OLG München, Urteil vom 14.04.2011 - 23 U 3364/10
Fundstelle
openJur 2012, 115243
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 11.05.2010 abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 7.650,-- nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.09.2009 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von € 555,60 zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 10.01.2009 zu bezahlen.

Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien können die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die vollstreckende Partei nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf € 15.300,-- festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin ist Transportversicherung der U. W. KG, sie macht aus abgetretenem Recht Ansprüche aus einem Frachtvertrag gegen die Beklagte geltend.

Am 28.05.2008 beauftragte die U. W. KG die Beklagte mit der Abholung von acht Flaschen Wein (Bordeaux, Pomerol, Chateau Petrus 1989) von der „M.S.A“. Maussane/Provence, nach Frasdorf. Der Einzelwert einer Flasche (0,75 l) lag bei € 2.550,--.

Inwiefern die Klägerin die Beklagte zu Beginn der laufenden Geschäftsbeziehung auf die Möglichkeit des Transportes auch sehr hochwertiger Weine hingewiesen bzw. ob die Beklagte in Kenntnis dieses Umstandes auf weitere Wertangaben verzichtet hatte, ist streitig. Der Wein wurde - ohne dass insoweit besondere Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden waren - von einem französischen Fahrer am 24.06.2008 in Maussane abgeholt, wobei ihm die als Anlage K 6 vorgelegte „Frachtkarte“ übergeben wurde, in der der Wert des Weines mit € 20.400,-- angegeben wird.

Nach Anlieferung des Weines bei der U. W. KG in Frasdorf am 30.06.2008 wurde festgestellt, dass das entsprechende Paket geöffnet, 6 Flaschen des Weines entnommen und die Sendung anschließend wieder verschlossen worden war (vgl. hierzu die Lichtbilder Bl. 67 - 71 d. A.). Streitig ist insoweit auch, ob die Sendung komplett übernommen worden war, außerdem, ob der Verlust erst nach Ablieferung in Frasdorf eingetreten ist.

Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird ergänzend auf die Feststellungen des Ersturteiles Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Zahlungsklage in voller Höhe (€ 15.300,-- Hauptsache + Zinsen + außergerichtliche Anwaltskosten) stattgegeben:

Nach ausführlicher Beweisaufnahme gelangte das Gericht zu der Überzeugung, der Verlust sei weder bereits bei der M. S.A. noch erst nach Ablieferung bei der U. W. KG eingetreten. Nachdem die Voraussetzungen des Art. 29 CMR vorlägen, scheide eine Haftungsbeschränkung gemäß Art. 23 CMR aus. Die Aktivlegitimation der Klägerin ergebe sich jedenfalls aus einer konkludenten Abtretung.

Den von der Beklagten bereits in erster Instanz besonders betonten Einwand eines Mitverschuldens der Klägerin durch Unterlassen eines Hinweises auf den besonders hohen Wert der Weine hat das Landgericht nicht gelten lassen: Dem abholenden Fahrer sei eine Frachtkarte mit Wertangabe übergeben worden; zudem habe die Beklagte nicht dargelegt, welche konkreten Vorkehrungen sie im Falle eines Hinweises getroffen hätte (vgl. LGU 4 unten).

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, die sie im Wesentlichen darauf stützt, der unterlassene Hinweis auf den Wert müsse zu einem überwiegenden Mitverschulden der Klägerin führen (auf die Berufungsbegründung vom 27.08.2010, Bl. 113 ff., wird Bezug genommen).

Die Beklagte beantragt mit der Berufung, deren Zurückweisung die Klägerin begehrt, vollumfängliche Klageabweisung.

Die Klägerin beruft sich demgegenüber darauf, die Beklagte habe nicht näher zu Sicherheitsvorkehrungen im Falle eines Hinweises vorgetragen und sei zudem ohnehin über den Wert des Gutes unterrichtet gewesen bzw. habe ausdrücklich auf Hinweise dieser Art verzichtet. Jedenfalls sei die Wertangabe auf der dem abholenden Fahrer übergebenen Frachtkarte ausreichend gewesen.

Der Senat hat zu der Frage Beweis erhoben, ob die Beklagte auf Hinweise auf besonders hohe Transportwerte verzichtet habe bzw. ob zu Beginn der Geschäftsbeziehung auf die Möglichkeit des Transportes auch sehr teurer Weine hingewiesen worden sei (vgl. Beweisbeschluss vom 16.12.2010, Bl. 156 ff. d.A.). Diesbezüglich wird auf das Protokoll der Sitzung vom 10.02.2011 hingewiesen, in der die Zeugen S., M. sowie B. vernommen wurden.

Ergänzend wird auf die weiteren Schriftsätze der Parteien in zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg: Der Senat nimmt ein Mitverschulden der Versicherungsnehmerin der Klägerin deshalb an, weil diese die Beklagte hier nicht auf den außergewöhnlich hohen Wert der Weine hingewiesen hat; dabei wird davon ausgegangen, dass es nicht ausreichte, wenn dem bei der Abholung vor Ort in Maussane eingesetzten Fahrer eine Frachtkarte mit einer entsprechenden Wertangabe ausgehändigt wurde.

1. Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus Art. 3, 17 Abs. 1, 29 CMR i.V.m. § 398 BGB. Insoweit wird auf die Begründung des Ersturteiles, der der Senat folgt, Bezug genommen (Urteil Seite 3 f.).

Was die Aktivlegitimation der Klägerin betrifft, schließt sich der Senat den Ausführungen des Landgerichts an; dasselbe gilt für dessen Darlegungen bzw. Beweiswürdigung, wonach der Diebstahl während des Transportes erfolgt ist - also nicht bereits vor Abholung oder erst nach Anlieferung bei der U. W. KG (LGU 3/4). Über ein entsprechendes Bestreiten hinaus enthält die Berufungsbegründung insoweit keine ausreichenden Angriffe auf die landgerichtliche Beweiswürdigung (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

2. Anders als das Landgericht geht der Senat jedoch von einem Mitverschulden der Klägerin im Sinne von §§ 254 BGB, 435 HGB aus.

18Die entsprechenden Grundsätze sind auch im Rahmen einer Haftung gemäß Art. 29 CMR anwendbar, vgl. etwa BGH, Urt. v. 13.08.2009 - I ZR 3/07, Tz. 11 ff.; Urt. v. 03.05.2007 - I ZR 85/05 Tz. 18).

19a) Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH kann der Einwand eines Mitverschuldens auch darauf gestützt werden, dass der Frachtführer nicht auf den außergewöhnlich hohen Wert des Transportgutes und das damit verbundene Schadensrisiko hingewiesen wurde.

Die Wertgrenze, ab der eine entsprechende Obliegenheit besteht, ist hier ohne Weiteres erreicht, siehe z.B. BGH, Urt. v. 21.01.2010 - I ZR 215/07 Tz. 27.

Dabei geht der Senat davon aus, dass dieses Unterlassen seitens der Klägerin auch mitursächlich für den Schadenseintritt war: Ohne besonderen Sachvortrag des Anspruchstellers ist im Regelfall anzunehmen, dass der Frachtführer bei einem Hinweis auf den ungewöhnlich hohen Wert des Gutes entweder besondere Sicherungsmaßnahmen ergriffen oder den Transportauftrag abgelehnt hätte (etwa BGH, Urt. v. 13.08.2009 - I ZR 3/07, Tz. 19; Urt. v. 02.04.2009 - I ZR 16/07, Tz. 32). Die Kausalität eines Mitverschuldens lässt sich nur verneinen, wenn der Frachtführer trotz Hinweises auf den ungewöhnlich hohen Wert des Transportgutes keine besonderen Maßnahmen ergriffen hätte, oder wenn der Schädiger zumindest gleich gute Erkenntnismöglichkeiten vom Wert der Sendung hatte wie der Geschädigte (BGH Urt. v. 02.04.2009 - I ZR 16/07, Tz. 32; Urt. v. 03.07.2008 - I ZR 210/05, Tz. 18; Urt. v. 03.07.2008 - I ZR 183/06, Tz. 21).

b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist hier von einer Kausalität in diesem Sinne auszugehen:

aa) Das sinngemäße Vorbringen der Klägerseite, die Beklagte habe auf die Angabe besonders hoher Werte gewissermaßen verzichtet, um die U. W. KG als Geschäftspartner zu gewinnen bzw. die Geschäftsbeziehung auszubauen, hat sich durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt. Ebenso wenig lässt sich den Angaben der vom Senat vernommenen Zeugen eine Kenntnis der Mitarbeiter der Beklagten entnehmen, dass im Einzelfall auch außergewöhnlich teure Weine zu transportieren sind; vielmehr wurde über den Wert der zu transportierenden Weine im Einzelnen offensichtlich nicht näher gesprochen (vgl. hierzu die Angaben der Zeugen S., M. sowie B., Protokoll vom 10.02.2011, Seite 3, 4, 6, = Bl. 168 f., 171 d.A.). Den Aussagen kann nicht entnommen werden, die Beklagte habe etwa eine Wertdeklaration als überflüssig erklärt (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 03.07.2008 - I ZR 183/06, Tz. 22).

bb) Damit ist davon auszugehen, dass die Beklagte bei einem Hinweis auf den ungewöhnlich hohen Wert der Weine entweder besondere Sicherungsmaßnahmen ergriffen oder den Transport abgelehnt hätte. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, die Beklagte hätte auch im Falle eines Hinweises keine anderweitigen Vorkehrungen getroffen (z. B. Schriftsatz 21.08.2009, Seite 3, = Bl. 35 d.A.), wurde auch dies durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt. Vielmehr erklärte der Zeuge M., es habe zwar keine unterschiedlichen Transportwege gegeben, allerdings hätten Sicherheitsverschläge zur Verfügung gestanden (Protokoll 10.02.2011, Seite 5, = Bl. 170). Diesbezüglich hat die Beklagte von Anfang an vorgebracht, bei einem Hinweis auf das außergewöhnlich hohe Risiko wäre der Transport entweder abgelehnt oder vollständig anders gehandhabt worden (Schriftsatz vom 13.07.2009, Seite 7, = Bl. 31, oder Schriftsatz Beklagte vom 15.11.2010, Seite 4, = Bl. 132). Es kann daher offen bleiben, ob die Behauptungen der Klägerin insoweit überhaupt als „besonderer Sachvortrag“ im Sinne der Rechtsprechung des BGH anzusehen sind (vgl. etwa Urt. v. 13.08.2009 - I ZR 3/07, Tz. 190; Urt. v. 03.07.2008 - I ZR 205/06, Tz. 20, jeweils m.w.N.).

25c) Damit spitzt sich der Rechtsstreit, wie mit den Parteivertretern bereits ausführlich erörtert, auf die Frage zu, ob die Klägerin ihrer Hinweisobliegenheit dadurch genügt hat, dass dem abholenden Fahrer die als Anlage K 6 vorgelegte Frachtkarte ausgehändigt wurde, in der der Wert der Weine mit € 20.400,-- angegeben ist.

aa) Der Senat hält dies für nicht ausreichend, insbesondere weil der Beklagten hierdurch die Möglichkeit genommen wird, mit einer Ablehnung des Transportes (bzw. mit Verhandlungen über eine Anpassung der Frachtvergütung) zu reagieren.

Dabei folgt der Senat zwar nicht der Argumentation der Beklagten im Schriftsatz vom 16.11.2010 (Bl. 134 ff.), wonach die Beklagte keine Kontrolle mehr über die Fahrer habe, wenn man eine Mitteilung an diese ausreichen lassen würde, weshalb man letztlich den „Bock zum Gärtner“ mache und erst einen Anreiz für den abholenden Fahrer schaffe, einen Diebstahl zu begehen. Auch wenn der Senat ein derart tiefsitzendes Misstrauen gegenüber dem Fahrer vor Ort als übertrieben ansieht, nimmt man doch der Beklagten die Möglichkeit, weitere Sicherheitsmaßnahmen im Hinblick auf besonders teuere Frachtgüter bereits im Vorfeld zu veranlassen oder die Beförderung abzulehnen (vgl. auch Koller, a.a.O., § 435 Rn. 19 b, insbesondere FN 148). Eine BGH-Entscheidung, die sich zu dieser Frage eindeutig verhält, liegt offensichtlich nicht vor: Soweit im Urteil vom 03.02.2005 - I ZR 276/02, Tz. 8 (Nachnahme) von einer „vom Versender nach Abschluss des Frachtvertrags gegebenen Weisung“ die Rede ist, ist den entsprechenden Ausführungen des BGH nicht deutlich zu entnehmen, dass er eine Nachricht gegenüber dem Abholfahrer als ausreichend ansieht. Dasselbe gilt für das von der Beklagten herangezogene Urteil vom 01.07.2010 - I ZR 176/08: Auch hier trifft der BGH keine eindeutige Festlegung zur Frage, wann genau ein Hinweis an den Frachtführer auf den besonders hohen Wert eines Gutes zu erfolgen hat, also „rechtzeitig“ ist.

bb) Der Senat weicht insoweit von den Urteilen des OLG Düsseldorf (vom 16.04.2008 - I -18 U 82/07, Tz. 55) sowie Oldenburg (vom 20.09.2006 - 3 U 38/06, Tz. 41) ab: Zwar hat die Erwägung des OLG Düsseldorf etwas für sich, wonach, wer sich eines Unterfrachtführers bedient, um die eigenen Verpflichtungen zu erfüllen, damit rechnen müsse, dass dieser Informationen erhält, die für die Transportdurchführung von Bedeutung sind. Andererseits besteht für den Frachtführer im Falle einer Informationserteilung erst gegenüber dem Unterfrachtführer keine Ablehnungsmöglichkeit mehr und sind die Möglichkeiten zur Vornahme von besonderen Sicherungsmaßnahmen in diesem Falle wohl zumindest beschränkt. Der gewiss richtige Gedanke des OLG Düsseldorf mag daher zwar bei der Abwägung der Mitverschuldensanteile eine Rolle spielen, kann nach Ansicht des Senates jedoch nicht dazu führen, ein solches generell auszuschließen.

So wäre es hier auch naheliegend gewesen, dass die Beklagte, wäre sie - vor oder bei Auftragserteilung - durch einen kurzen Anruf der U.W. KG über den ungewöhnlich hohen Wert der Weine informiert worden, die vom Zeugen genannten Sicherheitsräumlichkeiten in Anspruch genommen hätte.

3. Bei der Abwägung der Mitverschuldensanteile fallen diese Gesichtspunkte ins Gewicht, darüber hinaus ist andererseits zu sehen, dass ein Abholfahrer, der, wie hier, mit einer entsprechenden Wertangabe konfrontiert wird, mittels Mobiltelefon unschwer weitere Weisungen von seinem Vorgesetzten anfordern könnte. Diesbezüglich mag ein Mitverschulden der Beklagten darin liegen, ihrer Subunternehmerin derartige Rückfrage- bzw. Hinweispflichten für solche Fälle bzw. bei Auftreten außergewöhnlicher Umstände nicht auferlegt zu haben (vgl. das bereits zitierte Urteil des OLG Düsseldorf v. 16.04.2008, Tz. 55 a.E.). Unter Berücksichtigung von Art. 3 CMR gelangt der Senat bei Abwägung aller Umstände damit zu einem Mitverschuldensanteil der Klägerin in Höhe von 50 %.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO; der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 709 ZPO, wobei wegen der Zulassung der Revision eine Abwendungsbefugnis auszusprechen war, weil § 713 ZPO nicht zum Tragen kommt.

5. Die Revision wurde (ohne bestimmte Einschränkungen) zugelassen, § 543 Abs. 2 ZPO: Wie ausgeführt, liegt eine Entscheidung des BGH dazu nicht vor, ob die Obliegenheit, auf einen besonders hohen Wert des Transportgutes hinzuweisen, auch durch einen Hinweis erst an den abholenden Fahrer - nach Abschluss des Frachtvertrages - erfüllt werden kann.