VG Augsburg, Urteil vom 07.12.2010 - Au 3 K 10.967
Fundstelle
openJur 2012, 112704
  • Rkr:
Tenor

I. Der Bescheid der Regierung von … vom 17. Juni 2010 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die von Seiten der Regierung von … ausgesprochene Zustimmung zur Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses während der fortdauernden Elternzeit.

1. Die 1985 geborene Klägerin ist seit dem 1. August 2001 bei der Beigeladenen beschäftigt. Sie befindet sich seit dem 14. Dezember 2008 infolge der Geburt ihres zweiten Kindes in Elternzeit, welche noch bis zum 19. Januar 2012 andauert.

Mit Schreiben vom 21. April 2010 beantragte die Beigeladene bei der Regierung von … (Gewerbeaufsichtsamt) den Ausspruch der Zulässigkeit einer Kündigung gegenüber der Klägerin. Begründet wurde dies mit einem Vorfall am 18. März 2010 in einem Einkaufsmarkt der Beigeladenen in …. Beim Diebstahl einer Damenjacke im Wert von 39,95 EUR durch ihre Mutter habe die Klägerin Beihilfe geleistet. Deshalb sei gegen die Klägerin Strafanzeige gestellt worden.

Zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt wurde daher von Seiten der Beigeladenen das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin gekündigt. Das entsprechende Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht … wurde ebenfalls zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt vergleichsweise beendet, da die Kündigung bereits wegen der fehlenden Zustimmung seitens des Gewerbeaufsichtsamtes formal rechtswidrig gewesen sei.

Mit Beschluss der Staatsanwaltschaft … vom 17. Mai 2010 wurde das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. Zur Begründung ist dargelegt, dass es nicht nachweisbar sei, dass die Klägerin an dem Diebstahl beteiligt gewesen sei. Weder sei ein Tatbeitrag der Klägerin ersichtlich, noch sei ersichtlich, dass sie ihre Mutter zu dem Diebstahl angestiftet habe. Auch eine Tatbegehung durch Unterlassung scheide aus, da es der Klägerin zumindest nicht zumutbar gewesen sei, ihre Mutter wegen Diebstahls anzuzeigen. Allein durch eine verbale Intervention der Klägerin habe sich deren Mutter offensichtlich nicht von der Tatbegehung abhalten lassen.

Unter dem 2. Juni 2010 erklärte die Beigeladene, dass sie der Auffassung sei, dass die Klägerin durch Worte stärker hätte intervenieren können, so dass ihre Mutter von dem geplanten Diebstahl abgesehen hätte. Die Klägerin habe in besonderer Weise das Treueverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber verletzt.

2. Mit Bescheid der Regierung von … vom 17. Juni 2010 wurde die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Beigeladenen mit der Klägerin zugelassen. Die Kündigung dürfe allerdings nur so ausgesprochen werden, dass sie frühestens zum Ende der beantragten, derzeit laufenden Elternzeit der Klägerin wirksam werde. Voraussetzung für die Zulässigerklärung einer Kündigung während der beantragten Elternzeit sei das Vorliegen eines besonderen Falles. Ein solcher besonderer Fall sei anzunehmen, wenn außergewöhnliche Umstände das Zurücktreten der vom Gesetz als grundsätzlich vorrangig angesehenen Interessen der geschützten Arbeitnehmerin hinter die des Arbeitgebers rechtfertigten, z.B. wenn Gründe, die in der Person oder dem Verhalten der Arbeitnehmerin liegen, einer Weiterbeschäftigung im Betrieb entgegenstünden. Aufgrund des bei dem Diebstahl der Jacke durch ihre Mutter festgestellten Verhaltens der Klägerin überwiege das Interesse des Arbeitgebers an einer Kündigung während der Elternzeit deren Interessen am Erhalt ihres Arbeitsplatzes. Bei der durchgeführten Interessenabwägung sei insbesondere zu beachten gewesen, dass die Klägerin es nicht verhindert habe, dass ihre Mutter die Jacke, ohne diese in korrekter Weise zu bezahlen, an sich genommen habe. Hierdurch sei das Vertrauensverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und der Klägerin so erheblich gestört worden, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr gegeben sei. Dem Antrag auf Zulassung der Kündigung werde deshalb stattgegeben.

3. Die Klägerin hat Klage erhoben und beantragt:

Der Bescheid der Regierung von … - Gewerbeaufsichtsamt - vom 17. Juni 2010 wird aufgehoben.

Die Klägerin habe weder einen Diebstahl, noch Beihilfe zum Diebstahl geleistet. Das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin sei eingestellt worden. Im Rahmen der Interessenabwägung habe der Beklagte angegeben, dass das Interesse des Arbeitgebers so erheblich überwiege, dass die beantragte Kündigung für zulässig erklärt werde. Die genauen Gründe, die dieser Interessenabwägung zugrunde gelegt wurden, seien nicht angegeben worden. Es werde lediglich mit einem pauschalen Satz dargelegt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erheblich gestört sei. Dies sei jedoch nicht nachvollziehbar.

4. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die zulässige Klage sei nicht begründet. Entgegen der Ansicht des Klägerinnenvertreters liege ein besonderer Grund vor. Der besondere Kündigungsschutz einer Arbeitnehmerin während der Elternzeit trete bei außergewöhnlichen Umständen wie schwerwiegenden Pflichtverletzungen zurück. Die Klägerin habe einen solchen schweren Pflichtverstoß begangen. Die Einlassung in der Klagebegründung zum Verhalten ihrer Mutter sei als reine Schutzbehauptung anzusehen. Das Vorbringen werde bereits weitgehend durch die von Zeugenaussagen gedeckte Tatsache, dass die Mutter der Klägerin ihre alte Jacke über die noch nicht bezahlte Jacke gezogen habe, widerlegt. Zwar sei der Klägerin selbst eine Beihilfe zum versuchten Diebstahl wohl nicht nachzuweisen, jedoch habe die Klägerin durch die Duldung des Diebstahlversuchs seitens ihrer Mutter in den Verkaufsräumen ihrer Arbeitgeberin gegen ihre auch in der Elternzeit fortbestehenden Pflichten, das Eigentum des Arbeitgebers zu achten, verstoßen. Zu erwarten sei jedenfalls gewesen, dass die Klägerin massiv auf ihre Mutter einwirke, den Diebstahl zu unterlassen. Jedenfalls aber wäre eine Distanzierung vom Verhalten der Mutter zwingend anzeigt gewesen. Das Verhalten der Klägerin stelle sich insoweit zumindest als grobe Verletzung des auch während der laufenden Elternzeit fortwirkenden Treueverhältnisses zu ihrer Arbeitgeberin dar. Vor diesem Hintergrund sei es rechtmäßig und ermessensgerecht, die Kündigung der Klägerin zuzulassen.

5. Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. August 2010 wurde die Arbeitgeberin der Klägerin zum Verfahren beigeladen.

6. Mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2010 erklärte die Beigeladene, dass nach der entsprechenden Zulassung der Kündigung durch die Regierung von … im Bescheid vom 17. Juni 2010 das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum Ende ihrer Elternzeit erneut gekündigt worden sei. An dieser Kündigung halte die Beigeladene fest. Das diesbezügliche Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht … sei lediglich im Hinblick auf das verwaltungsgerichtliche Streitverfahren derzeit ausgesetzt.

7. Für das weitere Vorbringen der Beteiligten und die Prozessgeschichte wird auf die Gerichtsakte, die Niederschrift über die durchgeführte mündliche Verhandlung, die Behördenakte sowie die beigezogene Akte der Staatsanwaltschaft … verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Regierung von … vom 17. Juni 2010, in dem auf Antrag der Beigeladenen die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin bei der Beigeladenen innerhalb der Elternzeit für ausnahmsweise zulässig erklärt wurde, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

1. Die im angefochtenen Bescheid für zulässig erklärte Kündigung der Klägerin während ihrer Elternzeit widerspricht den gesetzlichen Bestimmungen in § 18 des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG -) vom 5. Dezember 2006 (BGBl I S. 2748).

Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit einem Elternteil während der Elternzeit nicht kündigen. Gemäß Satz 2 dieser Vorschrift kann in besonderen Fällen ausnahmsweise eine Kündigung für zulässig erklärt werden. Bei dem Tatbestandsmerkmal eines besonderen Falles im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG handelt es sich um einen sog. unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt. Der über den Zustimmungsantrag entscheidenden Behörde ist insoweit kein Beurteilungsspielraum eingeräumt (vgl. BVerwG vom 18.8.1977 zum vergleichbaren § 9 MuSchG, BVerwGE 54, 276 ff.; Rancke, Mutterschutz/Elterngeld, Elternzeit, 2007, § 18 BEEG, Rn. 30). Die Zustimmung der Behörde kann damit nach der gesetzlichen Ermächtigungsnorm nur in einem besonderen Fall und auch dann nur ausnahmsweise erteilt werden. Bereits der Wortlaut der Vorschrift, aber auch der Sinn und Zweck des Kündigungsverbots, sprechen für eine äußerst enge Auslegung der Ausnahmen vom Verbotstatbestand. So bestimmt auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Kündigungsschutz bei Elternzeit (erlassen auf der Grundlage von § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG) vom 3. Januar 2007 (Bundesanzeiger S. 247; im Folgenden BEEGKSchVwV) in Abschnitt 1 - Aufgabe der Behörde -, dass ein solcher "besonderer Fall" nur dann vorliegt, wenn es gerechtfertigt erscheint, dass das nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG als vorrangig angesehene Interesse des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wegen "außergewöhnlicher Umstände" hinter die Interessen des Arbeitgebers zurücktritt. Abschnitt 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Kündigungsschutz bei Elternzeit enthält Regelbeispiele für das Vorliegen eines derartigen "besonderen Falles". Nach Abschnitt 2 Nr. 2.1.6 BEEGKSchVwV ist ein besonderer Fall insbesondere dann gegeben, wenn besonders schwere Verstöße des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin gegen arbeitsvertragliche Pflichten oder vorsätzliche strafbare Handlungen des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen. Selbst wenn jedoch die Behörde zu dem Ergebnis gelangt, dass ein besonderer Fall im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG gegeben ist, so hat sie im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden, ob das Interesse des Arbeitgebers an einer Kündigung während der Elternzeit so erheblich überwiegt, dass ausnahmsweise die vom Arbeitgeber beabsichtigte Kündigung für zulässig zu erklären ist ( so Abschnitt 3 BEEGKSchVwV).

Auf Grund dieser gebotenen äußerst engen Auslegung der Ausnahmen vom Verbotstatbestand in § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG scheidet eine Zulässigkeitserklärung der Kündigung aus, wenn eine "wesens- und sinngerechte Fortsetzung der Rechtsbeziehungen" zwischen den Beteiligten noch möglich ist (vgl. BVerwG vom 18.8.1977 zu § 9 MuSchG, BVerwGE 54, S. 276 ff.). Die Frage nach dem besonderen Fall in § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG hat sich demnach am Schutzzweck der Norm und einer Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers und Arbeitnehmers zu orientieren. Lediglich in Fällen, in denen der gesetzliche Sonderkündigungsschutz interessengerecht nicht mehr aufrecht zu erhalten ist, darf demnach die Zulässigkeit einer Kündigung während der Elternzeit ausgesprochen werden.

2. Außergewöhnliche Umstände im dargestellten Sinne, die den gesetzlich vorgesehenen Kündigungsschutz der Klägerin ausnahmsweise hinter das Interesse des Arbeitgebers zurücktreten lassen, vermag die Kammer im hier zu entscheidenden Fall nicht zu erkennen. Der Vorfall vom 18. März 2010, auf den die Beigeladene die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin während der Elternzeit stützt, begründet keinen besonderen Fall im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG, der die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin während der Elternzeit - nach behördlicher Ermessensentscheidung - rechtfertigen könnte. Insoweit bleibt festzuhalten, dass die Staatsanwaltschaft … das betreffende Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wegen Diebstahls bzw. Beihilfe zum Diebstahl mit Verfügung vom 17. Mai 2010 gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt hat. In den diesbezüglichen Gründen ist ausgeführt, dass es nicht nachweisbar sei, dass die Klägerin an dem Diebstahl, den ihre Mutter am 18. März 2010 verübt haben soll, beteiligt war. Weder sei ein Tatbeitrag der Klägerin ersichtlich, noch sei ersichtlich, dass sie ihre Mutter zum Diebstahl angestiftet hätte. Ebenfalls scheide eine Tatbegehung durch Unterlassen aus, da es der Klägerin nicht zumutbar gewesen sei, ihre Mutter wegen Diebstahls anzuzeigen. Offensichtlich habe sich die Mutter der Klägerin auch durch eine verbale Intervention der Klägerin nicht von der Tatbegehung abhalten lassen.

Damit hat die Klägerin gerade keine vorsätzliche strafbare Handlung zum Nachteil ihres Arbeitgebers begangen, die nach Nr. 2.1.6 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Kündigungsschutz bei Elternzeit das Vorliegen eines besonderen, die Kündigung rechtfertigenden Grundes im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG, begründen könnte. Den staatsanwaltschaftlichen Ausführungen im Ermittlungsverfahren ist zu entnehmen, dass die Ermittlungen gegen die Klägerin gerade keinen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage geboten haben (§ 170 Abs. 1 StPO). Auf dieser Grundlage des fehlenden Tatnachweises gegenüber der Klägerin ist es ausgeschlossen, deren grundsätzlich von Gesetzes wegen vorrangigen Kündigungsschutz während der Elternzeit aus § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG hinter die Interessen des Arbeitgebers zurücktreten zu lassen.

Dabei kann letztlich auch dahingestellt bleiben, ob sich die Mutter der Klägerin eines Diebstahls im Sinne von § 242 des Strafgesetzbuches (StGB) zum Nachteil des Arbeitgebers ihrer Tochter strafbar gemacht hat. Das diesbezügliche staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wurde nach der Aussage des Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2010 nach § 153 a Abs. 2 StPO eingestellt. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht in dem Fall, in dem die Klage bereits erhoben ist, mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren bis zum Ende der Hauptverhandlung, in der die tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden können, vorläufig einstellen und zugleich dem Angeschuldigten bestimmte Auflagen und Weisungen erteilen. Zum einen wird mit einer Einstellung nach § 153 a StPO keine Entscheidung darüber getroffen, ob der Beschuldigte die ihm durch die Anklage vorgeworfene Tat begangen hat oder nicht. Auch setzt § 153 a Abs. 2 StPO keinen Nachweis der Tat des Beschuldigten bzw. Angeklagten voraus (vgl. BVerfG vom 16.1.1991, NJW 1991, S. 1530). Zum anderen kann, selbst wenn man von einer Tatbegehung des Diebstahls am 18. März 2010 durch die Mutter der Klägerin ausgeht, dieses Verhalten keine ausnahmsweise Kündigung des Arbeitsverhältnisses ihrer Tochter, der Klägerin, begründen. Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass sich allein aus dem arbeitsrechtlichen Direktionsrecht der Beigeladenen kein personales Verhältnis ergibt, auf welches sich eine Stellung der Klägerin als Überwachergarant für das Vermögen der Beigeladenen stützen ließe (vgl. Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 56. Aufl. 2009, § 13, RdNr. 38). Der Klägerin kam demnach keine Garantenpflicht zur Verhinderung fremder Straftaten zu. Zum anderen ist die Klägerin nicht verantwortlich für das Verhalten ihrer erwachsenen Mutter. Eine Pflicht zur Beaufsichtigung der Lebensführung erwachsener Familienangehöriger besteht nicht (vgl. Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 26. Auflage 2007, § 13, Rdnr. 14). Die Klägerin befand sich beim Vorfall am 18. März 2010 in einem inneren Zwiespalt zwischen den Interessen ihres Arbeitgebers und dem Verhalten ihrer Mutter. Es war der Klägerin wohl nicht zuzumuten, selbst wenn sie den Diebstahl ihrer Mutter bemerkt haben sollte, ihre Mutter vor den Augen des anwesenden Publikums im Einkaufsmarkt zur Rede zu stellen. Auch die Staatsanwaltschaft … hat in ihrem Einstellungsbeschluss vom 17. Mai 2010 auf den Umstand hingewiesen, dass der Klägerin eine stärkere verbale Intervention gegen das Verhalten ihrer Mutter wohl nicht zuzumuten war bzw. dass sich ihre Mutter von der Tatbegehung nicht abhalten ließ. Überdies gilt es zu berücksichtigen, dass die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag am betreffenden Tag ihr einjähriges Kleinkind im Einkaufsmarkt mitführte und dementsprechend nachvollziehbar in ihrer Aufmerksamkeit ob des Verhaltens ihrer Mutter eingeschränkt war. Da kein Tatnachweis gegen die Klägerin geführt werden konnte, ist es mithin ausgeschlossen, die Interessen des Arbeitgebers im vorliegend zu entscheidenden Fall als vorrangig zu beurteilen, und eine ausnahmsweise Kündigung nach § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG zuzulassen.

Die von der Beigeladenen vorgetragenen Umstände sind demnach keinesfalls so belastend für die Beigeladene, dass eine weitere Fortführung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen wäre. Hierbei gilt es insbesondere auch die Struktur des mittelständischen Handelsunternehmens der Beigeladenen zu betrachten. Die Beigeladene betreibt eine Kette von ca. 40 Verbrauchermärkten mit einer Mitarbeiterzahl von annähernd 3.000 an ihren inländischen Standorten (http://wikipedia. org/wiki/…_GmbH). Warum es bei dieser Unternehmensstruktur und dem nicht gegebenen Tatnachweis gegenüber der Klägerin ausgeschlossen sein sollte, diese im Unternehmen der Beigeladenen weiter zu beschäftigen, wurde von Seiten des Beklagten bzw. der Beigeladenen nicht ausreichend dargetan.

3. Aus den vorstehenden Gründen kann schon nicht davon ausgegangen werden, dass ein besonderer Fall im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG vorliegt. Damit ist bereits der Anwendungsbereich für eine behördliche Ermessensbetätigung nicht eröffnet. Es bedarf demnach keiner Würdigung der Ausführungen des Beklagten zum Ermessen am Maßstab des § 114 VwGO.

4. Als unterliegender Teil hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Da die Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit keinem Prozessrisiko ausgesetzt hat, hat eine Kostenbeteiligung der Beigeladenen gemäß § 154 Abs. 3 VwGO zu unterbleiben. Die Beigeladene hat ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst zu tragen.

5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes - GKG - in Verbindung mit Ziffer 27.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 7./8. Juli 2004 beschlossenen Änderungen).