Bayerischer VGH, Beschluss vom 19.03.2010 - 22 ZB 09.3157
Fundstelle
openJur 2012, 107047
  • Rkr:
Tenor

I. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.

III. Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. Oktober 2009 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf je 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kläger begehren die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses der Regierung von Oberbayern vom 10. September 2007 gemäß § 20 Abs. 1 UVPG für die Errichtung und den Betrieb einer Ethylen-Pipeline durch die …-… GmbH & Co KG (…) auf dem bayerischen Streckenabschnitt von M… bis zur Landesgrenze …. Ihre Klagen wurden vom Verwaltungsgericht mit Urteil vom 20. Oktober 2009 wegen Präklusion abgewiesen. Hiergegen richten sich ihre Anträge auf Zulassung der Berufung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Anträge auf Zulassung der Berufung bleiben ohne Erfolg. Aus den insoweit maßgeblichen Darlegungen der Kläger (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) ergibt sich nicht, dass einer der geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 4 und 5 VwGO) vorliegt.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen nicht (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Kläger mit allen Einwendungen gemäß Art. 73 Abs. 4 Satz 3 BayVwVfG materiell präkludiert sind. Den Darlegungen der Kläger lässt sich auch nicht entnehmen, dass das Bekanntmachungs- und Auslegungsverfahren mit einem Mangel behaftet war, bei dem nicht ausgeschlossen werden kann, dass er für das Nichtvorbringen entsprechender Einwendungen der Kläger innerhalb der Einwendungsfrist ursächlich war (vgl. BVerwG vom 4.8.2008 NVwZ 2008, 1237).

Die Voraussetzungen für den Eintritt der materiellen Präklusion nach Art. 73 Abs. 4 Satz 3 BAyVwVfG sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Die Kläger haben innerhalb der Einwendungsfrist des Art. 73 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG (bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist) im ersten Anhörungsverfahren keine Einwendungen gegenüber dem strittigen Vorhaben erhoben. Die Auslegung des ursprünglichen Plans ist in der Stadt I… vom 20. März 2006 bis zum 19. April 2006 erfolgt, entsprechend Art. 73 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG und Art. 31 Abs. 1 BayVwVfG i.V. mit § 187 Abs. 2 BGB und § 188 Abs. 2 2. Alternative BGB. Die Bekanntmachung der Planauslegung ist im I… Anzeiger am 15. März 2006 und damit vorher im Sinn des Art. 73 Abs. 5 Satz 1 BayVwVfG erfolgt. Die Bekanntmachung enthielt neben den nach Art. 73 Abs. 5 Satz 2 BayVwVfG geforderten Hinweisen auch den nach Art. 73 Abs. 4 Satz 4 BayVwVfG erforderlichen Hinweis auf den Einwendungsausschluss bei Versäumung der Einwendungsfrist. Das Vorhaben wird im Text der Bekanntmachung auch hinreichend klar und genau beschrieben, so dass damit die nötige Anstoßwirkung gegenüber den potentiell Betroffenen erzielt werden kann (vgl. BVerwG vom 23.4.1997 BVerwGE 104, 337/341 f.). Insbesondere ergibt sich aus dem Text sowohl die Art des Vorhabens wie auch dessen räumliche Lage (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, RdNr. 52 zu § 73). Bereits der Überschrift der Bekanntmachung lässt sich entnehmen, dass es um die Errichtung und den Betrieb einer Ethylen-Pipeline geht. Der dort enthaltene allgemeine Hinweis auf den bayerischen Streckenabschnitt von M… bis zur Landesgrenze … wird im Text der Bekanntmachung dahingehend konkretisiert, dass alle Gemeinden ausdrücklich aufgezählt werden, in denen Grundstücke durch die Rohrleitungsanlage unmittelbar und mittelbar durch die Realisierung von naturschutzrechtlichen Ersatzmaßnahmen betroffen sind, wobei auch die Stadt I… genannt wird. Damit ist die Bekanntmachung auch geeignet, den betroffenen Bürgern die Kenntnis zu eröffnen, dass die vorgesehene Planung möglicherweise ihre Interessen betrifft und sie damit aufgerufen sind, sich um ihre Belange zu kümmern (vgl. BVerwG vom 24.5.1996 DVBl 1997, 51/52). Einer individuellen Benachrichtigung über dieses Anhörungsverfahren bedurfte es im Falle der ortsansässigen Kläger entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht (Art. 73 Abs. 5 Satz 3 BayVwVfG). Die Kläger sind damit mit allen Einwendungen, die sie gegen den ursprünglichen Plan hätten vorbringen können, gemäß Art. 73 Abs. 4 Satz 3 BayVwVfG ausgeschlossen.

Im Rahmen eines ergänzenden Anhörungsverfahrens infolge von kleinräumigen Umtrassierungen haben die Kläger ebenfalls keine Einwendungen erhoben. Soweit sie insoweit rügen, dass im Bekanntmachungstext der - aus ihrer Sicht unzulässige - Hinweis enthalten war, dass sich Einwendungen auf die Umtrassierungen beschränken müssen, wird im Zulassungsvorbringen nicht dargelegt, warum die Kläger dadurch an der rechtzeitigen Geltendmachung ihrer Belange im ersten Anhörungsverfahren bezüglich der bereits damals vorgesehenen Trassenführung, von der ihr Grundstück betroffen war, gehindert worden wären. Wie dem Text der Bekanntmachung vom 16. Mai 2007 zu entnehmen ist, ergab sich aus dem bisherigen Anhörungsverfahren für den Vorhabenträger die Notwendigkeit, in einigen Bereichen kleinräumige Umtrassierungen vorzunehmen. Das ergänzende Anhörungsverfahren wurde dementsprechend auf die vorgesehenen Umtrassierungen beschränkt, von denen das Grundstück der Kläger unstreitig nicht betroffen war.

Entgegen dem Zulassungsvorbringen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die eigentumsschützenden Einwendungen der Kläger nicht der Präklusion unterliegen, weil die Enteignung für das planfestgestellte Vorhaben erst nach dem Inkrafttreten des Bayerischen Rohrleitungs-Enteignungsgesetzes vom 10. Juni 2008 (GVBl S. 310) in Betracht kam und dies während des Planfeststellungsverfahrens nicht erkennbar war. Dem steht bereits entgegen, dass dem angefochtenen Planfeststellungsbeschluss, wie dort (vgl. S. 182) selbst ausgeführt wird, keine enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommt. Enteignungsrechtliche Vorwirkung bedeutet, dass ein Planfeststellungsbeschluss, durch den ein bestimmtes Vorhaben zugelassen wird, die Zulässigkeit einer Enteignung einzelner Grundstücke für das planfestgestellte Vorhaben abschließend feststellt. Dem nachfolgenden Enteignungsverfahren ist der festgestellte Plan unverändert zugrunde zu legen. Er bindet in dieser Gestalt die Enteignungsbehörde. Im Enteignungsverfahren kann das „ob“ der Enteignung nicht mehr in Frage gestellt werden (vgl. z.B. BVerwG vom 20.10.2008 NVwZ 2009, 333, m.w.N.). Vorliegend mangelt es aber am Vorliegen einer gesetzlichen Vorschrift, die eine solche enteignungsrechtliche Vorwirkung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses ausdrücklich anordnet (vgl. BVerwG, a.a.O.); insbesondere ergibt sich eine solche gesetzliche Grundlage auch nicht aus dem Bayerischen Rohrleitungs-Enteignungsgesetz (vgl. LT-Drs. 15/10316, S. 4). Damit ist die Frage, ob das Vorhaben dem Wohl der Allgemeinheit in einer Weise dient, die eine Enteignung rechtfertigen kann, von der jeweiligen Enteignungsbehörde unter Berücksichtigung der Eigentumsbelange der Betroffenen in jedem einzelnen Enteignungsverfahren zu prüfen (vgl. Kopp/Schenke, VwVfG, 10. Aufl. 2008, RdNr. 38 zu § 72).

Im Übrigen führt auch die im Laufe des Planfeststellungsverfahrens erfolgte Änderung der Rechtsform der Beigeladenen als Vorhabenträgerin nicht zu ernstlichen Zweifel am verwaltungsgerichtlichen Urteil. Gegenüber der Regierung von Oberbayern als Planfeststellungsbehörde wurde mit Schreiben vom 21. Februar 2007, und damit lange vor Erlass des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses, die Änderung der Rechtsform mitgeteilt. Darin liegt zugleich - soweit überhaupt erforderlich - die konkludente Erklärung der Beigeladenen, in ihrer neuen Rechtspersönlichkeit das von der früheren Gesellschaft bürgerlichen Rechts beantragte Planfeststellungsverfahren weiterführen zu wollen. Dementsprechend war die Beigeladene in ihrer jetzigen Rechtsform auch richtige Adressatin des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses (vgl. BayVGH vom 10.12.2009 Az. 22 CS 09.2542 und 22 CE 09.2544). Die Rechtsform des Vorhabenträgers hat auch keinerlei Auswirkungen auf Haftungsfragen etwa bei auftretenden Schäden, da im angefochtenen Planfeststellungsbeschluss die erforderlichen Haftungsregelungen für den Vorhabensträger enthalten sind (vgl. Ziff. I.3.14 des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses).

2. Aus den Darlegungen der Kläger lassen sich auch keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache entnehmen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, lassen sich die hier entscheidungserheblichen Fragen ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, RdNr. 9 zu § 124).

3. Eine Zulassung der Berufung wegen Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Eine Abweichung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts von den Urteilen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Oktober 2006 Az. 22 B 05.233, 22 B 05.234 und 22 B 05.236 ist bereits deswegen nicht gegeben, weil sich diese Urteile auf eine (eisenbahnrechtliche) Planfeststellung mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung beziehen, während dem angefochtenen Planfeststellungsbeschluss nach den obigen Ausführungen gerade keine solche Vorwirkung zukommt.

4. Ebenso fehlt es an einem beachtlichen Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).

Soweit die Kläger die fehlende Geschäftsordnungszuständigkeit der erkennenden 16. Kammer des Verwaltungsgerichts und damit einen Verstoß gegen ihr Recht auf den gesetzlichen Richter behaupten, ist von einer vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts und einem darin zugleich liegenden Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann auszugehen, wenn willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Fehlerhaftigkeit des als Mangel gerügten Vorgangs bestimmend gewesen sind (vgl. BVerwG vom 6.7.2007 Buchholz 303 § 169 ZPO Nr. 1; BFH vom 19.5.2008 BFH/NV 2008, 1501; BayVGH vom 10.12.2009 Az. 22 CS 09.2542 und 22 CE 09.2544; BayVGH vom 20.11.2008 Az. 8 ZB 08.1547). Hierfür ist in Bezug auf den Beschluss des Präsidiums des Verwaltungsgerichts vom 29. Mai 2009, mit dem die Zuständigkeit der erkennenden 16. Kammer des Verwaltungsgerichts begründet wurde, von den Klägern nichts vorgetragen. Sollte in diesem Beschluss der Geschäftsverteilungsplan geändert worden sein, ist zwar davon auszugehen, dass § 21 e Abs. 3 GVG nur unter den dort genannten besonderen Voraussetzungen eine Änderung des Geschäftsverteilungsplans im Laufe des Geschäftsjahres gestattet. Es ist jedoch anerkannt, dass dieser Katalog um zwei weitere Änderungsanlässe zu ergänzen ist, die sich zwingend aus der Gesetzesgebundenheit der Geschäftsverteilung ergeben. Hierzu zählt auch das Schließen von versehentlich entstandenen Lücken, wie es ggf. vorliegend erfolgt wäre (vgl. Kissel/Mayer GVG, 5. Aufl. 2008, RdNr. 109 zu § 21 e). Wie sich dem angefochtenen Urteil entnehmen lässt, hat das Verwaltungsgericht die diesbezüglichen Bedenken der Kläger zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Soweit die Kläger das Fehlen dieses Präsidiumsbeschlusses in der Gerichtsakte rügen, wird bereits durch die Regelung des § 21 e Abs. 9 GVG sichergestellt, dass jedermann, und damit auch die Kläger, sich ungehindert über die Besetzung des Gerichts und die Aufgabenverteilung unterrichten können. Danach ist der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts in der vom Präsidenten bestimmten Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme auszulegen. Dies gilt nicht nur für die Jahresgeschäftsverteilung, sondern auch für alle ändernden und ergänzenden Beschlüsse hierzu (vgl. Kissel/Mayer, a.a.O., RdNr. 75 zu § 21 e).

Soweit die Kläger schließlich rügen, das Verwaltungsgericht sei den von ihren Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen nicht nachgekommen, steht dem die Beweiskraft des Protokolls entgegen (§ 105 VwGO i.V. mit § 165 ZPO). Laut der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2009 hat der Vertreter der Kläger dort im - hier betroffenen - Verfahren M 16 K 08.4271 ausdrücklich keine Beweisanträge gestellt, über die durch einen Gerichtsbeschluss gemäß § 86 Abs. 2 VwGO zu entscheiden gewesen wäre. Eine Protokollberichtigung wurde von den Klägern nicht beantragt; eine Fälschung des Protokolls (§ 165 Satz 2 ZPO) wurde nicht vorgetragen. Da die Kläger in der mündlichen Verhandlung keinen Beweisantrag gestellt haben, könnte das Verwaltungsgericht seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO nur verletzt haben, wenn sich ihm eine weitere Sachaufklärung auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung aufdrängen musste (vgl. z.B. BVerwG vom 24.9.1996 NVwZ 1997, 501). Dies ist nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr, worauf auch die Kläger hinweisen, die Klage wegen Präklusion abgewiesen.

Kosten: § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Streitwert: § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 GKG i.V.m. Nr. 34.2 des Streitwertkatalogs; hinsichtlich des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses ist damit ein Streitwert in Höhe von 15.000 Euro anzusetzen.