VG Ansbach, Urteil vom 14.07.2011 - AN 5 K 10.01853
Fundstelle
openJur 2012, 116641
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

Nachdem die Klägerin sowohl durch wiederholte Aufforderungen der Beklagten im Jahr 2003, das Taubenfüttern zu unterlassen, als auch durch die Verhängung von wiederholten Bußgeldern in den folgenden Jahren (05.03.2007: 125 €; 18.06.2007: 2 x 125 €; 10.12.2007: 250 €; 09.03.2009: 250 €; 21.06.2010: 250 €) zu keiner Änderung ihres Fütterungsverhaltens zu bewegen war, untersagte die Beklagte der Klägerin nach entsprechender Anhörung mit Bescheid vom 16. August 2010, im Stadtgebiet … verwilderte Tauben zu füttern und wies darauf hin, dass dies auch für das Auslegen von Futter- und Lebensmitteln gelte, die erfahrungsgemäß von Tauben aufgenommen würden (Ziffer 1). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtung drohte die Beklagte der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR an (Ziffer 2). Ferner ordnete die Beklagte die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheides an (Ziffer 3). Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Stadt … aufgrund Art. 16 LStVG mit Wirkung ab 1. August 1996 eine Taubenfütterungsverbotsverordnung erlassen habe, wonach es verboten sei, im Stadtgebiet … Tauben zu füttern. Am 28. Juli 2010 gegen 02:05 Uhr sei die Klägerin von zwei Zeugen erneut dabei beobachtet worden, wie sie aus ihrem weißen Fiat mit dem Kennzeichen … heraus am …platz große Mengen Weizen verteilt habe. Die Anordnung beruhe auf Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. § 2 der Verordnung der Stadt … über das Taubenfütterungsverbot. Die Klägerin habe immer wieder gegen dieses Fütterungsverbot verstoßen und sich auch durch den Erlass von Bußgeldbescheiden nicht davon abbringen lassen, wiederholt Ordnungswidrigkeiten zu begehen. Die Folgen der Fütterung wie Überpopulation und Verkotung habe die Allgemeinheit zu tragen. Damit der Bestand an Stadttauben in einem erträglichen Rahmen bleibe, sei auf die Fütterung der Tiere zu verzichten. Weiterhin trage das Verhalten der Klägerin mit ihren Fütterungsaktionen zu einer Verschärfung eines Nagerproblems bei. Kostspielige Bekämpfungsmaßnahmen seien erforderlich.

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 6. September 2010 hat die Klägerin Klage gegen die Beklagte erhoben und beantragt,

den Bescheid der Beklagten (deren Zeichen: …) vom 16. August 2010 gegenüber der Klägerin, mit dem ihr die Fütterung verwilderte Tauben im Stadtgebiet … untersagt und für den Fall der Zuwiderhandlung Zwangsgeld angedroht wird, aufzuheben.

Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 20. September 2010 u. a. vorgetragen, dass es der Klägerin durch die Verfügung untersagt sei, Futter auszulegen, selbst wenn es für andere Tierarten, zum Beispiel Singvögel gedacht sei. Das Fütterungsverbot gelte für jede Futtermenge, zu jeder Tageszeit, auch bei langen Perioden von Kälte und geschlossener Schneedecke, innerhalb des gesamten Stadtgebiets ohne Rücksicht darauf, ob es am jeweiligen Ort zum Schutz Dritter benötigt werde, welche Auswirkungen es auf Tierfreunde habe und unabhängig von der Frage, ob das angestrebte Ziel der Taubenregulation nur durch ein Fütterungsverbot oder auch auf weniger einschneidende Weise durch die Einrichtung kontrollierter Futterplätze oder betreuter Taubenhäuser mit Gelegetausch erreicht werden könne. Bei Einrichtung kontrollierter Futterplätze und fachgerecht tierartgemäß betreuter Taubenhäuser in 50 anderen Städten lasse sich feststellen, dass Tauben ohne artgerechte Fütterung vielfach geschwächt und krankheitsanfällig seien, was mit nicht unerheblichen anhaltenden Leiden verbunden sei. Der angefochtene Bescheid stütze sich lapidar darauf, dass man die Taubenfütterungsverordnung für erforderlich gehalten habe, weil das Futterangebot unbestritten auch die Anzahl der Stadttauben bestimme. Der Bescheid gehe insoweit von unrichtigen wissenschaftlichen Tatsachengrundlagen aus. Richtig sei, dass Stadttauben keine Wildtiere seien, sondern seit Jahrtausenden gezüchtete, verwilderte Haustauben, die durch ihre Bindung an den Menschen und seine Städte ein ganzjähriges Fortpflanzungsverhalten aufwiesen. Es stimme nicht, dass die Stadttauben, wenn sich das Futterangebot vermindere, beliebig in Reviere mit natürlicher Futtergrundlage abwanderten. Dies geschehe gerade deshalb nicht, weil sie als Haustauben im Nahrungserwerb auf den Menschen angewiesen seien und sich von ihren Nistplätzen nicht weiter als 150 bis 500 m entfernten. Die strikte Unterlassung der Fütterung verhindere nicht das Brutgeschäft der Tiere, verschlimmere aber die Folgen des Leidens. Eine Bestandskontrolle der Stadttauben könne nicht über Fütterungsverbote erfolgen. Nur ein Gesamtkonzept mit kontrollierten Futterstellen ermögliche eine tiergerechte Lösung. Die Vermutung, dass frischer Taubenkot die Oberfläche von Baustoffen beeinträchtige und beschädige, habe sich als falsch erwiesen. Dies zeige ein Prüfungsbericht der Technischen Universität Darmstadt aus dem Jahr 2004, der vorgelegt werde. Rein vorsorglich sei auch festzustellen, dass die Tauben im Allgemeinen nicht die menschliche Gesundheit gefährdeten. Es sei inzwischen wissenschaftlich anerkannt, dass von Tauben jedenfalls kein größeres Gefährdungsrisiko für den Menschen ausgehe, als durch Zier- und Wildvögel, Nutz- und Liebhabertiere. Die Klägerin habe unbestreitbar aus Mitgefühl und Gewissensnot gehandelt, um die Tauben, die auf den Menschen angewiesen seien, nicht qualvoll aushungern zu lassen, sondern mit artgerechtem Futter zu versehen. Aufgrund dieser Überzeugung empfinde die Klägerin ihren Entschluss, den sonst von erheblichen Leiden und vom Hungertod betroffenen Stadttauben zu helfen, als für sich bindend und unbedingt verpflichtend, so dass sie ohne das ihr behördlich untersagte Tun in ernste Gewissensnot geriete.

Die Untersagungsverfügung sei rechtswidrig und deren Rechtsgrundlage, die Taubenfütterungsverbotsverordnung der Stadt … vom 1. August 1996 verfassungswidrig und nichtig. Bei Erlass der Taubenfütterungsverbotsverordnung sei das Staatsziel Tierschutz nach Art. 20a GG, woraus die Verpflichtung folge, Tiere in ihrer Mitgeschöpflichkeit zu achten und ihnen vermeidbare Leiden zu ersparen, noch nicht in Kraft gewesen. Durch Art. 20a GG sei dem ethischen Tierschutz Verfassungsrang verliehen worden. Vom ethisch ausgerichteten gesetzlichen Tierschutz habe seit jeher eine innere Nähe zum Grundrecht der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG bestanden. Weder Art. 16 LStVG noch die Taubenfütterungsverbotsverordnung seien an die wesentliche Verfassungsänderung angepasst worden. Wenn der Verordnungsgeber eine undifferenzierte und unbegrenzte Taubenfütterungsverbotsverordnung geschaffen habe, ohne diese der grundlegenden Neufassung des Art. 20a GG anzupassen, erscheine dies mit der Verfassungslage unvereinbar, so dass die Verordnung daher nachträglich als verfassungswidrig und nichtig anzusehen sei. Unbestreitbar müsse das vorliegend betroffene, in Art. 4 Abs. 1 GG als „unverletzlich“ bezeichnete Grundrecht der Gewissensfreiheit einschließen, hungernde, von Leid und Tod bedrohte Tauben artgerecht füttern zu dürfen. Der angefochtene Bescheid und die unbegrenzte Taubenfütterungsverbotsverordnung verstießen zugleich gegen die Strafnormen der Tierquälerei nach § 17 Nr. 2b und der Tiertötung nach § 17 Nr. 1 des Tierschutzgesetzes. Die Beklagte sei dabei nicht etwa nur untätig, sondern leiste objektiv durch ihr staatliches Handeln einen maßgeblichen Beitrag zur Verletzung der Straftatbestände. Das Handeln der Beklagten widerspreche zugleich dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das in 50 anderen Städten praktizierte Konzept der tierschutzgerechten Regulierung der Stadttaubenpopulation würde diesen Anforderungen und den Erfordernissen der Kommunen besser entsprechen und wäre mit dem durch Art. 20a GG seit dem Jahre 2002 auch gegenüber empfindungsfähigen Tieren zwingenden Verfassungsmaßstab praktischer Konkordanz zu vereinbaren.

Ergänzend trug der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2010 vor, dass die Klägerin immer wieder fast verhungernde Tauben im Stadtgebiet … eingefangen und bei sich aufgepäppelt habe. Dies gelinge ihr nur, wenn die Tauben durch vorangehendes Auslegen von Futter angelockt würden. Sie könne die Tauben nicht halten, da sie nur zur Miete wohne und nichts anderes als Nothilfe für Tiere leiste. Es sei ein Irrtum, zu behaupten, die Unverletzlichkeit der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG finde verfassungsimmanente Schranken in Art. 14 Abs.1 und Art. 2 Abs. 2 GG, denn die dort aufgeführten Schranken enthalte Art. 4 Abs. 1 GG gerade nicht und unterstreiche damit den höheren Rang des Grundrechts der Gewissensfreiheit gegenüber dem Eigentumsschutz.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 30. September 2010 beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde u. a. vorgetragen, dass sowohl die Verordnungsermächtigung des Art. 16 LStVG als auch die Taubenfütterungsverbotsverordnung der Beklagten verfassungsgemäß seien. Dieser Wertung stehe auch die Einfügung des Art. 20a GG zum 1. August 2002 nicht entgegen. Diese Regelung solle nur ein „ethisches Mindestmaß“ an Tierschutz sicherstellen und könne unter Heranziehung vernünftiger Sachgründe, zumal wenn diese ebenfalls Verfassungsrang hätten, auch als nachrangig bewertet werden. Das Grundrecht der Gewissensfreiheit gemäß Art. 4. Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Selbst wenn man der Klägerin zugestehen wollte, dass der Schutzbereich eröffnet sei und das Taubenfütterungsverbot einen Eingriff hierin darstelle, fände das Grundrecht der Klägerin verfassungsimmanente Schranken in Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG, da hier Eigentum und Gesundheit Dritter durch eine Fütterung von Tauben und eine Vermehrung der Population beeinträchtigt würden. Die Verknappung des Nahrungsangebotes sei das wirksamste sowie mildeste tierschutzkonforme Mittel zur Verringerung der Taubenpopulation. Das Taubenfütterungsverbot sei auch allein das geeignete und von der Beklagten selbstständig durchsetzbare erforderliche Mittel. Das von der Klägerin propagierte Gesamtkonzept sei nach seinem Inhalt nur unter Einbindung privater ehrenamtlich agierender Dritter möglich. Einen Leistungsanspruch auf Einrichtung kontrollierter Taubenschläge könne die Klägerin auch nicht aus ihrem Grundrecht der Gewissensfreiheit gegenüber der Beklagten herleiten. Das Taubenfütterungsverbot diene legitimen Zwecken, da es Beschädigungen des Eigentums an Gebäuden und einer Beeinträchtigung durch Reinigungskosten für die Beseitigung des Taubenkots begegnen wolle. Auch stehe der Verfassungsbelang der körperlichen Unversehrtheit Dritter gemäß Art. 2 Abs. 2 GG der ungehinderten Gewissensfreiheit der Klägerin entgegen. Gemäß Art. 16 LStVG könnten Regelungen zur „öffentlichen Reinlichkeit“ getroffen werden. Verwilderte Haustauben führten dort, wo sie in größeren Scharen aufträten, nicht nur zu Schäden an Gebäuden, sondern könnten auch durch Verunreinigungen zu persönlichen Beeinträchtigungen von Menschen führen. Bei Abwägung der Belange zu Gunsten einer ungehinderten Taubenfütterung, namentlich der Gewissensfreiheit und der Staatszielbestimmung des Tierschutzes gemäß Art. 20a GG mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse am Schutz des Eigentums und der körperlichen Unversehrtheit Dritter sei den letzteren Interessen der Vorzug zu geben. Überdies sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin mit der Art ihrer Fütterung, das heißt durch die breite Verteilung von Getreide auf Baumscheiben oder sonstigen öffentlichen Straßen- und Wegeflächen auch gegen die Regelung des § 21 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1a und § 23 der Straßenreinigungsverordnung der Beklagten verstoße und ordnungswidrig handle. Eine solche Fütterung von Tieren jeglicher Art sei auch aufgrund dieser Regelung untersagt, zumal diese Art der Fütterung auch Ratten anziehe.

Mit Beschluss vom 2. November 2011 (AN 5 S 10.01904) lehnte das Gericht den mit Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 13. September 2010 gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage wieder herzustellen, ab.

Mit Schriftsatz vom 12. April 2011 führte der Bevollmächtigte der Klägerin ergänzend aus, dass das Bundesverfassungsgericht zur rechtlichen Tragweite des Staatsziels Tierschutz in seinem Beschluss vom 12. Oktober 2010 die Abwägungsdirektive hervorgehoben habe, die vom Verfassungsrang des Tierschutzes ausgehe und „geeignet sein könne, ein Zurücksetzen anderer Belange von verfassungsrechtlichen Gewicht - wie etwa die Einschränkung von Grundrechten - zu rechtfertigen“. Wenn man dementsprechend die Grundsätze der Abwägungsfehlerlehre folgerichtig umsetze, sei der Gesetzgeber durch Art. 20a GG verpflichtet, den durch die zu erlassende Norm erfassten Sachverhalt umfassend zu ermitteln und sämtliche Verfassungsgüter zu benennen, die durch die Rechtsnorm beeinträchtigt würden. Im Gesetzgebungsverfahren müsse sich die Suche nach tierschonenderen Alternativen systematisch niederschlagen. Die Taubenfütterungsverbotsverordnung der Beklagten stamme zwar aus dem Jahr 1996, das könne aber nicht zur Folge haben, dass der Rechtszustand vor dem Inkrafttreten des Verfassungsrangs Tierschutz durch Untätigkeit der Beklagten zementiert und die erforderliche umfassende Ermittlung zur Einbeziehung der Tierschutzbelange seit der Verfassungsnovellierung vom 26. Juli 2002 unterlassen werden hätte dürfen.

Die Beklagte entgegnete darauf mit Schreiben vom 20. April 2011, dass der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 2010 ebenso hervorhebe, dass der mit Verfassungsrang ausgestattete Tierschutz sich nicht notwendigerweise gegen konkurrierende Belange von verfassungsrechtlichem Gewicht durchsetze. Den normsetzenden Organen, die dem Staatsziel Tierschutz mit geeigneten Vorschriften Rechnung zu tragen hätten, stehe ein weiter Gestaltungsspielraum zu.

Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2011 verzichtete der Bevollmächtigte der Klägerin auf mündliche Verhandlung und beantragte, gegen ein klageabweisendes Urteil gemäß § 134 VwGO die Sprungrevision zuzulassen.

Die Beklagte verzichtete mit Schreiben vom 24. Mai 2011 ebenfalls auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, stimmte der Sprungrevision jedoch nicht zu. Überdies sei eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht gegeben, da hier keine Rechtsfrage höchstrichterlich klärungsbedürftig sei.

Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2011 führte der Bevollmächtigte der Klägerin zu den Gründen des Beschlusses des Gerichts vom 2. November 2010 aus, dass es eine bloße Behauptung sei, wenn das Taubenfütterungsverbot als nicht unverhältnismäßig dargestellt werde. Es wäre eine Verhöhnung des Tierschutzgesetzes, wenn man mit der nicht einmal näher qualifizierten Angabe, dass „jedenfalls Reinigungskosten anfallen“, den Tierschutz unterlaufen könnte. Wenn das Grundrecht der Gewissenfreiheit schlicht ausgehebelt werde, obwohl es vorbehaltlos gewährt sei, werde die Systematik der Verfassung und die ständige Rechtsprechung zur Lösung solcher Konflikte nicht beachtet. Es erscheine als Aufgabe des angerufenen Gerichts, im vorliegenden Streitfall sowohl dem vorbehaltlosen Grundrecht der Gewissenfreiheit, wie auch der dieses Grundrecht verstärkenden Wirkung des Staatsziels in solcher Weise gerecht zu werden, dass ein angemessener Ausgleich mit den betroffenen Rechtsgütern herbeigeführt werde. Die These, es liege auf der Hand, dass dem Schutzgut der menschlichen Gesundheit ein höherer Rang zukomme als dem Tierschutz widerspreche insoweit der Rechtslage, als Tierversuche, deren Geeignetheit einmal unterstellt, dann entgegen §§ 7 ff Tierschutzgesetz gar nicht einschränkbar sein könnten. Die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 2010 enthaltenen Grundsätze seien von der Beklagten durch Beibehaltung der unbegrenzten Fütterungsverbotsverordnung nicht beachtet worden. Die vorzunehmende Güterabwägung erfordere Beweiserhebungen, um sich mit speziellen Fachkenntnissen und Erfahrungen aus anderen Städten vertraut zu machen. Erst dann könne mit Fug und Recht erklärt werden, ob und in welcher Weise der verfassungsrechtlich gebotenen Achtung des Tieres Rechnung getragen worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16. August 2010 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Die Klägerin hat nach den Feststellungen von zwei Zeugen am 28. Juli 2010 im Stadtgebiet … Weizen verstreut, der dazu bestimmt war, von Tauben gefressen zu werden, was von der Klägerin auch nicht bestritten wird.

Die Beklagte hat der Klägerin deshalb zu Recht untersagt, im Stadtgebiet … verwilderte Tauben zu füttern und ergänzend festgelegt, dass dies auch für das Auslegen von Futter- und Lebensmitteln gelte, die erfahrungsgemäß von Tauben aufgenommen werden. Die Anordnung des Verbots findet seine Rechtsgrundlage in § 1 der gemäß Art. 16 des Gesetzes über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Landesstraf- und Verordnungsgesetz - LStVG) erlassenen Verordnung der Stadt … über das Taubenfütterungsverbot (Taubenfütterungsverbotsverordnung) vom 23. Juli 1996 (Amtsblatt der Stadt … 1996, S. 340) i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG.

Die Beklagte hat sich bei der Formulierung der Anordnung exakt an den Wortlaut der Taubenfütterungsverbotsverordnung gehalten. Die Taubenfütterungsverbotsverordnung beruht auf einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigung (Art. 16 LStVG) und hält sich, wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 9. November 2004 (Az. Vf. 5-VII-03, BayVBl. 2005, 172) festgestellt hat, in deren Rahmen. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot, das zur Nichtigkeit der Verordnung führen würde, liegt deshalb insoweit nicht vor.

Das im angefochtenen Bescheid ausgedrückte Fütterungsverbot für verwilderte Tauben verstößt nicht gegen das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 101 BV). Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit wird nur innerhalb der Schranken der Gesetze, zu denen auch auf gesetzlicher Grundlage erlassene Rechtsverordnungen zählen, gewährleistet. Soweit der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung nicht beeinträchtigt ist, muss jedermann als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebotes erfolgen und den Wesensgehalt des Grundrechts nicht antasten. Die allgemeine Handlungsfreiheit schützt auch die Tierliebe in ihren verschiedenen Erscheinungsformen, einschließlich des Fütterns von Tauben auf Straßen und in Anlagen. Allerdings gehört Letzteres nicht zum absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Bei der gebotenen Güter- und Interessenabwägung ist es gerechtfertigt, dem Schutz der Bürger vor Belästigung durch Verunreinigungen oder Schäden am Eigentum den Vorrang vor dem Interesse des Tierliebhabers zu geben (BayVerfG a.a.O; vgl. ferner BVerfG, Beschluss vom 23.05.1980, 2 BvR 854/79 - Juris -). Das Verbot erweist sich auch nicht als unverhältnismäßig. Es kann dahinstehen, welche Materialien durch die Verkotung von Tauben in ihrer Substanz beeinträchtigt werden, da auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens gerichtsbekannt ist, dass eine größere Anzahl von Tauben jedenfalls zu nicht hinnehmbaren starken Verschmutzungen der Gehwege, Straßen und Gebäude und damit auch zu persönlichen Beeinträchtigungen von Menschen führen kann (vgl. BayVGH, Beschluss vom 21.01.1997, 24 NE 96.3632 m.w.N. - Juris -). Ungeachtet von Substanzschäden fallen jedenfalls Reinigungskosten an, damit die durch eine Ekel erregende Kotschicht verunstalteten Gebäude wieder ästhetischen Anforderungen genügen und so auch ihren wirtschaftlichen Wert behalten (VGH BW, Urteil vom 27.09.2005, 1 S 261/05 - Juris -). Das Verbot der Fütterung dieser Tauben stellt deshalb die geringst mögliche Beeinträchtigung der Taubenliebhaber dar.

Das Grundrecht der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG, das die Klägerin durch den angefochtenen Bescheid beeinträchtigt sieht, ist nach Auffassung der Kammer nicht verletzt. Der Schutzbereich des Grundrechts ist berührt, wenn eine ernste sittliche, das heißt an den Kategorien von „gut“ und „böse“ orientierte Entscheidung in Rede steht, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte (BVerfGE, Beschluss vom 21.12.1960, 1 BvL 21/60 - Juris -). Im Hinblick auf das anhaltende Füttern von Tauben trotz Erhalt wiederholter Bußgeldbescheide mag nicht ausgeschlossen sein, dass für die Klägerin eine Situation gegeben ist, die sie aus ihrem Verständnis des Tierschutzes zu einem bestimmten Handeln veranlasst. Die von Art. 4 Abs.1 GG erfasste Gewissensfreiheit umfasst dabei nicht nur die Freiheit, ein Gewissen zu haben, sondern grundsätzlich auch die Freiheit, von der öffentlichen Gewalt nicht verpflichtet zu werden, gegen Gebote und Verbote des Gewissens zu handeln (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.05.2007, 2 BvR 475/02 - Juris -). Das Grundrecht der Gewissensfreiheit unterliegt zwar keinem Gesetzesvorbehalt (wir z.B. Art. 14 und Art. 2 Abs. 2 GG), gilt aber entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin dennoch nicht uneingeschränkt. Vielmehr ergeben sich die Schranken der Gewissensfreiheit aus der Beachtung anderer möglicherweise tangierter Grundrechte, hier konkret der Grundrechte aus Art. 2 und/oder 14 GG. Die individuelle Überzeugung kann nicht Maßstab der Gültigkeit genereller Normen und der auf dieser Grundlage erlassenen Einzelfallanordnungen wie dem hier angefochtenen Bescheid sein, da dies ansonsten zu einer Auflösung jeglicher Rechtsordnung führen würde. Die Klägerin kann deshalb - jedenfalls im Rahmen der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen der Gewissensfreiheit und den kollidierenden Verfassungsrechtsgütern - darauf verwiesen werden, von gewissenschonenden Alternativen Gebrauch zu machen, d.h. im konkreten Fall sich auf sonstige Art und Weise für den Tierschutz zu engagieren, gegebenenfalls mit weiteren Tierschützern und mit Genehmigung der Beklagten an geeigneter Stelle ein Taubenhaus zu betreiben (vgl. VGH BW, RdNr. 32, a.a.O.).

Das Verbot der Taubenfütterung steht ferner auch mit Art. 20a GG in Einklang. Nach der seit dem 1. August 2002 geltenden Fassung dieser Norm schützt der Staat auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. Es handelt sich bei der Regelung in Art. 20a GG um eine Staatszielbestimmung als nicht subjektiv-rechtlich ausgestaltete und folglich nicht individualschützende Norm (VGH BW a.a.O.). Eine Verletzung eigener Rechte der Klägerin unter Bezugnahme auf die Regelung in Art. 20a GG scheidet deshalb aus. Im Übrigen bestehen an der grundsätzlichen Berechtigung einer Gemeinde, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf der Grundlage der ordnungsbehördlichen Verordnungsermächtigung (Art. 16 LStVG) ein Taubenfütterungsverbot zu erlassen und dadurch die allgemeine Handlungsfreiheit einzuschränken, auch nach Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz als Staatszielbestimmung keine Bedenken (vgl. VG Düsseldorf, U. v. 04.05.2011, Az. 18 K 1622/11, - Juris -).

Schließlich erfüllt das Taubenfütterungsverbot auch nicht die Strafnormen der Tierquälerei nach § 17 Nr. 2b und der Tiertötung nach § 17 Nr. 1 Tierschutzgesetz. Voraussetzung dafür, wäre das man Tieren „ohne vernünftigen Grund“ (§ 1 Satz 2 TierSchG) Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt. Es kann dahinstehen, ob es überhaupt eine Verpflichtung gibt, wild lebende Tiere zu füttern, weil es „auf der Hand liegt, dass dem Schutzgut der menschlichen Gesundheit ein höherer Rang zukommt als dem Tierschutz und dass deshalb die Abwehr von Gefahren, die der menschlichen Gesundheit von bestimmten Tieren drohen, einen vernünftiger Grund für Maßnahmen sein kann, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden bei diesen Tieren verbunden sind“ (BVerwG, Beschluss vom 24.10.1997, 3 BN 1/97 - Juris - zur Frage der Taubenplage). Eine (insoweit ausreichende) abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt (BVerwG a.a.O.). Auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall kann verzichtet werden, da grundsätzlich davon auszugehen ist, das durch das Auftreten einer großen Anzahl wild lebender Tauben auch eine Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung eintritt.

Die Klägerin hat das ihr vorgeworfene Verhalten, durch Ausstreuen von Weizen Tauben gefüttert zu haben, nicht bestritten. Sie ist deshalb die richtige Adressatin der angefochtenen Verbotsverfügung (Art. 9 LStVG).

Das angedrohte Zwangsgeld entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Es ist im Hinblick darauf, dass die Klägerin trotz wiederholt erlassener Bußgeldbescheide über zuletzt jeweils 250,00 EUR sich nicht hat davon abhalten lassen, weiter Tauben zu füttern, auch in der angedrohten Höhe nicht zu beanstanden.

Die Klage ist deshalb insgesamt als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, hat keine grundsätzliche Bedeutung und weicht auch nicht von obergerichtlichen Entscheidungen ab.

 

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).