Bayerischer VGH, Beschluss vom 11.08.2010 - 2 CS 10.1626
Fundstelle
openJur 2012, 110007
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg, da die dargelegten Gründe keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung rechtfertigen (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO). Der Antragsteller als Nachbar des beigeladenen Bauherrn kann die Baugenehmigung mit dem Ziel ihrer Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die zumindest auch seinem Schutz dienen. Die Klage des Antragstellers wird aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weil der angefochtene Bescheid nicht an einem derartigen Mangel leidet.

1. Die Art der baulichen Nutzung gewährt dem Nachbarn auch im unbeplanten Innenbereich ein subjektives Abwehrrecht gegenüber nicht gebietsverträglichen Nutzungen, das über das Rücksichtnahmegebot hinausgeht, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO entspricht (vgl. BVerwG vom 16.9.1993 Az. 4 C 28.91, BVerwGE 94, 151). Im vorliegenden Fall dürfte die Nutzung jedoch gebietsverträglich sein. Denn in bauplanungsrechtlicher Hinsicht beurteilt sich das Vorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO.

a. Die Beschwerde rügt, dass das Verwaltungsgericht nicht auf den im Zusammenhang bebauten Ortsteil hätte abstellen dürfen sondern auf die nähere Umgebung. Diese sei als reines Wohngebiet zu qualifizieren. Indes kann dies nicht zur Aufhebung oder Abänderung des Beschlusses führen. Denn bei der Bestimmung des Umkreises der für die Qualifizierung als Dorfgebiet maßgeblichen Bebauung muss die Umgebung einmal insoweit berücksichtigt werden, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und weiterhin insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Die Rüge verkennt, dass der Umkreis der zu beachtenden vorhandenen Bebauung im Rahmen der Ermittlung des Gebietscharakters bei § 34 Abs. 2 BauGB weiter zu fassen ist als für die übrigen in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB genannten Zulässigkeitsparameter (vgl. schon BVerwG v. 19.9.1969 Az. IV C 18.67DVBl 1970, 62). Bei § 34 Abs. 2 BauGB darf daher nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft des Grundstücks überwiegt, sondern es muss auch noch auf die Bebauung der weiteren Umgebung insoweit abgestellt werden, als sie noch prägend auf das Baugrundstück einwirkt. Nach diesem Maßstab ist die Festlegung des für die Beurteilung des Vorhabens maßgeblichen Umgriffs durch das Verwaltungsgericht nicht zu beanstanden.

Die Beschwerde rügt, dass sich der vorliegend anzunehmende Ortsteil auch jenseits der Grundstücke FlNrn. 1001/1, 907, 905/5 in Richtung Norden fortsetzt. Der Senat hält es jedoch für zutreffend, der auf dem Grundstück 910/1 vorhandenen Baulücke eine Unterbrechung des Bebauungszusammenhangs zuzumessen. Weiter ist es nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht der Wolfsgrubstraße im Osten aufgrund der nur einseitigen, westlichen Bebauung eine den Bebauungszusammenhang begrenzende Wirkung beimisst.

Soweit die Beschwerde die in westlicher Richtung vorhandenen Nutzungen (Tennis- und Minigolfanlage, Gaststätte, Museum, Skischule) vom Bebauungszusammenhang wegen eines „Grünstreifens“ ausschließen möchte, folgt der Senat dem nicht. Maßgeblich für die Annahme einer Trennfunktion ist eine einzelfallbezogene Wertung des konkreten Sachverhalts unter Einbeziehung der gesamten örtlichen Gegebenheiten. Dabei kann im Eilverfahren eine Überprüfung nur anhand der dem Senat vorliegenden Pläne und Photos erfolgen. Danach ist der „Grünstreifen“ mit ca. 50 m Breite insbesondere angesichts der westlich und östlich des „Grünstreifens“ befindlichen Bebauung nicht so groß, als dass er den Bebauungszusammenhang unterbrechen könnte. Im Übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass das Grundstück 897/19 im Süden des „Grünstreifens“ bebaut ist und bereits von daher wohl nicht von einem durchgehenden „Grünstreifen“ gesprochen werden kann, der trennende Wirkung haben könnte.

b. Es ist weiter nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht die nähere Umgebung des Bauvorhabens als Dorfgebiet charakterisiert. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist der Betrieb des Beigeladenen zu 1 nicht als Fremdkörper anzusehen. Als Fremdkörper sind lediglich bauliche Anlagen auszusondern, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild oder nach ihrer Qualität gar nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt. Dies ist hier nicht der Fall. Zum einen sprechen quantitative Gesichtspunkte gegen eine Einordnung als Fremdkörper: Das landwirtschaftliche Anwesen des Beigeladenen zu 1 bildet nach den Plänen in seiner Umgebung einen natürlichen Mittelpunkt, es besteht aus einem sehr großen Gebäudekörper auf einem großen Hofgrundstück und in der näheren Umgebung befindet sich zudem ein zweiter landwirtschaftlicher Betrieb. Zum anderen hat der Senat keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine „Restlandwirtschaft ohne städtebauliche Bedeutung“ handelt. Vielmehr bewirtschaftet der Beigeladene zu 1 einen typischen landwirtschaftlichen Betrieb im bayerischen Oberland (24 ha landwirtschaftliche Fläche, Almwirtschaft, derzeit neun Milchkühe und elf Jungtiere). Die nähere Umgebung kann somit wegen der beiden landwirtschaftlichen Betriebe und der heterogenen Nutzung durch die sonstige Bebauung (Tennis- und Minigolfanlage, Gaststätte, Skischule, Museum und Wohngebäude) als Dorfgebiet eingestuft werden.

2. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Vorhaben des Beigeladenen zu 1 gegen sonstige nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts verstößt. Nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO ist das Bauvorhaben des Beigeladenen zu 1 grundsätzlich zulässig. Rechtliche Schranken ergeben sich allerdings aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Nach dieser Vorschrift sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Diese Vorschrift ist eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und soll gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG vom 23.9.1999 Az. 4 C 6/98 - juris, BVerwGE 109, 314). Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheit mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist es nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme verneint, weil die dabei zu treffende Abwägung nach summarischer Prüfung zu Lasten des Antragstellers ausfällt.

a. Soweit der Antragsteller rügt, dass die Immissionen bereits deshalb unzumutbar seien, weil sie im reinen Wohngebiet nicht sozialadäquat seien, wurde bereits oben ausgeführt, dass die Einordnung als Dorfgebiet nicht beanstandet werden kann. Insofern hält auch der Senat die Einzelfallprüfung in der Stellungnahme des Technischen Umweltschutzes vom 23. November 2009, die auch dem Bescheid vom 7. April 2010 zugrunde gelegt wurde, für plausibel.

b. Der Antragsgegner kann, wenn das Vorhaben in den Grundzügen genehmigungsfähig ist, baurechtliche Erfordernisse im Einzelfall mit Hilfe von Nebenbestimmungen i.S.d. Art. 36 BayVwVfG sicherstellen. Einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot durch Unterlassen einer Nebenbestimmung hinsichtlich des südlichen Tores in der Ostwand des geplanten Stallgebäudes kann jedoch im vorliegenden Fall wohl nicht angenommen werden. Denn zum einen ist dieses Tor bereits weiter vom Grundstück des Antragstellers entfernt als das beauflagte nordöstliche Futtertischtor. Zum anderen ist bereits fraglich, ob und inwieweit dieses Tor überhaupt nach seinem funktionsgemäßen Gebrauch dauernd geöffnet sein kann. Dieses Tor führt nämlich offensichtlich zu dem Bereich, in dem sich die Tiere aufhalten. Der Beigeladene zu 1 wird das Tor insbesondere wegen der am Baugrundstück vorbeiführenden Straßen bereits deshalb geschlossen halten, um die Tiere am Fortlaufen zu hindern.

Auch die vom Antragsteller monierte fehlende Bestimmtheit der Stallbelegung führt nicht dazu, dass der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist. Unabhängig davon, ob es sich bei der Nr. 1 des Schreibens des Landratsamts Miesbach vom 23. November 2009 überhaupt um eine Auflage im Rechtssinn handelt, führt - wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat - auch eine ganzjährige Bestückung des Stalles hinsichtlich des Geruchs wohl nicht zu einer unzumutbaren Belästigung des Antragstellers.

c. Der Senat hält mit dem Verwaltungsgericht die von Seiten des beigeladenen Bauherrn mit dem Stallneubau verfolgten Interessen für nachvollziehbar. Die Einrichtung eines Laufstalls in der geplanten Art ist erforderlich, um eine biologische Landwirtschaft im Sinne der EG-Ökoverordnung betreiben zu können. Der Antragsteller kann die Baugenehmigung nicht durch einen Hinweis auf andere theoretisch denkbare Möglichkeiten, wie z. B. den Umbau des bestehenden Stallgebäudes als Laufstall oder der Errichtung des Baus auf einem angeblich besser geeigneten Alternativstandort zu Fall bringen, wenn das Vorhaben an dem vom Beigeladenen zu 1 gewählten Standort Nachbarrechte nicht verletzt. Im Übrigen führt die planungsrechtliche Einordnung als faktisches Dorfgebiet zur Anwendung der Vorrangklausel des § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Danach ist den Belangen der landwirtschaftlichen Betriebe, insbesondere ihren Entwicklungsmöglichkeiten, in besonderem Maße durch „vorrangige Rücksichtnahme“ Rechnung zu tragen.

Der Antragsteller hat nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des erfolglosen Beschwerdeverfahrens zu tragen. Ein Anlass, ihm gemäß § 162 Abs. 3 VwGO auch die außergerichtlichen Kosten der anwaltlich nicht vertretenen Beigeladenen aufzuerlegen, besteht nicht.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.