OLG Bamberg, Beschluss vom 08.12.2010 - 1 U 120/10
Fundstelle
openJur 2012, 112796
  • Rkr:
Tenor

I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Bayreuth vom 10.09.2010 - Az.: 23 O 938/09 - nach § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 46.500,-- Euro festzusetzen.

II. Für den Kläger besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis spätestens 29. Dezember 2010.

Gründe

Der Senat ist davon überzeugt, dass die Berufung des Klägers keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO) und dass die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nicht vorliegen. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Bayreuth vom 10.09.2010 einstimmig zurückzuweisen. Hierzu sowie zur vorgesehenen Streitwertfestsetzung wird Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.

I.

Die Berufung des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.

Das angefochtene Urteil des Landgerichts Bayreuth erweist sich nach Überprüfung durch das Berufungsgericht anhand des Berufungsvorbringens des Klägers als beanstandungsfrei. Der Senat nimmt daher und zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug. Lediglich zu den Berufungsangriffen des Klägers sind folgende ergänzende Ausführungen veranlasst:

41. Das Erstgericht vertritt in der angefochtenen Entscheidung die Rechtsauffassung, dass es sich bei dem festgestellten "Schlafwandeln" um eine Geistesoder Bewusstseinsstörung handelt, die als solche und insoweit unstreitig vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist (Ziff. 5.1.1 Victoria AUB 2008). Die rechtliche Würdigung des Landgerichts ist zutreffend und entspricht zudem der in der Rechtsprechung hierzu vertretenen Auffassung. Der - auch dem verständigen Versicherungsnehmer erkennbare - Sinn der Ausschlussklausel liegt nämlich darin, vom Versicherungsschutz solche Unfälle auszunehmen, die sich als Folge einer schon vor dem Unfall vorhandenen gefahrerhöhenden gesundheitlichen Beeinträchtigung beim Versicherten darstellen. Dabei muss diese Beeinträchtigung so beschaffen sein, dass sie eine den Unfall vermeidende Reaktion des Versicherten nicht zulässt ("Unfälle der versicherten Person durch ..."). Das gilt gleichermaßen für die in Ziff. 5.1.1 AUB angeführten epileptischen-sowie anderen Krampfanfälle wie für die mit einem Sammelbegriff umschriebenen Bewusstseins-oder Geistesstörungen. Dabei ist weder eine längere Dauer dieser Beeinträchtigung noch ein Grundleiden oder ein vorheriges Auftreten erforderlich. Maßgeblich ist allein, dass die Beeinträchtigungen so beschaffen sind, dass es in ihrer Folge zu einem Unfall kommt. Eine Bewusstseinsstörung im Sinne der Klausel setzt auch nicht den Eintritt völliger Bewusstlosigkeit voraus, es genügen vielmehr solche gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Aufnahme-und Reaktionsfähigkeit des Versicherten, die die gebotene und erforderliche Reaktion auf die vorhandene Gefahrenlage nicht mehr zulassen, die also den Versicherten außerstande setzen, den Sicherheitsanforderungen seiner Umwelt zu genügen (BGH VersR 1985, 583; VersR 1989, 902; VersR 2000, 1090; OLG Hamm VersR 2009, 349; LG Paderborn RuS 1993, 396). Eine solche Störung liegt mithin dann vor, wenn die dem Versicherten bei normaler Verfassung innewohnende Fähigkeit, Sinneseindrücke schnell und genau zu erfassen, sie geistig zu verarbeiten und auf sie angemessen zu reagieren, ernstlich beeinträchtigt ist. Sie muss einen Grad erreicht haben, bei dem die Gefahrenlage nicht mehr beherrscht werden kann (BGH VersR 2000, 1090). Ob eine solche Bewusstseinsstörung vorliegt, hängt damit sowohl vom Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung der Aufnahme-und Reaktionsfähigkeit als auch von der konkreten Gefahrenlage ab, in der sich der Versicherte befindet. Eine Feststellung der hierzu notwendigen Voraussetzungen erfordert eine fallbezogene Betrachtung, was vorliegend auch das Landgericht nicht verkannt hat. Nach Überzeugung des Senats ist es unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht zu beanstanden, das Schlafwandeln durch ein mit Mobiliar und sonstigen Einrichtungsgegenständen ausgestattetes, mit Treppen versehenes Wohnhaus als eine Bewusstseinsstörung im Sinne des in den Versicherungsbedingungen definierten Ausschlusstatbestandes zu bewerten (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss v. 26.07.2010, Az.: 1 U 49/10 "schwarz vor Augen").

2. Entscheidend für den gegenständlichen Rechtsstreit ist aber letztlich die Frage, ob der Kläger tatsächlich "schlafgewandelt" und hierbei zu Schaden gekommen ist. Entgegen der Auffassung der Berufung verkennt das Erstgericht keinesfalls die den Versicherer treffende Darlegungs-und Beweislast bezüglich des behaupteten Ausschlussgrundes. Es gelangt aber nach durchgeführter Beweisaufnahme zu der Überzeugung, dass die Beklagte diesen Beweis erbracht hat. Aufgabe eines Zivilgerichtes ist es, aufgrund des gesamten Inhalts der Verhandlungen einschließlich durchgeführter Beweisaufnahme den Sachverhalt im Wege freier Beweiswürdigung festzustellen, d.h. sich eine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung zu bilden, § 286 Abs. 1 ZPO. Die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse darf der Tatrichter folglich nach seiner eigenen individuellen Einschätzung bewerten und ist hierbei lediglich an die Denk-, Natur-und Erfahrungsgesetze gebunden (Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 286 Rn. 13). Da eine absolute Gewissheit in der Regel auch in einem Zivilprozess nicht zu erreichen ist, darf und muss sich ein Zivilgericht jedoch für die Gewinnung der vollen Überzeugung von der Wahrheit behaupteter Tatsachen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Dies bedeutet, dass eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende, von niemandem mehr anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist (vgl. BGH NJW 1970, 946; NJW 2004, 777; NJW-RR 2007, 312; Senat in ständiger Rspr., vgl. Beschlüsse vom 11.07.2007, Az.: 1 U 86/07; vom 29.10.2008, Az.: 1 U 120/08; vom 25.03.2009, Az.: 1 U 20/09). Ebenso ist es unvermeidbar, dass die Überzeugung i.S.v. § 286 ZPO auch von subjektiven Einflüssen des Tatrichters bestimmt wird. Einer Korrektur durch das Berufungsgericht unterliegt eine solche tatrichterliche Entscheidung nur insoweit, als dem Erstgericht Verfahrensfehler bei der Beweiserhebung unterlaufen sind oder eine Korrektur der Tatsachengrundlagen wegen eventueller rechtsfehlerhafter Erfassung oder gar eine neue Feststellung der Tatsachen geboten und zulässig ist, §§ 529, 531 ZPO. Die Berufung verkennt in diesem Zusammenhang, dass es die vorzunehmende tatrichterliche Beweiswürdigung erfordert, im Falle widerstreitender Beweisergebnisse auch eine Entscheidung darüber zu treffen, ob und welchen Beweisergebnissen Glauben zu schenken ist. Der Kläger nimmt offenbar, gleichwohl rechtsirrig an, seine eigene gegenteilige und mehrfach wiederholte Schilderung eines anderen Unfallgeschehens verpflichte das Tatgericht, diesen Sachverhalt festzustellen oder zumindest ein zum Nachteil der beweisbelasteten Beklagten gereichendes offenes Beweisergebnis anzunehmen. Tatsächlich erweist es sich als beanstandungsfrei, dass das Erstgericht diese klägerische Schilderung als einen Versuch wertet, die als zutreffend gewürdigten Angaben in der Unfallschadenanzeige vom 08.10.2008 sowie bei der Aufnahme im Klinikum X. zu "relativieren".

3. Der Senat hat bereits ausgeführt, dass eine bedingungsgemäße Bewusstseinsstörung auch dann vorliegen kann, wenn sie nur kurzfristig besteht und nicht auf einer dauerhaft bestehenden Erkrankung beruht. Es ist deshalb auch nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht dem klägerischen Beweisangebot zu seiner Behauptung des Nichtvorhandenseins einer krankhaften Störung nicht entsprochen hat.

4. Nach alledem ist der Senat der einstimmigen Überzeugung, dass die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben kann und zurückzuweisen sein wird.

II.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO) liegen ebenfalls nicht vor. Der Senat regt daher an, zur Vermeidung von Kosten die aussichtslose Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV Nr. 1222) hin.