Bayerischer VGH, Urteil vom 27.04.2010 - 1 N 08.2703
Fundstelle
openJur 2012, 107585
  • Rkr:
Tenor

I. Der am 30. November 2007 öffentlich bekannt gemachte Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 36 „...-...“ der Stadt ... ist unwirksam.

II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsteller zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Antragsteller wenden sich gegen den Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 36 („...-...“) der Antragsgegnerin.

1. Die Antragsteller sind Eigentümer des im Plangebiet gelegenen Grundstücks Fl.Nr. 1040 Gemarkung ... Das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück befindet sich außerhalb der im Zusammenhang bebauten Flächen südlich des Ortsteils ... der Antragsgegnerin. Es grenzt mit seiner Nordwestseite unmittelbar an die von Südwesten nach Nordosten verlaufende ...straße. Das Gelände südöstlich der ...straße fällt von Westen nach Osten leicht ab.

Der Bebauungsplan Nr. 36 überplant Flächen westlich und östlich der ...straße, die – mit Ausnahme des Grundstücks der Antragsteller – bislang landwirtschaftlich genutzt wurden. Als Art der baulichen Nutzung ist ein „allgemeines Wohngebiet“ festgesetzt. Die überbaubaren Grundstücksflächen sind durch Baugrenzen bestimmt. Südlich des Grundstücks der Antragsteller sind vier Parzellen (für zwei Doppelhäuser), östlich beziehungsweise nordöstlich zwei Parzellen (für Einzelhäuser) vorgesehen. Die für diese Bebauung festgesetzte Baugrenze ist auf der Südseite 5 m und auf der Ost- und Nordseite 3 m von der Grenze des Grundstücks der Antragsteller entfernt. Die Zahl der Vollgeschosse ist in diesem Bereich auf „II“ begrenzt. Buchst. B Nr. 1 der Satzung enthält u. a. folgende Festsetzungen:

„Sockel: Max. 0,30 m über OK Straße

Wandhöhe: Max. 4,75 m ab OK natürliches Gelände bergseitig bei I + D;

Max. 6,40 m ab OK natürliches Gelände bergseitig bei II

Abstandsflächen: Art 6 Abs. 4 und 5 der BayBO finden Anwendung.

Höhenlage d. Geb.: wird nach Auslegung der Straßenplanung festgelegt“

Den Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans fasste der Stadtrat der Antragsgegnerin in seiner Sitzung vom 14. September 2001. Eine Beteiligung der Öffentlichkeit gemäß § 3 Abs. 1 BauGB wurde in der Zeit vom 30. August 2002 bis 11. Oktober 2002 durchgeführt. Die Antragsteller erhoben mit Schreiben vom 7. Oktober 2002 Einwendungen, denen die Antragsgegnerin mit Beschluss des Stadtrates vom 8. April 2003 dadurch entsprach, dass die südlich des Grundstücks der Antragsteller vorgesehene Baugrenze mit einem Abstand von 5 m anstatt, wie ursprünglich geplant, von 3 m festgesetzt wurde. In der Zeit vom 23. Mai 2003 bis 4. Juli 2003 wurde der Entwurf des Bebauungsplans öffentlich ausgelegt. Nach einer Änderung wurde der Entwurf in der Fassung vom 7. August 2007 in der Zeit vom 3. September 2007 bis 5. Oktober 2007 erneut öffentlich ausgelegt. Aufgrund von Anregungen des Landratsamts (Gesundheitsamt) zur Bodenbelastungen im Plangebiet infolge von Verfüllungen des Geländes mit Bauschutt in der Vergangenheit beschloss der Stadtrat in der Sitzung vom 9. Oktober 2007, zwar keinen Bodenaustausch vorzunehmen, das Geländeniveau aber um circa 60 cm anzuheben sowie den Bauwerbern eine umfassende Information zur Altlast und den entsprechenden Schutz- und Vorsorgemaßnahmen zu geben. Zugleich beschloss er den Bebauungsplan als Satzung. Die Ausfertigung erfolgte ebenfalls am 9. Oktober 2007. Am 30. November 2007 wurde der Bebauungsplan ortsüblich bekannt gemacht.

2. Einen Antrag der Antragsteller, den streitgegenständlichen Bebauungsplan im vorläufigen Rechtsschutzverfahren außer Vollzug zu setzen, hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. April 2009 (1 NE 08.2704) abgelehnt.

3. Zur Begründung des am 7. Oktober 2008 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Normenkontrollantrags machen die Antragsteller im Wesentlichen geltend:

Der Antrag sei zulässig. Die Antragsteller seien antragsbefugt. Es sei zu befürchten, dass ihr Anwesen durch die nach den Festsetzungen des Bebauungsplans zulässige Bebauung erdrückt werde und dass keine ausreichende Belichtung und Belüftung mehr gegeben sein werde. Da ein Sockel von 0,30 m über OK Straße zugelassen werde und das natürliche Gelände bereits vor der Aufstellung des Bebauungsplans um etwa 1 m aufgeschüttet worden sei, könnten die benachbarten Gebäude bis zu 1,30 m über dem natürlichen Gelände errichtet werden. Da zudem für die südlichen Grundstücke zwei Vollgeschosse mit einer Wandhöhe von bis zu 6,40 m zugelassen würden, ergebe sich auf den Nachbargrundstücken eine „gefühlte“ Wandhöhe von 7,70 m. Das Gebäude der Antragsteller weise dagegen eine Wandhöhe von lediglich 3 m auf.

Der Antrag sei auch begründet. Der Bebauungsplan leide an formellen Fehlern. Die Antragsgegnerin habe zu dem Einwendungsschreiben der Antragsteller im Planaufstellungsverfahren nicht Stellung genommen. Erst als diese sich nach Beginn der Straßenbaumaßnahmen im August 2007 erneut an die Antragsgegnerin gewandt hätten, sei ihnen ein auf den 18. Januar 2007 datiertes Schreiben ausgehändigt worden. Da mit der Ausführung der Straßenbauarbeiten bereits vor der Auslegung des Planentwurfs begonnen worden sei, sei den Antragstellern faktisch die Möglichkeit genommen worden, ihre Einwendungen vor Durchführung der Bauarbeiten vorzubringen. Der Bebauungsplan sei auch materiellrechtlich fehlerhaft. Die Festsetzung zur Höhenlage der Gebäude sei zu unbestimmt, weil sie nach der Satzung erst nach Auslegung der Straßenplan festgelegt werden soll. Auch die Festsetzung zur Wandhöhe sei nicht ausreichend bestimmt; die Festlegung der natürlichen Geländeoberfläche als unterer Bezugspunkt biete keinen hinreichenden Schutz vor Veränderungen. Der Bebauungsplan leide an einem Abwägungsfehler, weil die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse im Hinblick auf das Grundstück der Antragsteller außer acht gelassen worden seien und weil auf ihr Wohnhaus keine Rücksicht genommen worden sei. Es sei nicht bedacht worden, dass sich ihr Grundstück nach der Bebauung der Nachbargrundstücke auf einem bis 1,30 m höheren Gelände in einem „Loch“ befinden werde, so dass keine ausreichende Besonnung und Belüftung mehr gewährleistet sei. Zudem bestehe die Gefahr, dass das Regen- und Schmelzwasser ungehindert von den wesentlich höher liegenden Nachbargrundstücken auf das Grundstück der Antragsteller fließe. Im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses sei nicht berücksichtigt worden, dass ab Anfang 2007 im Zuge der Straßenbaumaßnahmen das Gelände für die neu zu errichtenden Straßen um bis zu 2 m über dem natürlichen Gelände aufgefüllt und das Gelände der angrenzenden Grundstücke an diese Auffüllungen angeglichen worden sei. Seit Abschluss der Straßenbaumaßnahmen würden die dem Grundstück der Antragsteller benachbarten Grundstücke in erheblichem Umfang aufgeschüttet, um das Gelände dem Straßenniveau anzupassen. Auch wasserwirtschaftliche Belange seien bei der Abwägung nicht ausreichend berücksichtigt worden; insbesondere sei nicht bedacht worden, dass die Wohnbebauung auf Flächen mit Altlastenablagerungen errichtet werde. Forderungen des Wasserwirtschaftsamtes und des Landratsamtes nach einer Altlastensanierung sei die Antragsgegnerin nicht nachgekommen. Abwägungsfehler bestünden auch hinsichtlich des Abflusses und der Versickerung von Niederschlagswasser, weil entgegen einer Empfehlung des Wasserwirtschaftsamts kein Bodenaustausch vorgenommen worden sei.

Die Antragsteller beantragen,

festzustellen, dass der am 30. November 2007 bekannt gemachte Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 36 „...-...“ der Antragsgegnerin unwirksam ist.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Es sei fraglich, ob der Antrag zulässig sei. Zwar seien die Antragsteller Eigentümer im Plangebiet. Ihre Darlegungen zu einer möglichen Rechtsverletzung seien aber nicht ausreichend substantiiert. Aufgrund des Abstandes zwischen den festgesetzten Bauräumen könne von einer erdrückenden Wirkung nicht gesprochen werden. Eine ausreichende Besonnung und Belüftung sei gewährleistet, zumal im Bebauungsplan festgesetzt sei, dass die Abstandsflächen einzuhalten seien. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet. Abwägungsfehler lägen nicht vor. Das Einwendungsschreiben der Antragsteller im Planungsverfahren sei durch ein am 18. Januar 2007 versandtes Schreiben vom selben Tag beantwortet worden. Den Einwendungen sei durch ein Abrücken des südlich vorgesehenen Bauraums um 2 m nach Süden entsprochen worden. Die Antragsteller hätten keinen Anspruch auf Beibehaltung ihrer bisherigen Grundstückssituation. Ausreichende Abstände zwischen der Bebauung auf dem Grundstück der Antragsteller und der im Süden geplanten Bebauung seien durch die Festsetzungen des Bebauungsplans sichergestellt. Eine erdrückende Wirkung werde die Bebauung auf den Nachbargrundstücken nicht haben. Die festgesetzte Wandhöhe von 6,40 m, die zwei Vollgeschosse ermögliche, sei nicht unangemessen. Ermittlungsfehler bei der Festlegung der Höhenlage der Baugrundstücke lägen ebenfalls nicht vor. Die auf den angrenzenden Grundstücken zugelassene Sockelhöhe sei nicht größer als die Sockelhöhe beim Wohnhaus der Antragsteller. Die Behauptung, dass ihr Grundstück in einer Senke liegen werde, treffe nicht zu. Das Höhenniveau auf dem Grundstück der Antragsteller und auf den Nachbargrundstücken weise keine gravierenden Unterschiede auf. Daher sei auch die Befürchtung, dass sich auf dem Grundstück der Antragsteller Regen- und Schmelzwasser sammeln werde, nicht begründet. Weshalb die Planung ungesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zur Folge haben sollte, sei nicht ersichtlich. Von einem Schreiben der Regierung von Oberbayern zur Erforderlichkeit einer Pumpstation oder eines Bodenaustausches habe die Antragsgegnerin keine Kenntnis.

Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses hat sich zur Sache nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und auf die vorgelegten Bebauungsplanakten in diesem Verfahren und in dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren (1 NE 08.2704) Bezug genommen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag hat Erfolg. Er ist zulässig (1.) und begründet (2.).

1. Der Antrag ist zulässig; insbesondere sind die Antragsteller antragsbefugt (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO).

Die Antragsteller haben substantiiert Tatsachen vorgebracht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass ihre Interessen in der Abwägung nicht hinreichend gewürdigt wurden. Der Senat hat hierzu in dem das vorläufige Rechtsschutzverfahren betreffenden Beschluss vom 29. April 2009 (Entscheidungsabdruck RdNrn. 22 ff.) ausgeführt:

„Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist in Normenkontroll(eil)verfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Der Antragsteller muss Tatsachen vortragen, die die geltend gemachte Rechtsverletzung möglich erscheinen lassen. Die Antragsbefugnis ist regelmäßig zu bejahen, wenn sich ein Grundstückseigentümer gegen eine sein Grundstück unmittelbar betreffende und damit Inhalt und Schranken seines Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) bestimmende Satzung wendet (BVerwG vom 10.3.1998 NVwZ 1998, 732; vom 26.2.1999 NVwZ 2000, 1413; vom 22.8.2000 NVwZ 2000, 1413). Beanstandet der Eigentümer eines Grundstücks im Geltungsbereich der Satzung hingegen eine sein Eigentum nicht unmittelbar berührende Festsetzung, ist er – wie der Eigentümer eines Grundstücks außerhalb des Geltungsbereichs – regelmäßig nur antragsbefugt, wenn er geltend macht, dass sein Anspruch auf fehlerfreie Abwägung seiner Belange (§ 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB) verletzt sein kann (BVerwG vom 10.3.1998 a.a.O.; vom 24.9.1998 BVerwGE 107, 215; vom 26.2.1999 NVwZ 2000, 197; vom 22.8.2000 a.a.O.; vom 11.7.2001 BRS 64 Nr. 54; vom 20.9.2005 BauR 2006, 352). Das setzt nicht nur voraus, dass die Planung einen abwägungserheblichen Belang des Antragstellers berührt; es muss auch hinreichend substantiiert aufgezeigt werden, dass dieser Belang bei der Abwägung möglicherweise fehlerhaft behandelt wurde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. BayVGH vom 28.9.2006 - 1 NE 06.2285 - juris; vom 7.2.2007 - 1 N 05.3338 - juris; vom 15.7.2008 - 1 N 07.2779, 1 N 07.3421 - juris).

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Antragsteller. Sie machen zu Recht sinngemäß geltend, dass die Antragsgegnerin bei der Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) ihre privaten Belange als Eigentümer eines von den Festsetzungen zur Wandhöhe und zur Höhenlage auf den Nachbargrundstücken mittelbar betroffenen Grundstücks berücksichtigen musste. Weiterhin legen sie mit nicht von vorneherein von der Hand zu weisenden Argumenten dar, dass dies nicht in der gebotenen Weise geschehen sei. Damit ist die Möglichkeit einer Rechtsverletzung durch bzw. auf Grund der strittigen Festsetzungen im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO dargelegt (vgl. BVerwG vom 24.9.1998 a.a.O.).“

An diesen Ausführungen hält der Senat fest.

2. Der Antrag ist auch begründet.

Der am 30. November 2007 bekannt gemachte Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 36 „...-...“ ist für unwirksam zu erklären, weil er nach Überzeugung des Senats ungültig ist (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO). Die Festsetzungen zur Wandhöhe nach Buchst. B Nr. 1 der Satzung sind unwirksam, weil sie gegen den Erforderlichkeitsgrundsatz des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB verstößt (1.). Dieser Mangel führt zur Gesamtunwirksamkeit der Satzung (2.). Ob weitere Unwirksamkeitsgründe vorliegen, lässt der Senat offen (3.).

1. Die Festsetzungen zur Wandhöhe nach Buchst. B Nr. 1 der Satzung sind städtebaulich nicht erforderlich.

Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Diese Anforderung gilt nicht nur für die Planung insgesamt, sondern auch für jede einzelne Festsetzung (BayVGH vom 25.4.2005 Az. 1 N 03.1704 <juris>; BVerwG vom 14.7.1972 BauR 1972, 282; vom 18.3.2004 NVwZ 2004, 856). Was im Sinn des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB erforderlich ist, richtet sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde. Das Gesetz ermächtigt die Gemeinde zu einer „Städtebaupolitik“, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht. Die einzelnen Festsetzungen eines Bebauungsplans genügen dem Maßstab der Erforderlichkeit, wenn sie nach der planerischen Konzeption der Gemeinde für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung geboten sind (BVerwG vom 7.5.1971 BauR 1971, 182; vom 6.6.2002 BRS 65 Nr. 78). Unzulässig sind Festsetzungen, die aus zwingenden rechtlichen Gründen vollzugsunfähig sind oder bei denen auf unabsehbare Zeit keine Aussicht auf Verwirklichung besteht (vgl. BVerwG vom 11.5.1999 NVwZ 1999, 1338; BayVGH vom 20.11.2007 Az. 1 N 05.2571 <juris>). Nicht erforderlich ist auch eine Festsetzung, die nicht dem planerischen Willen der Gemeinde entspricht, sei es, dass die Gemeinde (bewußt) eine Festsetzung trifft, die nach ihrem Willen nicht verwirklicht werden soll (vgl. BVerwG vom 18.12.1990 BayVBl 1991, 280; vom 11.5.1999 a.a.O), sei es, dass Planungsabsicht und Planungsergebnis aus sonstigen Gründen – etwa infolge eines Irrtums über den Inhalt der Festsetzung – auseinanderfallen (vgl. BayVGH vom 25.9.2001 Az. 26 N 99.766 <juris>; OVG SH vom 11.12.2003 NVwZ-RR 2005, 24; HessVGH vom 25.8.1994 HessVGRspr 1995, 75; vom 25.5.2000 ZfBR 2001, 129; Giercke in Brügelmann, Baugesetzbuch, § 1 BauGB RdNr. 239 f.; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 1 RdNrn. 31 und 38).

Nach diesen Maßstäben sind die Festsetzungen zur Wandhöhe nicht erforderlich. Nach Buchst. B Nr. 1 der Satzung darf die Wandhöhe auf Grundstücken, auf denen als Maß der baulichen Nutzung ein Vollgeschoss und ein Dachgeschoss („I + D“) zulässig sind, bergseitig 4,75 m und auf Grundstücken, auf denen – wie bei dem Grundstück der Antragsteller – zwei Vollgeschosse („II“) zulässig sind, bergseitig 6,40 m jeweils ab der Oberkante des „natürlichen Geländes“ betragen. Als unterer Bezugspunkt für die Höhe der baulichen Anlagen nach § 18 Abs. 1 BauNVO ist demnach das „natürliche Gelände“ festgelegt.

Zwar ist diese Festsetzung entgegen der Auffassung der Antragsteller hinreichend bestimmt. Unter der „natürlichen“ Geländeoberfläche (vgl. Art. 6 Abs. 3 Satz 2 BayBO 1998) ist die gewachsene, und für einen längeren Zeitraum nicht durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderte Oberfläche eines Grundstücks zu verstehen (vgl. BayVGH vom 2.3.1998 Az. 20 B 97.912 <juris>; vom 17.3.2003 Az. 2 CS 03.98 <juris>). Der Bestimmtheit der Festsetzung steht nicht entgegen, dass das natürliche Gelände tatsächlich verändert werden kann (vgl. HessVGH vom 6.3.2003 BRS 66 Nr. 42; a.A. OVG SH vom 25.4.2002 NVwZ-RR 2003, 98), zumal in der Planzeichnung die Höhenlinien des „Urgeländes“ (vgl. den Hinweis in Nr. C der Satzung) dargestellt sind, die – soweit ersichtlich – den Messungen des Ingenieurbüros Dipl.-Ing. Volkmar Renner vom 30. Mai 2001 (Blatt 37 der Gerichtsakte im Verfahren 1 NE 08.2704) entsprechen. Der untere Bezugspunkt bliebe deshalb wohl auch bei tatsächlichen Veränderungen des Geländes bestimmbar. Ob das natürliche Gelände in Anbetracht der zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses abzusehenden Geländeveränderungen ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Höhenfestsetzung war, kann dahinstehen, weil die Festsetzung aus den folgenden Gründen unwirksam ist.

Die Festsetzung ist im rechtlichen Sinn nicht erforderlich, weil ihr objektiver Regelungsgehalt nicht der Planungsabsicht der Antragsgegnerin entspricht. Die Antragsgegnerin hat unter dem „natürlichen Gelände“ nicht das im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses tatsächlich vorhandene, im Bebauungsplan nachrichtlich als „Urgelände“ dargestellte Gelände verstanden, sondern das nach Vornahme der zur Lösung der Altlastenproblematik vorgesehenen Aufschüttungen (vgl. Stadtratsbeschluss vom 9.10.2007 sowie Nrn. 6.1 und 6.4 des Umweltberichts) veränderte, an das Niveau der festgesetzten Erschließungsstraßen angepasste Gelände. Dies ergibt sich aus den Erläuterungen des Vertreters der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung zu den Festsetzungen zur Sockelhöhe, Wandhöhe und Höhenlage der Gebäude. Der Vertreter hat ausgeführt, dass die Antragsgegnerin mit der Bezugnahme auf das natürliche Gelände bei der Festsetzung der zulässigen Wandhöhe die Vorstellung verbunden habe, dass es sich um das etwa auf die Höhenlage der jeweiligen Erschließungsstraße aufgefüllte Gelände auf den jeweiligen Baugrundstücken handelt. Somit fallen Planungswille (aufgeschüttetes Gelände) und Inhalt der Festsetzung (natürliches Gelände) hinsichtlich des unteren Bezugspunkts der Wandhöhen auseinander. Hieraus erklärt sich auch der Umstand, dass das Niveau der neu errichteten Erschließungsstraßen, wie sich aus den von den Antragstellern in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Lichtbildern und den von der Antragsgegnerin vorgelegten „Höhenplänen zum Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 36“ ergibt, deutlich über dem vorhandenen Gelände liegt (nach Anlage 4.1 der Höhenpläne [„Regelquerschnitte“] ist das Straßenniveau 50 cm bzw. 60 cm höher als das „Urgelände“).

An der im Beschluss vom 29. April 2009 vertretenen Auffassung, dass die Bebauung auf dem Nachbargrundstücken trotz der unterschiedlichen Geländehöhen keine unzumutbaren Auswirkungen auf das Grundstück der Antragsteller haben werde, weil das natürliche Gelände als unterer Bezugspunkt festgesetzt sei, kann damit nicht festgehalten werden. Vielmehr erscheinen solche Auswirkungen nicht ausgeschlossen.

2. Die Unwirksamkeit der Festsetzungen zu den Wandhöhen hat die Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge.

Die Frage, ob die Unwirksamkeit einzelner Festsetzungen den Bebauungsplan insgesamt zu Fall bringt oder ob seine nicht betroffenen Teile gültig bleiben, beurteilt sich nach den allgemeinen, § 139 BGB folgenden Grundsätzen über die teilweise Nichtigkeit von Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften. Dementsprechend hat die Unwirksamkeit eines Teils eines Bebauungsplanes nur dann nicht die Gesamtunwirksamkeit zur Folge, wenn die restlichen Festsetzungen auch ohne den ungültigen Teil noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken können und mit der gebotenen Sicherheit anzunehmen ist, dass die Gemeinde auch einen Bebauungsplan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (BVerwG vom 20.8.1991 NVwZ 1992, 567; vom 6.12.2000 NVwZ 2001, 431 = BayVBl 2001, 314). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Der Bebauungsplan wäre ohne wirksame Festsetzungen der Wandhöhen keine Grundlage für eine sinnvolle, dem mutmaßlichen Willen der Antragsgegnerin entsprechende städtebauliche Ordnung im Plangebiet. Hauptplanungsziel war, wie sich der Planbegründung entnehmen lässt, die Ausweisung neuer Bauflächen zur Deckung des Wohnbedarfs der Bevölkerung (vgl. Planbegründung Nr. 1.1). Dabei musste zum einen die bestehende Altlastensituation berücksichtigt werden; diese hat die Antragsgegnerin veranlasst, eine Anhebung des Geländeniveaus im Plangebiet um 60 cm zu beschließen (vgl. Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Stadtrates vom 9.10.2007 sowie Nrn. 3.1 und 6.1 des Umweltberichts). Zum anderen musste auf die auf das ursprüngliche Gelände bezogene Wohnbebauung der Antragsteller Rücksicht genommen werden. Zur Lösung der aus diesen Höhenunterschieden resultierenden möglichen Interessenkonflikte war die Antragsgegnerin gehalten, wirksame Festsetzungen zur Höhe der geplanten Wohngebäude zu treffen. Aus diesem Grund ist nicht anzunehmen, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan im Zweifel auch ohne Festsetzungen zur Wandhöhe der Gebäude erlassen hätte.

3. Da die Satzung schon wegen des Verstoßes gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB insgesamt unwirksam ist, kann dahingestellt bleiben, ob die weiteren Einwände der Antragsteller gegen die Wirksamkeit des Bebauungsplans durchgreifen. Der Senat weist aber für eine mögliche Neuplanung darauf hin, dass Zweifel bestehen, ob der Bebauungsplan im Hinblick auf die innerhalb des Stadtgebiets der Antragsgegnerin vorhandenen Freiflächen dem Gebot eines sparsamen Umgangs mit Grund und Boden entspricht.

Nach § 1 a Abs. 2 Satz 1 BauGB soll mit Grund und Boden sparsam und schonend umgegangen werden; dabei sind zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Wiedernutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und andere Maßnahmen zur Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen. Diese Bodenschutzklausel enthält zwar kein „Versiegelungsverbot“ und keine „Baulandsperre“ in dem Sinn, dass eine über die Ortsränder ausgreifende Siedlungsentwicklung nur dann möglich ist, wenn innerörtliche Entwicklungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Auch wenn Natur und Landschaft erstmals auf Flächen außerhalb des Ortsbereichs in Anspruch genommen werden sollen, setzt § 1 a Abs. 2 Satz 1 BauGB der Gemeinde keine strikten, im Rahmen der planerischen Abwägung unüberwindbaren Grenzen. Aus der Bodenschutzklausel folgt aber, dass die innerörtlichen Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig in Betracht zu ziehen und bei der Abwägung (§ 1 Abs. 7, § 1 a Abs. 2 Satz 3 BauGB) zu berücksichtigen sind. Ihr Zurückstellen bedarf einer Rechtfertigung, die dem Gewicht dieser vom Gesetzgeber herausgehobenen Belange Rechnung trägt (vgl. BVerwG vom 12.6.2008 BauR 2008, 1416; BayVerfGH vom 23.2.2010 BayVBl 2010, 43; Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 1 a RdNr. 50 ff.).

Dass der angegriffene Bebauungsplan diesen Anforderungen genügt, erscheint zumindest fraglich. Zwar spricht für die Ausweisung des Baugebiets, dass aufgrund des stetigen Einwohnerzuwachses ein Bedarf an Wohnbauplätzen im Stadtteil ... besteht. Auch kann wohl berücksichtigt werden, wenn „in bereits erschlossenen Baugebieten vorhandene unbebaute Parzellen für den Markt nicht verfügbar“ sind (vgl. Planbegründung Nr. 1.1). Allein das Fehlen von verfügbaren Bauplätzen in „erschlossenen Baugebieten“ besagt aber noch nicht, dass am Ortsrand auch unter Berücksichtigung des Gebots des sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden neue Bauflächen ausgewiesen werden dürfen. Der Begriff der Innenentwicklung nach § 1 a Abs. 2 Satz 1 BauGB bezieht sich nämlich nicht nur auf Flächen innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile im Sinn von § 34 BauGB, sondern auf alle Flächen innerhalb des Siedlungsbereichs, somit auch auf „Außenbereiche im Innenbereich“ (vgl. BayVerfGH vom 23.2.2010, a.a.O.; BT-Drs. 15/2250 S. 40 f. und BT/Drs. 16/2496 S. 12; Krautzberger a.a.O., § 13 a RdNr. 27). Dass der Stadtrat solche Außenbereichsflächen bei der Abwägung berücksichtigt hätte, geht aus den vorgelegten Normaufstellungsakten nicht hervor. Der Stadtrat hat in seiner Sitzung vom 9. Oktober 2007 zwar Bedenken des Landratsamts Pfaffenhofen a. d. Ilm hinsichtlich der Bodenschutzklausel (vgl. Nr. 1 des Schreibens des Landratsamts vom 19. September 2007) behandelt. Im Beschluss des Stadtrates wird insoweit aber lediglich auf den Beschluss vom 8. April 2003 Bezug genommen, in dem – im Hinblick auf (frühere) Einwände des Landratsamts bezüglich einer „Landschaftszersiedelung“ – festgestellt wurde, dass „einer Zersiedelung durch privatrechtliche Verträge Einhalt geboten (werde)“.

4. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.

Gründe, derentwegen die Revision zuzulassen wäre, liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 4 Halbsatz 2 in Verbindung mit Satz 2 muss die Antragsgegnerin die Ziffer. I der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB).

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 7 GKG. Sie orientiert sich an Nrn. 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (NVwZ 2004, 1327).