OLG München, Beschluss vom 15.07.2010 - 31 AR 37/10
Fundstelle
openJur 2012, 109649
  • Rkr:
Tenor

I. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Passau vom 2. Mai 2010 wird aufgehoben.

II. Die Akten werden dem Landgericht Passau zurückgegeben.

Gründe

I.

Die Antragstellerin hat beim Landgericht Passau Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen den Antragsgegner gestellt, den sie als ihren Verlobten bezeichnet. Der Antragsgegner wohnt im Bezirk des Amtsgerichts Regensburg. Er bestreitet, mit der Antragstellerin verlobt zu sein. Beide Parteien halten das Streitgericht und nicht das Familiengericht für zuständig, wobei der Antragsgegner in örtlicher Hinsicht das Landgericht Regensburg für zuständig hält. Das Landgericht Passau hat das PKH-Verfahren auf hilfsweise gestellten Verweisungsantrag der Antragstellerin nach § 281 ZPO an das Amtsgericht – Familiengericht – Regensburg verwiesen. Dieses Gericht lehnte die Übernahme ab und leitete die Akten zurück. Das Landgericht Passau legte die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.

II.

Zuständig zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts analog § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist das Oberlandesgericht München, da das zuerst mit der Sache befasste Landgericht Passau zu seinem Bezirk gehört (§ 36 Abs. 2 ZPO). Eine Bestimmung unterbleibt jedoch, da das Landgericht Passau im falschen Verfahren nach § 281 ZPO über die wie eine Rechtswegfrage zu behandelnde Frage der Zuständigkeit des Familiengerichts in Abgrenzung zur Zuständigkeit des Spruchkörpers für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten (Streitgericht) entschieden hat. Es hätte jedoch allenfalls im Verfahren nach § 17a GVG an das Familiengericht verweisen dürfen (wenn man das im Rahmen eines PKH-Verfahrens für zulässig hält, vgl. unten) oder eine Verweisung nach § 281 ZPO nur hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit – dann aber an das Landgericht Regensburg und nicht an das Familiengericht des Amtsgerichts – aussprechen dürfen. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Passau kann deshalb keinen Bestand haben. Zur Klarstellung hebt der Senat den Verweisungsbeschluss auf. Die Akten werden dem Landgericht Passau zur nochmaligen Prüfung und neuer Entscheidung zurückgegeben.

31. Nach § 17a Abs. 6 GVG gilt das in § 17a geregelte besondere Verfahren zur Entscheidung über den Rechtsweg entsprechend für die in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper untereinander. Die durch das FGG-Reformgesetz mit Wirkung ab 1.9.2009 eingeführte Vorschrift gilt (nach näherer Maßgabe der Übergangsvorschrift in Art. 111 FGG-RG) für nach dem 31.8.2009 eingeleitete Verfahren und ist hier anwendbar. Danach muss ein angegangenes Landgericht, wenn es den Rechtsweg zum Familiengericht für eröffnet hält, einen Unzuständigkeits- und Verweisungsbeschluss nach § 17a Abs. 2 GVG erlassen. Dieser unterliegt – anders als der Verweisungsbeschluss nach § 281 ZPO – der Anfechtung mit der sofortigen Beschwerde (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. § 567 ZPO). So besteht für die Parteien die Möglichkeit, die Rechtswegfrage vorab im Rechtsmittelweg überprüfen und verbindlich klären zu lassen, wobei die Klärung auch durch fruchtlosen Ablauf der Beschwerdefrist eintreten kann. Der nicht angefochtene oder gegebenenfalls im Rechtsmittelweg überprüfte und bestätigte Verweisungsbeschluss ist sodann für das Empfangsgericht hinsichtlich des Rechtswegs bindend (§ 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). Für eine Vorlage an das übergeordnete Gericht entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist in aller Regel kein Raum mehr (vgl. BGH NJW-RR 2010, 209). Der Konfliktlösungsmechanismus des § 17a GVG unterscheidet sich insoweit grundlegend von demjenigen nach §§ 281, 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Aus diesem Grund kommt auch eine nachträgliche Umdeutung des auf § 281 ZPO gestützten Verweisungsbeschlusses in einen solchen nach § 17a GVG nicht in Betracht. Denn den Parteien darf die Möglichkeit der Beschwerde gegen die Rechtswegverweisung nicht genommen werden.

42. Allerdings soll nach verbreiteter Meinung im isolierten PKH-Verfahren eine Verweisung in einen anderen Rechtsweg nach § 17a GVG ausgeschlossen sein (vgl. OLG Karlsruhe MDR 2007, 1390; Zöller/Lückemann ZPO 28. Aufl. Vor §§ 17 -17b GVG Rn. 12; Musielak/Wittschier ZPO 7. Aufl. § 17 GVG Rn. 3 je m.w.N. auch zur Gegenauffassung). Ob dem zu folgen ist, erscheint zweifelhaft (so wohl auch BGH NJW-RR 2010, 209). Allein schon der Gesichtspunkt der Sachnähe und Vertrautheit des Gerichts des richtigen Rechtswegs mit der jeweils betroffenen Materie spricht eher dafür, zunächst den Rechtsweg zu klären und sodann das Gericht des richtigen Rechtswegs über die hinreichenden Erfolgsaussichten und fehlende Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (vgl. § 114 ZPO, § 76 FamFG) entscheiden zu lassen. Das kann hier jedoch dahinstehen und bedarf daher keiner weiteren Vertiefung. Denn eine Auslegung, nach der § 17a GVG auch im Verfahren über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe (oder Verfahrenskostenhilfe) anzuwenden ist, wäre jedenfalls nicht unvertretbar; eine darauf gestützte Verweisung, soweit nicht nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG angefochten und im Rechtmittelweg aufgehoben, wäre grundsätzlich für das Empfangsgericht hinsichtlich der Rechtswegzuständigkeit bindend (vgl. BGH NJW-RR 2010, 209; NJW 2001, 3633). Es kann dem Landgericht Passau überlassen bleiben, in eigener Zuständigkeit zu entscheiden, ob es den Weg der Verweisung nach § 17a GVG für zulässig hält und so vorgehen will.

3. Alternativ kann das Landgericht Passau sich auch zunächst nur der örtlichen Zuständigkeit zuwenden und das PKH-Verfahren in örtlicher Hinsicht nach § 281 ZPO an das Landgericht Regensburg verweisen. Ein entsprechender hilfsweise gestellter Antrag der Antragstellerin liegt vor; der Antragsgegner hatte bereits rechtliches Gehör und zu erkennen gegeben, dass er das Landgericht Regensburg für zuständig hält. Dass § 281 ZPO für PKH-Verfahren entsprechend gilt, ist seit langem anerkannt (vgl. BGH NJW-RR 1994, 706; Zöller/Greger § 281 Rn. 2). Das bezieht sich im Übrigen auch auf die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Die Meinung des Familiengerichts Regensburg, es läge in einem solchen Fall nur eine nicht bindende Abgabe vor, weil die Klage noch nicht zugestellt sei, geht fehl: Die Verweisung ist für das Empfangsgericht analog § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend hinsichtlich der Zuständigkeit zur Entscheidung über den PKH-Antrag (allerdings nicht für die nachfolgende Klage, vgl. Zöller/Greger Rn. 16b). Diese Bindung würde sich aber, wenn nur in örtlicher Hinsicht verwiesen wird, nur auf die örtliche Zuständigkeit beziehen und dem in örtlicher Hinsicht gebundenen Gericht die Entscheidung über die Rechtswegfrage offen lassen (vgl. Zöller/Lückemann § 17a GVG Rn. 12).

6Grundsätzlich sollte zwar das angegangene Gericht, wenn man eine Klärung der Rechtswegfrage im PKH-Verfahren überhaupt für zulässig hält, zunächst den richtigen Rechtsweg klären. Das ist aber dann nicht zwingend geboten, wenn das angegangene Gericht in örtlicher Hinsicht offensichtlich unter keinem Gesichtspunkt zuständig ist. Erst recht kommt man zu diesem Ergebnis, wenn man die Klärung der Rechtswegfrage im PKH-Verfahren für nicht statthaft hält. Denn auch diese Rechtsmeinung verlangt nicht, dass deshalb ein angegangenes örtlich unzuständiges Gericht über den PKH-Antrag entscheiden muss oder auch nur darf. Das Landgericht Passau ist aber örtlich unzuständig. Der Antragsgegner wohnt im Bezirk Regensburg und hat dort seinen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO). Der dingliche Gerichtsstand nach § 24 ZPO, auf den sich die Antragstellerin stützt, greift für die beabsichtigte Klage auf Rückübertragung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück nicht ein (vgl. Zöller/Vollkommer § 24 Rn. 9). Auch ein sonstiger Gerichtsstand ist nicht ersichtlich. Die Zuständigkeit für den PKH-Antrag ergibt sich aus der Zuständigkeit für die beabsichtigte Klage (§ 117 Abs. 1 ZPO). Da das Landgericht Passau für die beabsichtigte Klage örtlich nicht zuständig ist, ist es auch für die Entscheidung über den PKH-Antrag örtlich nicht zuständig.