Bayerischer VGH, Urteil vom 22.06.2010 - 8 BV 10.182
Fundstelle
openJur 2012, 109074
  • Rkr:
Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. Dezember 2009 wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2009 in Ziffer 3 rechtswidrig war.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um ein straßenrechtliches Verbot des Spendensammelns und der Mitgliederwerbung.

1. Der Kläger ist ein eingetragener Tierschutzverein, der durch einen Informationsstand in der Fußgängerzone der Beklagten am 13. und 14. August 2009 über den richtigen Umgang mit Tieren aufklären und für sein Anliegen der Rettung in Not geratener Tiere werben wollte. Mit Bescheid vom 20. Juli 2009 erteilte die Beklagte dem Kläger die straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis für den Informationsstand mit folgender Auflage: "Es wird nicht erlaubt, Fördermitgliedschaften und Tierpatenschaften abzuschließen sowie Spenden einzusammeln.“ Für den Fall des Zuwiderhandelns gegen diese für sofort vollziehbar erklärte Auflage wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 € angedroht. Zur Begründung führte die Behörde aus, dass die Sondernutzungserlaubnis nur zur Information der Bevölkerung erteilt würde. Nach allgemeiner Praxis würde für Informations- und Werbeveranstaltungen mit geschäftsanbahnender Tätigkeit keine Sondernutzungserlaubnis erteilt. Den Belangen des Vereins werde dadurch Genüge getan, dass er die Bevölkerung von seiner Tätigkeit überzeugen und Hinweise für eine individuelle Unterstützung geben könne. Es würden jedoch auch die Belange der vorbeigehenden Menschen berücksichtigt, die nach einer Information frei und in Ruhe wählen sollten, ob und wie eine mögliche Unterstützung infrage komme. Voreiligen Abschlüssen ohne ausreichende Prüfungsmöglichkeit der erhaltenen Informationen solle damit Einhalt geboten werden. Der Kläger nahm aufgrund dieser Auflagen von der Durchführung der Informationsveranstaltung Abstand.

2. Mit der am 12. August 2009 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, die Rechtswidrigkeit der Teilversagung betreffend das Sammeln von Spenden und den Abschluss von Fördermitgliedschaften und Tierpatenschaften festzustellen. Die Auflage sei nicht aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs oder zum Schutz der Straße erforderlich. Sie könne daher nicht Nebenbestimmung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis sein. Das Sammlungsgesetz sei in Bayern seit dem 31. Dezember 2007 aufgehoben worden, so dass für die im Bescheid enthaltene Auflage keine Rechtsgrundlage vorhanden sei.

Die Beklagte erwiderte daraufhin, dass ihre allgemeine Praxis der Untersagung der Spendensammelns und des Abschlusses von Fördermitgliedschaften auch straßenrechtliche Gründe habe.

Das Verwaltungsgericht Ansbach hat die Klage mit Urteil vom 14. Dezember 2009 abgewiesen. Der Bescheid enthalte keine Auflage, sondern eine teilweise Versagung der beantragten Sondernutzungserlaubnis. Eine solche Ermessensentscheidung sei im Rahmen des Art. 18 Abs. 1 BayStrWG grundsätzlich möglich. Soweit der Bescheid zum zumindest textlich überwiegenden Teil nur sammlungsrechtliche Argumente enthalte, seien die Ausführungen nicht geeignet, eine straßenrechtliche Sondernutzungsentscheidung zu tragen. Die behördliche Entscheidung beruhe jedoch auf einer weiteren und selbstständig tragenden Erwägung. Nach der Verwaltungspraxis der Beklagten dürften Informationsstände grundsätzlich nicht für geschäftsanbahnende bzw. einnahmeerzielende Tätigkeiten genutzt werden, um einer ansonsten zu erwartenden Vielzahl von kommerziellen Nutzungen von vornherein entgegenzuwirken, weil dies den Gemeingebrauch übermäßig einschränken könne. Diese zweite tragende Erwägungslinie trete rein vom textlichen Umfang im Bescheid nur kurz hervor, sei aber im gerichtlichen Verfahren im Sinne des § 114 Satz 2 VwGO ausreichend ergänzt worden. Eine Kommune könne auch ein berechtigtes Interesse daran haben, den kommunikativen Gemeingebrauch der Straße auszugestalten. Sie könne sich dafür entscheiden, dass eine Fußgängerzone ein Ort entspannten Flanierens und Plauderns sein solle und nicht eine „Straße der wirtschaftlichen Entscheidungen“ oder „Gasse der angesonnen guten Taten“.

3. Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, die angegriffene Auflage sei schon mangels vorheriger Anhörung rechtswidrig gewesen. Eine Heilung dieses Mangels sei vor Erledigung des Verbots nicht erfolgt. Das Verbot sei auch ermessensfehlerhaft, weil die Auflage nicht auf straßenrechtliche Erwägungen, sondern auf Verbraucherschutzgründe gestützt worden sei. Die formelhafte Begründung, dass nach allgemeiner Praxis keine Sondernutzungserlaubnis für Informations- und Werbeveranstaltungen mit geschäftsanbahnender Tätigkeit erteilt würden, reiche nicht aus. Diese Argumentation enthalte keinen konkreten straßenrechtlichen Bezug. Außerdem hätte die Beklagte – ausweislich des vorgelegten Verzeichnisses der Sondernutzungserlaubnisse – zahlreichen nicht ortsansässigen Unternehmen Sondernutzungserlaubnisse für geschäftsanbahnende Tätigkeiten gewährt. Es gebe für zwei Eis- und einen Imbissstand Sondernutzungserlaubnisse, so dass die Argumentation der Beklagten in sich widersprüchlich sei. Eine konkrete Abwägung der Belange des Klägers, die hinsichtlich der Mitgliederwerbung durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützt sei, und den entgegenstehenden Belangen des Straßenverkehrs habe nicht stattgefunden. Das Verwaltungsgericht habe den Sachvortrag, dass an einem Informationsstand des Klägers nie mehr als zwei Passanten gleichzeitig stünden, nicht in Abrede gestellt. Eine rein generalisierende Betrachtung ohne Bezug zur konkreten Straßennutzung sei nicht zulässig.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Veraltungsgerichts Ansbach vom 14. Dezember 2009 festzustellen, dass die im Bescheid der Beklagten vom 20.Juli 2009 enthaltene Teilversagung betreffend das Sammeln von Spenden und den Abschluss von Fördermitgliedschaften und Tierpatenschaften rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Berufung könne keinen Erfolg haben. Die Ausführungen des Klägers zur mangelnden Anhörung seien nicht entscheidungserheblich. Inhaltlich bestünden keine Zweifel, dass die von der Beklagten vorgenommene typisierende Betrachtungsweise rechtmäßig im Sinne des Art. 18 BayStrWG sei.

4. Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der gewechselten Schriftsätze wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 22. Juni 2010, die gerichtlichen Verfahrensakten und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass das allein streitbefangene Verbot des Spendensammelns und des Abschlusses von Fördermitgliedschaften und Tierpatenschaften rechtswidrig war.

1. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Dabei erschöpft sich das von der Beklagten erlassene Verbot des Spendensammelns nicht in einer Teilversagung der beantragten Sondernutzungserlaubnis. Die Beklagte hat in Ziffer 3 ihres Bescheides nicht lediglich den Antrag auf Erlaubnis bestimmter Tätigkeiten teilweise abgelehnt, sondern zusätzlich ein ausdrückliches Verbot ausgesprochen. Sie hat das Verbot der Spendensammelns und des Abschlusses von Fördermitgliedschaften und Tierpatenschaften für sofort vollziehbar erklärt und für den Fall des Zuwiderhandelns ein Zwangsgeld angedroht. Sie hat also im Sinne des Art. 36 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG ein Unterlassen vorgeschrieben, so dass von einer selbständigen Auflage auszugehen ist. Da mit dieser Auflage zugleich der beantragte Genehmigungsinhalt modifiziert worden ist, liegt wohl eine sogenannte modifizierende Auflage vor (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen vom 10.12.1999 GewArch 2000, 301; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl. 2010, RdNr. 35 f. zu § 36). Jedenfalls hat sich diese Nebenbestimmung spätestens mit dem Ablauf des genehmigten Veranstaltungstermins am 14. August 2009 erledigt, so dass danach die Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft geworden ist. Selbst wenn man der Auffassung zuneigt, dass bei modifizierende Auflagen keine isolierte Anfechtungsklage, sondern nur eine Verpflichtungsklage erhoben werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer a.a.O. RdNr. 63 zu § 36), ist es im Fall der Erledigung - jedenfalls bei unveränderter Sach- und Rechtslage - möglich, die Fortsetzungsfeststellungsklage auf den Antrag zu beschränken, dass der erledigte Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist (BVerwG vom 16.6.1999 DVBl 2000, 120). Der Kläger hat, weil er bei künftigen Veranstaltungen mit der gleichen Auflage rechnen muss, unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr auch ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Überprüfung dieser Auflage.

2. Die zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet. Dabei ist für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der umstrittenen Auflage entscheidend, dass die Bescheidsbegründung vom 20. Juli 2009 ermessensfehlerhaft gewesen ist.

16a) Die Beklagte ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass das Sammeln von Spenden sowie der Abschluss von Fördermitgliedschaften und Tierpatenschaften straßenrechtliche Sondernutzungen im Sinne des Art. 18 Abs. 1 BayStrWG darstellen. Der grundsätzlich jedermann zustehende Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen erstreckt sich nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG auf die Benutzung der Straße im Rahmen ihrer Widmung für den Verkehr. Es ist jedoch kein Gemeingebrauch, wenn jemand die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG). Bei zentralen innerörtlichen Straßen und Plätzen umfasst das Recht zum Gemeingebrauch zwar nicht nur den Fortbewegungsverkehr, sondern auch den sogenannten kommunikativen Verkehr. Denn diese Straßen und Plätze sind nicht nur zur reinen Fortbewegung von Menschen und Sachen bestimmt, sondern dienen traditionell auch dem Austausch von Meinungen in Wort und Schrift (vgl. VGH Bad.-Württ. vom 31.1.2002 VBlBW 2002, 297/299; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Art. 14 RdNr. 39). Daher hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof beispielsweise auch das unentgeltliche Verteilen von Zeitschriften ohne Hilfsmittel als gemeingebräuchlichen kommunikativen Verkehr anerkannt (BayVGH vom 4.7.1996 BayVBl 1996, 165; ebenso OVG Niedersachsen vom 13.11.1995 NVwZ-RR 1996, 247/248; OVG Bremen vom 25.2.1997, 285/286).

Das Spendensammeln sowie der auf langfristige finanzielle Zuwendungen zielende Abschluss von Fördermitgliedschaften und Tierpatenschaften stellen sich jedoch nicht als vergleichbare gemeingebräuchliche Nutzungen dar. Diese Tätigkeiten bedurften bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Aufhebung des Bayerischen Sammlungsgesetzes (vom 10.12. 2007, GVBl S. 902) am 1. Januar 2008 einer speziellen sammlungsrechtlichen Erlaubnis und können schon deswegen nicht als traditionell freie und gemeingebräuchliche Straßennutzungen angesehen werden. Darüber hinaus steht beim Spendensammeln der kommunikative Aspekt nicht im Vordergrund. Vielmehr hat ähnlich wie bei gewerblichen Tätigkeiten der finanzielle Aspekt ein Übergewicht, auch wenn es um die Finanzierung gemeinnütziger Projekte geht. Des Weiteren ist die Benutzung der Straße - speziell wenn wie hier die Spendensammlung an einem ortsfesten Informationstisch stattfindet - erheblich intensiver als das noch zum Gemeingebrauch zählende Verteilen von Flugblättern im fließenden Verkehr (OVG Niedersachsen vom 13.11.1995 NVwZ-RR 1996, 244/245; VG Düsseldorf vom 9.12.2008 Az. 16 L 1896/08 <juris> RdNr. 5). Schließlich muss der Abschluss von Fördermitgliedschaften und Tierpatenschaften auch nicht deswegen als gemeingebräuchlich angesehen werden, weil bei Vereinen die Mitgliederwerbung von dem Grundrecht auf Vereinsfreiheit geschützt ist. Zwar verbietet Art. 9 Abs. 1 GG staatliche Beeinträchtigungen der Vereine bei der Mitgliederwerbung. Dieses Abwehrrecht gibt den Vereinen aber keine weitergehenden Teilhaberechte an öffentlichen Sachen als privaten Einzelpersonen. Die Sammlung von Spenden durch gemeinnützige Vereine auf öffentlichen Straßen ist daher den gleichen Bestimmungen unterworfen wie eine entsprechende Tätigkeit von Einzelpersonen (vgl. BVerwG vom 12.2.1991 BVerwGE 88, 9/12). Dies gilt auch für den der Spendensammlung vergleichbaren Abschluss von Fördermitgliedschaften und Tierpatenschaften. Soweit daher das Spendensammeln von Einzelpersonen straßenrechtlich einer Sondernutzungserlaubnis bedarf, gilt dies auch für Vereine.

b) Liegt somit eine straßenrechtliche Sondernutzung vor, so steht die Erteilung der Erlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Die Straßenbaubehörde kann Sondernutzungen in stets widerruflicher Weise ganz oder teilweise zulassen und sie kann nach Art. 36 Abs. 2 BayVwVfG die Erlaubnis mit Nebenbestimmungen versehen. Insbesondere kann sie dem Begünstigten durch Auflagen nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorschreiben. Allerdings muss sich die Behörde bei der Ausübung des Ermessens nach Art. 40 BayVwVfG am Zweck der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage orientieren. Daher darf sie sich bei der Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis oder bei der Anordnung von Auflagen, auch wenn diese „modifizierend“ sind, regelmäßig nur an Gründen orientieren, die einen sachlichen Bezug zur Straße haben. Zu diesen Gründen zählen vorrangig die in Art. 18 Abs. 2 BayStrWG ausdrücklich genannten Belange der Straßenbaulast und der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Daneben können aber auch Belange des Straßen- und Stadtbilds und der Ausgleich gegenläufiger Interessen verschiedener Straßennutzer in der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden (vgl. BayVGH vom 20.1.2004 BayVBl. 2004, 336/337 f.; vom 23.7.2009 BayVBl. 2010, 306/307; VGH Bad.-Württ. vom 9.12.1999 NVwZ-RR 2000, 837). Hingegen können Auflagen in einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis nicht auf immissionsschutz-, umwelt- oder sicherheitsrechtliche Überlegungen oder auf sonstige mit der Straßennutzung nicht in Zusammenhang stehende öffentliche Belange gestützt werden (vgl. BayVGH vom 20.1.2004 BayVBl. 2004, 336/337 f.; vom 24.11.2003 BayVBl. 2004, 533; VGH Bad.-Württ. vom 14.10.1996 NVwZ-RR 1997, 679). Diese öffentlichen Interessen müssen von den dafür zuständigen Verwaltungsbehörden mit den in den einschlägigen Fachgesetzen zur Verfügung gestellten Mitteln verfolgt werden. Die straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis ist nicht dazu bestimmt, als zusätzliches Eingriffsinstrument für andere öffentliche Zwecke zu dienen. Daher sind Auflagen in einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis ermessensfehlerhaft, wenn deren Begründung den erforderlichen Bezug zur Straße vermissen lässt.

Wird Klage gegen einen im Ermessen der Verwaltung stehenden Verwaltungsakt erhoben, sind die Verwaltungsgerichte nach § 114 Satz 1 VwGO darauf beschränkt zu überprüfen, ob die von der Verwaltung getroffene Ermessensentscheidung fehlerhaft gewesen ist. Dabei sind für die verwaltungsgerichtliche Überprüfung grundsätzlich die in dem Bescheid zum Ausdruck kommenden Ermessenserwägungen maßgeblich. Die Bescheidsgründe sind so auszulegen, wie sie von dem Betroffenen des Bescheids nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstanden werden müssen (BVerwG vom 25.4.1994 NJW-RR 1995, 73/75). Eine auf mehrere Gründe gestützte Ermessensentscheidung ist grundsätzlich auch dann rechtmäßig, wenn nur einer der angeführten Gründe sie trägt, es sei denn, dass nach dem Willen der Behörde nur alle Gründe zusammen die Entscheidung rechtfertigen sollen (BVerwG vom 19.5.1981 BVerwGE 62, 215/222). Zudem erlaubt das Gesetz in § 114 Satz 2 VwGO die nachträgliche Ergänzung von Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Die nachträgliche Ergänzung der Ermessensentscheidung ist aber nicht mehr möglich, wenn sich der Verwaltungsakt zwischenzeitlich erledigt hat. Denn die Ermessensergänzung setzt notwendigerweise einen noch wirksamen Verwaltungsakt voraus (Art. 43 BayVwVfG), auf den sie sich beziehen kann (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.2.2001 NVwZ 2001, 1424; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 86 zu § 114).

c) Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die umstrittene Auflage im Wesentlichen damit begründet, dass die Passanten vor übereilten Vermögensverfügungen geschützt werden sollen. Nach einer reinen Information am Straßenstand sollten die Bürger zu Hause in Ruhe prüfen können, ob und wie eine finanzielle Unterstützung des Klägers infrage komme. Der Sofortvollzug der Auflage ist sogar ausschließlich darauf gestützt worden, dass angesichts einer sammlungsrechtlichen Verbotsverfügung gegen den Kläger in Rheinland-Pfalz erhebliche Zweifel an der seriösen Mittelverwendung durch ihn bestünden. Damit hat die Beklagte ihre Auflage auf reine Sicherheits- und Verbraucherschutzerwägungen gestützt, die keinen konkreten Bezug zum Straßenrecht haben. Hinzu kommt, dass die Beklagte die Entscheidung des Gesetzgebers, das Bayerische Sammlungsgesetz abzuschaffen, nicht berücksichtigt hat. Der Bayerische Landtag ist sich bei der Aufhebung des Gesetzes darüber im Klaren gewesen, dass mit dem Bayerischen Sammlungsgesetz ein gewisser Schutz der Verbraucher vor dem Missbrauch ihrer Gebefreudigkeit zu unlauteren Zwecken verbunden war. Er hat jedoch den damit verbundenen Verwaltungsaufwand nicht mehr für gerechtfertigt gehalten. Eine staatliche Regulierung der Straßensammlungen sei nicht erforderlich, weil es selten um höhere und nie um existenzgefährdende finanzielle Belastungen gehe. Es sei Sache der Bürger, eigenverantwortlich zu entscheiden, ob und wem sie eine Spende geben wollten. Im Übrigen blieben der zivilrechtliche Verbraucherschutz durch Widerrufsregeln und der straf- und sicherheitsrechtliche Schutz bei betrügerischem Verhalten bestehen. Die Mittelverwendung bei gemeinnützigen Vereinen – insbesondere die 10%-Grenze für Verwaltungskosten – werde weiterhin durch die Finanzbehörden kontrolliert (vgl. LT-Drs. 15/8371 amtliche Begründung S. 4). Deshalb entspricht es nicht dem Willen des Gesetzgebers, wenn eine Kommune die früher im sammlungsrechtlichen Erlaubnisverfahren zu prüfenden Gesichtspunkte nunmehr im Rahmen der straßenrechtlichen Sondernutzungsgenehmigungen prüft und Verbote aus Gründen des Verbraucherschutzes ausspricht. Die im Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2009 enthaltene sammlungsrechtliche Argumentation war daher ermessensfehlerhaft.

Soweit in der Bescheidsbegründung in einem Nebensatz zusätzlich auf die allgemeine Praxis der Beklagten hingewiesen wird, keine Sondernutzungserlaubnisse für Informations- und Werbeveranstaltungen mit geschäftsanbahnender Tätigkeit zu erteilen, kann dies nicht als selbstständig tragende zweite Begründung angesehen werden. Aus der für die Auslegung des Bescheids maßgeblichen Sicht des Bescheidsempfängers wird damit nur zum Ausdruck gebracht, dass die Beklagte den Kläger nicht anders behandelt als vergleichbare Vereine und Veranstalter. Die generelle Verwaltungspraxis wird in dem Bescheid aber nicht ausdrücklich auf Gründe gestützt, die einen Bezug zur Straße haben. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die Beklagte auch in anderen Fällen aus Gründen des Verbraucherschutzes Spendensammlungen und Straßengeschäfte verbietet. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte ihre Entscheidungspraxis im nachfolgenden Gerichtsverfahren mit Schreiben vom 30. September 2009 erläutert und dabei den erforderlichen Bezug zur Straße hergestellt hat. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Verbot für die Veranstaltung vom 13. und 14. August 2009 bereits erledigt, so dass ein Nachschieben von Gründen im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO nicht mehr möglich war. Da der Ermessensfehler nicht geheilt worden ist, blieb der Bescheid rechtswidrig.

d) Im Übrigen wird auch die von der Beklagten nachgeschobene straßenrechtliche Begründung für ein generelles Verbot von Spendensammlungen, Tierpatenschaften und Fördermitgliedschaften den Anforderungen des Art. 18 Abs. 1, 2 BayStrWG nicht gerecht. Es trifft zwar zu, dass bei abstrakt-typisierender Betrachtungsweise durch den Abschluss von Verträgen und durch das Sammeln von Spenden der Straßenraum intensiver in Anspruch genommen wird als durch den üblichen Fußgängerverkehr. Diese abstrakt-typisierende Feststellung rechtfertigt es, solche geschäftsanbahnenden Tätigkeiten unter einen straßenrechtlichen Erlaubnisvorbehalt zu stellen und einer behördlichen Prüfung zu unterziehen (vgl. BVerfG vom 12.4.2007 NVwZ 2007, 1306/1308). Hingegen genügt der Verweis auf die eine Sondernutzung begründenden Umstände nicht, um die Ablehnung der Sondernutzungserlaubnis zu rechtfertigen. Denn Art. 18 Abs. 1 BayStrWG enthält kein generelles Verbot von Sondernutzungen, sondern überlässt es dem pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, im Einzelfall über die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis zu entscheiden. Es liegt auch kein intendiertes Ermessen in dem Sinne vor, dass die Behörde nach dem Willen des Gesetzgebers in der Regel Sondernutzungserlaubnisse ablehnen müsste. Die Behörde muss vielmehr im konkreten Einzelfall die für und gegen eine Sondernutzungserlaubnis sprechenden Gesichtspunkte prüfen, gewichten und abwägen (vgl. BVerwG vom 4.7.1996 NJW 1997, 406/407).

Eine solche den konkreten Einzelfall in den Blick nehmende Betrachtungsweise ist auch in der nachgeschobenen Begründung nicht zu erkennen. Denn dem Umstand, dass mit geschäftsanbahnenden und einnahmeerzielenden Tätigkeiten eine stärkere Belastung der Straße verbunden ist, kommt nicht generell solches Gewicht zu, dass stets von einer unvertretbaren Behinderung des Verkehrs ausgegangen werden müsste. Die Beklagte hat den Einwand des Klägers, dass an seinen Informationsständen nie mehr als zwei Interessenten beraten würden und dass dadurch an dem geplanten Ort keine Verkehrsbehinderung auftrete, nicht bestritten oder gar entkräftet. Es kann auch nicht ohne Weiteres damit argumentiert werden, dass es bei Gleichbehandlung anderer Interessenten zu Verkehrsproblemen kommen könne. Denn die Behörde hat es in der Hand, die Zahl solcher Veranstaltungen zu begrenzen und die Orte, an denen die Veranstaltungen zugelassen werden, unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu beschränken. Ein generelles und ausnahmsloses Verbot solcher Tätigkeiten ist daher nicht aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs erforderlich.

Hingegen kann eine Kommune aus Gründen der Straßen- und Ortsbildes den gewerblichen Straßenhandel und vergleichbare geschäftsanbahnende Betätigungen an bestimmten zentralen Straßen und Plätzen oder in bestimmten Teilen der Fußgängerzone generell verbieten oder beschränken. Darauf hat das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen. Eine Kommune kann beispielsweise am Straßenrand gelegene historische Baudenkmäler (Kirchen, Rathäuser etc.) dadurch aufwerten, dass sie in deren Umfeld keine störenden Sondernutzungen zulässt. Soweit konkrete städtebauliche oder straßengestalterische Gründe vorliegen, kann ein solches Verbot unter Umständen auch weite Teile einer historischen Altstadt erfassen (vgl. BayVGH vom 20.1.2004 BayVBl 2004, 336 ff.). Hingegen überzeugt die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht, dass diese städtebaulichen oder straßengestalterischen Gründe ein generelles und ausnahmsloses Verbot geschäftsanbahnender Tätigkeiten für das gesamte Stadtgebiet rechtfertigen können. Vielmehr bedarf auch das Vorliegen solcher Versagungsgründe der von der Beklagten unterlassenen konkreten Prüfung im Einzelfall.

Hinzu kommt, dass die meisten Städte und Kommunen aus verschiedenen Gründen im Laufe eines Jahres für gewerbliche Veranstaltungen Sondernutzungen zulassen (z.B. bei Jahrmärkten, Straßenverkauf an verkaufsoffenen Sonntagen, Weihnachtsmärkten in Fußgängerzonen etc.). Wird der freien Wirtschaft im gewissen Umfang die Möglichkeit des Straßenhandels eröffnet, erscheint es jedoch unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes unzulässig, gemeinnützigen Vereinen die Möglichkeit des Spendensammelns und des Abschlusses von Fördermitgliedschaften generell zu untersagen. Denn der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln. Die mit dem Spendensammeln und dem Abschluss von Fördermitgliedschaften verbundene zusätzliche Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraums ist nicht höher als die mit dem Verkauf von Waren und Dienstleistungen verbundene Sonderbelastung. Damit bestehen zwischen kommerziellen Veranstaltungen und Spendensammlungen gemeinnütziger Vereine keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie in straßenrechtlicher Hinsicht eine völlig divergierende Entscheidungspraxis rechtfertigen könnten. Auch steht die Mitgliederwerbung von Vereinen ebenso unter grundrechtlichem Schutz (Art. 9 Abs.1 GG) wie die gewerbliche Betätigung von Unternehmen (Art. 12 Abs. 1 GG).

Nach alldem erweist sich das Feststellungsbegehren in Bezug auf das Verbot des Spendensammelns und des Abschlusses von Fördermitgliedschaften als begründet. Auf die Frage, ob der Kläger vor Erlass der streitbefangenen Nebenbestimmung zu Unrecht nicht angehört worden ist, kommt es nicht mehr an. Gegen einen Rechtsfehler der Behörde spricht insoweit allerdings der Umstand, das vor Erlass eines Verwaltungsakts nur angehört werden muss, wenn durch ihn ein status quo in einen status quo minus umgewandelt wird; dies ist hier nicht der Fall (vgl. BVerwG vom 14.10.1982 BVerwGE 66, 184/186 f.).

3. Der Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage 3 des Bescheids vom 20. Juli 2009 ist daher stattzugeben. Die Beklagte hat als unterliegende Partei nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil der Rechtsstreit irreversibles Landesrecht betrifft und Revisionsgründe im Sinn von § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

 

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 500 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG).