OLG München, Beschluss vom 15.12.2010 - 31 Wx 199/10
Fundstelle
openJur 2012, 112736
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 16. September 2010 aufgehoben.

II. Die Akten werden dem Amtsgericht München zur weiteren Durchführung des Eintragungsverfahrens zurückgegeben.

Gründe

I.

Die Beteiligte ist eine Gesellschaft (private limited company) mit Sitz in London/Vereinigtes Königreich. Der bisherige Sitz ihrer deutschen Zweigniederlassung liegt in Frankfurt/Main. Dort ist sie unter Bestellung des M.F. und des G.V. als deren ständige Vertreter mit Einzelvertretungsberechtigung und unter Erteilung von Einzelprokura zu deren Gunsten im Handelsregister eingetragen. Mit Antrag vom 6.8.2010 meldete die Beteiligte zur Eintragung an, dass der Sitz der Zweigniederlassung von Frankfurt/Main nach München verlegt wurde, dass G.V. nicht mehr ständiger Vertreter der Gesellschaft ist und dessen Prokura widerrufen wurde sowie v.R. unter Erteilung von Einzelprokura als ständiger Vertreter mit Einzelvertretungsbefugnis der Gesellschaft bestellt wurde. Mit Schreiben vom 12.8.2010 übersandte das Registergericht Frankfurt/Main die Anmeldung zur Sitzverlegung nebst den weiter eingereichten Unterlagen an das Registergericht München.

Mit Zwischenverfügung vom 16.9.2010 forderte das Registergericht die Beteiligte auf nachzuweisen, dass es das Rechtsinstitut der Prokura im englischen Recht überhaupt gebe. Sollte dies nicht der Fall sein, sei die Eintragung der Prokura in Frankfurt/Main fehlerhaft, sodass auch keine Bindungswirkung nach § 13h Abs. 2 HGB bestünde. In diesem Fall wäre die diesbezüglich fehlerhafte Eintragung einschließlich der unvollständigen englischen Registernummer in Frankfurt/Main zu berichtigen und ein neuer Registerausdruck vom Registergericht Frankfurt zu übermitteln. Sollte dies nicht erfolgen, so wäre die Anmeldung zurückzuweisen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten. Sie ist der Auffassung, dass sich die Frage, ob wirksam Prokura erteilt worden sei, nicht nach englischem, sondern nach deutschem Recht bestimme. Im Übrigen sei das Registergericht München verpflichtet, die bisherigen Eintragungen unverändert zu übernehmen. Eine weitergehende Prüfungsbefugnis als die in § 13h Abs. 2 Satz 3 HGB sei dem Registergericht nicht eröffnet.

II.

Die zulässige Beschwerde (§ 382 Abs. 4 FamFG i.V.m. § 58 FamFG) ist begründet. Das von dem Registergericht beanstandete Vollzugshindernis zur Eintragung der Sitzverlegung der Beteiligten von Frankfurt/Main nach München liegt nicht vor.

1. Die Eintragung der beantragten Sitzverlegung ist weder davon abhängig, dass die Beteiligte den von dem Registergericht geforderten Nachweis führt, noch davon, dass das Registergericht Frankfurt/Main bei Nichtnachweis die entsprechende Eintragung berichtigt. Ob die Eintragungen betreffend die Prokura zutreffend sind oder nicht, ist nämlich im Rahmen der Prüfung einer ordnungsgemäßen Sitzverlegung nicht Prüfungsgegenstand. Eine solche materielle Prüfungsbefugnis, wie sie das Registergericht hier in Anspruch genommen hat, findet in § 13 h Abs. 2 Satz 3 HGB keine Grundlage.

5a) Gemäß § 13h Abs. 2 Satz 3 HGB hat das Registergericht der neuen Niederlassung lediglich zu prüfen, ob der Sitz ordnungsgemäß verlegt ist und die Voraussetzungen im Sinne des § 30 HGB beachtet sind. Ist dies der Fall, so hat das Gericht die Verlegung einzutragen und dabei die ihm mitgeteilten Eintragungen ohne weitere Nachprüfung in sein Handelsregister zu übernehmen (§ 13h Abs. 2 Satz 4 HGB). Aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 13h Abs. 2 Satz 3 und 4 HGB ist der Prüfungsumfang des neu zuständigen Gerichts also allein darauf beschränkt, ob die Voraussetzungen für die Verlegung vorliegen, und es kann daher die Eintragung nicht aus sonstigen Gründen ablehnen (allg. Meinung, vgl. MüKoHGB/Krafka <2010> § 13h Rn. 6; Röhricht/Graf von Westphalen/Ammon/Ries HGB 3. Aufl. § 13h Rn. 6; Ensthaler/Achilles HGB 7. Aufl. § 13h Rn. 13; Baumbach/Hopt/Hopt HGB 34. Aufl. § 13h Rn. 3; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Pentz 2. Aufl. § 13h Rn. 28). Eine umfängliche Prüfung bereits erfolgter Eintragungen durch das neu zuständige Gericht soll durch den eindeutigen Wortlaut des § 13h Abs. 2 Satz 4 HGB also gerade nicht erfolgen. Das gilt grundsätzlich auch für solche Eintragungen, die das neu zuständige Registergericht für "offensichtlich fehlerhaft" hält. Vielmehr sollen bereits erfolgte Eintragungen des bisher zuständigen Registergerichts von dem neu zuständigen übernommen und damit fortgeschrieben werden. Dadurch bewirkt §13h Abs. 2 Satz 4 HGB eine Verfahrensvereinfachung für das neu zuständige Registergericht und damit auch eine Verfahrensbeschleunigung. Zugleich dient die Vorschrift dem Interesse des Unternehmens wie auch dem des Rechtsverkehrs. § 13h Abs. 2 Satz 3 und 4 HGB ist nämlich die Wertung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass die bereits aufgenommene wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens allein durch eine Sitzverlegung nicht in Frage gestellt, sondern fortgeführt werden soll, zumal bereits eine Prüfung der Anmeldungen durch das bisherige Registergericht erfolgt ist und damit auch der Rechtsverkehr auf die Zulässigkeit bereits erfolgter Eintragungen vertrauen kann. Andererseits steht es dem neu zuständigen Gericht aber frei, nach § 395 FamFG vorzugehen, wenn es Bedenken gegen bereits erfolgte und übernommene Eintragungen hat (MüKoHGB/Krafka a.a.O. Rn. 6).

b) Das Registergericht kann daher die beantragte Sitzverlegung nicht deshalb ablehnen, weil es die bisherigen Eintragungen über die Prokura für nicht zutreffend hält. Es hat das Verfahren unter Beachtung der rechtlichen Beurteilung durch den Senat fortzusetzen.

2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 3, § 131c KostO).