VG Würzburg, Urteil vom 07.07.2010 - W 2 K 08.754
Fundstelle
openJur 2012, 109244
  • Rkr:
Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2007 wird aufgehoben, soweit darin Gebühren für Abwasser festgesetzt werden.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Tatbestand

Die Kläger wurden mit Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2007 für den Abrechnungszeitraum vom 1. Oktober 2006 bis 30. September 2007 zu Gebühren für die Benutzung der Entwässerungsanlage der Beklagten in Höhe von 335,34 EUR herangezogen.

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger mit Schreiben vom 16. November 2007 Widerspruch ein. Sie würden bei den Entwässerungsgebühren mit einem unrechtmäßigen Umlageschlüssel belastet. Die Wassergebühren basierten auf einer zweifelhaften Kalkulationsgrundlage.

Mit Schreiben vom 10. März 2008 erhoben die Kläger Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2007.

Zur Begründung ihrer Klage führten die Kläger in einem Schreiben vom 18. November 2008 unter anderem aus: Die Mehrzahl der Bürger der Gemeinde Ramsthal zahlten zu hohe Abwassergebühren, da die Anteile der Starkverschmutzer (Weinbau und Metzgerei) auf alle Bürger umgelegt würden. Der Erste Bürgermeister der Beklagten habe Fehler in der Abrechnung eingeräumt. Der Abrechnungsschlüssel bevorzuge die Starkverschmutzer. Der Kostenanteil der Beklagten an der „Kläranlage Sulzthal/Ramsthal/Wirmsthal“ betrage 49.946,06 EUR. Die Benachteiligung betrage 40 %, somit ca. 20.000,00 EUR.

Der satzungsgemäß festgelegte Frischwassermaßstab wäre nur dann unbedenklich, wenn die durch die Gebühren zu deckenden Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung geringfügig wären, wobei nach der Rechtsprechung die Erheblichkeitsgrenze bei einem Anteil von maximal 12 % an den der Gebührenkalkulation zugrunde gelegten Gesamtkosten der Entwässerungseinrichtung liege. Anderes könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn im Entwässerungsgebiet eine homogene Siedlungsstruktur bestehe. Diese könne nach den örtlichen Verhältnissen und insbesondere auch unter Berücksichtigung der Weinbau- und landwirtschaftlichen Betriebe nicht angenommen werden.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ließ sie unter anderem ausführen: Die Abrechnung der Erschließungsmaßnahmen „…“ und „…“ bedürfe einer fachgerechten Bewertung durch die von der Beklagten mittlerweile eingeschalteten Firma … GmbH. Durch den Einbau der Mengenmessstation 2008 im Zulaufkanal zur Kläranlage würden die Schmutzwassermengen erfasst. Mit der generellen Wertung der Einleitungsmengen und Schmutzwasserfrachten sei seit Herbst 2009 ein Ingenieurbüro beschäftigt. Ergebnisse von dort lägen der Beklagten noch nicht vor. Auch diese würden hier mehr Klarheit bringen. Die Bebauung des Weinorts Ramsthal sei als homogen zu betrachten. Inwieweit die Kosten für die Grundstücksentwässerung den Schwellenwert von 12 % zu den Gesamtkosten der Abwasserbeseitigung überschritten, bedürfe ebenfalls einer Würdigung durch die Firma … GmbH.

Wegen des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage (§ 75 VwGO) ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2007 ist, soweit darin Gebühren für Abwasser festgesetzt werden, rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) können die Gemeinden für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen Benutzungsgebühren erheben. Zu diesen Einrichtungen gehören auch öffentlich betriebene Entwässerungsanlagen.

Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte durch den Erlass ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung in der Fassung vom 18. September 2006, in Kraft getreten am 1. Oktober 2006 Gebrauch gemacht. Die Satzung ist jedoch in ihrem Gebührenteil (§ 10) rechtswidrig und damit nichtig und bildet deshalb keine Rechtsgrundlage für den von den Klägern angefochtenen Bescheid.

Nach Art. 8 Abs. 2 Satz 1 KAG soll das Gebührenaufkommen die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten einschließlich der Kosten für die Ermittlung und Anforderung von einrichtungsbezogenen Abgaben decken. Zu diesen Kosten gehören nach Art. 8 Abs. 3 Satz 1 KAG insbesondere angemessene Abschreibungen von den Anschaffungs- und Herstellungskosten und eine angemessene Verzinsung des Anlagekapitals. Bei der Verzinsung des Anlagekapitals bleibt der durch Beiträge und ähnliche Entgelte sowie der aus Zuwendungen aufgebrachte Kapitalanteil außer Betracht. Den Abschreibungen sind die Anschaffungs- und Herstellungskosten zugrunde zu legen, gekürzt um Beiträge und ähnliche Entgelte (Art. 8 Abs. 3 Satz 2 und 3 KAG).

Diesen Vorgaben hat die Beklagte bei der Kalkulation ihrer Gebühren in der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung in der Fassung vom 18. September 2006 in mehrfacher Hinsicht nicht Rechnung getragen. Das Landratsamt Bad Kissingen ist bei einer stichprobenartigen Überprüfung der Kalkulation der Abwassergebühren der Beklagten unter anderem zu dem Ergebnis gelangt, dass bei den Anlagennachweisen/Bestandsverzeichnissen (zum Teil?) Kosten für die Straßenentwässerung bis zum Jahre 2008 nicht abgezogen wurden (Schreiben des Landratsamtes Bad Kissingen vom 24.11.2009 Seite 4, 5, 7; siehe auch Schreiben des Geschäftsstellenleiters der Verwaltungsgemeinschaft Euerdorf vom 14.11.2005). Die Kosten der Straßenentwässerung zählen jedoch nicht zu den gebührenfähigen Gesamtkosten der öffentlichen Einrichtung Entwässerungsanlage im Sinne des Art. 8 Abs. 1 KAG. Sie betreffen nicht die Kosten der Grundstücksentwässerung (vgl. Thimet, Kommunalabgabenrecht in Bayern, 4/2010, IV Art. 8 Frage 11 Nr. 3; Schieder/Happ/Stadlöder, BayKAG, 3. Auflage, Art. 8 Rd.Nr. 60), sondern gehören zur Straßenbaulast (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG; Nitsche/Baumann/Schwamberger, Satzungen zur Abwasserbeseitigung, 3/2010, 20.09/12). Die Beklagte wäre deshalb gehalten gewesen, den entsprechenden Anteil der Kosten der Straßenentwässerung (vgl. Wuttig/Hürholz/Thimet/Nöth, Gemeindliches Satzungsrecht, 2/2008, Teil III Frage 6 Nr. 6.1) von den Anschaffungs- und Herstellungskosten der Entwässerungsanlage abzuziehen und erst auf den entsprechend reduzierten Betrag abzuschreiben. Entsprechendes gilt für die Verzinsung des Anlagekapitals.

Mit ihrer Vorgehensweise hat die Beklagte wissentlich in die Gebührenberechnung Kosten eingestellt, die nicht für die Ableitung von Abwasser aus den an die Entwässerungsanlage der Beklagten angeschlossenen Grundstücken angefallen sind. Die sich daraus für die Jahre 2006 und 2007 ergebende Kostenüberdeckung, die das Landratsamt Bad Kissingen in der Anlage zu seinem Schreiben vom 24. November 2009 dargestellt hat, ist nicht mehr von dem mit der Soll-Regelung des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 KAG bezeichneten Spielraum des Satzungsgebers umfasst, der es rechtfertigen könnte, unbeabsichtigte geringfügige Überschreitungen des Kostenüberdeckungsverbots hinzunehmen (vgl. BayVGH, U.v. 02.03.2000 Az. 4 N 99.68; Thimet, a.a.O., IV Art. 8 Frage 3 Nr. 5.2).

Das Landratsamt Bad Kissingen hat in seinem Schreiben vom 24. November 2009 (Seite 8) ferner darauf hingewiesen, dass auch Herstellungsbeiträge, die auf die Beklagte als Grundstückseigentümerin entfielen (vgl. Schieder/Happ/Stadlöder, a.a.O. Art. 5 Rd.Nr. 183 a), bei der Gebührenkalkulation offensichtlich nicht berücksichtigt wurden. Art. 8 Abs. 3 Sätze 2 und 3 KAG sehen insoweit ausdrücklich aber vor, dass bei der Verzinsung des Anlagekapitals dieses bzw. bei den Abschreibungen die Anschaffungs- und Herstellungskosten um die erhobenen Beiträge zu kürzen sind (vgl. Schieder/Happ/Stadlöder a.a.O., Art. 8 Rd.Nr. 36; Nitsche/Baumann/Schwamberger, a.a.O., 20.09/10 c), e), bb)). Dem muss jedoch ebenso wenig weiter nachgegangen werden wie den Fragen, ob der Oberflächenwasserkanal, der im Rahmen der Sanierung des Bauabschnittes III verlängert wurde, der Entwässerungsanlage der Beklagten zugerechnet werden kann (Schreiben des Landratsamtes Bad Kissingen vom 24.11.2009 Seite 4/5) und wie die Beklagte mit etwaigen Kosten für die Beseitigung von Fremdwasser auf privaten Grundstücken verfahren ist. Die Klage erweist sich nämlich schon aus den obigen Ausführungen zu den Kosten der Straßenentwässerung als begründet.

Die Klage hat im Übrigen auch aus einem weiteren Grund Erfolg. Der in § 10 Abs. 3 der Beitrags- und Gebührensatzung der Beklagten bestimmte Gebührensatz pro Kubikmeter Abwasser beruht nämlich auf einem unzulässigen Gebührenmaßstab.

Nach Art. 8 Abs. 4 KAG sind die Gebühren nach dem Ausmaß zu bemessen, in dem die Gebührenschuldner die öffentliche Einrichtung nutzen. Um diesem in Art. 8 Abs. 4 KAG verankerten Äquivalenzprinzip Rechnung zu tragen, hat die Beklagte als Maßstab für die Schmutzwassergebühr den modifizierten Frischwassermaßstab gewählt. Dieser ist auch bei zusätzlicher Einleitung von Niederschlagswasser ein grundsätzlich geeigneter Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Betreiber der öffentlichen Entwässerungsanlage bei der Wahl des Gebührenmaßstabs unter Beachtung des Gleichheitssatzes, des Äquivalenzprinzips und des Grundsatzes des sachgerechten Vorteilsausgleichs einen weiten Ermessensspielraum haben und sich nicht nur für den zweckmäßigsten, vernünftigsten, wahrscheinlichsten oder gerechtesten Maßstab entscheiden müssen (vgl. BayVGH, U.v. 31.03.2003 BayVBl. 2004, 20 ff. m.w.N.). Der Verzicht auf die gesonderte Erhebung von Gebühren für die Einleitung des Niederschlagswassers im Entsorgungsgebiet ist jedoch nur dann unbedenklich, wenn die durch Gebühren zu deckenden Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung geringfügig sind, wobei nach der Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs die Erheblichkeitsgrenze bei einem Anteil von 12 % an den der Gebührenkalkulation zugrunde liegenden Gesamtkosten der Entwässerungseinrichtung liegen (vgl. BayVGH, U.v. 31.03.2003 a.a.O.; U.v. 17.02.2005 Az. 23 BV 04.1729).

Im vorliegenden Falle haben die Kläger das Fehlen einer gesonderten Niederschlagswassergebühr in der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Beklagten substantiiert gerügt. Angesichts dessen oblag es der Beklagten nachzuweisen, dass bei der Kalkulation ihrer Abwassergebühren die Geringfügigkeitsgrenze für die Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung nicht überschritten ist (vgl. BayVGH, U.v. 17.02.2005 Az. 23 BV 04.1732). Die Beklagte hat sich jedoch zu dieser Frage nicht näher geäußert und insoweit lediglich darauf verwiesen, dass dies einer Würdigung durch die von der Beklagten eingeschalteten Firma … GmbH bedürfe. Eine Kalkulation der Abwassergebühren der Beklagten bzw. eine Stellungnahme dieses Beratungsbüros zu den Problemen gesplitteter Abwassergebühren abzuwarten, bestand für das Gericht jedoch kein Anlass. Zum einen hat die Beklagte einen entsprechenden Antrag in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Zum anderen war der Beklagten seit geraumer Zeit bewusst, dass es fraglich ist, ob der in ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung festgesetzte Frischwassermaßstab für das Gemeindegebiet der Beklagten den Anforderungen der Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs entspricht (vgl. Prüfungsbericht der Staatlichen Rechnungsprüfungsstelle des Landratsamtes Bad Kissingen vom 20.09.2007 Seite 10). Wenn die Beklagte gleichwohl erst Anfang des Jahres 2010 die Firma … GmbH einschaltete, so hat sie die Folgen zu tragen, die sich daraus ergeben, dass sie ein Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze von 12 % nicht substantiiert in Abrede stellen konnte. Soweit sich die Beklagte für die Verzögerung der Erstellung der Kalkulation durch die Firma … GmbH darauf beruft, Unterlagen aus dem Staatsarchiv hätten noch angefordert werden müssen, ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte für Darlegungen zur Geringfügigkeitsgrenze der Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung auf Unterlagen aus dem Staatsarchiv angewiesen wäre.

Die Geringfügigkeitsgrenze von 12 % für die Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung kann auch nicht wegen einer von der Beklagten behaupteten homogenen Siedlungsstruktur in ihrem Gemeindegebiet außer Acht gelassen werden. Dies wäre nur dann der Fall, wenn nach dem Grundsatz der Typengerechtigkeit die aus einer abgabenrechtlichen Verteilungsregelung folgende Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte gerechtfertigt wäre, weil nicht mehr als 10 v.H. der von einer solchen Regelung betroffenen Fälle dem Typ widersprächen. Demnach müssten für die überwiegende Zahl der bebauten Grundstücke, die die Entwässerungsanlage der Beklagten benutzen, - also mehr als 90 % - in etwa gleiche Benutzungsbedingungen vorliegen (vgl. BayVGH, U.v. 17.02.2005 Az. 23 BV 04.1729). Die Beklagte hat es insoweit jedoch bei einer bloßen Behauptung der Homogenität ihres Siedlungsgebiets bewenden lassen, ohne konkrete Angaben zu den einzelnen Grundstücksverhältnissen im Gemeindegebiet zu machen. Die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen ein Beteiligter für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will, geht aber grundsätzlich zu Lasten dieses Beteiligten. Das Gericht war insoweit auch nicht gehalten, den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Nichtigkeit der Maßstabsregelung in § 10 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung in der Fassung vom 18. September 2006 führt zur Nichtigkeit des gesamten Gebührenteils der Abgabesatzung der Beklagten.

Kosten: § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.