VG München, Urteil vom 22.09.2010 - M 18 K 09.5879
Fundstelle
openJur 2012, 110615
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.

II. Die Klägerinnen haben die Kosten der Verfahren zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin zu 2) betreibt zwei Filialrestaurants ihrer Kette in …., die Klägerin zu 1) ein weiteres derartiges Filialrestaurant als Franchiseunternehmen.

Mit Schreiben vom …. September 2009, bei der Beklagten eingegangen am …. September 2009, beantragte der Beigeladene bei dieser Auskunft nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) über „Verstöße gegen das Lebensmittelrecht“ in den von den Klägerinnen betriebenen Restaurants. Es werde um Übersendung aller „strafrechtlichen Vergehen“ gebeten.

Mit Schreiben des Bevollmächtigen der Klägerinnen vom …. Oktober 2009 erhob dieser Einwendungen gegen das Informationsbegehren. Im Einzelnen wurde die mangelnde Bestimmtheit des Antrages gerügt und eingewandt, dass man nur von einem mitteilungspflichtigen Verstoß ausgehen könne, wenn dieser in einem entsprechenden Verfahren festgestellt worden sei. Schließlich handele es sich bei der begehrten Auskunft um wettbewerbsrelevante Informationen, die nicht herausgegeben werden dürften.

Auf Nachfrage der Beklagten konkretisierte der Beigeladene mit Schreiben …. Oktober 2009 sein Informationsbegehren dahingehend, ihm „alle Verstöße aller aktuellen und nicht aktuellen Betreiber“ der angesprochenen Filialen im Zuständigkeitsbereich der Beklagten zu nennen.

Mit Bescheiden vom …. November 2009 gab die Beklagte dem Antrag des Beigeladenen statt und kündigte an, die begehrte Auskunft zwei Tage nach Bestandskraft des Bescheides zu erteilen. Gleichzeitig teilte die Beklagte mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Schreiben vom …. November 2009, dem Bevollmächtigten der Klägerinnen zugestellt am …. November 2009, mit, dass dem Antrag stattgegeben werde. Dabei nahm die Beklagte zu den in den Schreiben vom …. Oktober 2009 vorgebrachten Einwendungen der Klagepartei Stellung.

Mit Schriftsätzen vom 14. Dezember 2009 erhob der Bevollmächtigte der Klägerinnen Klage und beantragte,

die (jeweiligen) Bescheide vom …. November 2009, bekanntgegeben mit Schreiben vom …. November 2009, aufzuheben.

Demgegenüber beantragte die Beklagte mit Schriftsätzen vom 25. Januar 2010,

die (jeweiligen) Klagen abzuweisen.

Hierbei legte die Beklagte Auszüge aus den (jeweiligen) Akten vor unter Auflistung von nicht vorgelegten Aktenbestandteilen, die mit Rücksicht auf § 4 Abs. 3 Satz 3 VIG erst nach Bestandskraft der Entscheidung vorgelegt werden könnten.

Mit Schriftsätzen vom 28. Mai 2010 begründete der Bevollmächtigte der Klägerinnen die Klagen.

Der Antrag des Beigeladenen sei nicht hinreichend bestimmt. Es handele sich um einen „Rundumantrag“, mit dem er sich einen Überblick über das bei der Beklagten vorhandene Wissen verschaffen wolle. Die Beklagte verfüge über keinerlei Informationen über lebensmittelrechtliche Verstöße der Klägerinnen. Die Beklagte beabsichtige jedoch, dem Beigeladenen interne Protokolle über Betriebskontrollen zugänglich zu machen. Die Ergebnisse der von der Beklagten durchgeführten Betriebskontrollen stellten jedoch weder lebensmittelrechtliche Verstöße dar, noch würden sie Informationen über lebensmittelrechtliche Verstöße beinhalten. Der Begriff „lebensmittelrechtlicher Verstoß“ bedeute, dass sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand mindestens eine Ordnungswidrigkeit oder eines Straftatbestandes verwirklicht sein müsse. Demgemäß liege ein Verstoß nur dann vor, wenn rechtskräftig festgestellt worden sei, dass die Klägerinnen durch bestimmte Handlungen einem lebensmittelrechtlichen Gebot zuwidergehandelt hätten und dies zumindest fahrlässig erfolgt sei. Des weitern stehe der vorliegend beabsichtigten Informationsgewährung der Ausschlussgrund des § 2 Satz 1 Nr. 2 c) VIG entgegen. Bei den streitgegenständlichen Informationen handele es sich nämlich um „sonstige wettbewerbsrelevante Informationen“ im Sinne dieser Vorschrift, die geschützt seien und nicht zum Gegenstand einer Auskunft auf der Grundlage des VIG gemacht werden dürften.

Mit Schriftsätzen vom 23. Juni 2010 trat die Beklagte dem Vortrag des Bevollmächtigten der Klägerinnen entgegen. Hierauf wird Bezug genommen.

Mit Schriftsätzen vom 14. September 2010 ergänzte der Bevollmächtigte der Klägerinnen seinen Vortrag.

Am 22. September 2010 fand der Termin der mündlichen Verhandlung statt. Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage wiederholten die Parteien die bereits schriftsätzlich gestellten Anträge. Ferner wurde der Beschluss gefasst, die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

Die zulässigen Klagen haben in der Sache keinen Erfolg.

Die Bescheide der Beklagten vom …. November 2009, mit denen dem Antrag des Beigeladenen auf Mitteilung der bei der Beklagten registrierten Verstöße gegen das Lebensmittelrecht in den Restaurantfilialen der Klägerinnen stattgegeben wird, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerinnen nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Dem Informationsbegehren des Beigeladenen wurde zu Recht stattgegeben.

1. Der hierauf gerichtete Antrag wurde formgerecht schriftlich gestellt. Er ist auch hinreichend bestimmt (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VIG). Er bezieht sich auf die drei Restaurantfilialen der Klägerinnen und zielt auf alle bei der Beklagten diesbezüglich geführten, aktenkundigen Verstöße gegen das Lebensmittelrecht ab, wie der Beigeladene in seinem Anschreiben vom …. Oktober 2009 (gegenüber der missverständlichen Formulierung „strafrechtliche Vergehen“ im ursprünglichen Antrag vom …. September 2009) klargestellt hat.

2. Entgegen der Auffassung der Klagepartei liegt ein Verstoß gegen das Lebensmittelgesetzbuch, der Gegenstand eines Informationsbegehrens gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 VIG sein kann, nicht erst dann vor, wenn dieser in einem strafrechtlichen bzw. ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfahren rechtskräftig festgestellt worden ist.

Wie aus der Differenzierung in § 1 Abs. 1 Nr. 1 VIG zwischen „Verstößen“ einerseits und „Maßnahmen und Entscheidungen“ andererseits, die im Zusammenhang mit solchen Verstößen getroffen worden sind, deutlich wird, liegt ein Verstoß in diesem Sinne dann vor, wenn die zuständige Behörde feststellt, dass ein Vorgang nicht mit den maßgeblichen Vorschriften im Einklang steht. Unerheblich ist insoweit, ob bzw. welche Maßnahmen/Verfahren dieser Feststellung nachfolgen, was in der Praxis häufig auch vom Verhalten des Betroffenen abhängt. Bestreitet dieser einen derartigen Verstoß nicht und zeigt sich bereit, den Mangel zu beheben, wird dieses insbesondere bei mindergewichtigen Regelwidrigkeiten häufig keine weiteren Folgen nach sich ziehen. Daran, dass ein Verstoß vorgelegen hat, ändert dies jedoch nichts (so auch BayVGH, Beschl. v. 22.12.2009, G 09.1, recherchiert in juris, dort RdNr. 23). Dabei ist dem Bevollmächtigten der Klägerinnen zuzugestehen, dass Rechtsschutz bzw. eine Kontrolle des Betroffenen bei einer Veröffentlichung derartiger Verstöße nicht stattgefunden hat. Allerdings hat ein solcher Verstoß auch nur die Qualität eines behördlich bemängelten Verstoßes und eben nicht die eines rechtskräftig in einem gerichtlichen Verfahren überprüften Verstoßes.

3. Die Klagepartei kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Mitteilung der fraglichen Verstöße wegen entgegenstehender privater Belange, insbesondere zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen bzw. im Hinblick auf die Wettbewerbsrelevanz der Informationen (vgl. § 2 Satz 1 Nr. 2 c) VIG) zu unterbleiben hat.

Denn abgesehen davon, dass es insoweit an einem substantiierten Sachvortrag fehlt (Verstöße können immer zum Anlass einer Kampagne genommen bzw. von Konkurrenten im Wettbewerb für sich genutzt werden) ist dieser Ausschlussgrund eines Informationsanspruchs bei den hier streitgegenständlichen Verstößen gegen das Lebensmittelrecht gesetzlich ausgenommen, § 2 Satz 3 VIG.

4. Auch andere Rechtsvorschriften außerhalb des Verbraucherinformationsgesetzes stehen der angefochtenen Informationsgewährung nicht entgegen.

a) Fehl geht insoweit die Bezugnahme auf Art. 10 VO (EG) Nr. 178/2002 durch die Klagepartei. Diese Vorschrift regelt nicht Informationsansprüche der Öffentlichkeit bzw. des Verbrauchers, sondern die Voraussetzungen, unter denen die Behörde einseitig von sich aus informieren darf und liefert diesbezüglich die Grundlage für Produktwarnungen. Die Regelung verfolgt damit eine andere Zielrichtung und ist an andere Voraussetzungen geknüpft.

b) Gleiches gilt für Art. 7 Abs. 3 VO (EG) Nr. 882/2004, auf den sich die Klagepartei ebenfalls bezogen hat und der die Vertraulichkeit von Voruntersuchungen und laufenden rechtlichen Verfahren der Geheimhaltungspflicht unterstellt.

Dabei ist bereits zweifelhaft, ob diese Vorschrift, die im Kontext allgemeiner Regeln für die Durchführung einer wirkungsvollen amtlichen Kontrolle steht, auch dem Schutz der von der Kontrolle betroffenen Firma dient (verneinend: BayVGH a.a.O., RdNr. 26; VG Düsseldorf v. 8.7.2010, Az. 26 L 683/10, recherchiert in juris, dort RdNr. 49).

Ungeachtet dessen zielt das Auskunftsbegehren auf festgestellte Verstöße ab, bezüglich derer - auch nach der Argumentation der Klagepartei (s. oben Ziff. 2.) - ersichtlich keine Verfahren anhängig sind und auch keine weiteren Ermittlungen im Gange sind, die den Schutz der Vertraulichkeit von Voruntersuchungen gebieten könnten.

Die Klagen waren daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Die Entscheidung übe die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 124 a) Abs. 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen.

 

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 10.000,-- festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).