VG Bayreuth, Urteil vom 12.08.2011 - B 3 K 10.30104
Fundstelle
openJur 2012, 117586
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der am 13.12.1991 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger, yezidischer Religionszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 20.01.2010 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 08.02.2010 seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger am 08.02.2010 in Zirndorf insbesondere an, er habe sich bis zu seiner Ausreise unter der Adresse Dorf K…, …M…, Bezirk Shekhan, Provinz Ninewa aufgehalten. Außer seinen Eltern lebten noch sechs Brüder und zehn Schwestern in der Heimat. Beruf habe er keinen erlernt. Bis zu seiner Ausreise sei er Hilfskraft in einer Fabrik für Betonsteinherstellung gewesen. Im Monat habe er ca. 600.000 irakische Dinar verdient, seine wirtschaftliche Lage sei durchschnittlich gewesen. Einer seiner Brüder, geboren 01.01.1990 lebe seit drei Jahren in Deutschland; seine aktuelle Wohnanschrift sei ihm nicht bekannt (Beiakt I Blatt 37).

Bei seiner Anhörung am 23.03.2010 gab der Kläger an, bis zu seiner Ausreise habe er bei den Eltern in M… gewohnt. Früher habe die Familie in K… gewohnt. Bei den Eltern lebten auch die Geschwister. Die Familie habe ein Geschäft, in dem würden Süßigkeiten verkauft. Dort habe er nicht mitgearbeitet, er habe in einer Fabrik gearbeitet, in der Betonsteine hergestellt würden. Die wirtschaftliche Situation der Familie sei schlecht gewesen, sie hätten umsonst Lebensmittel erhalten. Die Verwandtschaft lebe in Shekhan, Bahzan, Bahader, Neseriya und Shengal. Seine Ausreise habe etwa 11.000 US Dollar gekostet und der Vater habe dafür viele Sachen verkaufen müssen. Zu dem Grund für seine Ausreise gab der Kläger an: Er habe mit zehn anderen Personen, nicht alles Yeziden, in Mosul gearbeitet. Sie hätten immer sieben Tage gearbeitet und danach zwei Tage frei gehabt. Der Chef der Firma habe sie mit einem Auto abholen lassen und nach Hause gebracht. Eines Tages, auf dem Weg zur Arbeit, sei auf dieses Auto geschossen worden. Das sei im Stadtteil Hai Al Arabi in Mosul passiert. Zwei der Mitfahrenden seien getötet worden und die anderen seien zu Fuß zur Polizei geflüchtet. Anschließend sei er, der Kläger, nach Hause gegangen und habe dem Vater alles erzählt. Er habe dem Vater gesagt, dass sie seinen Namen und sein Bild hätten und er nicht mehr arbeiten und auch nicht mehr im Irak bleiben könne. Der Vater habe dann schließlich Sachen und Land verkauft und habe ihn fortgeschickt. Probleme mit den Heimatbehörden habe er nicht gehabt. Das genaue Datum, wann auf das Auto geschossen worden sei, wisse er nicht, es sei an einem Montag im Dezember 2009 gewesen. Anfang, Mitte oder Ende Dezember wisse er nicht. Sein Geld habe er monatlich erhalten und er sei vielleicht 15 bis 20 Tage nach dem Vorfall ausgereist. Er gehe davon aus, dass diese Personen ihre Namen und ein Bild von ihnen hätten, weil sich ihre Namen auf einer Liste befunden hätten, die sich in einer Schublade in der Firma befand. Die Personen, die auf das Auto geschossen hätten, hätten nur den Namen gehabt, aber kein Bild. Die Namen seien an einer Tür aufgehängt gewesen, er wisse nicht, wer die Namen an die Tür gehängt habe. Das sei die Eingangstür der Firma gewesen. Es habe Drohungen gegeben. Aber der Firmeninhaber habe nichts davon gesagt, damit sie weiter zur Arbeit gingen. Das hätten sie alles erst hinterher erfahren. Ein Freund habe ihm erzählt, was tatsächlich vorgefallen sei. Dieser Freund habe gesagt, dass es Drohungen gegeben habe, die man jedoch nicht ernst genommen habe. Er selbst, der Kläger, habe die Drohungen nicht gesehen. Der Freund habe ihm nicht gesagt, um was für Drohungen es gegangen sei. Der Firmeninhaber habe geleugnet, dass es so etwas gegeben habe. Nach dem Vorfall sei er nicht mehr zur Arbeit in Mosul gegangen. Der Freund habe ca. zwei Wochen vor dem Vorfall von den Drohungen berichtet. Sie seien zum Chef gegangen und hätten gesagt, dass es Drohungen gebe. Der Chef habe gesagt, sie sollten das nicht glauben, es gebe keine Drohungen. Der Freund, der von den Drohungen erfahren habe, arbeite ebenfalls bei dieser Firma in Mosul und lebe dort. Der Freund sei weiterhin in die Arbeit gekommen. Nach dem Gespräch mit dem Chef habe er noch einmal mit dem Freund über die Angelegenheit gesprochen; dieser habe gesagt, dass er die Wahrheit sage. Wenn er gefragt werde, was nun stimme, ob Namen und Bilder veröffentlicht worden seien oder lediglich Namen, gebe er an, das mit den Bildern stimme nicht. Wenn sie sie erwischt hätten, dann hätten sie Bilder von ihnen machen können. Es hätten nur die Namen an der Tür gestanden. In M… habe es keine Probleme mit irgendwelchen Personen gegeben. Er sei nicht in M… geblieben, weil es dort keine Arbeit gebe. Der Vater besitze zwar das Geschäft, es handele sich jedoch um ein kleines Geschäft. Eine Person habe gereicht, das Geschäft sei auch nicht so gut gelaufen. Wenn er in den Irak zurückkehre, müsse er befürchten, dass ihm die Terroristen erwischten und ihn töteten. Die Polizei habe nach dem Angriff auf das Auto nicht ermittelt. Die Polizei habe wissen wollen, ob sie diese Leute kennen würden, die auf das Auto geschossen hätten. Das hätten sie verneint. Die Polizei sei nicht zum Ort des Geschehens gefahren. Sie seien nicht noch einmal zur Polizei gegangen. Sie hätten nur gesagt, wo es geschehen sei und seien dann heimgefahren. Die Polizei habe sie mit einem Auto nach Hause geschickt. Er habe im Irak seine Religion betätigt und es habe dabei keine Probleme gegeben. Er könne nicht lesen und schreiben. Er wolle hier gerne eine Schule besuchen, sonst habe er nichts zu sagen.

Mit Bescheid vom 28.05.2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung der Asylberechtigung ab (Nr. 1). Es stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen (Nr. 2) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht bestehen (Nr. 3). Es forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung in den Irak zur Ausreise auf (Nr. 4). Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, der Kläger habe eine individuelle Verfolgungsbetroffenheit nicht glaubhaft machen können. Der Kläger habe für den genannten Anschlag auf das Auto keinen genauen Zeitpunkt nennen können, obwohl der Anschlag kurz vor der Ausreise gewesen sein solle. Seine Aussage, es sei an einem Montag im Dezember gewesen, er wisse aber nicht mehr, ob es Anfang, Mitte oder Ende Dezember gewesen sei, beweise deutlich, dass der Kläger nicht von selbst Erlebtem gesprochen haben könne. Zudem finde im Dezember eines der drei wichtigsten Feste der Yeziden statt. Allein am Datum dieses Festes hätte er bereits einen Anhaltspunkt gehabt. Gegen den Wahrheitsgehalt seiner Verfolgungsgeschichte spreche auch das Vorbringen, auf einer Liste zu stehen. Unverständlich sei in diesem Zusammenhang, dass er die Aussage mit dem Bild korrigiert habe und dass er nur von einem Freund erfahren haben wolle, dass es Drohungen gegeben habe. Wenn tatsächlich am Firmeneingang eine solche Liste ausgehängt gewesen wäre, hätte dies der Kläger auch mit eigenen Augen sehen müssen.

Der Bescheid vom 28.05.2010 wurde dem Kläger laut Postzustellungsurkunde am 04.06.2010 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 15.06.2010, eingegangen bei Gericht am selben Tage, ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage mit folgenden Anträgen erheben:

1. Der Bescheid der Beklagten vom 28.05.2010 mit dem Aktenzeichen … wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten gem. Art. 16 a GG anzuerkennen.

3. Die Beklagte wird verpflichtet, die Flüchtlingseigenschaft gem. § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen.

4. Die Beklagte wird hilfsweise verpflichtet, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.

Mit Schriftsatz vom 21.06.2010 beantragte die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Die Klage wurde mit Schriftsatz vom 23.07.2010 dahingehend begründet, dass nach wie vor eine große Gefahr für den Kläger bestehe. Aufgrund der gegebenen Situation (innerstaatlicher bewaffneter Konflikt) drohten dem Kläger bei einer Rückkehr auf individuelle Gefahren. Der Kläger habe vorgetragen, er sei Opfer eines Anschlags geworden, bei dem zwei seiner Kollegen getötet worden seien. Die von der Beklagten hierzu behaupteten angeblichen Widersprüche zur Begründung der Unglaubhaftigkeit lägen nicht vor. Die Beklagte übersehe, dass der Kläger weder lesen noch schreiben könne. Für die Beklagte scheine es jedoch sehr wesentlich zu sein, dass der Kläger die Liste, die am Firmeneingang mit seinem Namen ausgehängt sein solle, lesen könne. Dies sei jedoch geradezu unmöglich. Dass der Kläger sich nicht an den exakten Tag des Vorfalls erinnern habe können, mache ihn auch nicht unglaubhaft. Wenn es sich um eine Erfindung gehandelt hätte, hätte er auch irgendeinen Tag im Dezember nennen können. Es treffe damit nicht zu, dass der Vorfall frei erfunden sei. Es sei davon auszugehen, dass aufgrund des Vortrags des Klägers auch eine individuelle Verfolgungsbetroffenheit vorliege. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der Bruder des Klägers, Herr … mit Bescheid vom 12.12.2007 gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG anerkannt worden sei (Bescheid in Anlage).

Mit Schriftsatz vom 27.05.2010 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Niederlegung des Mandats mit. Das Gericht wies den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 31.05.2011 darauf hin, dass Zustellungen in wirksamer Weise weiterhin an ihn erfolge, wenn und solange nicht durch entsprechende Zugangsbestätigung nachgewiesen werde, dass der Vollmachtsvertrag in wirksamer Weise gekündigt worden sei.

Mit Beschluss der Kammer vom 15.06.2011 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.

Mit Beschluss vom 11.07.2011 wurde der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten abgelehnt.

Mit Schriftsatz vom 08.08.2011 zeigte sich Rechtsanwalt Ophoff als (weiterer) Prozessbevollmächtigter des Klägers an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen. Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 28.05.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).

1.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte aus Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).

Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG kann sich nicht auf das Asylrecht des Art. 16a Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der europäischen Gemeinschaft, auf welche die Voraussetzungen des Satzes 1 der Vorschrift zutreffen, werden durch Gesetz bestimmt. Sie sind als sog. sichere Drittstaaten in § 26a Abs. 2 AsylVfG und der dazu erarbeiteten Anlage 1 festgelegt. Danach ist Deutschland allseitig von sog. sicheren Drittstaaten umgeben mit der Folge, dass eine Einreise auf dem Landweg immer das Grundrecht auf Asyl ausschließt. Wer über einen sog. sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, hat dort bereits Schutz vor Verfolgung gefunden oder hätte ihn finden können und bedarf deshalb nicht mehr des Schutzes des Asylrechts (BVerfG vom 14.05.1996, NVwZ 1996, 700). Unschädlich ist, wenn der konkrete sichere Drittstaat, über den die Einreise erfolgt ist, nicht festgestellt werden kann (BVerwG vom 07.11.1995, NVwZ 1996, 197).

Nachdem der Kläger selbst eingeräumt hat, dass er auf dem Landweg – und damit über einem sicheren Drittstaat – eingereist ist, erweist sich die auf Asylgewährung gerichtete Klage als unbegründet.

2.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nach § 60 Abs. 1 AufenthG.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG besteht in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II Seite 559) ein Abschiebungsverbot für einen Ausländer, der wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung in seinem Leben oder seiner Freiheit bedroht ist. Verfolgung in diesem Sinne kann zum einen vom Staat ausgehen, zum anderen von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staates beherrschen. Sie kann aber auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder die genannten Gruppierungen einschließlich internationaler Organisationen nicht in der Lage oder Willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative.

Politisch verfolgt ist, wem in Anknüpfung an asylrelevante Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (BVerfG vom 10.07.1989, BVerfGE 80, 315/334 f.). Dabei sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und des Art. 16a Abs. 1 GG deckungsgleich, soweit es die Verfolgungshandlung betrifft (BVerwG vom 18.02.1992, Buchholz 402.25 § 7 AsylVfG Nr. 1). Dagegen greift das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 AufenthG auch dann ein, wenn Asyl etwa wegen anderweitiger Sicherheit vor Verfolgung (§ 27 AsylVfG), wegen eines unbeachtlichen Nachfluchtgrundes (§ 28 AsylVfG) oder wegen der Anwendbarkeit des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht gewährt werden kann. Nach rechtskräftiger Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erhält der Ausländer den Status eines Flüchtlings nach § 3 AsylVfG.

Wegen der teilweisen parallelen Voraussetzungen von Art. 16a Abs. 1 GG und § 60 Abs. 1 AufenthG kann Abschiebungsschutz nur erhalten, wer als politisch Verfolgter ausgereist ist bzw. bei dem die politische Verfolgung unmittelbar bevorstand (Vorverfolgter), sowie derjenige, der zwar unverfolgt ausgereist ist, sich aber auf Nachfluchtgründe berufen kann. Das Schutzbegehren eines Vorverfolgten darf nur abgewiesen werden, wenn sich eine erneute Verfolgung ohne ernsthafte Zweifel an dessen Sicherheit im Falle der Rückkehr in die Heimat ausschließen lässt. Wer unverfolgt ausgereist ist, hat hingegen glaubhaft zu machen, dass bei einer Rückkehr in sein Heimatland die Gefahr politischer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG vom 25.09.1984, BVerwGE 70, 169/171).

Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende vielfach hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich dieser Vorgänge für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung. Dies bedeutet, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen muss, die auch nicht völlig auszuschließende Zweifel mit umfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.11.1977, Buchholz 402.24, § 28 AuslG Nr. 11; Urteile vom 16.04., 01.10. und 12.11.1985, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nrn. 32, 37 und 41).

Dabei ist der Beweiswert der Aussage des Asylbewerbers im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Er muss jedoch andererseits von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 20.10.1987, Buchholz 310, § 86 Abs. 3 VwGO, Nr. 37; Beschluss vom 21.07.1989, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG, Nr. 113).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung eines Flüchtlingsschutzes nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Gericht verweist auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

Ergänzend ist zum gerichtlichen Verfahren auszuführen:

Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung keine relevanten Gründe für die Annahme einer staatlichen oder quasi-staatlichen Verfolgung vorgetragen.

a.

Soweit der Kläger eine beachtliche eigene Gefährdung auf einen Angriff in der Firma in Mosul, in der er arbeitete, und bei dem zwei Yeziden getötet worden sein sollen, stützt, ist dies für die Einzelrichterin nicht glaubhaft. Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat gegenüber seiner Anhörung vor dem Bundesamt so erhebliche Widersprüche aufgewiesen, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger insoweit einen wahren, selbst erlebten Sachverhalt berichtet.

Abgesehen davon, dass der Kläger diesen Angriff weiterhin nicht datieren kann, ist festzuhalten, dass der Kläger bei seiner Bundesamtsanhörung ausdrücklich angab, dass auf dem Weg zur Arbeit auf das Auto geschossen worden sei, mit dem er und weitere Kollegen zur Arbeit abgeholt wurden. Davon ausgehend, dass dieser Angriff laut der klägerischen Angabe jedenfalls im Dezember 2009 stattgefunden haben soll, erfolgte die Bundesamtsanhörung am 23.03.2010 so zeitnah, dass an einen selbst erlebten, dramatischen Vorfall mit zwei Todesopfern hinreichend genaue Erinnerung bestehen musste. Wenn nunmehr in der mündlichen Verhandlung der Angriff vor dem Werkseingang in Mosul verlegt wird (Sitzungsniederschrift Seite 2), dann lässt das nur den Schluss zu, dass der Kläger seine Verfolgungsgeschichte nicht erlebt, sondern erfunden hat. Ergänzend überzeugt es auch nicht, dass die „Namensliste“, deren Existenz und Verbleib beim Bundesamt mühsam erfragt werden musste, nach dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nunmehr im – örtlichen – Mittelpunkt des Angriffsgeschehens gestanden haben soll (Sitzungsniederschrift Seite 3). Zudem ist (weiterhin) nicht nachzuvollziehen, inwiefern die beiden genannten Opfer des Anschlags, und damit nach seinen eigenen Befürchtungen auch der Kläger selbst, mit den Namen auf der vorgeblichen Liste in Verbindung gebracht wurden bzw. werden konnten.

Soweit sich die Klagebegründung darauf beruft, dass der Bruder des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Irak zuerkannt bekommen hat, ist daraus nicht zu schließen, dass beim Kläger selbst eine beachtliche Gefährdung i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegt. Die Entscheidung gegenüber dem Bruder mit Bescheid vom 12.12.2007 (Gerichtsakte Blatt 20 f.). erging – wie damals üblich – unter dem Aspekt der Gruppenverfolgung und lässt schon von daher einen Rückschluss auf eine individuelle Gefährdung des Klägers selbst nicht zu.

Nach alledem ist davon auszugehen, dass der Kläger den Irak unverfolgt verlassen hat.

b.

Ein Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling steht dem Kläger auch nicht aus dem Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak zu.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG setzt voraus, dass eine die Regelvermutung eigener Verfolgungsbetroffenheit rechtfertigende Verfolgungsdichte zu anzunehmen ist. Hierfür ist eine so große Anzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl von einzelnen Übergriffen handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder abzielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr der eigenen Betroffenheit entsteht (BVerwG vom 05.07.1994 Az. 9 C 158.94; BVerwG vom 18.07.2006 Az. 1 C 15.05, juris RdNr. 20). Auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG ist an diesen für die Gruppenverfolgung entwickelten Maßstäben festzuhalten (BVerwG vom 21.04.2009 Az. 10 C 11/08, juris RdNr. 16), wobei die für eine unmittelbare und mittelbare staatliche Verfolgung entwickelten Grundsätze auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar sind (BVerwG vom 18.07.2006 Az. 1 C 15.05, juris, RdNr. 21).

Diese in der Rechtsprechung festgelegten Anforderungen an eine Gruppenverfolgung erfüllt die Lage der yezidischen Religionsangehörigen im Irak derzeit nicht.

Den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünften und Medienberichten ist zwar zu entnehmen, dass landesweit Übergriffe auf Yeziden stattgefunden haben und auch noch stattfinden. Andererseits kann aus der ermittelten Anschlagsdichte derzeit nicht auf eine Verfolgungsgefahr für jeden einzelnen Yeziden geschlossen werden.

Hinsichtlich der Größe der yezidischen Religionsgemeinschaft im Irak benennt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12.08.2009 eine geschätzte Zahl zwischen 200.000 und 600.000 Menschen. Der neueste Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28.11.2010 geht – wie schon der vom 11.04.2010 – nunmehr von 200.000 Yeziden nach deren eigenen Angaben aus. Im Hinblick auf die Zahl der gegen Yeziden gerichteten Anschläge stützt sich das Gericht zum einen auf den Bericht des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments EJPD „Focus Irak: Situation der Yeziden in Ninawa und im Gebiet der kurdischen Regionalregierung“ vom 09.04.2008 und zum anderen auf das Gutachten des Europäischen Zentrums für kurdische Studien (EZKS) vom 17.02.2010. Daraus ergeben sich für die Zeit von 2004 bis 2010 zwischen 600 und 800 yezidische Todesopfer, wobei jedoch nicht durchgehend ein Bezug zur Religionszugehörigkeit nachzuweisen ist.

Wenn man jeweils die für den Kläger günstigsten Werte zu Grunde legt, ergibt sich eine Relation von 800 zu 200.000; das entspricht einem Verhältnis von 1:250. Damit sind die Anforderungen an eine Gruppenverfolgung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts derzeit nicht erfüllt. Die genannte Anschlagsdichte lässt eine Regelvermutung, wonach jedes Mitglied der yezidischen Religionsgemeinschaft verfolgt wird, nicht zu. Selbst wenn man eine Verfolgungsdichte von etwa einem Zehntel, wobei 90 % der Gruppe verschont blieben, ausreichen lässt, hält die festgestellte Verfolgungsdichte von 1 : 250 einen sicheren Abstand zum kritischen Bereich. Auch wenn das Gericht nicht verkennt, dass sich die Yeziden im Irak als religiöse Minderheit in einer immer noch vergleichsweise schwierigen Lage befinden, lassen die vorliegenden Erkenntnismittel den Schluss auf eine asylrelevante Gruppenverfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu (vgl. VG Karlsruhe vom 09.06.2010 – A 10 K 3473/09; VG Ansbach vom 22.07.2010 – AN 9 S 10.30242 – beide juris).

Der Kläger stammt aus dem Distrikt Scheichan (Shekhan), Provinz Ninive. In der Auskunft des EZKS an das VG München vom 17.02.2010 (Seite 23 ff.) wird die Situation der Yeziden in den Distrikten Scheichan und al-Scheichan als „derzeit eher ruhig“ und vergleichsweise stabil bezeichnet. Scheichan verfügt über eine direkte Anbindung an die de jure kurdisch verwalteten Gebiete; die Sicherheitslage ist vergleichsweise gut. Es gibt keine irakischen Armeeeinheiten in diesem Distrikt, die Sicherheit wird von Peshmerga-Truppen aufrecht erhalten. Übergriffe auf Yeziden sind nicht bekannt geworden. Dies unterstreicht, dass im Herkunftsgebiet des Klägers nicht von einer Gruppenverfolgung der Yeziden auszugehen ist. Der Auskunft sind auch keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass Yeziden bei der Ausübung ihrer Religion in einer grundrechtsrelevanten Weise eingeschränkt wären.

3.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich des Irak.

a.

Gesichtspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 oder Abs. 3 AufenthG sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

b.

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.

Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich seine Abschiebung in Anwendung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II Seite 685) als unzulässig erweist. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak landesweit oder in Scheichan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK drohen könnte oder dass seine Religionsfreiheit im Sinne von Art 9 EMRK bedroht wäre, bestehen nicht. Der Kläger gab bei der Bundesamtsbefragung an, zu Hause hätten sie die Religion ausüben und auch die Kuppeln besuchen können. Soweit er vorträgt, das yezidische Zentrum in Shekhan fünf Minuten von seinem Haus sei in Brand gesetzt worden, ist dem nicht zu entnehmen, dass dadurch die individuelle Religionsausübung des Klägers beeinträchtigt wurde. Auch in der mündlichen Verhandlung machte er, angesprochen auf diese Inbrandsetzung, keine weiteren Angaben dazu.

c.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.

Nach dieser Bestimmung ist von einer Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes ausgesetzt ist. Diese Vorschrift setzt die sich aus Art. 18 i.V.m. Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines "subsidiären Schutzstatus" bzw. "subsidiären Schutzes" in nationales Recht um. Die in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG getroffene Regelung, die Abschiebungsschutz suchende Ausländer im Fall allgemeiner Gefahren auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ausländerbehördliche Erlasse verweist, ist richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass sie bei Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie keine Sperrwirkung entfaltet (BVerwG vom 24.06.2008, Az. 10 C 43/07, <juris> RdNr. 31).

Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes ist dabei unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung von Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne von Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates (Qualifikationsrichtlinie – QualfRL) nicht von vorne herein aus. Der Konflikt sollte jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerilla-Kämpfen zu sehen sind (BVerwG vom 24.06.2008, Az. C 10.C 43/07, <juris> RdNr. 22). Bezüglich der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Ausländer typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG vom 14.07.2009, Az. 10 C 9/08, <juris> RdNr. 17; BayVGH vom 21.01.2010, Az. 13 a B 08.30283, <juris> RdNr. 27).

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat es in seinem Urteil vom 21.01.2010 (hier Az. 13 a B 08.30285 <juris> RdNrn. 26 ff., betreffend die Provinz Ninive (mit der Provinzhauptstadt Mosul) letztlich dahingestellt sein lassen, „ob die im Irak seit 2003 andauernden, durch staatliche Sicherheitskräfte (Polizei und Militär) bekämpften terroristischen Handlungen“ letztlich als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 c QualfRL zu qualifizieren ist und insoweit die Revision zugelassen. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hat er in dieser Entscheidung – der sich die Kammer anschließt – jedoch ausschlaggebend mit der Erwägung verneint, dass „nicht anzunehmen [ist], dass die Gefahrendichte in Mosul so hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson alleine aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre“ (BayVGH vom 21.01.2010, a.a.O., RdNr. 27). Gestützt werden diese Ausführungen, die hier in Bezug genommen werden, im Wesentlichen auf die von der regierungsunabhängigen Organisation Iraq Body Count (www.iraqbodycount.org) für das Jahr 2009 für die Provinz Ninive (ca. 2,8 Millionen Einwohner) mit der Provinzhauptstadt Mosul (ca. 1,7 Millionen Einwohner) registrierten Opferzahlen (vgl. Informationszentrum Asyl und Migration, Irak, zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010, Seite 23 ff.). Für die Jahre 2010 und 2011 (Erfassung bis April 2011) ist (auch) in der Provinz Ninive eine Abnahme der Opferzahlen zu verzeichnen (2009: 30,1 Tote auf 100.000 Einwohner, 2010 18 Todesopfer und 2011 bis April 4,7, s. Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Juni 2011, insbesondere Grafik S. 51).

Die von Iraq Body Count registrierten zivilen Opfer werden für das Jahr 2010 landesweit mit 4.045 angegeben; gegenüber der Opferzahl von 2009 – 4681 – ergibt sich somit ein weiterer, wenn auch nicht wünschenswert hoher, Rückgang. Für das Jahr 2011 wurden bis einschließlich Juli 2.281 Todesopfer registriert; im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 2.446. Von einer generellen Eskalation der Gewalt ist auf diesem Hintergrund derzeit nicht auszugehen.

Bezogen auf den im Distrikt Scheichan gelegenen Heimatort des Klägers in den umstrittenen, de facto kurdisch verwalteten Gebieten ist zu ergänzen, dass dieser zwar in der Provinz Ninive liegt, an deren (statistisches) Gefährdungspotential – das nach obigen Ausführungen die Grenze einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG insgesamt schon nicht erreicht – jedoch nicht heranreicht. Der Schwerpunkt von Anschlägen in der Provinz Ninive liegt deutlich auf den Gebieten um Mosul: „Die Stadt ist eines der instabilsten Gebiete der Provinz und auch des Irak.“ (Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, a.a.O., Seite 23). Die Lage im Distrikt Scheichan wird vom Europäischen Institut für kurdische Studien – das über eingehende, vor Ort gewonnene Kenntnisse verfügt – in seiner Stellungnahme für das Bayerische Verwaltungsgericht München vom 17.02.2010 (Seite 23 ff.) als „derzeit eher ruhig“ beschrieben (siehe dazu auch VG Ansbach vom 05.03.2010, Az. AN 9 K 09.30214 <juris> RdNrn. 28 und 33). Auch für die Zeit nach den Parlamentswahlen am 07.03.2010 gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Präsenz der kurdischen Sicherheitskräfte (Peshmerga) in den de facto kurdisch verwalteten Gebieten nicht mehr im Sinne einer Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage wirksam wäre (siehe Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010, a.a.O., Seite 11, 28). Individuell gefahrerhöhende Umstände sind beim Kläger, der unverfolgt ausgereist ist und der weder beruflich (z.B. als Polizist oder Soldat u.ä.) noch politisch exponiert war (ebda., Seite 23 f.), nicht ersichtlich.

d.

Der Abschiebung des Klägers steht auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.

Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.

Von der oben dargestellten richtlinienkonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bleibt die vom Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretene Rechtsauffassung unberührt, dass Ausländer bei der Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall allgemeiner Gefahren grundsätzlich auf eine Regelung durch die oberste Landesbehörde nach § 60 a AufenthG verwiesen werden dürfen und bei Fehlen einer solchen Regelung das Bundesamt nur dann zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet werden kann, wenn dieses zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke erforderlich ist (BVerwG vom 24.06.2008, Az. 10 C 43/07, BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241 = Inf-AuslR 2008, 474).

Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 03.07.2008 (Az. IA-2086.10-439) zur „ausländerrechtlichen Behandlung irakischer Staatsangehöriger“ verfügt, dass irakische Staatsangehörige, die nicht Straftäter oder unter Sicherheitsaspekten vordringlich abzuschieben sind, nicht abgeschoben werden und Duldungen bis auf Weiteres auf der Grundlage des § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bis zur Dauer von sechs Monaten erteilt bzw. verlängert werden. Das Gericht geht daher davon aus, dass die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger weiterhin grundsätzlich ausgesetzt bleibt. Damit liegt eine Erlasslage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3, § 60 a AufenthG vor, die dem Kläger derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt. Folglich bedarf der Kläger keines zusätzlichen Schutzes vor der Durchführung der Abschiebung etwa in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Kläger ist deswegen auch nicht schutzlos gestellt. Denn sollte der ihm infolge des genannten Rundschreibens zustehende Abschiebungsschutz nach Rechtskraft dieses Urteils entfallen, so könnte er unter Berufung auf eine – dann noch bestehende – extreme Gefahrenlage jederzeit ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vor dem Bundesamt verlangen.

Allerdings liegen nach Ansicht des Gerichts auch keine individuellen Gründe vor (s. o. 1.a.).

4.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28.05.2010 gibt auch hinsichtlich seiner Nr. 4, wonach der Kläger unter Androhung der Abschiebung in den Irak zur Ausreise aufgefordert wurde, keinen Anlass zu Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber dem Kläger entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn ihm stehen, wie oben ausgeführt, weder Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zur Seite, noch besitzt der Kläger eine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung.

Die Klage ist sonach insgesamt als unbegründet abzuweisen.

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Zitate13
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte