VG Augsburg, Beschluss vom 15.06.2011 - Au 6 E 11.824
Fundstelle
openJur 2012, 116376
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 1.250 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger und abgelehnter Asylbewer-ber. Seine bis 6. Juni 2011 erteilte Duldung wollte der Antragssteller am 8. Juni 2011 verlängern lassen. Dabei wurde er in Abschiebehaft genommen.

Der Bevollmächtigte stellte einen Eilantrag nach § 123 VwGO mit dem Antrag,

dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber dem Antragsteller zu vollziehen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller beabsichtige, eine deutsche Staatsangehörige zu heiraten. Die für die Eheschließung erforderlichen Unterlagen seien bereits beim Standesamt abgegeben worden. Die Unterlagen seien bereits überprüft worden. Es fehlten nur noch die Überprüfung des Reisepasses und die Aufenthaltsbestätigung. Damit stehe die Eheschließung unmittelbar bevor. Es bestehe ein Ausreisehindernis gem. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Es sei zumindest eine Duldung zu erteilen. Bei einer Abschiebung würde der Antragssteller über Jahre eine Einreisesperre erhalten. Aus diesem Grund könnte die Ehe nicht in Deutschland vollzogen werden, allein schon aufgrund der Dauer des Personenfeststellungsverfahrens bei einer Visumseinreise. Dies sei den Verlobten nicht zumutbar. Die Ehe könne auch nicht in Nigeria vollzogen werden, da die deutsche Verlobte noch zwei minderjährige deutsche Kinder habe. Der Antragsteller solle in 14 Tagen abgeschoben werden.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsteller sei vollziehbar ausreisepflichtig. Die beabsichtigte Eheschließung ändere nichts daran, da die Eheschließung nicht unmittelbar bevorstehe. Der Präsident des Oberlandesgerichtes ... habe eine Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses nicht erteilt. Es bestünden erhebliche Zweifel an der Identität des Antragstellers. Das Geburtsdatum im neuen und im alten Reisepass würde nicht übereinstimmen. Bei der Asylantragstellung habe er nochmals ein anderes Geburtsdatum und einen anderen Geburtsort angegeben. Die Zweifel könnten letztlich nur durch den Antragsteller und seine Heimatbehörde ausgeräumt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nach § 123 VwGO nicht glaubhaft gemacht hat.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, weil nach bestandskräftigem Abschluss des Asylverfahrens kein Verwaltungsakt mehr vorliegt, dessen aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet werden könnte. Somit ist allein das Verfahren nach § 123 VwGO auf vorläufige Duldung statthaft.

Der Antrag nach § 123 VwGO ist jedoch mangels Anordnungsanspruch unbegründet, weil dem Antragsteller kein Duldungsanspruch zur Seite steht.

Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet, wenn aufgrund einer summarischen Prüfung der in § 123 VwGO genannten Voraussetzungen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, also eines Rechts im Sinne des § 123 Abs. 1 VwGO, spricht und ein Anordnungsgrund besteht, also die Gefahr vorliegt, dass eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereiteln oder wesentlich erschweren könnte (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, § 123, RdNr. 23).

Ein Anordnungsgrund liegt vor, weil die Abschiebung unmittelbar bevorsteht und zu einer räumlichen Trennung der Verlobten und möglicherweise zu einer Beeinträchtigung seiner Eheschließungsfreiheit führen könnte.

Der Antragsteller hat jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, ihm steht insbesondere kein Anspruch auf weitere Duldung im Bundesgebiet zu.

Der Antragsteller ist seit Eintritt der Bestandskraft der asylrechtlichen Entscheidung vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), er ist seiner Ausreisepflicht jedoch bis heute nicht nachgekommen.

Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Duldung nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

Eine Ehe oder ein Verlöbnis begründen für die Eheleute oder Verlobten kein Recht auf Aufenthalt. Vielmehr ist ein Aufenthaltsrecht nur nach Maßgabe der ausländerrechtlichen Vorschriften erlangbar, welche im Lichte von Art. 6 Abs. 1 GG auszulegen sind.

In diesem Sinne hat die Rechtsprechung als Vorwirkung einer bevorstehenden Eheschließung einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung angenommen, wenn eine Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen unmittelbar bevorsteht und sonst durch eine Abschiebung die aus Art. 6 GG (auch für Ausländer) geschützte Eheschließungsfreiheit (vgl. BVerfG vom 4.5.1971, BVerfGE 31,58 (67 ff.); E. vom 30.11.1982, BVerfGE 62, 323 (329); E. vom 12.5.1987, BVerfGE 76, 1 (42), std. Rspr.) beeinträchtigt würde. Eine Eheschließung im Bundesgebiet steht unmittelbar bevor, wenn der Eheschließungstermin feststeht oder jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (ausführlich OVG Hamburg vom 4.4.2007, Az. 3 Bs 28/07, juris, RdNr. 8): Sind die Vorbereitungen in dem Verfahren der Eheschließung bereits soweit vorangeschritten, dass die Anmeldung der Eheschließung vorgenommen wurde, die Verlobten die von dem Standesbeamten geforderten Urkunden beschafft haben und bei der Prüfung der Ehefähigkeit von ausländischen Verlobten ein Antrag auf Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses gestellt wird, so kommt die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung in Betracht, wenn dem Standesbeamten im Hinblick auf den gestellten Befreiungsantrag alle aus seiner Sicht erforderlichen Unterlagen vorliegen. Für das Vorliegen einer solchen Situation kann es sprechen, wenn der Standesbeamte die Antragsunterlagen an den für die Entscheidung über den Antrag auf Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses zuständigen Präsidenten des Oberlandesgerichts weitergeleitet hat, da dem Standesbeamten die Vorbereitung dieser Entscheidung obliegt und er die hierfür notwendigen Nachweise von den Verlobten anzufordern hat. Umgekehrt ist nicht von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung auszugehen, wenn der Standesbeamte einen Termin zur Eheschließung aus Gründen nicht festsetzen kann, die in die Sphäre der Verlobten fallen (vgl. VGH Mannheim vom 13.11.2001, InfAuslR 2002, S. 228 ff.). Gleiches gilt, wenn sich im weiteren Verfahrensgang herausstellt, dass eine Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts deshalb nicht ergehen kann, weil es noch an Unterlagen fehlt oder sonst Zweifel oder Unklarheiten bestehen, die in den Zurechnungsbereich der Verlobten fallen; dann ist bis zu dem Zeitpunkt, in dem die für die Entscheidung über den Antrag noch fehlenden Unterlagen nachgereicht bzw. die Zweifel oder Unklarheiten beseitigt worden sind, von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung nicht auszugehen (vgl. OVG Bautzen vom 16.5.2006, AuAS 2006, S. 242 f.).

Nach diesen Maßstäben steht die Eheschließung des Antragstellers und seiner Verlobten nicht unmittelbar bevor. Aus dem Schreiben des OLG vom 7. Juni 2011 an die Ausländerbehörde ergibt sich, dass die geplante Eheschließung auf absehbare Zeit wohl nicht erfolgen könne. Mit Schreiben des OLG vom gleichen Tag an das zuständige Standesamt ergibt sich, dass erhebliche Zweifel an der Identität des Verlobten bestünden und dem vorgelegten Antrag (auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses) derzeit immer noch nicht entsprochen werden könne. Solange es daran fehlt, ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (ebenso: BayVGH vom 27.2.2008 Az. 19 CS 08.216).

Nach alledem steht das Verlöbnis des Antragstellers mit seiner Verlobten noch nicht derart unter dem vorwirkenden Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dass daraus eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung und ein Duldungsanspruch folgen würde. Die Verlobte muss auch nicht mit ihren deutschen Kindern nach Nigeria. Den Verlobten ist es vielmehr zuzumuten, das reguläre Verfahren zu durchlaufen und abzuwarten. Die Einreisesperre hindert auch nicht die Abschiebung, da es in der Hand des Antragstellers gelegen wäre, durch freiwillige Ausreise eine Sperre zu vermeiden.

Weitere inlandsbezogene Abschiebungshindernisse nach deutschem Recht wie eine Suizidgefahr bzw. Reiseunfähigkeit können in einer Art. 3 EMRK angemessenen Weise dadurch ausgeschlossen werden, dass der abschiebende Staat konkrete Maßnahmen zur Verhinderung eines Selbstmords trifft (vgl. EGMR vom 7.10.2004, Az. 33743/03, Dragan u. a./ Deutschland, NVwZ 2005, S. 1043 ff.). Die Abschiebebehörde ist insoweit gehalten, die erforderlichen Maßnahmen anzuordnen. Eine Selbstmordgefahr als solche kann daher eine Abschiebung nicht hindern.

Nach alledem war der Antrag daher abzulehnen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffern 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs vom 7./8. Juli 2004.