Bayerisches LSG, Beschluss vom 20.05.2010 - L 2 R 62/10 B
Fundstelle
openJur 2012, 108159
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des SozialgerichtsBayreuth vom 21. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Besorgnis der Befangenheit gegenüber der Sachverständigen Dr. O. begründet ist.

In dem beim Sozialgericht Bayreuth anhängigen Klageverfahren (Az.: S 17 R 699/07) hat der Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) einen Anspruch auf Gewährung einer am 8. März 2006 beantragten Rente wegen Erwerbsminderung weiter verfolgt, den die Beklagte mit Bescheid vom 29. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2007 abgelehnt hatte. Nach dem Ergebnis der medizinischen Sachverhaltsaufklärung könne der Bf. noch leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit scheide aus. Zwar könne der Bf. in dem erlernten Beruf als Fertigbaumonteur nur noch weniger als sechs Stunden täglich tätig sein, zumutbar sei aber eine mindestens sechsstündige Tätigkeit als Platzwart in einem Sägewerk, Schulhausmeister, Poststellenmitarbeiter, Registrator, Hochregallagerarbeiter oder Verkaufsberater in Bau- und Hobbymärkten, auf die er verwiesen werden könne.

Im hiergegen gerichteten Klageverfahren hat das Sozialgericht umfangreiche medizinische Unterlagen beigezogen und die Neurologin und Psychiaterin Dr. G. O. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 4. Mai 2009 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Schmerzen im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich ohne Anhalt für einen akuten Wurzelkontakt und ohne neurologische Ausfallserscheinungen, Spannungskopfschmerzen sowie einen Zustand nach Borreliose-Erkrankung ohne objektivierbare neuropsychiatrische Funktionseinbußen diagnostiziert. Der Bf. könne grundsätzlich noch leichte, zeitweise auch mittelschwere Arbeiten ohne quantitative Leistungseinschränkung verrichten. Mit Schreiben vom 13. Mai 2009 hat das Sozialgericht dem Bf. das Gutachten zur Stellungnahme bis 15. Juli 2009 zugeleitet.

Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2009 hat der Bf. Einwendungen gegen das Gutachten vorgebracht und hierzu u.a. auf ein rheumatologisch-internistisches Gutachten des Universitätsklinikums E. (Prof. Dr. S./Prof. Dr. H.) vom 10. März 2009, erstellt für die Land- und forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Franken und Oberbayern, sowie auf eine medizinische Äußerung des Nervenarztes Dr. S. vom 22. Juni 2009 verwiesen. Die Aussage der Gutachterin Dr. O.: "Aus diesen Mitteilungen lässt sich unschwer ableiten, dass Herr W. bei der Durchführung der testpsychologischen Untersuchungen sicher nicht sehr motiviert dazu war, gute Ergebnisse zu erzielen.", lasse nur den Schluss zu, dass es der Sachverständigen bei der Untersuchung offenkundig an der notwendigen Neutralität gefehlt habe. Die Sachverständige habe sich nicht mit der gebotenen Neutralität und Objektivität an den Fall angenähert. Dies erkläre auch, dass sie nur unvollständige Feststellungen getroffen habe und insbesondere ihre Ausführungen in völligem Gegensatz zu dem stünden, was Prof. Dr. H. als deutschlandweit höchst anerkannter Sachverständiger für die Berufsgenossenschaft geäußert habe. Er komme deshalb nicht umhin, die Sachverständige Dr. O. wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Die Gutachterin Dr. O. hat in einer Stellungnahme vom 16. Juli 2009 an ihrem Gutachtensergebnis festgehalten. Das Gutachten der Universität E. habe ihr bei der Begutachtung vorgelegen und sei entsprechend von ihr diskutiert worden. Die monierte Aussage über die Diskrepanz zwischen den geschilderten Beschwerden und den Ergebnissen der körperlichen Untersuchung konnten getroffen werden, da sie bezogen auf das neuropsychiatrische Fachgebiet bei der ausführlichen Befragung und Untersuchung in der Praxis eindeutig erkennbar gewesen sei.

Das Sozialgericht hat den Antrag, die medizinische Sachverständige Dr. O. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, mit Beschluss vom 21. Dezember 2009 zurückgewiesen. Die zitierte Äußerung der Sachverständigen sei im Sachzusammenhang, insbesondere mit der zuvor von dieser erörterten neuropsychologischen Untersuchung im Gedächtniszentrum F. in der Klinik E. vom 20. und 24. Januar 2008 zu sehen. Frau Dr. O. habe in ihren Ausführungen zutreffend darauf hingewiesen, dass eine sinnvolle Durchführung und Auswertung von testpsychologischen Untersuchungen in allen Fällen an die Mitarbeit des zu Untersuchenden gebunden sei, auch wenn bei einzelnen Testsystemen eine Plausibilitätsprüfung eingeschlossen sei. Daher sei insbesondere im Rahmen einer sozialmedizinischen Begutachtung eine kritische Gewichtung, Interpretation und Wertung der ermittelten Testergebnisse im Zusammenhang mit den übrigen Einzelbefunden zwingend vorzunehmen.

Zur Begründung der hiergegen gerichteten Beschwerde hat der Bf. ausgeführt, um das Testergebnis zu manipulieren können hätte er tatsächlich in der Lage sein müssen, den Zweck und die Bedeutung des jeweiligen Tests zu erkennen. Er hätte nicht abschätzen können, auf welche Art und Weise das Ergebnis beeinflusst werden könnte. Die Sachverständige hätte sich ferner inhaltlich damit auseinandersetzen müssen, weshalb die unterdurchschnittlichen Leistungen im Bereich der "gerichteten Aufmerksamkeit" und der "kognitiven Belastbarkeit/Daueraufmerksamkeit" aufgetreten seien. Sie habe es ihm ohne schlüssige und nachvollziehbare Erklärungen angelastet, sicher nicht sehr motiviert gewesen zu sein, gute Ergebnisse zu erzielen. Dies lasse den Schluss zu, es liege keine Unparteilichkeit vor.

Die Beklagte hat von einer Stellungnahme abgesehen.

II.

9Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist unbegründet.

Nach § 118 Abs. 1 SGG sind im sozialgerichtlichen Verfahren über die Ablehnung eines Sachverständigen die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) anzuwenden. Nach §§ 406 Abs. 2 S. 1, 411 Abs. 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag bei dem Gericht oder dem Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung zu stellen - zu einem späteren Zeitpunkt nach § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO nur dann, wenn der Antragsteller Gründe nennen kann, dass er die Befangenheit ohne sein Verschulden erst zu einem späteren Zeitpunkt geltend machen konnte. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn, wie hier, erst aus dem schriftlich abgefassten Gutachten der Ablehnungsgrund ersichtlich wird. In diesem Fall endet die Frist für den Ablehnungsantrag mit dem Ablauf der Frist, die das Gericht den Beteiligten zur Stellungnahme zum Gutachten eingeräumt hat.

Der Bf. begründet den Antrag im Wesentlichen mit den von der Sachverständigen geäußerten Zweifeln, dass er bei der Durchführung der testpsychologischen Untersuchung für die Erzielung eines guten Ergebnisses motiviert gewesen war. Zutreffend hat das Sozialgericht hierzu ausgeführt, dass diese Äußerung in dem Gesamtkontext zu sehen ist. Testpsychologische Untersuchungsergebnisse, die auf die kognitiven Fähigkeiten gerichtet sind, sind stets in hohem Maße von der Motivation und Mitarbeit der Untersuchten abhängig, worauf die Sachverständige zur Erläuterung ihrer Bewertung ausdrücklich hingewiesen hat. Es handelt sich bei dem Test weitgehend um eine Momentaufnahme in der gegenwärtigen Lebenssituation desjenigen, der an dem Test teilnimmt. Es gehört zum einen zur originären Aufgabe der Sachverständigen, aus fachlicher Sicht das Testergebnis zu bewerten, zum anderen zur Aufgabe des erkennenden Richters im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG), die vorliegenden Ergebnisse der medizinischen Sachverhaltsaufklärung insgesamt zu gewichten. Diese Bewertung hat die Sachverständige in ihrem Gutachten zum Ausdruck gebracht. Eine Parteilichkeit lässt sich daraus nicht ableiten.

Dabei hat die Sachverständige entgegen der Begründung der Beschwerde durch den Bf. diesem nicht vorgeworfen, versucht zu haben, einzelne Tests zu manipulieren. Vielmehr ging es lediglich um die Motivation, ein gutes Ergebnis bei den Einzeltests zu erzielen.

Soweit der Bf. zumindest mittelbar das Ablehnungsgesuch mit angeblichen sachlichen Mängeln des Gutachtens und einer gegenüber anderen Ärzten geringeren Kompetenz der Sachverständigen begründet, vermag auch dies dem Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nicht zum Erfolg zu verhelfen. Diese Gründe rechtfertigen für sich allein nicht die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Befangenheit. Eventuelle Unzulänglichkeiten dieser Art treffen beide Parteien und können lediglich dazu führen, die Rechte des Prozessrechts in Anspruch zu nehmen, insbesondere ein neues Gutachten einzuholen (vgl. § 412 ZPO). Derartige Mängel eines Gutachtens können allenfalls ein Gutachten entwerten. Die inhaltliche Bewertung des Gutachtens obliegt jedoch dem entscheidenden Richter im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) und kann nicht in ein Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit vorgezogen werden.

Das Sozialgericht hat damit zutreffend den Antrag auf Ablehnung der Sachverständigen Dr. O. zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

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