VG Augsburg, Urteil vom 05.04.2011 - Au 6 K 10.30152
Fundstelle
openJur 2012, 115118
  • Rkr:
Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Mai 2010 wird in Nrn. 3 und 4 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Afghanistans vorliegen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, geboren am … 1990 in … in der Provinz …, zugehörig zur Volksgruppe der Qheselbash.

Am 7. August 2009 wurde er bei seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland von Österreich kommend von der Polizei aufgegriffen. Am 14. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. In der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 18. Januar 2010 gab er u.a. an, dass er ca. zwei bis drei Jahre eine Koran-Schule besucht habe. Sein Vater sei bereits während der Taliban-Zeit gestorben. Nach dem Tod des Großvaters sei es zu Erbstreitigkeiten gekommen. Zwei Cousins hätten deshalb seinen Onkel mütterlicherseits verprügeln wollen. Seine Mutter habe ihn deshalb schützen wollen und beschlossen, ihn gemeinsam mit seiner Schwester in den Iran zu schicken. Dies sei im Jahr 1383 gewesen. Da die Cousins seine Mutter und seinen Bruder ebenfalls bedrängt hätten, seien diese ebenfalls aus Afghanistan geflüchtet. Im Iran habe er illegal in einer Schuhfabrik gearbeitet. Von anderen Afghanen habe er Lesen und Schreiben gelernt. Er habe in Afghanistan auch Schwierigkeiten gehabt, weil sein Vater ein Mitglied der Hizb-e Wahdat gewesen sei. Er habe deshalb von anderen politischen Bewegungen keine Hilfe gegen seine Cousins erwarten können. Seine Familie hätte unter den Hazara gelebt, sie selbst seien jedoch Qheselbash. 2007 sei er dann vom Iran über Griechenland nach Deutschland gereist.

Mit Bescheid vom 3. Mai 2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Nr. 1 des Bescheids). Es stellte des Weiteren fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 2) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (Nr. 3) nicht vorlägen. Es führte u.a. aus, dass die Einreise über einen sicheren Drittstaat erfolgt sei. Des Weiteren ließ sich seinen Angaben eine begründete Furcht vor politischer Verfolgung nicht entnehmen. In der Herkunftsregion des Antragstellers, der Provinz …, könne das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes nicht ausgeschlossen werden. Ihm drohten jedoch bei einer Rückkehr keine erheblichen individuellen Gefahren. Der in … herrschende Konflikt erreiche kein so hohes Niveau, dass stichhaltige Gründe für die Annahme vorlägen, dass der Antragsteller bei seiner Rückkehr allein durch seine Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Im Übrigen lägen keine Hinweise dafür vor, dass sich die allgemeine Gefahr für ihn auf Grund individueller gefahrerhöhender Umstände zuspitzen könnte. Schließlich sei das zum Leben notwendige Existenzminimum gesichert, da davon auszugehen sei, dass der Antragsteller bei Rückkehr in sein Heimatland bei seinen Cousins Unterkunft und Unterstützung fände.

Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger am 14. Mai 2010 Klage erheben und zuletzt beantragen,

1. den Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2010 in Ziffern 3 bis 4 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei dem Kläger hinsichtlich Afghanistans festzustellen,

Der Kläger wäre ohne familiäre Kontakte in Kabul nicht überlebensfähig. Es werde insoweit auf die aktuelle Rechtsprechung des VG München verwiesen. Die Sachlage habe sich auch seit dem Jahr 2005 dramatisch verschlechtert.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Auf Antrag des Klägerbevollmächtigten wurde mit Beschluss vom 16. März 2011 Prozesskostenhilfe, beschränkt auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, bewilligt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung.

Gründe

1. Die Klage ist hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG begründet, weil dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Kabul eine extreme Lebensgefahr auf Grund der dortigen Situation und seiner spezifischen Lage in Kabul droht.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen nach § 60 a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).

Beruft sich der einzelne Ausländer auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur im Rahmen eines generellen Abschiebestopps nach § 60 a Abs. 1 AufenthG erhalten. In einem solchen Fall steht dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren ein Anspruch auf Feststellung des Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.12.2000, Az. 1 B 165/00). Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ist aber für das Bundesamt und die Gerichte jedenfalls dann unbeachtlich, wenn die oberste Landesbehörde trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage keinen generellen Abschiebestopp nach § 60 a Abs. 1 AufenthG erlassen bzw. diesen nicht verlängert hat und ein vergleichbar wirksamer Schutz dem betroffenen Ausländer nicht vermittelt wird (vgl. BVerwGE 102, 249 [258 f.]). Entfällt oder endet bei solchen Gegebenheiten der Abschiebestopp, besteht demzufolge nicht nur die Möglichkeit, sondern darüber hinausgehend die staatliche Verpflichtung, in verfassungskonformer Einschränkung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot festzustellen, wenn die Rückkehr des Ausländers in seine Heimat ihn einer vor der Werteordnung des Grundgesetzes nicht zu rechtfertigenden Gefahr aussetzen würde. Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (vgl. VG Ansbach vom 29.4.2009, Az. AN 11 K 09.300034, juris, RdNr. 35 m.w.N.). Das bedeutet nicht, dass im Fall der Abschiebung Tod oder schwerste Verletzungen sofort eintreten müssen, sondern auch, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (so BayVGH vom 3.2.2011, Az. 13a B 10.30394, Urteilsabdruck, RdNr. 31 m. w. N. zur Rspr. des BVerwG).

Eine solche extreme allgemeine Gefahrenlage ergibt sich für den Kläger als Volkszugehöriger einer speziellen Minderheit (Vater Qheselbash, Mutter Hazara) selbst in Kabul nach Auswertung der vorliegenden, beigezogenen und bewerteten Auskünfte.

Ob eine extreme allgemeine Gefahrenlage hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Kabul für den Kläger vorliegt, kann dahingestellt bleiben.

Jedenfalls ist hinsichtlich der allgemeinen Versorgungslage in Kabul eine extreme Gefahrenlage für den Kläger gegeben.

Zwar weichen die Einschätzungen voneinander ab. Auf der einen Seite hat Dr. Mustafa Danesch (Stellungnahme v. 13.1.2006 gegenüber dem Verwaltungsgericht Wiesbaden) dargelegt, ein großes Problem in Kabul sei die gewaltige Teuerung. Für die Flüchtlinge seien selbst Grundnahrungsmittel kaum erschwinglich, die medizinische Versorgung sei speziell auch für Kinder derart unzureichend, dass eine Krankheit in den meisten Fällen den sicheren Tod bedeute.

An dieser Einschätzung hält Dr. Danesch fest und betont, gerade der Zustrom von rund 4,4 Mio. Flüchtlingen nach Afghanistan habe die Lage „noch einmal massiv verschärft“ (vgl. Stellungnahme v. 4.12.2006 an den Hessischen VGH, S. 24). Abgeschobene Rückkehrer aus Europa erhielten von den UN 12 Dollar pro Person und seien dann auf sich gestellt; weitere Hilfen gebe es momentan in Kabul nicht (ebenda, S. 25). Sauberes Trinkwasser sei knapp. Die Wohnsituation sei „katastrophal“, selbst ein einfaches Zimmer koste 15 bis 20 Dollar bei einem durchschnittlichen Tageslohn von 2 Dollar, sei also für Rückkehrer nicht erschwinglich (S. 25 f.). In der Baubranche könnten Rückkehrer bei 80 % Arbeitslosigkeit allenfalls saisonal und nur tageweise Arbeit finden (S. 29). Die medizinische Versorgung sei speziell auch für Kinder derart unzureichend, dass eine Krankheit in den meisten Fällen den sicheren Tod bedeute, eine systematische Gesundheitsversorgung existiere nicht (S. 29 ff.).

Für Rückkehrer schätzt Dr. Danesch „die Sicherheits- und Versorgungslage so katastrophal“ ein, „dass sie bereits unmittelbar eine Lebensgefahr darstellen. Auch ein gesunder junger Mann könne bei einem Bombenanschlag ums Leben kommen, durch Hunger geschwächt werden oder sich durch unsauberes Trinkwasser eine Krankheit zuziehen, die unter den Verhältnissen in Afghanistan tödlich“ ende (S. 31 f.). Ein abgeschobener Asylbewerber habe vom RANA-Programm der IOM keine Unterstützung zu erwarten (S. 34). Diese Einschätzung hält er zuspitzend aufrecht (Stellungnahme v. 24.08.2007, S. 22 ff.).

Dr. Danesch hält eine Rückkehr nicht generell für „nicht vertretbar“, wohl aber die Rückführung von Personen, die nicht „alleinstehend, jung und gesund wären, keinerlei politische, religiöse oder ethnisch motivierte Verfolgung zu fürchten hätten, ... über ausreichende finanzielle Mittel“ verfügten „und auf eine intakte, in die afghanische Gesellschaft integrierte Großfamilie bauen“ könnten. Dass solche Personen allerdings „völlig unspektakulär in Afghanistan leben würden“ und ohnehin keinen Grund zur Flucht hätten, räumt er selbst ein (Stellungnahme v. 24.08.2007, S. 6 f.).

Der Informationsverbund Asyl schätzt in seinem Bericht „Rückkehr nach Afghanistan“, allerdings bezogen auf den länger zurückliegenden Zeitraum März/April 2005, ebenfalls die medizinische Grundversorgung als völlig unzureichend ein, eine Basisversorgung gebe es nicht (Bericht S. 8 f.). In Kabul werde im Krankenhaus nur behandelt, wer Beziehungen habe, bestechen könne oder wohlhabend sei, einfache Krankheiten eines sonst normal Gesunden könnten behandelt werden (ebenda). Er sieht erhebliche Probleme für Rückkehrer, insbesondere Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit (Bericht S. 15). Wesentliche Voraussetzung für eine schnelle Integration von Rückkehrern seien familiäre Anknüpfungspunkte; oft jedoch seien die Familienstrukturen zerstört und die Großfamilien überfordert (ebenda).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan Update vom 11.8.2010, Die aktuelle Sicherheitslage, S. 16 ff.) teilt mit, 1,2 Mio. Kinder und 550.000 schwangere oder stillende Frauen seien akut von Unterernährung, ansteckenden Krankheiten und einer sehr unsicheren Existenzgrundlage bedroht. Der Zugang zu Lebensmitteln, Wasser und Unterkünften habe sich konfliktbedingt insbesondere im Süden und Südosten Afghanistans massiv verschlechtert, in Kabul habe die Regierung mit der Verstädterung besonders bei den sanitären Bedingungen nicht Schritt halten können. Die hohe Arbeitslosigkeit treffe vor allem Jugendliche, die deswegen besonders verletzlich seien. Unter der Wohnungsknappheit hätten Rückkehrer und Frauen besonders zu leiden. Die Lebensmittelknappheit habe sich 2009 für 7,3 Mio. Afghanen zur unmittelbaren Gefahr einer Hungersnot verschärft. Nur etwa ein Fünftel der afghanischen Bevölkerung habe Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Kinder- und Müttersterblichkeit sei sehr hoch, die medizinische Versorgung sehr schlecht.

Das Österreichische Bundesasylamt sieht für Rückkehrer die Chancen zur Reintegration umso größer an, je besser sie ausgebildet sind und je eher sie auf Familienstrukturen der Kernfamilie oder des Familienclans zurückgreifen könnten (Bundesasylamt, Bericht zur Fact Finding Mission Afghanistan, Dezember 2010, S. 14 ff.). Ansätze westlicher Staaten, Ausbildungszentren für Rückkehrer in Afghanistan zu schaffen, seien nicht weiterverfolgt worden, weil sie kaum in Anspruch genommen worden seien. Allein stehende Frauen hingegen hätten größte Schwierigkeiten bei einer Rückkehr, ihnen drohte sogar eine Zwangsverheiratung und arbeiten könnten sie nur im geschützten nichtöffentlichen Bereich z. B. als Schneiderin oder Marmeladekocherin, während die Erzeugnisse von den männlichen Verwandten verkauft würden (ebenda, S. 16). Kabul bilde den Hauptanziehungspunkt für Rückkehrer, aus einer Million Einwohnern 2002 seien bis 2010 geschätzt drei bis sechs Millionen geworden (ebenda, S. 19). Internationale Rückkehrerprogramme von IOM und UNHCR sowie der GTZ seien in Betrieb, teils mit Rückkehrhilfen, teils mit Informationen und Unterstützung vor Ort (ebenda, S. 21 ff.).

Ähnlich teilt das Auswärtige Amt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 9.2.2011, S. 28 ff.) mit, der afghanische Staat sei nach wie vor extrem geberabhängig, die Ernte 2009 sei nach der Dürre 2008 besser ausgefallen, 2010 wieder etwas schlechter, aber immer noch über dem langjährigen Mittel. In den Städten sei die Versorgung mit Wohnraum sehr schwierig, soziale Sicherungssysteme existierten praktisch nicht. Rückkehrer könnten auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach längerer Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehrten und ihnen ein soziales und familiäres Netzwerk und Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlten.

Die medizinische Versorgung sei in Afghanistan allerdings auf Grund fehlender Medikamente, Geräte und Ärzte weiterhin unzureichend. Auch in Kabul sei noch keine hinreichende medizinische Versorgung gegeben (a.a.O., S. 29 f.). Einrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige existierten nicht.

Freiwillig zurückkehrende Afghanen seien in den ersten Jahren meist bei Familienangehörigen untergekommen, was die in der Regel nur sehr knapp vorhandenen Ressourcen (Wohnraum, Versorgung) noch weiter strapaziere (ebenda, S. 30 f.). Eine zunehmende Zahl von Rückkehrern verfüge aber nicht mehr über diese Anschlussmöglichkeiten. Ihre Ansiedlung in neuen Lagern und Siedlungen am Rande der Stadt erfolge unter schwierigen Rahmenbedingungen, die Siedlungen seien zur dauerhaften Besiedelung oft nicht geeignet und es fehle sogar an einer Wasserversorgung (a.a.O., S. 31). Abschiebungen fänden auf dem Luftweg nach Kabul statt (ebenda, S. 32).

In direkter Auseinandersetzung mit der Stellungnahme von Dr. Danesch (vgl. Stellungnahme v. 4.12.2006 an den Hessischen VGH, s. o.) gibt der Mitarbeiter des BAMF David eine von Dr. Danesch deutlich abweichende Stellungnahme ab (vgl. Stellungnahme v. 3.5.2007 an den Hessischen VGH). Im Gegensatz zu einem AVR-Programm werde beim RANA-Programm nicht zwischen freiwillig und zwangsweise zurückkehrenden Afghanen unterschieden. David habe selbst oder durch Mitarbeiter die Rückgeführten am Flughafen empfangen, wo eine ärztliche Notfallstation bereitstehe (ebenda, S. 1, 3 f.). Auf dem Gelände des afghanischen Flüchtlingsministeriums stehe ein Übergangswohnheim zur Verfügung, das hauptsächlich für zwangsweise Rückgeführte genutzt werde, weil freiwillige Rückkehrer regelmäßig von ihrer Familie empfangen würden (S. 2). Rückkehrer seien von ihm beraten und soweit möglich in Dolmetscherdienste vermittelt worden (S. 4 ff.).

Auch die weiteren zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünfte gelangen bezüglich der Versorgungslage zu keiner einheitlichen Bewertung.

Der GTZ-Mitarbeiter Dr. Rieck äußerte sich zur Situation von Rückkehrern und betonte, die Arbeitslosigkeit sei aufgrund des demographischen Wachstums in Städten und ländlichen Gebieten hoch (vgl. Stellungnahme v. 15.1.2008 an das OVG Rheinland-Pfalz, S. 2). Für als offen gemeldete Stellen würden überwiegend Arbeitskräfte mit höherer Schulbildung, Sprachkenntnissen und Erfahrung bei internationalen Organisationen gesucht. Die Vermittlung wenig qualifizierter Arbeitskräfte finde außerhalb organisierter Vermittlung statt durch Fürsprache, Empfehlung und persönliche Kontakte (S. 2 f.). Für an- und ungelernte männliche Arbeitskräfte sei „die Wahrscheinlichkeit, eine auf Dauer angelegte und den Lebensunterhalt sichernde Erwerbsmöglichkeit zu finden, gering. Eine Ansprache von Rückkehrern durch eine Integrationsorganisation auf dem Flughafen schließe er nicht aus, bei Arbeitsvermittlungen würden Stellen für Arbeitskräfte mit akademischer Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnissen ausgeschrieben (S. 3 f.) Bei aus Kabul stammenden Rückkehrern sei davon auszugehen, dass sie bei einer Rückkehr nach Kabul über persönliche Kontakte verfügten und diese zu Informationen über Erwerbsmöglichkeiten und im Einzelfall zu Erwerbsmöglichkeiten selbst nutzten. Die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit für einen männlichen Rückkehrer ohne berufliche Qualifikation, rudimentäre betriebswirtschaftliche Kenntnisse und Kontakte in Kabul halte er für wenig Erfolg versprechend (S. 4 f.)

Dr. Glatzer sieht legale Erwerbsmöglichkeiten für alleinstehende männliche Arbeitskräfte außer bei professioneller Qualifikation als eher gering an (vgl. Stellungnahme v. 31.1.2008 an das OVG Rheinland-Pfalz, S. 1). Für ungelernte Arbeitskräfte biete der Bauboom Tagelöhnertätigkeiten, was aber den Zustrom von Afghanen aus ländlichen Regionen verstärkt habe. Wer im Handel Fuß fassen wolle, benötige neben kaufmännischen Kenntnissen erhebliches Kapital, Kredit erhielten nur gut eingeführte oder von zahlungskräftiger Verwandtschaft unterstützte Geschäftsleute (S. 2). In den letzten Jahren habe es gute Beschäftigungsmöglichkeiten für Sprachmittler Dari-Englisch oder Pashtu-Englisch gegeben, allerdings sei auch hier allmählich ein Überangebot zu verzeichnen (S. 3). Viele Arbeitslose drifteten in Kriminalität und Drogenhandel ab (S. 3). Dass ein aus Deutschland abgeschobener Rückkehrer heute noch von einer Hilfsorganisation aufgefangen werde, sei nicht sicher (S. 4). Für Rückkehrer von Minderheitengruppen wie der Hazara stellt er dar, dass in Kabul als einer multiethnischen und kosmopolitischen Handelsstadt das unmittelbare Überleben nicht von der ethnischen oder lokalen Zugehörigkeit abhänge. Neben einigen multiethnischen Stadtvierteln gebe es für fast jede Ethnie, auch die Hazara, Wohnviertel, die von Angehörigen dieser ethnischen Gruppe jeweils dominiert würden. Das bedeute jedoch nicht, dass z. B. ein zurückgekehrter Hazara dort Wohnung und Brot finde, wenn er nicht bei Verwandten unterkommen könne, denn es stünden auch dort nirgends Wohnungen oder auch nur Schlafplätze offen (S. 5).

Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan, Update: aktuelle Entwicklungen vom 21.8.2008, S. 16) sieht mangels sozialer Sicherungssysteme für eine sichere und wirtschaftliche Existenz eines Rückkehrers ein gutes Familiennetz und zuverlässige Stammes- und Dorfstrukturen als wichtigste Voraussetzung an. Aktuell betont sie (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylsuchende aus Afghanistan vom 26.2.2009, S. 4 ff.), selbst die grundlegenden Bedürfnisse der afghanischen Bevölkerung seien trotz 15 Mrd. USD Hilfsgeldern nicht befriedigt worden, die Arbeitslosenrate betrage 32 %, in Landesteilen bis zu 60 %. Die Mietpreise seien stark gestiegen, jeder vierte Einwohner Kabuls verfüge über keine winterfeste Unterkunft. 77 % der afghanischen Bevölkerung insgesamt, sogar 36 % in den Städten, hätten keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Der Gesundheitszustand der afghanischen Bevölkerung gehöre zu den schlechtesten weltweit, in weiten Landesteilen existiere keine medizinische Versorgung. Kinder und Frauen gehörten zu den speziell vernachlässigten Personengruppen, für Frauen sei der Zugang kulturell bedingt schlechter als für Männer, besonders bei fehlendem weiblichem Gesundheitspersonal.

Der UNHCR sieht ernsthafte Gefahren für ihre Gesundheit und ihr körperliches Wohlergehen bei spezifischen Gruppen afghanischer Staatsangehöriger, die entweder mangels familiärer oder sozialer Schutzmechanismen oder wegen in Afghanistan nicht vorhandener Unterstützungs- oder Behandlungsmöglichkeiten besonders verletzlich seien (Humanitäre Erwägungen im Zusammenhang mit der Rückkehr nach Afghanistan, undatiert, Stand April 2007, S. 1; ähnlich UNHCR, Auskunft vom 9.1.2009 an das VG Augsburg, S. 3). Dazu zählt er alleinstehende Frauen, Eltern mit kleinen Kindern, unbegleitete ältere Personen, unbegleitete Minderjährige, traumatisierte Personen und Opfer sexueller Gewalt, Personen mit körperlicher Einschränkung und daraus folgender Unfähigkeit zur Sicherung ihres Lebensunterhalts, auf Betreuung oder Langzeitbehandlung angewiesene Personen mit mentalen Einschränkungen sowie Personen mit ansteckenden, chronischen oder kurzzeitigen Erkrankungen, soweit sie über eine kurzzeitige Krankenhausbehandlung hinaus der familiären ambulanten oder stationären Pflege bedürften. Die Leistungen und Arzneimittel in staatlichen Krankenhäusern seien grundsätzlich kostenlos, die Kosten für private medizinische Leistungen reichten von 2–3 USD für einen Arztbesuch bis zu 2.000 USD für größere Operationen (ebenda, S. 4).

Auch in der Bewertung dieser Auskünfte weichen die Gerichte voneinander ab. Dr. Danesch folgend hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen (VG Sigmaringen vom 16.3.2006, Az. A 2 K 10668/05, juris, RdNr. 60) entschieden, angesichts der erheblichen Schwierigkeiten und der fehlenden Hilfe für Rückkehrer würden zumindest diejenigen, die sich nicht auf den wirtschaftlichen Rückhalt der Familie oder von sonstigen Personen verlassen könnten und die auch keine eigene gesicherte wirtschaftliche Existenz aus Zeiten vor dem Verlassen von Afghanistan aufweisen könnten, im Falle ihrer Rückkehr schwersten Gesundheitsgefährdungen (Mangelernährung und unzureichende Unterkünfte) ausgesetzt. Dies stelle eine extreme Gefahrenlage für Rückkehrer dar, die eine Unterstützung durch Freunde und Familie nicht zu erwarten hätten. Ähnlich schätzen weitere Verwaltungsgerichte die Situation ein und sehen eine extreme Gefahrenlage für Rückkehrer, die nicht in einen zur Hilfe bereiten Familienverband zurückkehren oder auf Grundbesitz, Ersparnisse oder eine hinreichende Rückkehrerhilfe zurückgreifen können (vgl. VG München v. 16.10.2007, M 23 K 06.51077, juris, RdNrn. 35 ff.; VG Karlsruhe v. 6.2.2008, Az. 11 K 503/07, juris, RdNrn. 27, 33 m.w.N., 35 ff. zur Rückkehrerhilfe von 2.400,00 Euro).

Demgegenüber sieht das Verwaltungsgericht Ansbach (VG Ansbach v. 22.3.2006, AN 11 K 06.30055; im Ergebnis ebenso E. v. 26.11.2007, Az. AN 11 K 07.30671, juris, RdNr. 23; E. v. 13.2.2008, Az. AN 11 K 07.30754, juris, RdNrn. 36) eine hinreichende Chance für Rückkehrer im Raum Kabul, die entweder über eigenes Vermögen und Grundbesitz oder über Hilfe von Familienangehörigen verfügten oder die durch eigene Arbeit ihren Lebensunterhalt erwirtschaften könnten. Für junge, männliche, alleinstehende und gesunde moslemische Rückkehrer hat es die Chance, Arbeit in Kabul zu finden, bejaht (ebenda; ähnlich VG Frankfurt v. 5.6.2007, Az. 3 E 4744/05.A, juris, RdNr. 24).

In diesem Sinne hat der Bayer. Verwaltungsgerichtshof nunmehr zwar eine äußerst schlechte Versorgungslage in Afghanistan erkannt, aber keine solche Gefahr gesehen, dass der schwierige Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung alsbald nach ihrer Rückführung zu Tod oder schwersten Verletzungen führen würde (BayVGH vom 3.2.2011, Az. 13a B 10.30394, Urteilsabdruck, RdNrn. 34, 36). Vielmehr sei davon auszugehen, dass ein knapp 25-jähriger männlicher gesunder Afghane sogar der Volkszugehörigkeit der Hazara, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten habe, auch ohne nennenswertes Vermögen oder abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten etwa in Kabul wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren (ebenda, RdNr. 37).

Auch das OVG Münster (OVG Münster v. 5.4.2006, Az. 20 A 516104 A, juris, RdNr. 38 ff.; E. v. 21.3.2007, Az. 20 A 5164/04.A, Entscheidungsabdruck S. 7 ff., 12) hat ausgeführt, allgemein sei festzuhalten, dass in Kabul wirtschaftliche Entwicklung und Etablierung günstigster Lebensumstände zusammentreffen mit größter Armut und schlimmen Verhältnissen, die bis zu einer schon lebensbedrohlichen Existenz in Slums reichten. Auch hinsichtlich der Unterkunftsmöglichkeiten sei letztlich zu folgern, dass für die Prognose, was den einzelnen Rückkehrer treffen werde, von wesentlicher Bedeutung sei, ob auf ihn die Beobachtungen zu übertragen seien, wonach die Masse der Rückkehrer aus Pakistan und Iran betroffen sei, oder ob sich eine Wiedereinbindung in den Heimatstaat begleitet und mit einer gewissen Orientierung gestalten lasse (dies im Anschluss an Herrn David und in Auseinandersetzung mit Herrn Danesch). Dem schließt sich das OVG Schleswig-Holstein an (OVG Schleswig-Holstein v. 21.11.2007, Az. 2 LB 38/07, juris, RdNrn. 25 ff., 34; auch VGH Kassel v. 7.2.2008, Az. 8 UE 1913/06.A, Urteilsabdruck, S. 9–16; ähnlich VGH Baden-Württemberg v. 14.5.2009, Az. A 11 S 983/06, juris, RdNr. 28).

In der Gesamtschau besonders der aktuellen Auskünfte des Auswärtigen Amtes, des UNHCR und der Schweizer Flüchtlingshilfe ist davon auszugehen, dass die Versorgungslage in Kabul wesentlich davon abhängt, ob sich ein Rückkehrer auf familiäre oder sonstige verwandtschaftliche Strukturen verlassen kann, oder ob er auf sich allein gestellt zurückkehrt. Je stärker noch die soziale Verwurzelung des Rückkehrers oder je besser seine Vertrautheit mit den Lebensverhältnissen ist, desto leichter und besser kann er sich in die jetzige Situation in Afghanistan wieder eingliedern und begegnet den Gefahren umso besser. Trotz der teilweise äußerst schlechten Sicherheits- und Versorgungslage kann daher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jeder Rückkehrer aus Europa den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung nach Kabul erleiden müsste (so auch VG Ansbach v. 22.3.2006, Az. AN 11 K 06.30055, juris, RdNr. 44; auch OVG Berlin-Brandenburg v. 5.5.2006, Az. 12 B 9.05, juris, RdNrn. 41 ff.; VGH Kassel v. 7.2.2008, Az. 8 UE 1913/06.A, Urteilsabdruck, S. 9–16; BayVGH vom 3.2.2011, Az. 13a B 10.30394, Urteilsabdruck, RdNrn. 34, 36).

Nach Auffassung des Gerichts ergibt sich daraus eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG im Falle einer Rückführung nach Kabul – eine Rückführung an einen anderen Ort scheidet derzeit ohnehin aus (im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 9.2.2011, S. 32, wird nur auf Kabul als Abschiebeweg abgestellt) – jedenfalls für besonders schutzbedürftige Rückkehrer wie alte oder behandlungsbedürftig kranke Personen, alleinstehende Frauen mit und ohne Kinder, Familien und Personen, die aufgrund besonderer ethnischer oder religiöser Merkmale (wie z. B. Hazara und Hindu) zusätzlicher Diskriminierung unterliegen. Für alleinstehende, junge und arbeitsfähige Männer aus der Bevölkerungsmehrheit ohne erhebliche gesundheitliche Einschränkungen, die entweder mit den Verhältnissen im Raum Kabul vertraut sind oder dort über familiäre oder soziale Netzwerke verfügen oder ausgeprägte berufsbezogene Fähigkeiten und Kenntnisse haben, ist zumindest die Möglichkeit gegeben, sich eine neue Existenz aufzubauen (so auch Sächs. OVG v. 23.8.2006, Az. A 1 B 58/06, juris, RdNr. 30; VG Schleswig-Holstein v. 15.3.2007, Az. 12 A 158/05, Urteilsabdruck S. 10, 18 f., beide zur Zumutbarkeit einer Tagelöhnertätigkeit im Baugewerbe; offener BayVGH vom 3.2.2011, Az. 13a B 10.30394, Urteilsabdruck, RdNr. 37 ohne Rücksicht auf besondere familiäre Kontakte oder persönliche Fähigkeiten). Selbst unter Berücksichtigung der besonderen Schwierigkeiten gerade beim Start in einer vom Krieg geprägten Stadt und der besonderen ethnischen und politischen Situation Kabuls ist dennoch für solche Rückkehrer nicht generell eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG anzunehmen.

Im Fall des Klägers ergibt sich daraus eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG.

Der Kläger ist zwar als junger Mann ohne gesundheitliche Einschränkungen und mit der verbreiteten Sprache Dari grundsätzlich imstande, durch Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er hat aber nur 2-3 Jahre eine Koranschule besucht und keinen Beruf erlernt. Er hat immer nur irgendwelche Hilfstätigkeiten ausgeübt. Als somit ungelernte Arbeitskraft wird eine Tagelöhnerarbeit für den Kläger in Kabul nicht zu finden sein, weil dort bereits eine große Zahl Tagelöhner Arbeit sucht. Auch wenn er vielleicht im Iran noch die Chance hatte, Hilfstätigkeiten zu finden, wird ihm dies in Kabul nicht möglich sein, da die wirtschaftliche Situation insoweit nicht vergleichbar ist. Das gilt vor allem auch, weil der Kläger als junger heranwachsender auch noch einer besonderen Minderheit angehört. Er wird als Qheselbash und Hazara durchaus Diskriminierungen unterliegen und auf keine Netzwerke seiner eigenen Volkszugehörigkeit zurückgreifen können (vgl. VG Augsburg vom 27.4.2010, Au 6 K 10.30045 zur Diskriminierung der Hazara). Zwar hat sich nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. Juli 2010 die Situation der ethnischen Minderheiten, besonders für die traditionell diskriminierten Hazaras, seit dem Ende der Talibanherrschaft insgesamt verbessert. Es weist jedoch auch darauf hin, dass die hergebrachten Spannungen in lokal unterschiedlicher Intensität fortbestehen und auch immer wieder aufleben. Die Hazaras seien in der öffentlichen Verwaltung immer noch stark unterrepräsentiert (S. 21). Dass die Hazara noch nicht die volle Gleichstellung erreicht haben, zeigt sich auch darin, dass erneut die Kandidaten der Hazara-Minderheiten für Ministerposten abgelehnt worden sind (S. 8).

. Des Weiteren hat sich der Kläger noch nie in Kabul aufgehalten. Er ist somit mit den örtlichen Gegebenheiten Kabuls nicht vertraut. Des Weiteren hat er keine Verwandtschaft in Kabul. Er verfügt somit nicht über die erforderlichen Netzwerke der Bevölkerung in Kabul. Als ungelernte Arbeitskraft ohne verwandtschaftliche oder geschäftliche Kontakte hat er keine Chance auf Arbeit, Brot und Obdach. Er ist außerdem seit nunmehr ungefähr 6- 7 Jahren nicht mehr in Afghanistan gewesen und verfügte schon vor seiner Ausreise über keinerlei familiäre oder wirtschaftliche Anknüpfungspunkte in Kabul, die ihm heute den Aufbau einer neuen Existenz erleichterten. Dies ergibt sich aus dem bisherigen Vorbringen insbesondere in der mündlichen Verhandlung.

Zwar hat er nach eigenen Angaben noch Verwandtschaft in Afghanistan, diese leben jedoch in seiner Herkunftsprovinz und nicht in Kabul. Dies ist auch glaubhaft. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit seiner Angaben liegen nicht vor. Dazu wurde der Kläger ausführlich in der mündlichen Verhandlung befragt. Widersprüche ergaben sich insoweit nicht. Das Vorbringen des Klägers deckt sich auch mit der in das Verfahren eingeführten Quellenlage. Aus dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. Juli 2010 ergibt sich, dass nach der Einschätzung des UNHCR eine zunehmende Zahl von Rückkehrern nicht mehr über Anschlussmöglichkeiten bei Familienangehörigen verfügt (S. 35). Anlass zu einer tiefergehenden Sachverhaltsaufklärung bestand somit nicht. Im Übrigen besteht auch kein Anlass zu einer Beweiserhebung ins Blaue hinein oder zu einer gerichtlichen Nachforschung, weil es in Kabul kein verlässliches Meldewesen gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.7.2010, S. 37, zum nach 23 Jahren Bürgerkrieg lückenhaften Registerwesen), somit nicht einmal ein belastbares Beweismittel über die familiäre Situation erreichbar wäre. Auch in seiner Stellungnahme vom 30. November 2009 geht der UNHCR davon aus, dass zum einen die traditionellen Teilungs- und Umverteilungsmechanismen in der erweiterten städtischen Familie weniger effektiv seien (S. 4) und zum anderen die traditionellen sozialen Strukturen des Landes zusammengebrochen seien, hervorgerufen durch den 30 Jahre lang andauernden Krieg, massive Flüchtlingsströme und wachsende interne Migration in die Stadtgebiete (S. 5). Auf Unterstützung von dieser Verwandtschaft kann er aber nicht zurückgreifen, da er gerade wegen dieser Personen aus Afghanistan ausgereist ist. Auch die Beklagte hat insoweit nicht an dem Vortrag des Klägers gezweifelt. Wegen Erbstreitigkeiten ist er vor seiner Verwandtschaft geflohen. Diese wird ihm deshalb offensichtlich nicht helfen, seine Existenz in Afghanistan zu sichern. Seine Mutter und sein jüngerer Bruder leben nicht mehr in Afghanistan, sondern illegal im Iran. Beide haben keine eigenen Einkünfte und können ihm deshalb ebenfalls nicht helfen. Dies ist glaubhaft, weil die Mutter als ältere Frau und noch dazu illegal im Iran keine Arbeit finden wird, ebenso wie der Bruder, der noch zu jung ist. Auch von seinen beiden im Iran lebenden Schwestern ist keine Hilfe zu erwarten. Sie haben kein eigenes Einkommen und dass die Ehemänner nochmals helfen werden, wie bei der Finanzierung seiner Ausreise, ist nach den glaubhaften Angaben des Klägers nicht zu erwarten, weil sie davon nichts hätten. Er wäre für sie nur eine Last.

Auch auf eigenes Vermögen kann er nicht zurückgreifen. Er hat vorgetragen, sein ganzes Vermögen sei für die Ausreise aufgebraucht worden. Diese habe ungefähr 5000 bis 6000 Dollar gekostet. Dies ist aufgrund der Erkenntnisse in anderen Verfahren glaubhaft. Dass bei diesem hohen Betrag auch keine Rücklagen mehr vorhanden sind, ist nachvollziehbar, da der Kläger diesen für ihn sehr großen Betrag jahrelang zusammengespart und teils von seinen Schwager erhalten hat. Es ist auch nicht realistisch, davon auszugehen, dass er bei seiner Rückkehr die Felder, um die die Erbstreitigkeiten gingen, verwerten könnte. Seine Verwandtschaft wird sie ihm nach der langen Zeit, in der er sich nicht darum gekümmert hat, nicht mehr zurückgeben.

Daher ist dem Kläger eine Rückkehr nach Kabul nicht möglich. Nach umfassender Würdigung aller vorgenannten Umstände des Einzelfalles des Klägers droht ihm dort eine existenzielle Lebensgefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

2. Soweit der Bescheid, insbesondere die Abschiebungsandrohung in Nr. 4 der Gewährung von Abschiebungsschutz entgegensteht, ist er ebenfalls aufzuheben..

Anders als unter Geltung des Ausländergesetzes, in der die Abschiebungsandrohung grundsätzlich auch dann (insgesamt) rechtmäßig war, wenn hinsichtlich des Zielstaats Abschiebungshindernisse gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festgestellt wurden, wirkt sich eine positive Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auf die Zielstaatsbestimmung in der Abschiebungsandrohung aus. So enthält § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG anders als § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG keine Einschränkung auf bestimmte Abschiebungshindernisse. Auch ist die gesetzliche Konzeption des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegenüber derjenigen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG verändert: Während nach der bisherigen Rechtslage von der Abschiebung abgesehen werden konnte und die Feststellung gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nur zu einer zunächst auf drei Monate befristeten Duldung führte (§ 41 AsylVfG), enthält § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eine Soll-Bestimmung und stellt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach der Bestimmung die Grundlage für die regelmäßige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis dar (§ 25 Abs. 3 AufenthG). Dementsprechend ist § 41 AsylVfG aufgehoben worden (Art. 3 Nr. 27 des Zuwanderungsgesetzes). Die dargelegte Rechtsauffassung ergibt sich nunmehr auch aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07 - (vgl. Pressemitteilung vom selben Tag).

3. Der Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.