Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.07.2010 - 21 CS 10.1334
Fundstelle
openJur 2012, 109157
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,-- € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehung der Anordnung des Ruhens seiner Approbation als Arzt.

Das Verwaltungsgericht hat seinen Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen, mit Beschluss vom 11. Mai 2010 als unbegründet abgelehnt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Antragsgegners und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).

II.

Die statthafte und zulässige Beschwerde gegen den Beschluss vom 11. Mai 2010 bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu gewähren.

Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO kann das Ruhen der Approbation angeordnet werden, wenn gegen den Arzt wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet ist.

Es kann nach summarischer Prüfung kein Zweifel bestehen, dass diese Voraussetzungen im Fall des Antragstellers vorliegen. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 26. Februar 2010, mit dem das Ruhen der Approbation angeordnet wurde, war gegen den Antragsteller nicht nur ein Strafverfahren eingeleitet, sondern die große Jugendkammer des Landgerichts hatte bereits mit Beschluss vom 27. Juli 2009 die Anklage der Staatsanwaltschaft wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (17.8.2000), sexueller Nötigung (Sommer 1998), sexuellen Missbrauchs von Kindern (vermutlich am 17.5.2000), sexuellen Missbrauchs einer Substitutionspatientin unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses (21.10.2005) und versuchter Nötigung mit vorsätzlicher Körperverletzung (5.8.2005), hauptsächlich begangen anlässlich der Behandlung junger Patientinnen im Sprechzimmer, zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Dieses Strafverfahren führte schließlich im April 2010 zu der -noch nicht rechtskräftigen- Verurteilung des Antragstellers wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tatmehrheit mit sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Verfahren wegen der übrigen Tatvorwürfe wurde vorläufig eingestellt, weil die insoweit zu erwartende Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fallen würde. Da die Anordnung des Ruhens der Approbation nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO als vorläufige Maßnahme keine rechtskräftige Verurteilung voraussetzt und es keiner weiteren Erörterung bedarf, dass sich aus den Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der sexuellen Nötigung, die der Antragsteller bei der Behandlung junger Patientinnen, also im Kernbereich der ärztlichen Tätigkeit, begangen haben soll und die bereits zu einer nicht rechtskräftigen Verurteilung durch die große Jugendkammer des Landgerichts geführt haben, seine Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben kann, teilt der Verwaltungsgerichtshof nach einer eigenständigen Sichtung und Würdigung der vorliegenden Akten die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Ruhensanordnung aller Wahrscheinlichkeit nach rechtmäßig ist und die Klage in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Im Einzelnen, insbesondere auch hinsichtlich der Interessenabwägung, nimmt der Verwaltungsgerichtshof Bezug auf die ausführlichen und überzeugenden Gründe des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses und sieht von einer eigenen Begründung ab (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Die hier demnach gegebene hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird, reicht jedoch nicht aus, um auch die Anordnung des Sofortvollzugs der Ruhensanordnung zu rechtfertigen. Denn die Anordnung der sofortigen Vollziehung stellt einen selbständigen Eingriff dar, der in seiner Wirkung über die noch im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zu überprüfende Ruhensanordnung hinausgeht. Sie erfordert deshalb eine eigenständige, auch an verfassungsrechtlichen Maßstäben orientierte rechtliche Würdigung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind solche vorläufigen Eingriffe in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft. Erforderlich ist, dass überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen gegen die Grundverfügung einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (vgl. zu allem BVerfG vom 19.12.2007 1 BvR 2157/07, NJW 2008 S. 1369 und BVerfG vom 23.11.2009 1BvR 2709/09, BayVBl. 9/2010 S. 275).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe begegnet der angeordnete Sofortvollzug des Ruhens der Approbation des Antragstellers keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Verwaltungsgericht und der Antragsgegner haben überzeugend dargelegt, dass der Antragsteller nach Aktenlage in der Vergangenheit immer wieder bestrebt war, im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit vor allem junge Patientinnen mit Anzüglichkeiten zu belästigen, sich sexuell an ihnen zu vergehen und mit ihnen in intimen Kontakt zu kommen. Da er dieses sexuelle Verlangen offenbar nicht mit der gebotenen Nachhaltigkeit unter Kontrolle halten kann, ist auch der Verwaltungsgerichtshof zu der Überzeugung gelangt, dass bei einer weiteren Berufstätigkeit die Gefahr erneuter Übergriffe besteht. Ein solches Gefährdungsrisiko kann im Interesse eines umfassenden Schutzes der ihm anvertrauten weiblichen Patienten und Angestellten nicht hingenommen werden. Ihre körperliche Integrität, ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht und ihre Gesundheit sind von der Rechtsordnung geschützte wichtige Rechtsgüter, die es im überwiegenden öffentlichen Interesse rechtfertigen, unter Zurückstellung seiner persönlichen Belange eine weitere ärztliche Tätigkeit des Antragstellers sofort vorläufig zu unterbinden. Der Sofortvollzug der Anordnung des Ruhens seiner Approbation als Arzt ist daher – auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – nicht zu beanstanden.

Soweit der Antragsteller insoweit im Beschwerdeverfahren lediglich sein Vorbringen aus der ersten Instanz wiederholt hat, wird auf die vorstehenden Ausführungen und die Gründe des angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 11. Mai 2010 Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers unter Hinweis auf seine Revisionsbegründung gegen das Strafurteil des Landgerichts erneut eine angebliche Widersprüchlichkeit der den Antragsteller belastenden Zeugenaussagen rügt, ist nochmals festzustellen, dass die ergangene Ruhensanordnung keine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung voraussetzt. Abgesehen davon, dass sich das Verwaltungsgericht mit diesem Gesichtspunkt befasst und keine entscheidungserhebliche Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit angenommen hat (vgl. S. 11 des Beschlusses), wird es Aufgabe des Revisionsgerichts im Strafverfahren sein, insoweit gegebenenfalls eine abschließende Bewertung vorzunehmen. Kommt es zu einer Entlastung des Antragstellers, wäre die Ruhensanordnung aufzuheben (§ 6 Abs. 2 BÄO). Bleibt die Revision erfolglos, steht ein Widerruf seiner Approbation als Arzt im Raum (§ 5 Abs. 2 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 16.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, Anhang zu § 164 RdNr. 14; NVwZ 2004, 1327). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Hauptsachestreitwert (20.000,-- Euro) zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).