Bayerischer VGH, Beschluss vom 27.07.2010 - 7 C 10.1428
Fundstelle
openJur 2012, 109422
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 369,23 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger, Schüler eines Gymnasiums, wandte sich mit Klage vom 16. März 2007 gegen seinen mit Bescheid des Gymnasiums vom 21. Dezember 2006 ausgesprochenen Ausschluss vom Unterricht für fünf Tage. Im Rahmen des Berufungsverfahrens erklärte der Leiter der neuen Schule des Klägers, dass die Schule aus dem Vorfall, der zu einem fünftägigen Unterrichtsausschluss geführt hat, im Rahmen etwaiger künftiger Ordnungsmaßnahmen keine für den Kläger nachteiligen Schlussfolgerungen ziehen werde. Daraufhin erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt. Durch Beschluss vom 13. Oktober 2009 (Az. 7 B 08.2003) stellte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Verfahren ein und verpflichtete die Beteiligten dazu, die Verfahrenskosten beider Instanzen sowie die Kosten des Widerspruchsverfahrens einschließlich der Kosten für die Beiziehung eines Bevollmächtigten je zur Hälfte zu tragen.

Auf den Kostenfestsetzungsantrag des Klägers hin nahm die Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts München mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. November 2009 eine Kürzung dahingehend vor, dass die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 Satz 1 VV-RVG auf die Verfahrensgebühr angerechnet wurde. Außerdem lehnte die Urkundsbeamtin die Festsetzung der beantragten Erledigungsgebühr ab, da besondere über die übliche Prozessführung hinausgehende Bemühungen des Bevollmächtigten des Klägers zur Erledigung der Sache ohne gerichtliche Entscheidung nicht erkennbar seien. Die dagegen eingelegte Erinnerung des Klägers wies das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 10. Mai 2010 zurück.

Gegen diesen Beschluss wenden sich die Bevollmächtigten des Klägers mit ihrer Beschwerde. Die im vorgerichtlichen Widerspruchsverfahren angefallene Geschäftsgebühr sei nicht anteilig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen, da die Gebühren im Widerspruchsverfahren sowie im gerichtlichen Verfahren nicht wegen des gleichen Gegenstands angefallen seien. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens sei nicht die Aufhebung des Verwaltungsaktes sondern die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit bzw. Nichtigkeit gewesen. Der Kläger könne auch die Erledigungsgebühr in vollem Umfang beanspruchen. Eine ausreichende Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten des Klägers sei zu bejahen, da der Bevollmächtigte auf den Kläger bzw. dessen gesetzlichen Vertreter eingewirkt habe, sich mit einem Teilerfolg, nämlich der Aufnahme einer Kopie der Protokollerklärung in der Schülerakte bzw. der vorgeschlagenen Erledigungserklärung zufrieden zu geben. Die Bevollmächtigten des Klägers beantragen,

die dem Kläger vom Beklagten weiter zu erstattenden Aufwendungen in Höhe von 369,23 Euro festzusetzen nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 20. Oktober 2009.

Der Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. November 2009 zu Recht zurückgewiesen.

Nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV-RVG = Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Für den Bereich verwaltungsgerichtlicher Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Juli 2009 (BayVBl 2010, 30) entschieden, dass eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG, die in einem vorangegangenen Verfahren vor der Verwaltungsbehörde angefallen ist, vor dem Hintergrund des § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO deshalb auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Eine solche Anrechnung ist auch im Rahmen der Kostenfestsetzung gegen die unterlegene Prozesspartei vorzunehmen (vgl. auch BayVGH vom 21.10.2009 Az. 19 C 09.2395 ‹juris›; OVG NRW vom 22.2.2010 Az. 12 E 1740/09 ‹juris›; BayVGH vom 23.2.2010 Az. 4 C 10.152 ‹juris›). Die Geschäftsgebühr aus dem Verwaltungsverfahren ist im vorliegenden Falle wegen desselben Gegenstands entstanden wie die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens. In beiden Fällen ging es um die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des fünftägigen Unterrichtsausschlusses des Klägers, der tatsächlich im Zeitraum vom 15. bis 19. Januar 2007 vollzogen wurde. Die Tatsache, dass sich das im Verwaltungsverfahren zunächst geltend gemachte Anfechtungsbegehren des Klägers gegen den Unterrichtsausschluss nach dessen Vollzug in das Begehren, nachträglich die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme festzustellen, wandelte, ändert nichts daran, dass tatsächlich und rechtlich derselbe Lebenssachverhalt zur Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit stand. Trotz der unterschiedlichen prozessualen Einbettung handelte es sich noch immer um denselben Gegenstand.

Ob sich aus der Kostenentscheidung im Einstellungsbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Oktober 2009 (Az. 7 B 08.2003) ein (teilweises) Unterliegen einer Prozesspartei ergibt oder nicht, spielt für die Möglichkeit der Anrechnung nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 VV-RVG keine Rolle.

Das Verwaltungsgericht ging auch zutreffend davon aus, dass der seit 5. August 2009 geltende § 15 a RVG auf die vorliegende Kostenfestsetzung nicht anzuwenden ist, da die Bevollmächtigten des Klägers bereits vor dem Inkrafttreten dieser neuen Norm beauftragt wurden und mangels spezieller Übergangsvorschrift insoweit auf § 60 Abs. 1 RVG zurückzugreifen ist (vgl. auch BayVGH, a.a.O.; OVG Lüneburg vom 17.11.2009 NJW 2010, 250).

Das Verwaltungsgericht ging ferner zu Recht davon aus, dass der Kläger keine Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV-RVG beanspruchen kann. Diese Gebühr entsteht, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Dies setzt eine über die allgemeine Verfahrensförderung hinausgehende Mitwirkung des Rechtsanwalts voraus; es muss ein besonderes Bemühen um eine außergerichtliche Erledigung des Rechtsstreits gegeben sein (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 18. Aufl. 2008, RdNr. 38 zu VV 1002). Dabei dürfen keine zu hohen Anforderungen an die Art der anwaltlichen Tätigkeit gestellt werden. Entscheidend ist, ob der Rechtsanwalt durch sein Verhalten etwas dazu beigetragen hat, dass sich der Rechtsstreit ohne Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache erledigt. Er muss die Erledigung nicht überwiegend oder allein herbeiführen. Entscheidend ist, dass er hieran mitwirkt, also einen nicht ganz unerheblichen oder untauglichen Beitrag hierzu leistet (BayVGH vom 19.1.2007 NVwZ-RR 2007, 497/499). Im vorliegenden Fall hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2009 zunächst die Beteiligten auf ihre jeweiligen Prozessrisiken hingewiesen. Sodann haben die Beteiligten auf Vorschlag des Gerichts ihre Bereitschaft erklärt, den Rechtsstreit einvernehmlich beizulegen. Nachdem dann der Schulleiter des neuen Gymnasiums die Erklärung abgegeben hatte, dass aus dem fünftägigen Unterrichtsausschluss für den Kläger im Rahmen etwaiger künftiger Ordnungsmaßnahmen keine nachteiligen Schlussfolgerungen gezogen würden, haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Aus diesem Geschehen lässt sich kein besonderes Bemühen des Klägerbevollmächtigten um eine außergerichtliche Erledigung des Rechtsstreits und kein nicht ganz unerheblicher Beitrag des Rechtsanwalts hieran entnehmen. Die behauptete Einwirkung des Klägerbevollmächtigten auf den Kläger bzw. dessen Vater, sich mit der vorgeschlagenen Erledigung zufrieden zu geben, ging hier nicht über die übliche Verfahrensförderung der anwaltlichen Tätigkeit hinaus, zumal sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung kein Indiz für einen besonderen Umfang oder eine besondere Intensität der vom Klägerbevollmächtigten behaupteten Einwirkung auf seine Mandantschaft ergibt.

Die Beschwerde konnte somit nicht zum Erfolg führen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).