SG Landshut, Urteil vom 03.12.2009 - S 1 KR 34/09 ES
Fundstelle
openJur 2012, 105021
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.576,11 Euro zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 3.576,11 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für die Leistung zur medizinischen Rehabilitation.

Der am ...1943 geborene H. G. (Versicherter) stellte am 23.03.2007 über den Sozialdienst der D.-H.-S.-Kliniken GmbH, W., bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Anschlussheilbehandlung). Die Deutsche Rentenversicherung Hessen gab den Antrag mit Schreiben vom 26.03.2007 zuständigkeitshalber an die Klägerin weiter. Diese stellte einen Rehabilitationsbedarf im Sinne der Krankenversicherung fest und bewilligte mit Bescheid vom 02.04.2007 als zweitangegangener Träger die beantragte Rehabilitationsmaßnahme. Diese wurde vom 25.04.2007 bis 23.05.2007 in der E.-Klinik L.-W. durchgeführt. Hierdurch entstanden der Klägerin Kosten in Höhe von 3.576,11 Euro.

Mit Schreiben vom 23.10.2007 machte die Klägerin gegenüber der AOK Hessen einen auf § 14 Abs.4 SGB IX gestützten Erstattungsanspruch geltend. Sie habe die Kosten der Leistung zur Teilhabe entsprechend § 14 Abs.1 und 2 SGB IX als zweitangegangener Träger übernommen. Die persönlichen Voraussetzungen nach § 10 SGB VI für die Erbringung einer Leistung zur Teilhabe durch die Rentenversicherungsträger seien jedoch nicht erfüllt. Der Versicherte sei seit 06.12.2002 voll erwerbsgemindert und beziehe Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer.

Die Beklagte lehnte den Erstattungsanspruch ab, da eine Abgabe eines Antrags innerhalb der Deutschen Rentenversicherung nicht den Tatbestand der Weiterleitung nach § 14 SGB IX erfülle.

Mit der am 19.02.2009 zum Sozialgericht Landshut erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihre Forderung weiter und verweist zur Begründung auf § 14 Abs. 4 SGB IX. Da der Versicherte bereits seit Januar 2003 eine Dauerrente wegen voller Erwerbsminderung beziehe, seien die persönlichen Voraussetzungen für Rehaleistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfüllt (§ 10 SGB VI). Die Klägerin sei als zweitangegangener Träger trotz Unzuständigkeit zur Erbringung der Leistung verpflichtet gewesen, da nach der Entscheidung der Abteilung für Sozialmedizin ein entsprechender Rehabilitationsbedarf gegeben war.

Die Klägerin stellte den Antrag:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.576,11 Euro zu bezahlen.

Die Beklagte stellte den Antrag,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Voraussetzungen des § 14 Abs.4 SGB IX seien nicht erfüllt, weil die Klägerin nicht als zweitangegangener Rehabilitationsträger geleistet habe. Eine Weiterleitung innerhalb des gleichen Rehabilitationsbereiches (hier Rentenversicherung) sei nicht als Weiterleitung im Sinne des § 14 Abs.1 Satz 2 bis 4 SGB IX anzusehen. Seit der Organisationsreform im Jahre 2005 sei davon auszugehen, dass die Aufgaben der Deutschen Rentenversicherung in einheitlicher Trägerschaft wahrgenommen werden.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akten der Beteiligten sowie auf die im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist auch begründet. Die beklagte Krankenkasse ist verpflichtet, der Klägerin die Kosten zu erstatten, die ihr anlässlich des stationären Aufenthaltes des Versicherten H.G. in der Zeit vom 25.04.2007 bis 23.05.2007 entstanden sind. Die von der Beklagten hiergegen erhobenen Einwände greifen nach Überzeugung der Kammer nicht durch.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 14 Abs.4 SGB IX. Die Klägerin hat als zweitangegangener Rehabilitationsträger gem. § 14 Abs.2 Satz 3 SGB IX geleistet, obwohl die Beklagte für die Durchführung der Maßnahme zuständig gewesen wäre (§ 27 Abs.1 Satz 2 Ziff. 6 i.V.m. § 40 Abs.1 und 2 SGB V).

Die Klägerin war für die durchgeführte Leistung zur medizinischen Rehabilitation nicht zuständig im Sinne des § 14 Abs.4 SGB IX: Die 4 Versicherungsfälle der Reha-Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung sind nach den §§ 9 Abs.1, 10 Abs.1 SGB VI: a) die erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung, soweit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen abgewendet werden kann (§ 10 Abs.1 Nr.2 Buchstabe a SGB VI - Prävention), b) eine Minderung der Erwerbsfähigkeit, soweit diese durch Leistungen wesentlich gebessert (oder wiederherstellt) werden kann (§ 10 Abs.1 Nr.2 Buchstabe b 1. Alternative SGB VI), c) die Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung einer bereits eingetretenen Minderung der Erwerbsfähigkeit, soweit sie durch Leistungen abgewendet werden kann (§ 10 Abs.1 Nr.2 Buchstabe b 2. Alternative SGB VI), d) der Eintritt teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit, soweit der (innegehabte) Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann (§ 10 Abs.1 Nr.2 Buchstabe c SGB VI). Bei dem Versicherten, der bereits seit 01.01.2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer bezieht, lag keiner der oben beschriebenen Versicherungsfälle vor.

Die Klägerin war auch zweitangegangener Träger im Sinne des § 14 Abs.4 SGB IX. Zwar wurde der Antrag ursprünglich bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen gestellt und von dort an die Klägerin weitergeleitet. Dieser Umstand steht dem Erstattungsanspruch der Klägerin jedoch nicht entgegen. Auch eine Abgabe innerhalb der in verschiedene eigenständige Körperschaften aufgespaltenen Rentenversicherung ist eine "Weiterleitung" im Sinne des § 14 Abs.1 Satz 2 SGB IX. Die Organisationsreform von 2005 hat an der grundsätzlichen Eigenständigkeit der einzelnen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nichts verändert. Anstelle der Landesversicherungsanstalten gibt es nun Regionalträger, daneben die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn See (vgl. § 125 SGB VI). Auch eine organisatorische Verschmelzung hat nicht stattgefunden, die einzelnen Träger üben nach wie vor die ihnen obliegenden Aufgaben selbständig in eigener Zuständigkeit aus. Träger von Rehabilitationsleistungen sind ausschließlich die einzelnen Körperschaften als Versicherungsträger und nicht die gesetzliche Rentenversicherung als solche.

Die von der Kammer vorgenommene Auslegung des § 14 Abs.4 SGB IX wird durch die Vorschrift des § 6 Abs.1 Ziffer 4 gestützt, worin es heißt: Träger der Leistungen zur Teilhabe (Rehabilitationsträger) können sein 4. die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung In Abs.2 dieser Vorschrift heißt es: Die Rehabilitationsträger nehmen ihre Aufgaben selbständig und eigenverantwortlich wahr.

Nach Auffassung der Kammer wäre die Annahme einer einheitlichen Trägerschaft der Deutschen Rentenversicherung bei Durchführung von Leistungen der Rehabilitation mit einer wörtlichen Anwendung des § 6 SGB IX nicht vereinbar.

Im Übrigen gibt es auch keinen plausiblen Grund für die Annahme, dass der Gesetzgeber für Fälle der vorliegenden Art dem leistenden Versicherungsträger einen Erstattungsanspruch verweigern wollte. § 14 Abs.1 und 2 SGB IX enthält zwar für das Verhältnis des betroffenen Menschen zu den Trägern eine besondere Zuständigkeitsregelung, die eine schnelle Zuständigkeitsklärung sichern soll. Dies hat zur Folge, dass sich die Prüfungspflicht des letztlich zuständigen Trägers auf alle Rechtsgrundlagen erstreckt, die überhaupt für Rehabilitationsträger vorgesehen sind. Im Innenverhältnis der Träger untereinander bleibt jedoch das gegliederte Sozialsystem erhalten. Es gelten grundsätzlich die Erstattungsregelungen der §§ 102 ff SGB X (zur Struktur der Erstattungsregelung in § 14 Abs.4 SGB IX, vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 26.06.2007 B 1 KR 34/06 R). Auch nach Inkrafttreten des § 14 SGB IX kommt es in Fällen der vorliegenden Art für den Erstattungsanspruch entscheidend darauf an, ob die Bewilligung der Rehaleistung zu Recht erfolgt ist. Nur wenn der leistende Rehaträger zu Unrecht einen Rehabilitationsanspruch bejaht hat, geht dies zu seinen Lasten. Ist dem Antrag des Versicherten zu Recht stattgegeben worden (hier in Anwendung des SGB V), besteht Anspruch auf Aufwendungsersatz gegen den an sich zuständigen Leistungsträger.

Nachdem die Klägerin somit nicht der zuständige Leistungsträger für die streitige Rehamaßnahme war, kann sie von der Beklagten ihre Aufwendungen erstattet verlangen. Über die Höhe der Aufwendungen besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs.1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs.2 VwGO.

Die Entscheidung über den Streitwert stützt sich auf §§ 52 Abs.1, 63 Abs.2 Satz 1 Gerichtskostengesetz.

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