Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.08.2011 - 11 ZB 10.2620
Fundstelle
openJur 2012, 117438
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren und - insoweit unter Abänderung des Streitwertfestsetzungsbeschlusses des Verwaltungsgerichts vom 16. September 2010 - auch für das Verfahren im ersten Rechtszug auf jeweils 17.500,-- € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A18, B, BE, C1, C1E, L und M.

Nach den Feststellungen in dem gegen ihn ergangenen, rechtskräftigen Bußgeldbescheid des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes vom 19. März 2007 führte er am 15. Februar 2007 ein Kraftfahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,70 ‰ im Straßenverkehr. Durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 6. Oktober 2008 verhängte das Amtsgericht Neustadt a. d. Aisch gegen ihn wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit eine Geldbuße von 500,-- € und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Damit wurde geahndet, dass der Kläger am 11. April 2008 gegen 22.45 Uhr einen Personenkraftwagen im öffentlichen Straßenverkehr geführt hatte, obwohl eine ihm um 23.15 Uhr entnommene Blutprobe eine mittlere Alkoholkonzentration von 0,77 ‰ aufwies, und er sich der Verbringung zur Blutentnahme durch den Einsatz körperlicher Gewalt widersetzt hatte.

Auf Verlangen des Landratsamts Neustadt a. d. Aisch - Bad Windsheim brachte der Kläger ein über ihn erstelltes, am 18. März 2009 versandtes medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten bei, das der Klärung der Frage diente, ob zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde und/oder ob als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vorlägen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Klassen A, A1, A18, B, BE, C1, C1E, L, M und S in Frage stellten. Das Gutachten verneinte den zweiten, bejahte jedoch den ersten Teil der Fragestellung.

Nachdem das Landratsamt den Kläger zum beabsichtigten Entzug der Fahrerlaubnis angehört hatte, erhob dieser gegenüber der von ihm beauftragten Begutachtungsstelle für Fahreignung Einwände gegen die Vorgehensweise der Ärztin, die den medizinischen Teil der dem Gutachten vom 18. März 2009 vorausgehenden Untersuchung durchgeführt hatte. In einem an das Landratsamt gerichteten Schreiben vom 10. Juni 2009 machte er ferner geltend, seit fünf Monaten verzichte er vollständig auf Alkohol. Er legte mehrere aus dem ersten Halbjahr 2009 stammende Laborbefunde und ein am 2. Juni 2009 ausgestelltes Attest vor, in dem ihm Fachärzte für Allgemeinmedizin bescheinigten, bei Untersuchungen, denen sich der Kläger seit Januar 2009 bei ihnen mehrfach unterzogen habe, hätten sich keine Hinweise auf chronischen Alkoholismus gefunden; die Leberwerte und der CDT-Wert seien stets normal gewesen. Ferner reichte er beim Landratsamt eine ihm am 12. Februar 2009 von dem Diplom-Psychologen G… ausgestellte Bescheinigung ein, der zufolge der Kläger in der Zeit vom 26. Januar 2009 bis zum 12. Februar 2009 an einer sechsstündigen verkehrspsychologischen Individualberatung teilgenommen hatte, in deren Verlauf er die Ursachen und Bedingungen seines früheren problematischen Verhaltens bearbeitet habe, wobei er bereits eingeleitete Einstellungs- und Verhaltensänderungen habe fortsetzen und stabilisieren können.

Durch Bescheid vom 26. Juni 2009 entzog das Landratsamt dem Kläger die Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge aller Klassen und gab ihm auf, seinen Führerschein innerhalb von sieben Tagen nach der Zustellung des Bescheids abzugeben. Diese Anordnungen wurden für sofort vollziehbar erklärt. Falls der Kläger der Ablieferungspflicht nicht fristgerecht nachkomme, wurde ihm ein Zwangsgeld angedroht.

Zur Begründung des Widerspruchs, den der Kläger gegen diesen Bescheid eingelegt hat, verwies er auf ein Attest der vorerwähnten Fachärzte für Allgemeinmedizin vom 14. Juli 2009, in dem u. a. ausgeführt wurde, die seit Beginn des Jahres 2009 beim Kläger durchgeführten Laboruntersuchungen hätten ergeben, dass sich außer den Leberwerten und dem CDT-Wert auch die MCV-Werte stets im Normbereich bewegt hätten. Ferner bezog sich der Kläger auf einen von einem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie am 17. Juli 2009 verfassten Arztbrief, in dem in Bezug auf ihn u. a. die Diagnosen "verstärkter vegetativer Tremor" und "Zustand nach schädlichem C2-Gebrauch" gestellt werden. Wegen des weiteren Inhalts dieses Arztbriefes sowie einer in das Widerspruchsverfahren eingeführten Stellungnahme des Diplom-Psychologen G… vom 14. Juli 2009 wird auf die Darstellungen in den Randnummern 7 f. des zwischen den Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits ergangenen Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Mai 2010 (Az. 11 CS 10.41 <juris>) verwiesen.

Mit Schreiben vom 30. September 2009 räumte das Landratsamt dem Kläger die Möglichkeit ein, bis zum 13. November 2009 ein weiteres medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, das der Klärung der gleichen Fragestellung wie die Ausarbeitung vom 18. März 2009 dienen sollte. Nachdem der Kläger eine Begutachtungsstelle für Fahreignung benannt hatte, die das neue Gutachten erstellen sollte, und die Unterlagen dorthin übersandt worden waren, vertrat er mit Schreiben seiner Bevollmächtigten an das Landratsamt vom 13. November 2009 die Auffassung, die Einholung eines weiteren Fahreignungsgutachtens sei nicht erforderlich, da schon aufgrund der vorgelegten Nachweise über seine "Fahrtauglichkeit" die Entscheidungsgrundlage, auf der der Bescheid vom 26. Juni 2009 beruhe, entfallen sei.

Bereits am 10. September 2009 hatte der Kläger beim Verwaltungsgericht Ansbach beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 8. Dezember 2009 (Az. AN 10 S 09.1705) ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Klägers wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof durch den vorerwähnten Beschluss vom 3. Mai 2010 (a.a.O.) als unbegründet zurück.

Nachdem die Regierung von Mittelfranken den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 26. Juni 2009 am 29. März 2010 als unbegründet zurückgewiesen hatte, erhob er am 30. April 2010 Klage, mit der er die Aufhebung des Bescheids vom 26. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. März 2010 beantragte. Durch Gerichtsbescheid vom 16. September 2010 wies das Verwaltungsgericht Ansbach die Klage unter Bezugnahme auf die Gründe der Beschlüsse vom 8. Dezember 2009 (a.a.O.) und vom 3. Mai 2010 (a.a.O.) als zulässig, aber nicht begründet ab.

Zur Begründung seines Antrags, gegen diese Entscheidung die Berufung zuzulassen, macht der Kläger geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheids, der zudem im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von Beschlüssen abweiche, die der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am 25. Januar 2006 in den Verfahren 11 CS 05.1711 und 11 CS 05.163 erlassen habe. Ferner müsse die Berufung deshalb zugelassen werden, weil der Frage, "ob und in welchem Umfang ein medizinisch-psychologisches Gutachten durch Privatgutachten ergänzt werden kann", grundsätzliche Bedeutung zukomme.

Der Beklagte beantragt, den Zulassungsantrag abzulehnen. Wegen der von ihm eingenommenen Rechtsstandpunkte wird auf die Antragserwiderung vom 17. Dezember 2010, wegen der weiteren Einzelheiten auf die im vorliegenden Hauptsacherechtsstreit und im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO in beiden Rechtszügen angefallenen Gerichtsakten, ferner auf den vom Verwaltungsgericht beigezogenen Vorgang des Landratsamts verwiesen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da in der Antragsbegründung die Voraussetzungen der Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO bereits nicht in der erforderlichen Weise dargelegt wurden und sich aus dem dortigen Vorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergeben.

1. Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer

a) eine bestimmte tatsächliche oder rechtliche Frage genau bezeichnet,

b) darlegt, dass im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts die Herbeiführung einer obergerichtlichen Entscheidung über diese Frage erforderlich ist,

c) aufzeigt, dass sie sich im anhängigen Rechtsstreit in entscheidungserheblicher Weise stellt, und

d) ausführt, warum einer obergerichtlichen Aussage zu dieser Frage über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukommt

(vgl. u. a. Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, RdNr. 211 zu § 124).

Aus der Antragsbegründung vom 30. November 2010 ergibt sich nicht, warum die dort aufgeworfene Frage, "ob und in welchem Umfange ein medizinisch-psychologisches Gutachten durch Privatgutachten ergänzt werden kann", der Klärung bedarf. Insbesondere wurde nicht einmal ansatzweise aufgezeigt, dass insoweit in der Rechtsprechung oder - sofern das genügen sollte - im einschlägigen Schrifttum unterschiedliche Auffassungen vertreten werden.

Lediglich klarstellend ist deshalb anzumerken, dass die "Ergänzung", d.h. die "Vervollständigung" eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens, das entweder entgegen der Nummer 2 Buchst. b der Anlage 15 zur Fahrerlaubnis-Verordnung nur einen Teil der von der Fahrerlaubnisbehörde formulierten Fragen beantwortet oder das unter Verstoß gegen die Nummer 2 Buchst. a der Anlage 15 für die gegebenen Antworten keine (ausreichende) Begründung gegeben hat, grundsätzlich ebenfalls nur durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten erfolgen kann. Wenn die Rechtsordnung zur Klärung von Fahreignungszweifeln die Vorlage eines solchen Gutachtens verlangt, können Lücken und Mängel, die eine solche Ausarbeitung aufweist, ihrerseits nur durch ein Gutachten behoben werden, das auch hinsichtlich seiner Urheberschaft den normativ vorgegebenen Anforderungen genügt. Allenfalls dann, wenn die Unzulänglichkeiten ausschließlich den medizinischen Teil eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens betreffen, kommt u. U. auch die Ergänzung durch ein - von der Fahrerlaubnisbehörde anzuforderndes - ärztliches Gutachten im Sinn von § 11 Abs. 2 Sätze 3 und 4, § 13 Satz 1 Nr. 1 oder § 14 Abs. 1 Sätze 1 oder 2 FeV in Betracht.

Sollte der Kläger demgegenüber die Frage aufwerfen wollen, ob ein erstelltes medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten durch Privatgutachten nicht in dem vorbezeichneten Sinn "ergänzt", sondern im Gegenteil "widerlegt" werden kann, so wäre diese Frage ohne weiteres zu bejahen. Da jeder in der öffentlichen Verwaltung oder bei Gericht tätige Amtsträger gehalten ist, die Äußerungen von Sachverständigen auf ihre inhaltliche Überzeugungskraft hin zu überprüfen, ehe er sie zur Grundlage einer Entscheidung macht, ist er berechtigt und verpflichtet, jede Erkenntnisquelle zu berücksichtigen, aus der sich bei pflichtgemäßer Beurteilung Zweifel an der Verlässlichkeit eines Fahreignungsgutachtens ergeben. Dazu können, worauf der Beklagte am Ende der Antragserwiderung vom 17. Dezember 2010 zutreffend hingewiesen hat, auch Ausarbeitungen gehören, die ein Verfahrensbeteiligter durch von ihm beauftragte Personen ("Privatgutachter") hat erstellen lassen. Ob sich aus den vom Kläger vorgelegten Unterlagen tatsächlich solche Zweifel ergeben, ist im Rahmen des Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu erörtern.

2. Um die Voraussetzungen einer Abweichung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO darzutun, muss der Rechtsmittelführer aufzeigen, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil entweder einen für seine Entscheidung erheblichen Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem - konkret zu bezeichnenden - Rechtssatz abweicht, den eines der in der letztgenannten Vorschrift erwähnten Gerichte bei der Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Norm in entscheidungstragender Weise angewandt hat, oder dass das angefochtene Urteil ausschlaggebend auf einer tatsächlichen Annahme beruht, die zu einer entscheidungserheblichen tatsächlichen Annahme eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bezeichneten Gerichte in Widerspruch steht (vgl. z.B. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, RdNr. 11 zu § 124).

Das Vorbringen in der Antragsbegründung genügt auch diesen Anforderungen nicht. Soweit der Kläger eine Divergenz zu einer Entscheidung behauptet, die der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Verfahren 11 CS 05.163 erlassen habe, ist unter diesem Aktenzeichen weder am 25. Januar 2006 noch an einem anderen Tag ein Beschluss ergangen. Die am 25. Januar 2006 in der Sache 11 CS 05.1711 erlassene Entscheidung (DAR 2006, 407) beruht nicht tragend auf einem Rechtssatz, der sich mit den fahrerlaubnisrechtlichen Folgen befasst, die dann eintreten, wenn seit einem bestimmten Vorkommnis mehr als ein Jahr verstrichen ist. In Abschnitt II.1 der Gründe des Beschlusses vom 25. Januar 2006 (a.a.O.) wurde vielmehr auf die in jenem Verfahren bestehende prozessuale Unbeachtlichkeit des Vorbringens verwiesen, das sich mit dem Ablauf der Einjahresfrist befasste, die der Bayerische Verwaltungsgerichtshof seit der Entscheidung vom 9. Mai 2005 (BayVBl 2006, 18) dann unter bestimmten Voraussetzungen als rechtserheblich ansieht, wenn darüber zu befinden ist, ob ein wegen vorangegangenen Betäubungsmittelkonsums nachweislich eingetretener Verlust der Fahreignung weiterhin als im Sinn von § 11 Abs. 7 FeV zweifelsfrei feststehend angesehen werden darf.

Soweit sich der Kläger in Abschnitt 2 der Antragsbegründung vom 30. November 2010 ansonsten mit der Frage befasst, welche Bedeutung dem Gesichtspunkt des Zeitablaufs in seinem Fall zukommt, berücksichtigt der Senat dieses Vorbringen im Rahmen der Prüfung des Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

3. Aus dem Schriftsatz vom 30. November 2010 ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheids.

Dass dem Kläger die Fahrerlaubnis auf alle Fälle zu Recht entzogen wurde, folgt bereits aus folgender Überlegung: Wäre mit der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung davon auszugehen, dass sich seine Fahrungeeignetheit nicht in überzeugender Weise aus dem Gutachten vom 18. März 2009 ergibt, so wäre das Landratsamt verpflichtet gewesen, dem Kläger die Beibringung eines neuen medizinisch-psychologischen Gutachtens aufzugeben. Die dahingehende Aufforderung vom 30. September 2009 wäre unter dieser Voraussetzung rechtmäßig gewesen, so dass aus der Nichtbefolgung dieses behördlichen Verlangens gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die fehlende Fahreignung des Klägers hätte geschlossen werden dürfen.

Zu Recht haben jedoch sowohl das Landratsamt als auch die Regierung und das Verwaltungsgericht die Fahrungeeignetheit des Klägers bereits aufgrund des Gutachtens vom 18. März 2009 als erwiesen angesehen.

Nach der Nummer 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ist fahrungeeignet, wer Alkoholmissbrauch im straßenverkehrsrechtlichen Sinn betreibt, d.h. wer das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann. Die Trunkenheitsfahrten des Klägers am 15. Februar 2007 und am 11. April 2008 gaben zumindest Anlass, den Verdacht zu hegen, dass es bei ihm aus diesem Grund zu einem Verlust der Fahreignung gekommen sein könnte.

Diese beiden Taten waren sowohl im Zeitpunkt der Gutachtensanforderung als auch an dem für die gerichtliche Prüfung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Datum - nämlich am Tag der Zustellung des Widerspruchsbescheids (vgl. z.B. BVerwG vom 19.4.1995 Az. 11 B 196.94 <juris> RdNr. 5) - noch berücksichtigungsfähig. Resultieren Zweifel an der Fahreignung einer Person aus Vorfällen, die Eintragungen in das Verkehrszentralregister nach sich ziehen, so dürfen diese Vorkommnisse nach der Spruchpraxis des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. grundlegend BayVGH vom 6.5.2008 Az. 11 CS 08.551 <juris>), die ihrerseits auf dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2005 (Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 11) aufbaut, so lange zum Anknüpfungspunkt für fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen gemacht werden, als die einschlägige Eintragung im Verkehrszentralregister noch nicht getilgt (oder trotz erfolgter Tilgung noch verwertbar) ist. Das gegen den Kläger erlassene Strafurteil vom 6. Oktober 2008 unterliegt, soweit darin die von ihm am 11. April 2008 begangene Straftat nach § 113 StGB geahndet wurde (sie stand im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr und war deshalb nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 StVG in das Verkehrszentralregister einzutragen), gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a StVG einer fünfjährigen Tilgungsfrist, die nach § 29 Abs. 4 Nr. 1 StVG am 7. Oktober 2008 begann. Bleibt diese Verurteilung mithin jedenfalls bis zum 6. Oktober 2013 berücksichtigungsfähig, so ist bis dahin gemäß § 29 Abs. 6 Sätze 1 und 4 StVG auch die Tilgung der Ahndungen der vom Kläger am 15. Februar 2007 und am 11. April 2008 begangenen Ordnungswidrigkeiten nach § 24 a Abs. 1 und 3 StVG gehemmt.

Die Fragestellung, zu deren Lösung der beschließende Senat die Rechtsfigur der "verfahrensrechtlichen Einjahresfrist" entwickelt hat (nämlich die Problematik, unter welchen Voraussetzungen und von welchem Zeitpunkt an in Fällen, in denen zunächst von einem feststehenden Verlust der Fahreignung ausgegangen werden durfte, später Aufklärungsbedarf im Hinblick auf eine zwischenzeitlich ggf. eingetretene Wiedererlangung der Fahreignung entsteht), stellt sich im vorliegenden Verfahren schon deshalb nicht in gleicher Weise, weil eine Fahreignung, die wegen Alkoholmissbrauchs im Sinn der Nummer 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung verloren wurde, nach der Nummer 8.2 der Anlage 4 dann wiedergewonnen wird, wenn das missbräuchliche Verhalten (d.h. die fehlende Trennung zwischen einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum und dem Führen von Fahrzeugen) eingestellt wurde und ein solcher Verhaltenswandel als gefestigt angesehen werden kann. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt - anders als in den von den Nummern 8.4 und 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung erfassten Fällen - mit Ausnahme besonders gelagerter, atypischer Sachverhaltsgestaltungen nicht von der Zurücklegung bestimmter Abstinenzzeiträume ab.

Bestand somit hinreichender Anlass, die Fahreignung des Klägers zu bezweifeln, so könnten diese Zweifel nur dann als ausgeräumt gelten, wenn positiv nachgewiesen worden wäre, dass spätestens im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt die Voraussetzungen der Nummer 8.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vorlagen. Das einzige von der Rechtsordnung zugelassene Mittel, um diesen Nachweis in einem Verwaltungsverfahren zu führen, ist gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten. Anderen Erkenntnisquellen (z.B. Privatgutachten, Stellungnahmen behandelnder Ärzte oder Psychologen etc.) kann angesichts dieser Regelung nur insoweit Bedeutung zukommen, als sie ggf. geeignet sein können, dem Betroffenen ungünstige Aussagen in einem medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachten zu erschüttern oder zu widerlegen bzw. darin enthaltene Einschätzungen ergänzend zu stützen.

Das Gutachten vom 18. März 2009 gelangte zu dem eindeutigen Ergebnis, es sei zu erwarten, dass der Kläger auch künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Begründet wurde diese Aussage u. a. damit, dass bei ihm keine nachvollziehbaren und ausreichenden Veränderungen erkennbar seien (vgl. den drittletzten Absatz auf Seite 18 jener Ausarbeitung). Damit stellte die Begutachtungsstelle auf das nach der Nummer 8.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ausschlaggebende Kriterium ab, wonach es zu einer gefestigten Änderung des Trinkverhaltens gekommen sein muss. Das Vorbringen im Schriftsatz vom 30. November 2010 ist nicht geeignet, die Überzeugungskraft dieser von der Begutachtungsstelle eingehend begründeten Aussage (vgl. dazu bereits die Ausführungen insbesondere unter den Randnummern 20 sowie 23 bis 33 des Beschlusses vom 3.5.2010, a.a.O.) in Frage zu stellen. Die Zuschrift der Klagebevollmächtigten vom 15. Juli 2011 einschließlich ihrer Anlagen hat insoweit schon deshalb außer Betracht zu bleiben, weil sie dem Gericht erst nach dem Ablauf der gesetzlichen Antragsbegründungsfrist (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) zugegangen ist.

Die Bescheinigungen über die Ergebnisse laboratoriumsmedizinischer Analysen von Körperflüssigkeiten, die der Kläger während des Verfahrens vor der Ausgangs- und der Widerspruchsbehörde vorgelegt hat, sind deswegen ungeeignet, den Befund der medizinisch-psychologischen Begutachtung zu erschüttern oder zu widerlegen, weil durch die ermittelten Laborwerte lediglich - und auch das nicht zwingend, sondern nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit - dargetan wird, dass der Kläger im Vorfeld der Blutentnahmen nicht über längere Zeit hinweg Alkoholmissbrauch im medizinischen Sinn betrieben, d.h. Alkohol nicht in übermäßig großen, schädlichen Mengen zu sich genommen hat (vgl. zu diesem Bedeutungsgehalt des medizinischen Begriffs des Missbrauchs psychotroper Substanzen z.B. die Erläuterungen zu Abschnitt F10.1 der ICD-10). In Übereinstimmung damit wird in den Befundberichten, die sich als Blatt 100 und 101 in der Akte des Landratsamts finden, jeweils darauf hingewiesen, dass sich aus den erhobenen Laborwerten "keine Hinweise für einen anhaltenden Alkoholabusus" ergäben. Die Fahreignung des Klägers hängt jedoch nicht davon ab, ob er dieses Rauschmittel in gesundheitsschädlichem Umfang konsumiert, sondern beurteilt sich danach, ob er künftig mit Sicherheit zwischen einem die Fahrtauglichkeit beeinträchtigenden Alkoholgenuss (diese Schwelle kann schon durch die Aufnahme vergleichsweise geringer Alkoholmengen erreicht werden) und dem Führen von Fahrzeugen zuverlässig trennen wird. Ob ihm eine solche Prognose gestellt werden kann, hängt von seiner Einsichts- und seiner Steuerungsfähigkeit und damit von Umständen ab, die nicht Gegenstand einer laboratoriumsmedizinischen Diagnostik, sondern einer psychologischen Begutachtung sind.

Aus den gleichen Gründen unbehelflich ist auch das im Verfahren auf Zulassung der Berufung vorgelegte ärztliche Attest vom 13. Juli 2010 über beim Kläger erhobene laborchemische Werte. Außer Betracht bleiben müssen diese Befunde aber auch deshalb, weil sie sich auf die Zeit nach der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids - und damit nach dem maßgeblichen Beurteilungsstichtag - beziehen.

Ebenfalls nicht geeignet, die Richtigkeit des Gerichtsbescheids vom 16. September 2010 zu erschüttern, sind die vom Kläger vorgelegten Berichte über die Ergebnisse von bei ihm durchgeführten Haaranalysen, durch die seine Alkoholabstinenz dargetan werden soll. Denn sie beziehen sich auf die Zeit ab Mitte Mai 2010 und damit ebenfalls auf eine Phase, die nach der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids liegt.

Gleiches gilt für das Testat der Psychologischen Beraterin … vom 15. November 2010, in dem Erkenntnisse über den Kläger referiert werden, die in Beratungsgesprächen gewonnen worden seien, die zwischen dem 30. Juli 2010 und dem 5. November 2010 stattgefunden hätten. Wenn in dieser Bestätigung davon gesprochen wird, der Kläger habe durch die Gespräche mit Frau … "Einsicht in bislang nicht berücksichtigte Zusammenhänge bezüglich der Trinkgewohnheiten und des Alkoholproblems" gewonnen, so spricht das im Übrigen für die Richtigkeit der im Gutachten vom 18. März 2009 enthaltenen Aussage, wonach es beim Kläger damals noch nicht zu den erforderlichen Reflexionen über die Ursachen seines Fehlverhaltens gekommen war.

Dass die von dem Diplom-Psychologen G… in seinem Schreiben vom 14. Juli 2009 geübte Kritik an der Tätigkeit der Ärztin, die den medizinischen Teil der dem Gutachten vom 18. März 2009 vorausgehenden Untersuchung durchgeführt hat, die Ergebnisrichtigkeit jener Ausarbeitung nicht durchgreifend zu erschüttern vermag, wurde bereits im Beschluss vom 3. Mai 2010 (a.a.O.) eingehend dargelegt. Da die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung insoweit keine entscheidungserheblichen neuen Gesichtspunkte vorträgt, kann auf die Ausführungen insbesondere in den Randnummern 18 ff. jener Entscheidung Bezug genommen werden. Soweit Herr G… im Schreiben vom 19. Juli 2009 außerdem anmerkte, er habe den Kläger "als einen verantwortungsbewussten und vernünftigen Menschen kennen gelernt, der durch sein krasses Fehlverhalten im Straßenverkehr nunmehr beeindruckt ist und aufgrund einer daraus resultierenden Problemsicht konkrete Konsequenzen zur Vermeidung einer erneuten Wiederholung gezogen" habe, so hat Herr G… aus seiner Einschätzung der Persönlichkeit des Klägers nur die Konsequenz gezogen, dass er aus diesem Grund dessen Darstellungen über den Ablauf des medizinischen Teils der dem Gutachten vom 18. März 2009 vorausgehenden Untersuchung für glaubwürdig halte. Zu Recht nicht hergeleitet hat Herr G… daraus, dass der Kläger als fahrgeeignet angesehen werden müsse. Da der positive Nachweis der Fahreignung nach vorangegangenem Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn - wie dargestellt - grundsätzlich nur durch ein dem Betroffenen günstiges medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten geführt werden kann, könnte der vorstehend referierten Einschätzung des Diplom-Psychologen G… auch keine dahingehende Beweiseignung zuerkannt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Die von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, mittelbar aber auch von dem Beschluss vom 3. Mai 2010 (a.a.O.) abweichende Streitwertfestsetzung erklärt sich daraus, dass der Verwaltungsgerichtshof im vierten Quartal des Jahres 2010 dazu übergangen ist, Fahrerlaubnisse der Klassen B und C1 bei der Streitwertbemessung jeweils gesondert zu berücksichtigen, da die Klasse C1, wie sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1 FeV ergibt, die Klasse B nicht umfasst, sondern vielmehr zwei im Verhältnis zueinander komplementäre Berechtigungen in Frage stehen: Die Klasse B gestattet das Führen von Kraftfahrzeugen bis zu einem zulässigen Gesamtgewicht von 3500 kg, während die Klasse C1 ausschließlich den Bereich von über 3500 bis 7500 kg abdeckt (vgl. BayVGH vom 23.11.2010 BayVBl 2011, 189 f.). Der auf die Klassen B und C1 entfallende Streitwert von jeweils 5.000,-- € (Abschnitte II.46.3 und II.46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327) ist deshalb doppelt anzusetzen. Unter Hinzunahme der Streitwerte für die Klasse A in Höhe von 5.000,-- € (Abschnitt II.46.1 des Streitwertkatalogs) und für die Klasse E in Höhe von 2.500,-- € (Abschnitt II.46.8 des Streitwertkatalogs) errechnet sich so ein Betrag von 17.500,-- €. Die Befugnis des Verwaltungsgerichtshofs, die Streitwertfestsetzung der Vorinstanz von Amts wegen zu ändern, ergibt sich aus § 63 Abs. 3 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird der angefochtene Gerichtsbescheid gemäß § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.