ArbG Nürnberg, Urteil vom 22.02.2010 - 8 Ca 5990/09
Fundstelle
openJur 2012, 106343
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger als Urlaubsabgeltung für 30 Urlaubstage aus dem Kalenderjahr 2008 3.477,30 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.03.2009 zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Der Streitwert wird festgesetzt auf 3.477,30 €.

IV. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers.

Der Kläger war seit 01.10.2004 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiter zu einer monatlichen Grundvergütung von 2.550,- € brutto beschäftigt.

§ 5 des Arbeitsvertrages lautet wie folgt:

(1) Der Mitarbeiter hat Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen.

(2) Urlaubstermin und -dauer werden im Einvernehmen mit der Gebietsverkaufsleitung festgelegt.

Seit dem 17.03.2008 ist der Kläger dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt. Wegen seiner Erkrankung bezieht er seit dem 01.07.2008 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Mit Schreiben vom 02.01.2009 teilte die Ehefrau des Klägers mit, dass der Kläger den Kontakt zur Beklagten beenden möchte. Mit Schreiben vom 23.01.2009 bestätigte die Beklagte die Kündigung des Klägers und kündigte außerdem ihrerseits das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung.

Wegen seiner Erkrankung im Jahr 2008 konnte der Kläger keinen Urlaub nehmen.

Mit der Klage macht er die Abgeltung seines vertraglichen Jahresurlaubs aus dem Jahr 2008 von 30 Tagen geltend. Er ist der Auffassung, ein Abgeltungsanspruch aus dem Vorjahr sei auch dann gegeben, wenn eine Arbeitsunfähigkeit auch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus fortbestehe. Die Rechtsprechung des EuGH würde in den meisten Fällen ins Leere gehen, wenn der Anspruch auf eine Abgeltung von der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit abhängig wäre.

Auch das BAG gehe in seinem Urteil vom 24.03.2009 davon aus, dass § 7 Abs.3 BUrlG gemeinschaftskonform dahingehend fortzubilden sei, dass der gesetzliche Jahresurlaub nicht erlösche, wenn er aufgrund von Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung nicht genommen werden könne. Da im Arbeitsvertrag auch nicht zwischen gesetzlichem und vertraglichem Urlaubsanspruch unterschieden werde, sei nicht nur der gesetzliche, sondern auch der vertraglich vereinbarte übergesetzliche Urlaub abzugelten.

Der Kläger beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger als Urlaubsabgeltung für 30 Urlaubstage aus dem Kalenderjahr 2008 3.477,30 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.03.2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, der 9. Senat beim Bundesarbeitsgericht gehe in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Abgeltungsanspruch mit Ausnahme der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an dieselben Voraussetzungen gebunden sei wie der Urlaubsanspruch selbst. Dass sich dies zukünftig unter Berücksichtung der Ausnahmen, die sich aufgrund der Rechtssprechung des EuGH ergäben, anders verhalten solle, habe das Bundesarbeitsgericht gerade nicht erklärt.

Infolgedessen sei nach wie vor von dem Grundsatz auszugehen, dass Urlaub nur der Arbeitnehmer nehmen könne, der auch urlaubsfähig, d.h. arbeitsfähig sei. Wer arbeitsunfähig sei, sei nicht in der Lage, Urlaub in Natur zu nehmen. Diese Rechtsprechung habe für Urlaubsansprüche während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses gegolten als auch für Urlaubsabgeltungsansprüche nach beendetem Arbeitsverhältnis.

Der Kläger sei unbestritten arbeitsunfähig. Er sei daher nicht in der Lage, Urlaub in Natur zu nehmen. Wer nicht urlaubsfähig, d.h. arbeitsfähig sei, könne einen erworbenen Urlaubsanspruch nach beendetem Arbeitsverhältnis auch nicht abgelten lassen. Insofern habe sich an der bisherigen Rechtsprechung nichts geändert.

Zum weiteren Vorbringen der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien und das Protokoll verwiesen, § 46 Abs. 2 ArbGG, § 313 Abs. 2 ZPO.

Gründe

I.

Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet, §§ 2 Abs. 1 Nr. 3a, 46, 48 ArbGG, §§ 17 ff. GVG.

Die Klage ist zulässig.

Die örtliche Zuständigkeit ist gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 12, 17 ZPO gegeben, da die Beklagte ihren Sitz im Gerichtsbezirk des Arbeitsgerichts Nürnberg hat.

II.

Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. § 7 Abs. 4 BUrlG zu.

Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 BUrlG für die Abgeltung des zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers noch offenen Urlaubs von unstreitig 30 Arbeitstagen liegen entgegen der Rechtsansicht der Beklagten vor.

23Der bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehende Urlaub von 30 Tagen ist nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten, ohne dass es auf die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit durch den Kläger und damit die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruch im (fiktiv) fortbestehenden Arbeitsverhältnis ankommt (vgl. LAG Hamm vom 29.04.2009 - 18 Sa 1594/08-juris; LAG Düsseldorf vom 02.02.2009- 12 Sa 486/06-juris).

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 20.01.2009 (u.a. Rs.C-350/06, NZA 2009, 135) entschieden, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/88 dahingehend auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen für nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraumes und/oder Übertragungszeitraumes oder eines Teiles davon krankgeschrieben war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte. Im Hinblick auf diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 24.03.2009 (9 AZR 935/07, NZA 2009, 538) seine ständige Rechtssprechung zur Befristung des Urlaubsanspruchs im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aufgegeben und im Anschluss an den EuGH entschieden, dass der Urlaubsanspruch im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auf das Kalenderjahr bzw. den Übertragungszeitraum nicht befristet ist, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnte.

Gleichzeitig hat das BAG auch entschieden, dass jedenfalls eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung durch eine teleologische Reduktion der zeitlichen Grenzen des § 7 Abs. 3 Satz 1, 3 und 4 in Fällen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des jeweiligen Übertragungszeitraumes geboten und vorzunehmen ist mit der Folge, dass dem Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs auch im Falle der fortbestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zusteht (LAG Hamm vom 29.04.2009 - 18 Sa 1594/08 - juris).

Denn die Auslegung, die § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG in der Rechtsprechung des BAG für Fälle krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit erfahren hat, die bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraumes andauerte, nämlich dass der Abgeltungsanspruch mit Ausnahme der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an dieselben Voraussetzungen gebunden ist wie der Urlaubsanspruch selbst, widerspricht sekundärem Gemeinschaftsrecht. Dies Auslegungsergebnisse des EuGH sind für das BAG inhaltlich - auch außerhalb des Prozessrechtsverhältnisses in der Sache Schultz-Hoff - auch verbindlich (BAG vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - juris).

Die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs im (fiktiv) fortbestehenden Arbeitsverhältnis, die nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG keine Voraussetzung für die Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist, ist jedenfalls bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 4 BUrlG keine Voraussetzung des Urlaubsabgeltungsanspruchs.

Dies hat zur Folge, dass dem Kläger ein Urlaubsabgeltungsanspruch zusteht, obwohl er auch weiterhin arbeitsunfähig erkrankt ist.

Der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers ist auch nicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Werktagen (= 20 Arbeitstage) gemäß § 3 BUrlG beschränkt. Vielmehr kann der Kläger auch die Abgeltung des darüber hinaus gehenden „übergesetzlichen" Urlaubs von weiteren zehn Arbeitstagen verlangen.

Zwar können die Tarif- und Arbeitsvertragsparteien Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von § 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Mindestjahresurlaubsanspruch von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Denn die Regelungsmacht der Arbeits- und Tarifvertragsparteien ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG beschränkt (BAG vom 24.03.2009 - 9 AZR 935/07 - juris). Der Arbeitsvertrag enthält jedoch keine von § 7 Abs. 4 BUrlG abweichende Regelung hinsichtlich des „übergesetzlichen" Urlaubsabgeltungsanspruchs.

31Nach der Rechtsprechung des BAG muss in den Fällen, in denen keine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der Differenzierung zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem darüber hinaus gehenden „übergesetzlichen" Urlaubsanspruch vorliegt, durch Auslegung des einschlägigen Tarif- bzw. Arbeitsvertrages ermittelt werden, wie der „übergesetzliche" Anspruch zu behandeln ist. Für einen Regelungswillen der Arbeits- bzw. Tarifvertragsparteien, zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubsansprüchen zu unterscheiden, müssen im Rahmen der Auslegung eines Arbeits- bzw. Tarifvertrages deutliche Anhaltspunkte bestehen. Fehlt eine tarifliche Regelung, ist der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende „übergesetzliche" Urlaub entsprechend den Regelungen des BUrlG zu behandeln (vgl. LAG Hamm vom 29.04.2009 - 18 Sa 1594/08 - juris; BAG vom 10.02.2004 - 9 AZR 116/03 - juris; vom 18.11.2003 - 9 AZR 95/03 - juris).

Die Voraussetzungen einer nur ausnahmsweise anzunehmenden Abweichung der Arbeitsvertragsparteien vom Gesetzeswortlaut sind hier vorliegend nicht erfüllt. Denn der Urlaubsregelung in § 5 des Arbeitsvertrages kann eine Differenzierung zwischen dem gesetzlichen und dem übergesetzlichen Urlaub nicht im Geringsten entnommen werden. Es ist nur von einem bezahlten Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen die Rede. Für eine Auslegung in Richtung Differenzierung zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaub besteht keinerlei Raum.

33Vielmehr gilt diese Regelung in Arbeitsvertrag einheitlich für den Urlaubsanspruch insgesamt mit der Folge, dass auch der „übergesetzliche" Urlaub des Klägers von zehn weiteren Tagen mangels abweichender Regelung nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten ist, ohne dass es auf die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und damit die Erfüllbarkeit des Anspruchs ankommt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO und begründet sich mit dem Unterliegen der Beklagten.

Der Streitwert war gemäß §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbG, §§ 3 ff. ZPO in Höhe der Klageforderung festzusetzen.

Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung ergeht gemäß § 64 Abs. 3a ArbGG. Die Berufung kann gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG eingelegt werden. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, da bisher noch keine höchstrichterliche Entscheidung zu der konkreten streitgegenständlichen Frage ergangen ist. Die Berufung war daher auch gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Spriegel-Walter

Richterin am Arbeitsgericht

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