Bayerischer VGH, Beschluss vom 27.04.2010 - 7 CE 10.10113
Fundstelle
openJur 2012, 107375
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes für das Wintersemester (WS) 2009/2010 die vorläufige Zulassung zum Studium der Zahnmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Er ist der Meinung, dass mit der in der Zulassungszahlsatzung für das betreffende Semester festgesetzten Zahl von 61 Studienanfängern die vorhandene Aufnahmekapazität nicht erschöpft ist.

Mit Beschluss vom 21. Januar 2010 lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag ab.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der vorliegenden Beschwerde. Er rügt ausschließlich die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Schwundberechnung

Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf die sich die Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof im Eilverfahren beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), lassen nicht erkennen, dass an der LMU im Fach Zahnmedizin über die festgesetzte Zahl von Studienplätzen hinaus noch weitere Ausbildungskapazität vorhanden wäre.

Es bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen den der Kapazitätsberechnung für das Studienjahr 2009/2010 zugrunde gelegten Schwundausgleichsfaktor von 0,9165. Dieser Zahlenwert liegt zwar um 0,06 (oder etwa 7%) höher als der im Vorjahr errechnete Wert von 0,8565, so dass sich trotz der mittlerweile erfolgten Ausweitung des Lehrangebots im Ergebnis eine Reduzierung der Ausbildungskapazität von 63 Studienplätzen (Wintersemester 2008/2010) auf nunmehr 61 Studienplätze ergibt. Dieser – auch im Vergleich zu anderen Studienorten – auffälligen Entwicklung der Schwundquote liegt aber entgegen der Auffassung des Antragstellers kein zahlenmäßiger „Ausreißer“ zugrunde, der zu einer Korrektur der für die Schwundberechnung verwendeten Bestandszahlen zwingen würde.

a) Nach der Systematik der Schwundberechnung gemäß dem sog. Hamburger Modell beruhen Änderungen des errechneten Schwundausgleichsfaktors gegenüber dem vorangegangenen Studienjahr immer darauf, dass die in der früheren Tabelle enthaltenen Zahlenreihen für die beiden am längsten zurückliegenden Semester (hier: WS 2005/2006 und SS 2006) wegfallen und statt dessen zwei neuere Semester (hier: SS 2008 und WS 2008/2009) erstmals berücksichtigt werden. Zeigt sich beim Vergleich aufeinander folgender Studienjahre eine signifikante Veränderung (Anstieg oder Absinken) der errechneten Schwundquote, so ist daher zu fragen, ob darin nur eine während des betreffenden Zeitraums (hier: von drei Jahren) eingetretene allgemeine Entwicklung zum Ausdruck kommt oder ob einzelne der neu aufgenommenen Bestandszahlen vom langjährigen Verlauf so stark nach oben oder unten abweichen, dass sie auf – künftig möglicherweise nicht mehr fortwirkenden – Sonderfaktoren beruhen und daher gegebenenfalls statistisch zu „neutralisieren“ sind.

Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass außergewöhnliche Umstände die für die Schwundberechnung verwendete Bestandsstatistik kapazitätsungünstig beeinflusst haben könnten. Die erstmals berücksichtigten Zahlenreihen für das SS 2008 und das WS 2008/2009 lassen bei keinem Einzelwert einen auffälligen Bestandszuwachs gegenüber der entsprechenden Semesterkohorte des Vorsemesters erkennen. Zweimal ist im Semesterübergang ein Anstieg um zwei Studierende zu verzeichnen (5. auf 6. FS im WS 2008/2009 und 6. auf 7. FS im SS 2008), während bei den übrigen Übergängen überwiegend leicht rückläufige und in einigen Fällen gleichbleibende oder lediglich um einen Studierenden ansteigende Bestandszahlen festzustellen sind. Aus dieser letztlich sehr geringen Schwankungsbreite ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Annahme, punktuelle „Ausreißer“ könnten das Gesamtergebnis erheblich beeinflusst und zu einer unrealistischen Schwundquote geführt haben.

Vergleicht man die auf den neueren Zahlen beruhende Tabelle mit den Schwundtabellen früherer Studienjahre oder (wie in der Beschwerdebegründung gefordert) mit denen anderer bayerischer Universitäten zum Fach Zahnmedizin, so fällt allerdings ins Auge, dass an der LMU bei den einzelnen Semesterkohorten etwa seit dem WS 2007/2008 über mittlerweile zwei Semesterübergänge hinweg meist gar kein oder nur noch ein sehr geringer Rückgang stattfindet. Diese aktuelle Entwicklung, die entscheidend zu dem kritisierten Anstieg des Schwundausgleichsfaktors beigetragen haben dürfte, stellt jedoch kein bloß vorübergehendes, nur auf einzelne Semester bezogenes Ereignis dar, sondern hält schon über einen nicht unbeträchtlichen Zeitraum hinweg an und lässt sich auch nicht nur bei bestimmten Fachsemesterübergängen feststellen. Es handelt sich somit um einen – jedenfalls für die LMU feststellbaren – allgemeinen Trend, der in der Schwundberechnung seinen Niederschlag finden darf.

Auf den in der Beschwerdebegründung erwähnten Umstand, dass die LMU mit der Zulassung weiterer (externer) Bewerber in höheren Fachsemestern wohl mehrfach über die in den jeweiligen Zulassungszahlsatzungen festgelegten Zahlen hinausgegangen ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Die Schwundberechnung hängt nicht von der Einhaltung normativer Vorgaben ab, sondern nur von der empirisch zutreffenden Erfassung des bisherigen Bestands an Studierenden als Grundlage für eine Prognose der künftigen Lehrnachfrage. Eine für die Vergangenheit festzustellende „überobligatorische“ Auslastung des Studiengangs durch die Hochschule müsste hiernach nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn bereits hinreichend sicher absehbar wäre, dass sie sich in der Zukunft nicht fortsetzen wird (BayVGH vom 1.7.2009 Az. 7 CE 09.10044; vom 7.10.2008 Az. 7 CE 08.10612 m.w.N.). Dafür ist hier aber nichts ersichtlich und auch im Beschwerdeverfahren nichts vorgetragen worden.

b) Soweit der deutliche Anstieg des Schwundausgleichsfaktors zum Studienjahr 2009/2010 vom Antragsteller zum Anlass genommen wird, die bisherige Senatsrechtsprechung in der Frage einer nachträglichen statistischen Berücksichtigung gerichtlich zugelassener Studienbewerber (erneut) in Frage zu stellen, hat die Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg. Unabhängig davon, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen sich angesichts der relativ geringen Zahl sog. „Gerichtsmediziner“ im Studiengang Zahnmedizin bei einer abweichenden semestermäßigen Erfassung überhaupt zusätzliche Studienplätze ergeben würden, werden mit der Beschwerde jedenfalls keine überzeugenden Gründe aufgezeigt, derentwegen die in der bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit bislang vertretene Rechtsauffassung korrigiert oder modifiziert werden müsste.

In einer Reihe von Entscheidungen der letzten Jahre ist der Senat der Forderung entgegengetreten, die auf Stichtagserhebungen beruhenden Bestandszahlen der jeweiligen Eingangssemester zum Zweck der Schwundberechnung jeweils (fiktiv) um die Anzahl derjenigen Bewerber zu erhöhen, die aufgrund vorläufiger gerichtlicher Anordnung erst nachträglich zum Studium zugelassen worden sind (vgl. zuletzt BayVGH vom 15.7.2008, Az. 7 CE 08.10021 m.w.N.). Maßgebend hierfür war zunächst die allgemeine Überlegung, dass die Schwundquotenbildung aus Praktikabilitätsgründen auf gewisse Formalisierungen und Pauschalierungen angewiesen ist, so dass sich eine am Immatrikulationsstatus und an regelmäßigen Erhebungsstichtagen anknüpfende Bestandszahlenermittlung anbietet (vgl. BayVGH vom 19.10.2006 Az. 7 CE 06.10410). Der Nachteil, dass ein nach dem ersten oder zweiten Fachsemester eingetretener Schwund wegen der nachträglichen (bestandserhöhenden) Aufnahme gerichtlich zugelassener Bewerber sich in der Übergangsquote vom 1. auf das 2. bzw. vom 2. auf das 3. Fachsemester nicht ausreichend widerspiegelt, wird danach grundsätzlich aufgewogen durch den Vorteil, dass das tatsächliche Studierverhalten der gerichtlich zugelassenen Bewerber erst berücksichtigt wird, wenn das Studienangebot für sie faktisch verfügbar ist und damit eine schwundrelevante "Aufgabe" des Studiums überhaupt möglich wird (BayVGH a.a.O.). Ein rückwirkendes Hinzurechnen der sog. „Gerichtsmediziner“ zu den Eingangssemesterzahlen könnte zudem erhebliche Verzerrungen in der Schwundstatistik bewirken, wenn eine größere Anzahl vorläufig zugewiesener Studienplätze im Rechtsmittelverfahren wieder entzogen würde und daher ein Schwundanteil in die Berechnung einginge, dem keine autonome Entscheidung der Studierenden zugrunde läge und der demzufolge keine Prognose bezüglich des künftigen Studierverhaltens zuließe (BayVGH a.a.O).

Diese generellen Erwägungen behalten auch nach der neueren Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 24.8.2009 Az. CE 09.10120) ihre Gültigkeit in den Fällen, in denen eine nur geringe Zahl gerichtlich zugewiesener Studienplätze ersichtlich keine auffallenden Auswirkungen auf die Entwicklung der Bestandszahlen hatte oder in denen die erstinstanzlich vergebenen außerkapazitären Plätze aufgrund nachfolgender Beschwerdeentscheidungen wieder entzogen worden sind. Nur wenn die nachträgliche Studienplatzvergabe infolge von Gerichtsentscheidungen oder (gerichtlichen bzw. außergerichtlichen) Vergleichsabschlüssen dazu führt, dass nach dem ersten Fachsemester die Zahl der eingeschriebenen Studenten in ungewöhnlicher Weise ansteigt oder - entgegen einer sonst feststellbaren Tendenz - nicht absinkt, kann von einem atypischen Verlauf gesprochen werden, der der Schwundberechnung nicht zugrunde gelegt werden darf, sondern in geeigneter Weise rechnerisch auszugleichen ist (BayVGH a.a.O.; bestätigt durch Beschluss vom 23.2.2010 Az. 7 CE 10.10000 u.a.; vom 11.3.2010 Az. 7 CE 10.10075).

Im Studienfach Zahnmedizin lässt sich für den der Schwundberechnung zugrunde gelegten Zeitraum keine solche Ausnahmekonstellation feststellen. Während des fünfsemestrigen Erfassungszeitraums (WS 2006/2007 bis WS 2008/2009) ist es unstreitig nur zweimal aufgrund gerichtlicher Eilverfahren zu einer nachträglichen Erhöhung der Bestandszahlen gekommen, nämlich durch die Vergabe von zwei weiteren Studienplätzen für das WS 2006/2007 (VG-Beschlüsse vom 5.2.2007) und von drei Studienplätzen für das SS 2008 (Senats-Beschlüsse vom 22.8.2008). Diese beiden Ereignisse, die entsprechend der bisherigen Immatrikulationspraxis der LMU dazu geführt haben dürften, dass im SS 2007 für das 2. Fachsemester und im WS 2008/ 2009 für das 3. Fachsemester jeweils zwei bzw. drei Studierende zusätzlich registriert wurden, waren hinsichtlich ihrer quantitativen Auswirkungen noch nicht so gewichtig, dass sie zu einer Verfälschung der Schwundprognose geführt haben könnten. Auch wenn man berücksichtigt, dass im Fach Zahnmedizin an der LMU je Semester nur etwa 60 Studierende auf regulärem Wege das Studium aufnehmen, kann sich eine solch geringe (einstellige) Zahl von gerichtlich zugelassenen Bewerbern noch nicht in realitätsverzerrender Weise auf die Bestandszahlen auswirken. Da eine gewisse Typisierung im Rahmen der Schwundberechnung faktisch unvermeidbar ist, kann die Verwendung der unkorrigierten Bestandszahlen in der streitgegenständlichen Kapazitätsberechnung unter den gegebenen Umständen nicht beanstandet werden.

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.