VG München, Urteil vom 14.07.2011 - M 17 K 11.30185
Fundstelle
openJur 2012, 116951
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist nach ihren Angaben serbische Staatsangehörige aus der Volksgruppe der Roma. Sie reiste am … Dezember 2010 mit einem Pkw in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am … Januar 2011 Asylantrag.

Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt/BAMF) am … Januar 2011 gab die Klägerin an, sie habe sich bereits von 1999 bis 2003 in Deutschland aufgehalten. Sie habe eine Duldung als Bürgerkriegsflüchtling gehabt. Im Mai 2010 sei sie einen Monat im Krankenhaus … gewesen. Asyl habe sie nicht beantragt, sondern sei im Juni 2010 wieder nach Serbien zurückgekehrt. Sie sei wegen ihrer Krankheit nach Deutschland gekommen. Sie habe zu Hause sehr viele Tabletten genommen und wolle sich hier behandeln lassen. Sie sei in Serbien viele Male wegen ihrer Krankheit im Krankenhaus in der Psychiatrie gewesen. In Deutschland werde sie besser behandelt. Als Roma sei sie beschimpft und verspottet worden. Die Kinder hätten Steine auf sie geworfen.

Sie legte einen Arztbericht des … vom … Januar 2011 über ihren dortigen stationären Aufenthalt vom … Dezember 2010 bis … Januar 2011 vor. Die Diagnose lautet: „Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen (ICD-10: F32.3)“. Es handele sich um die neunte stationär-psychiatrische Aufnahme in diesem Hause. Die Klägerin habe sich aufgrund von passiven Todeswünschen stationär vorgestellt. Unter der aktuellen Medikation habe sie sich stabilisiert, sei zugänglicher geworden und versucht, sich in den Stationsalltag zu integrieren. Während ihres Aufenthalts sei sie zu jeder Zeit von Suizidalität distanziert gewesen. Auf ihren Wunsch sei sie aufgrund der guten Stimmungslage sowie des stabilisierten Affektes entlassen worden. Zu diesem Zeitpunkt sei sie formal geordnet, affektiv stabilisiert, nicht psychotisch und glaubhaft von Suizidalität distanziert gewesen.

Mit Bescheid vom … Januar 2011, laut Postzustellungsurkunde (Bl. 8/9 der Gerichtsakte) zugestellt am … Februar 2011, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen, und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche ab Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Serbien oder in einen anderen Staat angedroht, in den die Klägerin einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Durchführung eines erneuten Asylverfahrens seien gegeben, da das Asylerstverfahren bereits 10 Jahre zurückliege und die Verfahrensakten des Bundesamtes nicht mehr vorhanden seien. Der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG werde als offensichtlich unbegründet abgelehnt.

Es bestehe offensichtlich kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S. des § 60 Abs. 1 AufenthG. Die Klägerin habe bei einer Rückkehr nach Serbien wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma keine Verfolgungsmaßnahme zu befürchten. Angehörige ethnischer Minderheiten unterlägen in Serbien allein wegen ihrer Volks- und Religionszugehörigkeit keiner staatlichen Verfolgung i.S. des Art. 16 a GG und § 60 Abs. 1 AufenthG. Auch wenn in Einzelfällen in Serbien kein effektiver Schutz geleistet worden sei, rechtfertige dies nicht die Annahme, dass der Staat Übergriffe dieser Art im Allgemeinen hinnehme. Es gebe keine Anzeichen für systematische staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Roma. Die Klägerin habe ansonsten keinerlei Gründe dargelegt, die auf eine asylrechtlich relevante Verfolgung schließen ließen.

Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Europarechtliche Abschiebungsverbote seien nicht ersichtlich. Eine auf die Klägerin zu beziehende individuelle und konkrete Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG lasse sich in ihrem Falle ebenfalls nicht feststellen. Es werde nicht verkannt, dass die Lebensbedingungen für Flüchtlinge und Heimkehrer in der Regel sehr schwierig seien. Gleichwohl lägen keine existenziellen Gefährdungen vor, die nach ihrer Intensität und Schwere einer Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkämen. Soweit sich die Klägerin darauf berufe, auf Grund ihrer psychischen Erkrankung Serbien verlassen zu haben, führe dies zu keiner anderen Einschätzung. Das öffentliche Gesundheitssystem in Serbien biete allen Bürgern eine grundlegende Versorgung. Auch die Grundversorgung mit häufig verwendeten, zunehmend auch mit selteneren Medikamenten sei gewährleistet. Alle registrierten Bewohner Serbiens hätten freien Zugang zur medizinischen Versorgung. Psychische Erkrankungen seien in Serbien grundsätzlich behandelbar. Patienten mit ernsthaften psychischen Störungen (Psychosen) würden, unabhängig vom Status, grundsätzlich kostenfrei behandelt.

Die Klägerin erhob mit Schreiben vom … März 2011, am selben Tag eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage sinngemäß mit dem Antrag:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom …1.2011 verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG vorliegen.

Weiter beantragte sie nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Vorsorglich für den Fall, dass die Klagefrist versäumt sein sollte, beantrage sie die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die weitere inhaltliche Begründung werde nachgereicht, sobald ihr gesetzlicher Betreuer bestellt sei.

Das Bundesamt legte mit Schreiben vom … März 2011 und … März 2011 die Akten vor.

Die gesetzliche Betreuerin teilte mit Schreiben vom … April 2011 unter Vorlage des Betreuerausweises vom … März 2011 mit, dass die Klägerin seit Jahren an einer paranoiden Schizophrenie und schweren Depressionen leidet. Laut Anamnese habe es bereits mehre Suizidversuche gegeben. Aktuell befinde sie sich in der ambulanten Behandlung im ….

Mit Beschluss vom 16. Juni 2011 wurde der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG auf den Einzelrichter übertragen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der sonstigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2011 und die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2011 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist soweit angefochten rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).

Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor. Ebenso wenig ist die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylVfG erlassene Abschiebungsandrohung zu beanstanden. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe sieht das Gericht ab und folgt der Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Ergänzend ist folgendes auszuführen:

Das erkennende Gericht vermag im Zeitpunkt seiner Entscheidung ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG nicht festzustellen. Insbesondere hat die Klägerin eine erhebliche konkrete Gefahr für ihre Gesundheit im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht dargetan. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche, konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG vom 2.11.1995, 9 B 710.94). Eine Gefahr ist „erheblich", wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Heimatland eintreten wird (vgl. OVG Lüneburg vom 12.9.2007 8 LB 210/05 Rn. 29 m.w.N. -juris-). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urteil vom 29.10.2002 1 C 1/02 -juris-) auch dann, wenn im Heimatland des Ausländers die notwendige Behandlung oder Medikation seiner Erkrankung zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist.

Gemessen an diesen Grundsätzen besteht bei der Klägerin kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auf Grund der vorgelegten ärztlichen Bestätigungen des … vom … Januar 2011 (Bl. 35, 43 und 54 d. Behördenakte) geht das erkennende Gericht zwar davon aus, dass die Klägerin an einer schweren psychischen Erkrankung leidet und ständiger psychiatrischer Behandlung bedarf. Die Klägerin hat das Krankenhaus zwischenzeitlich bereits seit einigen Monaten wieder verlassen und wird laut Angaben ihrer Betreuerin nunmehr einer ambulanten Behandlung unterzogen. Weitere ärztliche Atteste hat die Klägerin jedoch nicht vorgelegt.

Das erkennende Gericht konnte sich aufgrund der vorliegenden ärztlichen Schreiben nicht davon überzeugen, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin alsbald nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat wesentlich verschlechtern würde. Es ist davon auszugehen, dass die Möglichkeit zu kontinuierlicher Überwachung und Behandlung auch in Serbien besteht und das aktuelle Krankheitsbild der Antragstellerin dort - wenn auch nicht mit den in der Bundesrepublik Deutschland üblichen Standard - hinreichend behandelbar ist. So ergibt sich aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Serbien vom 4. Juni 2010 (Stand: Mai 2010 S. 22 ff.), dass Belgrad und alle größeren Städte Serbiens mit allgemeinen Krankenhäusern ausgestattet sind, teilweise auch mit Spezialkliniken. Demzufolge gibt es nur sehr wenige Erkrankungen, die in Serbien aufgrund der fehlenden Ausrüstung grundsätzlich nicht oder nur sehr schlecht behandelt werden können. Ausgebildetes medizinisches Personal ist vorhanden. Psychische Krankheiten werden in Serbien aufgrund des dort vorherrschenden medizinischen Ansatzes vorwiegend medikamentös behandelt. Es bestehe jedoch auch die Möglichkeit anderer Therapieformen. Es gebe Kliniken für die Behandlung von Suchtkrankheiten (vgl. a.a.O. S. 23). Für die medizinische Versorgung gibt es in Serbien im Bereich der Krankenversicherung die gesetzliche Pflichtversicherung. Die Pflichtversicherung gilt für alle Arbeitnehmer, einschließlich ihrer Familienangehörigen. Gemeldete anerkannte Arbeitslose und anerkannte Sozialhilfeempfänger sowie deren Familienangehörige sind ebenfalls versichert, zahlen jedoch keine Versicherungsbeiträge. Angehörige der Volksgruppe der Roma genießen im Rahmen des staatlichen Gesundheitssystems die gleichen Rechte, wie die serbische Mehrheitsbevölkerung (vgl. a.a.O. S. 22).

Im Falle der Klägerin ist auch nicht ersichtlich, dass sie tatsächlich nicht in der Lage wäre, die bestehenden Behandlungsmöglichkeiten in Serbien in Anspruch zu nehmen. Ist die Verschlimmerung der Krankheit eine Folge der Abschiebung, weil eine im Bundesgebiet gebotene Behandlung abgebrochen oder eine bestehende persönliche Betreuung beendet werden muss, kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vorliegen, das von der Ausländerbehörde zu prüfen und festzustellen ist, nicht jedoch ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot (BVerwG v. 29.10.2001, DVBl 2003,463). Vorliegend ist nicht dargetan, dass die Klägerin wegen fehlender Einsichtsfähigkeit in ihre Erkrankung eine Betreuungsperson benötigt, die die medikamentöse und ärztliche Behandlung der Klägerin in Serbien überwacht. Vielmehr wird in dem Arztbericht vom … Januar 2011 abschließend festgestellt, die Klägerin sei zum Entlassungszeitpunkt formal geordnet, affektiv stabilisiert, nicht psychotisch und glaubhaft von Suizidalität distanziert gewesen. Dass ihr die Einsichtsfähigkeit in ihre Erkrankung fehlt, und sie alsbald nach ihrer Rückkehr nach Serbien wegen fehlender Betreuung die Behandlungsmöglichkeiten nicht wahrnimmt, ist nicht dargetan und durch ärztliche Atteste belegt. Ob der Abbruch der derzeitigen ambulanten Behandlung zu einer Verschlimmerung ihrer Erkrankung führt, ist nicht im Asylverfahren und dem darauf bezogenen Gerichtsverfahren zu klären.

Schließlich bestehen auch gegen die Abschiebungsandrohung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 59 AufenthG keine Bedenken.

Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.