OLG München, Urteil vom 10.12.2009 - 29 U 3789/09
Fundstelle
openJur 2012, 105236
  • Rkr:
Tenor

I. Die Berufung des Antragsgegners gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 17. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

I. Von einem Tatbestand wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

Gründe

II. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1. Die Zulässigkeit des Zivilrechtswegs ist im Rechtsmittelverfahren nicht mehr zu prüfen.

Gemäß § 17a Abs. 5 GVG hat das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht zu prüfen, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Das gilt allerdings dann nicht, wenn das erstinstanzliche Gericht eine nach § 17a Abs. 3 S. 2 GVG notwendige Vorabentscheidung unterlassen hat (vgl. BGH NJW-RR 2005, 142 [143]; NJW 1993, 470, 471). Hat das erstinstanzliche Gericht trotz einer ausdrücklichen Rüge des Beklagten davon abgesehen, über die von ihm im Urteil bejahte Zuständigkeit der Zivilgerichte vorab zu entscheiden, so kann der Rechtsweg im Grundsatz noch im Berufungsverfahren überprüft werden. Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn der Berufungsführer die Rüge des nicht eröffneten Rechtswegs nicht weiter verfolgt (vgl. OLG Hamm OLGR 2008, 103 f.; VGH München NJW 1997, 1251 [1252]; Lückemann in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 17a GVG, Rz. 17; Wittschier in: Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 17a GVG Rz. 19).

Im Streitfall hat der Antragsgegner zwar im ersten Rechtszug gerügt, der Rechtsstreit gehöre nicht vor die Zivil-, sondern vor die Sozialgerichte, diese Rüge jedoch in der Berufungsbegründung nicht weiter verfolgt. Damit ist die Entscheidung des Landgerichts, der Rechtsweg zu den Zivilgerichten sei eröffnet, der Überprüfung durch den Senat entzogen.

2. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 1 UWG zu.

a) Auf den Streitfall findet das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Anwendung. Insbesondere ist es nicht durch § 69 Abs. 1, Sätze 1 und 3 SGB V ausgeschlossen.

aa) Nach diesen Vorschriften regeln das Vierte Kapitel des SGB V (Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern) sowie § 63 f. SGB V abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu Ärzten und deren Verbänden auch insoweit, als dadurch Rechte Dritter betroffen sind. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb findet in diesem Bereich keine Anwendung.

§ 69 SGB V legt fest, nach welchen Bestimmungen die Handlungen der Krankenkassen zu beurteilen sind, durch die sie ihren öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag erfüllen, den Versicherten die im Dritten Kapitel des SGB V geregelten Leistungen in Natur zur Verfügung zu stellen; diese Regelung schließt es aus, Handlungen der Krankenkassen und der von ihnen eingeschalteten Leistungserbringer zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags gegenüber den Versicherten nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zu beurteilen (vgl. BGH GRUR 2006, 517 - Blutdruckmessungen Tz. 21 f. m. w. N.).

bb) Der Streitfall betrifft keine derartigen Maßnahmen zur Erfüllung des Versorgungsauftrags der Krankenkassen gegenüber den Versicherten. Das angegriffene Verhalten des Antragsgegners erschöpft sich in der Werbung für eine Krankenkasse unter dem Gesichtspunkt der hausarztzentrierten Versorgung und hat daher lediglich einen mittelbaren Versorgungsbezug; das reicht für den Ausschluss des Wettbewerbsrechts nicht aus (vgl. BGH GRUR 2008, 447 - Treuebonus Tz. 14 zur entsprechenden Frage im Rahmen der Rechtswegbestimmung).

Der Antragsgegner beruft sich in diesem Zusammenhang auch zu Unrecht auf § 73b Abs. 6 SGB V. Nach dieser Vorschrift haben die Krankenkassen ihre Versicherten in geeigneter Weise umfassend über Inhalt und Ziele der hausarztzentrierten Versorgung sowie über die jeweils wohnortnah teilnehmenden Hausärzte zu informieren. Den Antragsgegner trifft diese Verpflichtung nicht.

b) Angesichts der umfassenden Aktivlegitimation der Antragstellerin (vgl. BGH GRUR 1997, 758 [759] - Selbsternannter Sachverständiger; Senat WRP 2009, 1014 [1015]; Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl. 2009, Einl. Rz. 2.29; jeweils m. w. N.) ist auch im Streitfall davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG vorliegen.

c) Dadurch, dass der Antragsgegner das streitgegenständliche Schreibens den Hausärzten, die bei ihm Mitglied sind, zur Verfügung stellte, handelte er unlauter i. S. d. § 3 Abs. 1 UWG, weil er dabei darauf abzielte, dass die Hausärzte mittels dieses Schreibens die Entscheidungsfreiheit ihrer Patienten durch unangemessenen unsachlichen Einfluss (§ 4 Nr. 1 UWG) unlauter beeinträchtigten.

aa) Diese Verhaltenweise stellt sich als täterschaftlicher Verstoß gegen die Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG dar. Derjenige, der durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr in einer ihm zurechenbaren Weise die Gefahr eröffnet, dass Dritte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, die durch das Wettbewerbsrecht geschützt sind, kann selbst eine unlautere Wettbewerbshandlung begehen (vgl. BGH GRUR 2007, 890 - Jugendgefährdende Medien bei eBay Tz. 22).

bb) Bei der Zurverfügungstellung des Schreibens durch den Antragsgegner handelt es sich um eine geschäftliche Handlung.

Gemäß § 2 Nr. 1 UWG ist jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt, eine geschäftliche Handlung.

Der Antragsgegner fördert durch das Schreiben nicht nur die A… Bayern (vgl. Köhler, a.a.O., § 2 Rz. 58 m. w. N.), sondern auch die Unternehmen der eigenen Mitglieder (vgl. Köhler, a.a.O., § 2 Rz. 57 m. w. N.), die finanzielle Vorteile erlangen, wenn eine möglichst große Anzahl ihrer Patienten über diese Krankenkasse an der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmen.

18cc) Die Verteilung des streitgegenständlichen Schreibens durch Hausärzte an ihre Patienten ist gemäß § 4 Nr. 1 UWG unlauter.

(1) Nach dieser Vorschrift handelt unlauter, wer geschäftliche Handlungen vornimmt, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck, in menschenverachtender Weise oder durch sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen.

Autoritärer Druck liegt vor, wenn eine kraft amtlicher, politischer, verbandsrechtlicher, geschäftlicher, beruflicher, kirchlicher oder gesellschaftlicher Stellung bestehende eigene oder fremde Autorität dazu benutzt wird, auf die geschäftliche Entscheidung eines Marktteilnehmers Einfluss zu nehmen. Der Einsatz von Autoritätspersonen in der Werbung ist unlauter, wenn die eingeschalteten Autoritätspersonen auf die geschäftliche Entscheidung Einfluss nehmen sollen, die angesprochenen Personen also davon ausgehen müssen, dass die Ablehnung der erwünschten geschäftlichen Entscheidung möglicherweise rechtliche, berufliche, schulische, wirtschaftliche, gesellschaftliche oder sonstige Nachteile mit sich bringen kann (vgl. Köhler, a.a.O., § 4 Rz. 1.27; vgl. auch BGH GRUR 2008, 183 - Tony Taler Tz. 21).

21(2) Danach zielt das streitgegenständliche Schreiben auf eine unlautere Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Patienten durch autoritären Druck ab.

Das an die Patienten der Mitglieder des Antragsgegners gerichtete Schreiben schildert die Vorteile des mit der A... Bayern geschlossenen Hausarztvertrag für deren Versicherungsnehmer und fordert die Angesprochenen auf, den Erhalt ihrer hausärztlichen Versorgung in ihre Überlegungen einzubeziehen, wenn sie über einen Kassenwechsel nachdächten. Vor diesem Hintergrund kann die abschließende Formulierung

Über Ihre Unterstützung freuen wir uns, denn wir möchten sie auch in Zukunft gut versorgen!

Mit besten Grüßen

Ihr Praxisteam

26nur dahin verstanden werden, dass in dem Fall, dass ein Patient das Praxisteam nicht durch einen Wechsel zur A... Bayern unterstützt, eine gute ärztliche Versorgung gefährdet sei. Das Landgericht hat darin einen Grund dafür gesehen, dass ein Patient die Ablehnung der gewünschten geschäftlichen Entscheidung - eines Wechsels zur A… Bayern - als möglicherweise nachteilig ansehen müsse; wer im Wartezimmer gelesen habe, dass er die Krankenkasse wechseln solle, um unter anderem die Existenz der hausärztlichen Versorgung - und damit auch des Hausarztes selbst - sicherzustellen, müsse befürchten, dass dieser Arzt, der ihn anschließend behandele und der seine Kassenzugehörigkeit kenne, ihm nicht mit derselben Haltung gegenübertrete wie einem A… -Patienten. Diese Auffassung teilt der Senat ebenso wie die Einschätzung, dass darin eine unlautere Ausübung des Drucks der Autorität liegt, die der Arzt gegenüber seinen Patienten genießt.

dd) Dem Antragsgegner gehören etwa 75% der Hausärzte in Bayern an. Das per Telefax versandte Rundschreiben vom 6. März 2009, dem das streitgegenständliche Schreiben beigefügt war, richtete sich an alle Mitglieder des Antragsgegners. Schon angesichts der Vielzahl der Mitglieder des Antragsgegners ist die Zurverfügungstellung des Schreibens geeignet, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern i. S. d. § 3 Abs. 1 UWG spürbar zu beeinträchtigen.

ee) Dem damit gegebenen Unlauterkeitsvorwurf steht nicht die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verbürgte Meinungsfreiheit des Antragsgegners oder seiner Mitglieder entgegen.

(1) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG eine Schranke unter anderem in den allgemeinen Gesetzen (vgl. Art. 5 Abs. 2 GG), die allerdings ihrerseits im Lichte der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auszulegen sind (vgl. BVerfG NJW 2009, 3503 - "Polen-Invasion stoppen!" Tz. 6 m. w. N.).

Die Vorschriften des Lauterkeitsrechts sind allgemeine Gesetze i. S. d. Art. 5 Abs. 2 GG. Sie dienen dem Schutz der Konkurrenten, der Verbraucher und sonstiger Marktbeteiligten sowie der Allgemeinheit; die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung soll nicht dazu führen dürfen, dass Einzelne sich durch unzulässige Praktiken Vorteile im Wettbewerb verschaffen. Diese Ziele stehen mit der Wertordnung des Grundgesetzes in Einklang (vgl. BVerfG GRUR 2008, 81 [82] - Pharmakartell, m. w. N.). Das Lauterkeitsrecht missbilligt im Interesse des Schutzes der Wettbewerber und der sonstigen Marktbeteiligten - allen voran der Verbraucher - Verhaltensweisen, welche die Funktionsfähigkeit des an der Leistung orientierten Wettbewerbs im wettbewerblichen Handeln einzelner Unternehmen oder als Institution stören, so zum Beispiel unlautere Einflussnahmen auf die freie Entschließung der Kunden; diese Schutzgutbestimmung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit im Interesse dieses Schutzguts setzt allerdings die eigenständige Feststellung einer Gefährdung des Leistungswettbewerbs im konkreten Fall voraus (vgl. BVerfG, a.a.O., - Pharmakartell, S. 82 f. m. w. N.).

Bei der Gewichtung der Meinungsfreiheit gegenüber anderen Rechtspositionen ist zu berücksichtigen, ob vom Grundrecht der Meinungsfreiheit im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen oder im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird. Je mehr das Interesse des sich Äußernden auf politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit gerichtet ist, desto eher ist die Äußerung in Abwägung mit anderen Belangen gerechtfertigt (vgl. BVerfG, a.a.O., - Pharmakartell S. 83 m. w. N.).

(2) Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall von einem Oberwiegen der lauterkeitsrechtlichen Belange ausgehen, so dass der in dem von der Antragstellerin begehrten Verbot liegende Eingriff in die Meinungsfreiheit des Antragsgegners gerechtfertigt ist.

Die von dem streitgegenständlichen Schreiben ausgehende Gefährdung des Leistungswettbewerbs durch die unlautere Beeinflussung der Patienten (s. o. cc]) eröffnet grundsätzlich die Möglichkeit der Einschränkung der Meinungsfreiheit. Bei der Abwägung der sich gegenüberstehenden Belange kommt der Meinungsfreiheit das geringere Gewicht zu. Zwar berühren Fragen des Umfangs der Leistungen im Gesundheitswesens und deren Finanzierung die Öffentlichkeit wesentlich; als Betrag zur öffentlichen Meinungsbildung hierzu ist jedoch eine Äußerung, die unlauter auf die auf die freie Entschließung der so Angesprochenen einwirkt, nur vermindert schutzwürdig, weil sie nicht auf sachbezogene Argumente rekurriert, sondern durch unangemessenen unsachlichen Einfluss wirken soll. Nur die unlautere Verknüpfung zwischen einem Wechsel der angesprochenen Patienten zu der Krankenkasse, die einen Hausarztvertrag abgeschlossen hat, und der Inaussichtstellung einer guten ärztlichen Versorgung ist Gegenstand des Verbots; andere Äußerungen des Antragsgegners zu gesundheitspolitischen Fragen sind davon nicht erfasst.

III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.