Bayerischer VGH, Beschluss vom 18.06.2010 - 1 NE 09.3166
Fundstelle
openJur 2012, 108585
  • Rkr:
Tenor

I. Die am 13. November 2009 bekannt gemachte Satzung über den Bebauungsplan „D...straße“ der Antragsgegnerin wird außer Vollzug gesetzt.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den am 13. November 2009 ortsüblich bekannt gemachten Bebauungsplan „D...straße“ der Antragsgegnerin.

Der Antragsteller ist Eigentümer der außerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstücke Fl.Nrn. 140/9, 144/3, 144, 2627/1, 2625 und 2627/2 Gemarkung R..., auf denen er ein seit mehr als fünfzig Jahren bestehendes Holzwerk betreibt. Für das Firmengelände besteht kein Bebauungsplan. Es reicht bis zu 72 m an das Plangebiet heran.

Der Bebauungsplan „D...straße“ überplant die südlich der D...straße und nördlich des Firmengeländes gelegenen Grundstücke Fl.Nrn. 180/8, 180/11, 180/10, 180/7 und 180. Das zuletzt genannte Grundstück ist im Eigentum der Antragsgegnerin und wird bislang landwirtschaftlich genutzt. Das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück Fl.Nr. 180/8 und das bislang unbebaute Grundstück Fl.Nr. 180/11 gehören den Beigeladenen zu 1 und 2; das ebenfalls bislang unbebaute Grundstück Fl.Nr. 180/7 gehört der Beigeladenen zu 3. Auch das Grundstück Fl.Nr. 180/10 ist bereits seit längerem mit einem Wohnhaus bebaut.

Als Art der baulichen Nutzung werden vier allgemeine Wohngebiete festgesetzt. Die überbaubaren Grundstücksflächen sind durch Baugrenzen bestimmt. Die Stellung der Baukörper ist durch die Festsetzung der First- und Hauptbaukörperrichtung geregelt. Außenwände „mit Belastungen über den Immissionsrichtwerten TA Lärm um 1 dB(A)“ sind mit Angabe der belasteten Geschosse gekennzeichnet. Diesbezüglich enthält der Bebauungsplan folgenden Hinweis: „13. Immissionsschutz: An den in der Planzeichnung mit UG/EG/OG.. gekennzeichneten Außenwänden werden die Immissionsrichtwerte nach TA Lärm 1998 für allgemeine Wohngebiete um 1 dB(A) überschritten. Diese geringe Überschreitung von 1 dB(A), die nur zeitweise und tagsüber auftritt, ist tolerierbar.“ Zur Ortseingrünung werden am südlichen und östlichen Rand des Plangebiets Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft ausgewiesen.

Den Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans fasste der Gemeinderat der Antragsgegnerin in seiner Sitzung am 4. Dezember 2007. Im Rahmen der frühzeitigen Beteiligung der Träger öffentlicher Belange äußerten sich u.a. die Regierung von Oberbayern, die untere Naturschutzbehörde und das Wasserwirtschaftsamt ... Diese Stellungnahmen wurden in der Auslegungsbekanntmachung vom 16. April 2009 im Gegensatz zu dem schalltechnischen Untersuchungsbefund der ...GmbH vom April 2010 nicht erwähnt. Der Entwurf des Bebauungsplans mit Begründung und Umweltbericht lag vom 28. April 2009 bis 29. Mai 2009 im Rathaus der Antragsgegnerin zur Einsichtnahme aus. Der Antragsteller hatte bereits mit Schreiben vom 17. April 2008 zahlreiche Einwendungen erhoben. Am 23. Juni 2009 beschloss der Gemeinderat den Bebauungsplan in der Fassung vom 12. Februar 2008, zuletzt geändert am 23. Juni 2009, als Satzung. Die Ausfertigung erfolgte am 30. Oktober 2009.

Zur Begründung des am 21. Dezember 2009 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung macht der Antragsteller geltend, der Bebauungsplan sei unwirksam, weil er an rechtlich erheblichen Mängeln im Abwägungsvorgang leide. Durch die Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem stark Lärm emitierenden holzverarbeitenden Betrieb entstünden Konflikte, die durch den Bebauungsplan nicht gelöst würden und auf der Grundlage der getroffenen Festsetzungen auch in den nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren nicht befriedigend gelöst werden könnten. Im Bebauungsplan würden keine lärmschützenden Festsetzungen getroffen. Das der Abwägung zugrunde gelegte schalltechnische Gutachten sei bereits vom Grundansatz nicht geeignet, eine ausreichende Orientierungshilfe bei der Abwägung der immissionsschutzrechtlichen Belange des Antragstellers zu bilden. In dem Gutachten werde durch Bewertung einer betrieblichen Momentaufnahme untersucht, ob es zu immissionsschutzrechtlichen Konflikten mit der geplanten Wohnbebauung komme. Dabei bleibe völlig unberücksichtigt, dass sich Betriebsabläufe eines Betriebs von der Größe des Holzwerks in regelmäßigen Abständen nach Art und Umfang der Aufträge veränderten. Der Betrieb werde voraussichtlich weiter expandieren, was sich naturgemäß bei der Mitarbeiterzahl, dem Einsatz der Maschinen, der Anzahl der An- und Ablieferungen und den Arbeitszeiten auswirke. Wenn der Betrieb zwei Schichten fahre, sei Betriebsbeginn bereits um 4.00 Uhr. Unberücksichtigt geblieben sei auch, welche Emissionen der Betrieb rechtlich habe emittieren dürfen und/oder zumindest teilweise emittiere. Zur Vermeidung künftiger Konflikte sei es erforderlich, die Änderung von Betriebsabläufen, Nutzungsintensitäten und ggf. auch Erweiterungen des bestehenden Gewerbebetriebs zu berücksichtigen. Der Ansatz eines Schallleistungspegels von 60/45 dB(A) sei für einen holzverarbeitenden Betrieb, der einen hohen Anteil an Schallquellen im Freien habe, nicht sachgerecht. Vielmehr habe ein flächenbezogener Schallleistungspegel von mindestens 63/48 dB(A) angesetzt werden müssen.

Der Antragsteller beantragt,

die am 13. November 2009 bekannt gemachte Satzung über den Bebauungsplan „D...straße“ der Antragsgegnerin außer Vollzug zu setzen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die maßgeblichen Lärmrichtwerte eines Wohngebiets würden im wesentlichen eingehalten, so dass eine Unverträglichkeit der geplanten Wohnnutzung und der bestehenden gewerblichen Nutzung nicht vorliege. Die der Planung und der Abwägungsentscheidung der Antragsgegnerin zugrunde liegende gutachterliche Bewertung des Ingenieurbüros ... von April 2009 sei weder in der Methodik noch vom Inhalt und den Ergebnissen her zu beanstanden. Die gesamte Argumentation des Antragstellers fuße letztlich darauf, von den von ihm selbst der Gutachterin angegebenen Betriebsabläufen und Anlagen abzuweichen und neue Szenarien darzustellen, die der Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Satzungsentscheidung weder bekannt gewesen seien noch bekannt hätten sein müssen. Zudem seien die vom Antragsteller geschilderten Betriebsabläufe in dem Gutachten mit einer „Steigerungsrate“ berücksichtigt worden, so dass auch Betriebserweiterungen in die schalltechnische Bewertung und damit in die Abwägungsentscheidung Eingang gefunden hätten.

Die Beigeladenen und die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses haben keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die von der Antragsgegnerin vorgelegten Bebauungsplanakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag, dessen Zulässigkeit auch von der Antragsgegnerin und den Beigeladenen nicht in Zweifel gezogen wird, hat Erfolg.

Der Erlass der einstweiligen Anordnung im Sinn von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile für den Antragsteller ist dringend geboten, weil der Bebauungsplan nach Einschätzung des Senats Mängel aufweist, die nach derzeitigem Sachstand im Hauptsacheverfahren zur Feststellung seiner Unwirksamkeit führen dürften. Das Interesse des Antragstellers, nicht durch einen unwirksamen Bebauungsplan vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden, überwiegt das gegenläufige Interesse der Antragsgegnerin und der Beigeladenen daran, dass eine dem (unwirksamen) Bebauungsplan entsprechende Bebauung erfolgen kann, bevor abschließend über den Normenkontrollantrag entschieden ist.

1. Es spricht Vieles dafür, dass der Antragsgegnerin bei der Aufstellung des Bebauungsplans ein rechtlich erheblicher Verfahrensfehler unterlaufen ist. Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB muss die Auslegungsbekanntmachung Angaben dazu, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, enthalten. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen dürfte diese Bestimmung nicht so auszulegen sein, dass nur auf Arten umweltbezogener Informationen, die nach Einschätzung der Gemeinde wesentlich sind, hingewiesen werden muss. Der Senat neigt vielmehr zu der Auffassung, dass alle umweltbezogenen Informationen, die vom Projektträger, einem von ihm beauftragten Gutachter oder den zuständigen Behörden stammen, nach Themenblöcken zusammenzufassen und diese öffentlich bekannt zu machen sind, ohne dass der Gemeinde dabei das Recht zu einer Selektion zusteht (vgl. BayVGH vom 5.2.2009 Az. 1 N 07.2713 u.a. <juris>; a.A. – allerdings ohne dass es für die Entscheidung erheblich war – BayVGH vom 23.7.2007 Az. 15 NE 07.1226 <juris> RdNr. 21). Hierfür spricht nicht nur der unterschiedliche Wortlaut im Vergleich zu § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB, sondern auch die Informationsfunktion der Regelung. Die interessierte Öffentlichkeit soll unabhängig von der unter Umständen subjektiv geprägten Einschätzung der Gemeinde darüber unterrichtet werden, welche umweltbezogenen Themen bisher im Planaufstellungsverfahren eine Rolle gespielt haben. Nur so kann die Auslegungsbekanntmachung die ihr zukommende Anstoßfunktion uneingeschränkt erfüllen. Diese Gesetzesauslegung wird dadurch bestätigt, dass nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB Angaben dazu zu machen sind, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, und nicht etwa Angaben dazu, welche Arten von Informationen öffentlich ausgelegt werden.

Die Auslegungsbekanntmachung der Antragsgegnerin vom 16. April 2009 enthält lediglich den Hinweis auf die schalltechnische Untersuchung der ...-GmbH vom April 2010. Dagegen bleiben die umweltbezogenen Stellungnahmen der Regierung von Oberbayern vom 26. März 2008, der unteren Naturschutzbehörde vom 17. April 2008 und des Wasserwirtschaftsamts ... vom 18. April 2008 unerwähnt. Demnach wurden von den Arten der verfügbaren Umweltinformationen nur der Immissionsschutz, nicht aber die wasserwirtschaftlichen Belange und der Landschaftsschutz angegeben.

Die Voraussetzungen für eine Unbeachtlichkeit des Verfahrensfehlers nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 Alternative 2 BauGB liegen nicht vor. Insoweit hält der Senat an seiner Auffassung fest, dass die Frage, ob (nur) einzelne Angaben dazu, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, gefehlt haben, nach quantitativen Gesichtspunkten zu beantworten ist (vgl. BayVGH vom 5.2.2009 Az. 1 N 07.2713 u.a. <juris>). Da die Antragsgegnerin die überwiegende Anzahl der Arten der verfügbaren Umweltinformationen nicht angegeben hat, kann hier dahingestellt bleiben, wie zu entscheiden wäre, wenn insoweit ein Gleichstand vorliegt.

2. Unabhängig davon dürfte der Bebauungsplan auch an einem inhaltlichen Mangel leiden. Ebenso wie beim Bebauungsplan „P...“ sind das von der Antragsgegnerin beauftragte Ingenieurbüro und ihm folgend die Antragsgegnerin selbst davon ausgegangen, dass das dem Holzwerk des Antragstellers nächstgelegene Wohngebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. 131/14 (nur) eine Geräuschbelastung von 55 dB(A) hinnehmen muss. Wie der Senat in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2009 (Az. 1 NE 09.2377) dargelegt hat, dürfte dieser Wert jedoch bei etwa 58 dB(A) liegen. Die hiergegen erhobenen Einwände der Antragsgegnerin geben nach summarischer Prüfung keine Veranlassung, von dieser Beurteilung abzurücken. Ausschlaggebend dürfte insoweit nicht sein, ob der Beurteilungspegel der Betriebsgeräusche am Immissionsort auf dem Grundstück Fl.Nr. 131/14 zum maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses (23.6.2009) bei 55 dB(A) oder sogar bei einem niedrigeren Wert lag. Für die Frage, ob die beiden Bebauungspläne entgegen der Annahme der Antragsgegnerin zu (nicht gewollten) Einschränkungen für den Betrieb führen, dürfte es vielmehr darauf ankommen, bis zu welcher Grenze der Immissionsort belastet werden durfte. Diese Grenze dürfte aus den im Beschluss vom 14. Dezember 2009 genannten Gründen bei 58 dB(A) gelegen haben. Wenn das dem Betrieb zur Verfügung stehende Emissionskontingent am fraglichen Immissionsort nicht durch den Wert von 55 dB(A), sondern den Wert von 58 dB(A) begrenzt wird, dürfte der für ein allgemeines Wohngebiet geltende Immissionsrichtwert von 55 dB(A) im Plangebiet jedoch nicht nur – wie von der Antragsgegnerin angenommen – um bis zu 1 dB(A), sondern um bis zu 2 dB(A) überschritten werden (vgl. Schreiben der ...-GmbH vom 8.6.2010 S. 3 unten und Anlage 1 dieses Schreibens). Damit ist von einem beachtlichen Abwägungsfehler auszugehen (vgl. BayVGH vom 14.12.2009 Az. 1 NE 09.2377 UA S. 14).

Somit kann dahingestellt bleiben, ob ein weiterer Verfahrensfehler vorliegt, weil die schalltechnische Untersuchung der ...-GmbH vom April 2010 nicht gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB öffentlich ausgelegt wurde. Für die gegenteilige Behauptung in dem Schriftsatz der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin vom 19. Mai 2010 findet sich in den Bebauungsplanakten allerdings kein Beleg. Offen bleibt ferner, ob die weiteren inhaltlichen Einwände gegen den Bebauungsplan durchgreifen.

3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Es entspricht schon deshalb der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, weil sie keinen Antrag gestellt und damit kein Kostenrisiko übernommen haben (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 7 GKG. Sie orientiert sich an den Nrn. 1.5 und 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (NVwZ 2004, 1327).