmten Verfahren geschieht. Er soll die Beachtung der Verfahrensvorschriften nicht um ihrer selbst Willen erzwingen können (vgl. BVerwG vom 05.03.1999 Az. 4 A 7/98 NVwZ-RR 1999, 556; vom 10.01.2006 Az. 4 B 48/05 BauR 2006, 815). Art. 59 BayBO gewährt einem betroffenen Dritten nicht unabhängig vom materiellen Recht eine eigene, selbstständig durchsetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition.

Überdies sind im vorliegenden Verfahren allein bauplanungsrechtliche Fragen und Aspekte des Abstandsflächenrechts relevant, die aufgrund der von der beigeladenen Bauherrin beantragten Abweichung von Art. 6 BayBO vom 1. Juli 2010 (Art. 63 Abs. 1 BayBO) sowohl im vereinfachten als auch im regulären Baugenehmigungsverfahren zu überprüfen waren und überprüft worden sind (Art. 59 Satz 1 Nrn. 1 und 2, Art. 60 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BayBO). Für eine Verletzung anderer nachbarrelevanter öffentlich-rechtlicher Vorschriften, insbesondere aus dem Bauordnungsrecht, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Der Einwand der Antragstellerin im Schriftsatz vom 1. August 2011, der Brandschutznachweis des Vorhabens sei aufgrund des unzutreffend gewählten vereinfachten Genehmigungsverfahrens nicht geprüft worden, geht ins Leere. Ausweislich des Baugenehmigungsbescheids vom 20. Juli 2010 wurde das Gebäude in Gebäudeklasse 5 eingestuft (Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BayBO). Bei Gebäuden der Gebäudeklasse 5 wird aber ebenso wie bei Sonderbauten der Brandschutznachweis bauaufsichtlich geprüft (Art. 62 Abs. 3 Satz 3 Nrn. 1 und 3 BayBO), was im vorliegenden Fall auch geschah (vgl. Behördenakte, Blatt 37 ff.). Auch der von der Antragstellerin angesprochene mögliche Verstoß gegen Art. 48 BayBO wäre jedenfalls nicht nachbarschützend. Art. 48 BayBO dient der öffentlichen Wohlfahrt, aber nicht dem Nachbar- oder Individualrechtsschutz (vgl. Würfel in Simon/Busse, BayBO, Stand: März 2011, Art. 48 RdNr. 14). Bei dieser Sachlage besteht keine Schutzbedürftigkeit im Hinblick auf die Durchführung des „richtigen Verwaltungsverfahrens“ (vgl. BayVGH vom 31.3.2001 Az. 15 B 96.1537 BayVBl 2002, 698; vom 19.7.2010 Az. 2 CS 10.492; vom 19.5.2011 Az. 2 B 11.397 - juris; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: März 2011, Art. 66 RdNr. 288).

2. Die Antragstellerin trägt vor, dass das Vorhaben nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts verletze. Sie bezieht sich auf die Nutzung des auf der Süd-West-Seite des streitgegenständlichen Gebäudes neu zu errichtenden Außenaufzugs und des damit möglicherweise verbundenen Zu- und Abfahrtsverkehrs. Es ist jedoch bereits fraglich, ob darin eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO liegt. Jedenfalls kann die Antragstellerin im einstweiligen Rechtsschutz den mit einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung verbundenen Baustopp nicht erreichen. Denn durch die Errichtung des Außenaufzugs und die Nutzungsänderung werden keine vollendeten Tatsachen geschaffen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Vielmehr kann im Hauptsacheverfahren geklärt werden, ob und gegebenenfalls welche immissionsschutzrechtlichen Auflagen die Antragstellerin beanspruchen kann bzw. welche betrieblichen Einschränkungen die Beigeladene gegebenenfalls hinnehmen muss. Unter diesen Umständen ist eine Baueinstellung auf unbestimmte Zeit, die für die Beigeladene mit gravierenden Nachteilen verbunden wäre, nicht angebracht, zumal das Vorhaben inklusive des Anbaus eines Außenaufzugs grundsätzlich bauplanungsrechtlich zulässig ist (vgl. BayVGH vom 24.10.2000 Az. 26 ZS 99.3637 - juris; vom 09.09.2009 Az. 2 CS 09.1977 – juris; BayVGH vom 1.2.2011 Az. 2 CS 10.2636 – juris).

3. Der Antrag der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht möge die Einstellung der Bauarbeiten am Grundstück der Beigeladenen anordnen, konnte von vornherein nicht zum Erfolg führen. Selbst wenn das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin angeordnet hätte, bedarf es für den Erlass zusätzlicher gerichtlicher Sicherungsmaßnahmen in jedem Fall eines hinreichenden konkreten Grundes. Einem gerichtlichen Aussetzungsbeschluss brauchen nicht vorbeugend gewissermaßen automatisch Sicherungsmaßnahmen beigefügt zu werden. Denn es ist in der Regel zu erwarten, dass die Beteiligten eine gerichtliche Entscheidung auf Aussetzung der Vollziehung auch ohne beigefügte Sicherungsmaßnahmen respektieren. Ein besonderer Grund liegt nicht bereits dann vor, wenn der beigeladene Bauherr von der durch § 212a BauGB gesetzlich legitimierten Möglichkeit Gebrauch macht, mit der Verwirklichung eines baurechtlich genehmigten Vorhabens trotz eines anhängigen Nachbarrechtsbehelfs zu beginnen. Für die Annahme, dass die beigeladenen Bauherrin trotz einer möglichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage die Bauarbeiten fortsetzen würde, hat die Antragstellerin nichts vorgetragen (vgl. BayVGH vom 26.10.2009 Az. 2 CS 09.2121 - juris).

Hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Anbau eines behindertengerechten Aufzugs wurde bereits nicht dargetan, woraus sich für die Antragstellerin als Nachbarin eine Anspruchsgrundlage ergeben könnte. Für den Senat ist eine solche auch nicht ersichtlich (vgl. oben 1.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 47 GKG.