Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.12.2009 - 22 CE 09.2544
Fundstelle
openJur 2012, 104725
  • Rkr:
Tenor

I. Die Verfahren 22 CS 09.2542 und 22 CE 09.2544 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

III. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.

IV. Unter Abänderung von Nr. IV des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 22. September 2009 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf je 10.000 Euro (7.500 Euro für die Planfeststellung und 2.500 Euro für das Unterlassungsbegehren) festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beigeladene errichtet eine Ethylen-Rohrleitung, die von Münchsmünster nach Nördlingen und weiter durch Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nach Ludwigshafen führen soll.

Für den in Bayern verlaufenden Abschnitt der Rohrleitung erließ die Regierung von Oberbayern am 10. September 2007 aufgrund § 20 Abs. 1 UVPG einen Planfeststellungsbeschluss. Die planfestgestellte Trasse verläuft in west-östlicher Richtung parallel zur bestehenden TAL-Ölleitung über das landwirtschaftlich genutzte Grundstück der Antragsteller FlNr. …, Gemarkung …, welches an seiner nordwestlichen Ecke mit einer Maschinenhalle bebaut ist. Die Antragsteller hatten im Planfeststellungsverfahren Einwendungen erhoben (die geplante Erweiterung der bestehenden Maschinenhalle um weitere Betriebsgebäude werde verhindert), gegen den Planfeststellungsbeschluss aber keine Klage erhoben.

Nachdem über die Inanspruchnahme des Grundstücks der Antragsteller keine Einigung zustande kam, beantragte die Beigeladene beim Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen die Zwangsbelastung des Grundstücks der Antragsteller durch Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zur Verlegung der Rohrleitung entsprechend der planfestgestellten Trasse, sowie die vorzeitige Einweisung in den Besitz der für die Verlegung der Rohrleitung erforderlichen Fläche. In der mündlichen Verhandlung über den Besitzeinweisungsantrag schlossen die Antragsteller, vertreten durch ihren damaligen Bevollmächtigten, und die Beigeladene vor dem Landratsamt als Enteignungsbehörde am 6. Mai 2009 eine Vereinbarung über eine vom Planfeststellungsbeschluss abweichende Rohrleitungstrasse (Nrn. 1 und 2 der Vereinbarung). Diese verläuft im wesentlichen entlang der östlichen, südlichen und westlichen Grenze des Grundstücks der Antragsteller, wobei der vorgesehene Schutzstreifen teilweise auf dort angrenzende gemeindliche Feldwege fallen soll; die Gemeinde stimmte dem nachträglich zu. In Nr. 3 der Vereinbarung vom 6. Mai 2009 ist geregelt: „Die Grundstückseigentümer erteilen die Bauerlaubnis auf der Grundlage des in Kopie beigefügten Entwurfs (Anlage 2), in dem die für den Arbeitsstreifen in Anspruch zu nehmende Fläche entsprechend dem jetzt vereinbarten Leitungsverlauf aufzunehmen ist.“ Die Vereinbarung wurde vom damaligen Bevollmächtigten der Antragsteller in deren Beisein unterzeichnet. Die beigefügte Anlage 2 „Bauerlaubnis“ beinhaltet, dass der Beigeladenen sowie den von ihr beauftragten Baufirmen und sonstigen am Bau Beteiligten vom unterzeichnenden Eigentümer die Erlaubnis erteilt wird, das fragliche Grundstück zur Verlegung einer Ethylenleitung mit Nebenanlagen jederzeit zu betreten, die Leitung mit Nebenanlagen zu verlegen und alle für die Verlegung erforderlichen Baumaßnahmen durchzuführen.

Die Antragsteller erklärten mit Schreiben vom 13. Mai 2009 an das Landratsamt, dass sie von der Vereinbarung vom 6. Mai 2009 zurücktreten würden. Der Enteignungsantrag der Beigeladenen sei unzulässig. Das Gesetz über die Enteignung für die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Münchsmünster und der Landesgrenze zu Baden-Württemberg bei Nördlingen (Bayerisches Rohrleitungs-Enteignungsgesetz -BayRohrlEnteigG) vom 10. Juni 2008 sei erst am 1. Juli 2008 in Kraft getreten. Aufgrund von Verfahrensfehlern sei schon der Planfeststellungsbeschluss vom 10. September 2007 aufzuheben.

Auf Antrag der Beigeladenen erließ die Regierung von Oberbayern am 20. August 2009 einen ergänzenden Planfeststellungsbeschluss, der den Planfeststellungsbeschluss vom 10. September 2007 ändert. Die festgestellte Trassenänderung folgt dem Trassenverlauf gemäß der Vereinbarung vor der Enteignungsbehörde vom 6. Mai 2009. Gegen die geplante Umtrassierung hatten die Antragsteller im Anhörungsverfahren mit Schreiben vom 19. Juli 2009 Einwendungen erhoben. Mit einer Verlegung der Rohrleitung auf ihrem Grundstück bestehe kein Einverständnis. Die Beigeladene habe mit Schreiben vom 25. September 2007 mitgeteilt, dass aufgrund einer Umtrassierung der ursprünglichen Rohrleitungstrasse ihr Grundstück nicht mehr von der Baumaßnahme betroffen sei. Die Vereinbarung vor der Enteignungsbehörde vom 6. Mai 2009 sei unwirksam. Die Verlegung der Rohrleitung auf dem Grundstück FlNr. … verhindere eine mögliche Erweiterung der im Ort gelegenen Hofstelle auf diesem Grundstück; eine nicht überbaubare 6 m breite Trasse der Rohrleitung würde allen künftigen Bauvorhaben des bäuerlichen Betriebs entgegenstehen. Zudem sei die angebotene Entschädigung für die Verlegung der Rohrleitung von lediglich 1,80 Euro pro m² keine angemessene Entschädigung für Bauland. Diese Einwendungen wurden im Änderungsplanfeststellungsbeschluss zurückgewiesen. Es handle sich um eine unwesentliche Planänderung; durch die Umtrassierung ergäben sich hinsichtlich Planrechtfertigung, Planungsleitsätzen und Abwägung keine grundsätzlich anderen Bewertungen. Über den nun gewählten Trassenverlauf sei zwischen den Beteiligten vor der Enteignungsbehörde Einigung erzielt worden. Die Vereinbarung sei rechtswirksam und auch der öffentlich-rechtlichen Planänderung zugrunde zu legen. Zudem werde die Trasse auf dem Grundstück der Antragsteller gegenüber der ursprünglichen bestandskräftigen Trassenführung lediglich verschoben. Auch habe die Planfeststellung keine enteignungsrechtliche Vorwirkung und sei für die Enteignungsbehörde nicht bindend. Angesichts der Größe des Grundstücks der Antragsteller seien geplante Baumaßnahmen dort nicht ausgeschlossen, da sich die Rohrleitung aufgrund der Neutrassierung an der Grundstücksgrenze befinde.

Am 31. August 2009 erhoben die Antragsteller Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 10. September 2007 in der Fassung des ergänzenden Planfeststellungsbeschlusses vom 20. August 2009 (Az. M 16 K 09.4040).

Am 1. September 2009 beantragten die Antragsteller beim Verwaltungsgericht München,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 31. August 2009 wiederherzustellen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die in nur 12 m Abstand zur Maschinenhalle auf dem Grundstück der Antragsteller verlaufende Leitung für das hochexplosive Ethylen stelle ein hohes Gefährdungspotential dar. Aus Sicherheitsgründen sei eine Trassenführung in großem Abstand und außerhalb des Grundstücks der Antragsteller erforderlich. Der Änderungsplanfeststellungsbeschluss sei abwägungsfehlerhaft, da die von ihm zugrunde gelegte Vereinbarung vom 6. Mai 2009 nichtig sei; es fehle an der Bezeichnung der Verwendungsfrist (Art. 31 Abs. 1 Nr. 3, Art. 32 BayEG). Andere Alternativen seien nicht geprüft worden. Eine sichere Bewirtschaftung sei nicht möglich, da die Antragsteller mit schwerem Gerät über die Leitung fahren müssten.

Am 7. September 2009 erhoben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht München eine Klage auf Feststellung, dass die Vereinbarung vom 6. Mai 2009 nichtig sei. Gleichzeitig beantragten sie,

im Wege einstweiliger Anordnung die Nichtigkeit der Vereinbarung vom 6. Mai 2009 festzustellen, sowie der Beigeladenen zu gebieten, jedweden Eingriff in bzw. Zugriff auf das Grundstück der Antragsteller aufgrund der nichtigen Vereinbarung vom 6. Mai 2009 zu unterlassen.

Die Vereinbarung vom 6. Mai 2009 sei gegenüber dem Antragsgegner, mit Schreiben vom 2. September 2009 auch gegenüber der Beigeladenen angefochten worden. Die Vereinbarung sei aber bereits deshalb nichtig, da sie keine enteignungsrechtlich erforderliche Verwendungsfrist für das Grundstück enthalte. Die Beigeladene habe mit den Bauarbeiten auf dem Grundstück der Antragsteller ohne deren Zustimmung begonnen.

Mit Beschluss vom 22. September 2009 lehnte das Verwaltungsgericht München die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Anträge ab.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Änderungsplanfeststellungsbeschluss sei statthaft, da dieser auf den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss vom 10. September 2007 und damit auch auf den dort angeordneten Sofortvollzug Bezug nehme. Die Einwendungen gegen die Trassenänderungen wegen der Sicherheitsbedenken seien jedoch präkludiert, da der Planfeststellungsbeschluss vom 10. September 2007, der auch die Sicherheitsanforderungen feststelle, von den Antragstellern nicht angefochten worden sei. Die Regierung von Oberbayern habe im Änderungsplanfeststellungsverfahren abwägungsfehlerfrei die von den Beteiligten vertraglich vereinbarte neue Trassenführung zugrunde legen dürfen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei dahingehend auszulegen, dass einstweilen, also bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, begehrt werde, Baumaßnahmen auf dem Grundstück der Antragsteller zu unterlassen. Aufgrund der begonnenen Baumaßnahmen sei ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Jedoch bestehe kein Anordnungsanspruch, da die Vereinbarung vom 6. Mai 2009 wirksam sei und der Beigeladenen den Zugriff auf das Grundstück der Antragsteller erlaube. Für das Enteignungsverfahren sei in Nr. 4 der Vereinbarung zwar lediglich eine zivilrechtliche Verpflichtung der Parteien zum Abschluss eines Gestattungsvertrags vereinbart worden, die weiterer vertraglicher Umsetzung bedürfe. Jedoch sei die Vereinbarung in Nrn. 1 bis 3 insoweit wirksam, als sich die Parteien zur Beendigung des Besitzeinweisungsverfahrens über eine Bauerlaubnis geeinigt hätten. Die von den Parteien in Nr. 3 der Vereinbarung bezeichnete „Bauerlaubnis“ sei eine Besitzgestattung für das Besitzeinweisungsverfahren. Sie sei unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts mit der Bezugnahme auf den Inhalt der Anlage 2 unbedingt und mit sofortiger Wirkung erteilt worden, Art. 39 Abs. 1 Sätze 4 und 5 BayEG sei eingehalten. Die fehlende Bestimmung einer Verwendungsfrist sei für die Bauerlaubnis unerheblich. Der damalige Bevollmächtigte der Antragsteller habe die Vereinbarung im Rahmen seiner Vollmacht und im Beisein der Antragsteller wirksam unterzeichnet. Ein Rücktritt der Antragsteller sei nicht möglich, Anfechtungsgründe seien nicht ersichtlich. Auch Nichtigkeits- oder Kündigungsgründe i.S. der Art. 59 und Art. 60 VwVfG seien nicht ersichtlich.

Mit ihren Beschwerden gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 22. September 2009 verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter und beantragen,

unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen, sowie dem Antragsgegner und seinen Beauftragten bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu untersagen, Baumaßnahmen auf dem Grundstück Fl.Nr. … Gemarkung … durchzuführen.

Mit Bescheid vom 25. November 2009 ordnete die Regierung von Oberbayern auf Antrag der Beigeladenen die sofortige Vollziehung des ergänzenden Planfeststellungsbeschlusses vom 20. August 2009 an.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Verfahren Az. 22 CS 09.2542 (Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage) und Az. 22 CE 09.2544 (Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Untersagung von Bauarbeiten) werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (§ 93 Satz 1 VwGO).

Ob wegen der begehrten Untersagung von Baumaßnahmen auf dem Grundstück der Antragsteller der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet wäre, weil insoweit keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist nach § 17 a Abs. 5 GVG nicht zu prüfen.

Die Beschwerden bleiben ohne Erfolg. Die fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, den angegriffenen Beschluss zu ändern.

1. Die geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

1.1 Die Antragsteller meinen, die beschließende Kammer des Verwaltungsgerichts München sei nach dessen Geschäftsverteilungsplan für den vorliegenden Rechtsstreit nicht zuständig gewesen, da für Enteignungsrecht andere Kammern zuständig seien. Dabei verkennen sie aber, dass beide Eilverfahren nicht mit einer Enteignung zu tun haben. Streitgegenständlich ist zum einen die Planfeststellung für die Ethylen-Rohrleitung, zum anderen der Besitz- bzw. Eigentumsschutzanspruch der Antragsteller gegenüber der Inanspruchnahme ihres Grundstücks.

Auch ist von einer vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts nur dann auszugehen, wenn darin zugleich ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt, wonach willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Fehlerhaftigkeit des als Mangel gerügten Vorgangs bestimmend gewesen sein müssen (BVerwG vom 6.7.2007 Buchholz 303 § 169 ZPO Nr. 1; BFH vom 19.5.2008 BFH/NV 2008, 1501; BayVGH vom 20.11.2008 Az. 8 ZB 08.1547). Für eine willkürliche Anwendung des Geschäftsverteilungsplans durch das Erstgericht haben die Antragsteller nichts vorgetragen. Vielmehr führen sie selbst aus, die beschließende Kammer habe ihre Zuständigkeit aufgrund des ihr zugewiesenen Rechtsgebiets Wirtschafts- und Wirtschaftsverwaltungsrecht angenommen, was in Ermangelung einer speziellen Zuweisung etwa für Planfeststellungen nach § 20 UVPG vertretbar ist.

Zudem würden auch derartige Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens aus Gründen der Prozessökonomie eine zurückweisende Beschwerdeentscheidung dann nicht hindern, wenn die sachlich-rechtlichen Erwägungen nach Überzeugung des Beschwerdegerichts die erstinstanzliche Entscheidung tragen (OVG Berlin vom 24.2.2005 Az. 1 S 1.04). Hat danach eine Beschwerde - wie hier - aus sachlich-rechtlichen Gründen keinen Erfolg, kann offen bleiben, ob die Rüge, das erstinstanzliche Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, durchgreift.

1.2 Entgegen der Darlegungen der Antragsteller ist auch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) nicht verletzt. Die Antragsteller tragen vor, ihnen sei eine Äußerung zu der vom Gericht herangezogenen sachverständigen Stellungnahme des TÜV Süd vom 23. Juli 2009 unmöglich gemacht worden; diese Äußerung sei ihnen nicht zugänglich gemacht worden. Diese fachliche Stellungnahme ist Bestandteil der Behördenakten; sie wurde von der Regierung von Oberbayern im Änderungsplanstellungsverfahren eingeholt und hätte von den Antragstellern dort jederzeit eingesehen werden können, auch bevor die Verfahrensakten dem Verwaltungsgericht vorgelegt wurden. Darüber hinaus fehlt eine substantiierte Darlegung der Antragsteller, was sie bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätten und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (BVerwG vom 19.8.1997 NJW 1997, 3328). Schließlich sieht diese Stellungnahme lediglich Schutzauflagen zugunsten der Antragsteller hinsichtlich der geänderten Ethylen-Rohrleitungstrasse vor.

2. Auch die inhaltlichen Einwendungen gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Beschluss greifen nicht durch.

2.1 Der Kernpunkt der Argumentation der Antragsteller in den verbundenen Verfahren betrifft die von ihnen geltend gemachte Unwirksamkeit der Vereinbarung vom 6. Mai 2009 vor dem Landratsamt als Enteignungsbehörde. Die Antragsteller vertiefen ihre schon zuvor vertretene Auffassung, die Vereinbarung sei aus Rechtsgründen unwirksam, weshalb sie weder zur Begründung des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses vom 20. August 2009 herangezogen werden könne, noch die Inanspruchnahme des Grundstücks der Antragsteller für die begonnenen Bauarbeiten gestatten würde. Dem ist nicht zu folgen. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr zu Recht von der Wirksamkeit der Vereinbarung ausgegangen.

2.1.1 Die Vereinbarung vom 6. Mai 2009 stellt eine rechtlich zulässige Teileinigung vor der Enteignungsbehörde dar. Aus dem Vorbringen der Antragsteller ergeben sich keine Zweifel an ihrer materiellen Wirksamkeit.

Dass das Gesetz eine Teileinigung innerhalb wie außerhalb des Enteignungsverfahrens anerkennt, ergibt sich aus Art. 29 Abs. 1 BayEG, wonach die Enteignungsbehörde auf eine Einigung zwischen den Beteiligten hinzuwirken hat, sowie aus Art. 30 Abs. 1 BayEG, wonach über den Enteignungsantrag und die übrigen Anträge nur zu entscheiden ist, soweit eine Einigung nicht zustande kommt (vgl. Molodovsky/Bernstorff, Enteignungsrecht in Bayern, Stand September 2009, RdNr. 7 zu Art. 29; Puhr-Westerheide, BayEG, 4. Aufl. 1997, Anm. 1.1 und 1.3 zu Art. 29; für Enteignungsverfahren nach dem BauGB vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Juni 2009, RdNr. 24 zu §§ 110, 111; Schrödter, BauGB, 7. Aufl. 2006, RdNrn. 2 und 7 zu § 111). Gegenstand einer Teileinigung kann jedenfalls auch die Besitzüberlassung und die Erteilung einer Bauerlaubnis sein (Schrödter, a.a.O., RdNrn. 2 und 7 zu § 111; Puhr -Westerheide, a.a.O., Anm. 3.1 zu Art. 39; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., RdNr. 24 zu §§ 110, 111).

2.1.2 Die Vereinbarung vom 6. Mai 2009 verstößt - soweit dies nach den Darlegungen der Antragsteller beurteilt werden kann - weder insgesamt noch teilweise gegen zwingende Formvorschriften.

Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 29 Abs. 3 BayEG vor. Nach Art. 29 Abs. 3 BayEG hat die Enteignungsbehörde bei einer Einigung der Beteiligten im Enteignungsverfahren eine Niederschrift über die Einigung aufzunehmen, die den Formerfordernissen des Art. 31 Abs. 1 BayEG entsprechen muss. Diese Form wird vom Gesetz für die vollständige Einigung im Enteignungsverfahren (vgl. Molodovsky/Bernstorff, a.a.O. RdNr. 5.1 zu Art. 29 m.w.N.) deshalb verlangt, weil die beurkundete Einigung einem nicht mehr anfechtbaren Enteignungsbeschluss in der Wirkung gleichsteht (Art. 29 Abs. 3 Satz 5 BayEG). Teileinigungen (ausgenommen die speziell geregelte Teileinigung nach Art. 29 Abs. 4 BayEG) im Enteignungsverfahren bedürfen nicht der Form des Art. 31 Abs. 1 BayEG, da diese Formvorschrift nach ihrer inhaltlichen Regelung eben nur die die Enteignung ersetzende Volleinigung betrifft. Auch die Teileinigung über die Besitzüberlassung darf aber von der Enteignungsbehörde beurkundet werden (Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl. 2009, RdNr. 2 zu § 111; Schrödter, a.a.O., RdNrn. 2 und 7 zu § 111; Molodovsky/Bernstorff, a.a.O., RdNr. 7.3 zu Art. 29).

Es ist aber auch kein Verstoß gegen zivilrechtliche Formvorschriften dargelegt. § 311 b Abs. 1 BGB betrifft nur die Verpflichtung zur Änderung der Eigentumszuordnung. Die Vereinbarung vom 6. Mai 2009 enthält keine derartigen Regelungen. Die insoweit maßgeblichen Darlegungen der Antragsteller lassen auch nicht die Verletzung sonstiger Formvorschriften erkennen.

2.1.3 Gleich ob man die Teileinigung als öffentlich-rechtlich oder privat-rechtlich einstuft, war eine Vertretung der Antragsteller durch ihren damaligen Bevollmächtigten aufgrund schriftlicher Vollmacht möglich (vgl. Art. 29 Abs. 3 Satz 4 BayEG, wobei dies Voraussetzung für die öffentlich-rechtliche Volleinigung ist, bzw. § 164 Abs. 1 BGB). Beide Antragsteller hatten dem damaligen Bevollmächtigten eine von ihnen jeweils eigenhändig unterzeichnete Vollmachtsurkunde ausgestellt, welche der Enteignungsbehörde vorlag (Bl. 343 der Enteignungsakte). Gemäß der Niederschrift des Landratsamts über die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2009 waren beide Antragsteller zusammen mit ihrem Bevollmächtigten anwesend. Nach einer Sitzungsunterbrechung, in der sich die Antragsteller mit ihrem Bevollmächtigten berieten, schlug dieser für die Antragsteller die Trassenvariante entlang deren Grundstücksgrenzen vor, über die dann die streitgegenständliche Vereinbarung geschlossen wurde. Ein Widerruf (§ 170 BGB) oder eine Einschränkung der ihrem Bevollmächtigten erteilten Vollmacht während der Verhandlung und der Ausarbeitung der Vereinbarung ist damit nicht ersichtlich.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen erfolgte danach zunächst auch keine Anfechtung der Vollmacht oder der abgeschlossenen Vereinbarung vom 6. Mai 2009. In den verschiedenen Schreiben der Antragsteller wird weder eine Anfechtung erklärt noch werden Anfechtungsgründe (§§ 119 ff. BGB) genannt; vielmehr wird ein Rücktritt von der Vereinbarung erklärt, weil es nach Auffassung der Antragsteller für eine vorzeitige Besitzeinweisung und Enteignung zugunsten der Beigeladenen keine Rechtsgrundlage gebe. Die Möglichkeit eines Rücktritts vom Vertrag hat das Verwaltungsgericht verneint, dem tritt das Beschwerdevorbringen auch nicht entgegen. Eine Anfechtung wird erstmals im Schriftsatz des derzeitigen Bevollmächtigten der Antragsteller vom 29. August 2009 unter Beifügung einer Anfechtungserklärung der Antragsteller vom 28. August 2009 erklärt, ohne dass Anfechtungsgründe genannt werden. Zudem ist die Anfechtung nicht unverzüglich gemäß § 121 Abs. 1 BGB erfolgt.

2.2 Zum Antrag nach § 80 a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO:

Die dargelegten Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses beschränken sich im Wesentlichen darauf, die Abwägungsfehlerhaftigkeit des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses mit der Unwirksamkeit der Vereinbarung vom 6. Mai 2009 zu begründen. Dies schlägt fehl. Die Planfeststellungsbehörde und das Verwaltungsgericht sind zutreffend davon ausgegangen, dass die - wie oben ausgeführt - wirksame und die Antragsteller bindende Vereinbarung über die Trassenführung dem Änderungsplanfeststellungsbeschluss zugrunde gelegt werden kann; ein Abwägungsfehler liegt insoweit nicht vor.

Auch die sonstigen Einwendungen der Beschwerdeführer sind nicht zutreffend.

Die Beigeladene hat weder auf das Vorhaben der Errichtung einer Ethylen-Rohrleitung verzichtet, noch wurde die auf den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss vom 10. September 2007 gegründete öffentlich-rechtliche Gestattung zur Verlegung der Leitung verwirkt. Eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nach Art. 77 BayVwVfG ist nicht erfolgt und käme auch nur bei einer Aufgabe des Vorhabens insgesamt in Betracht. Davon kann hier keine Rede sein; die Beigeladene hat die Rohrleitung jedenfalls im bayerischen Abschnitt unstrittig schon weitgehend verlegt. Eine Verwirkung der Rechte aus dem Planfeststellungsbeschluss - falls sie rechtlich überhaupt denkbar wäre - kann nicht daraus abgeleitet werden, dass die Beigeladene mit Schreiben vom 25. September 2007 (innerhalb offener Rechtsmittelfrist gegen den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss) den damaligen Bevollmächtigten der Antragsteller mitgeteilt hat, aufgrund einer Umtrassierung solle das Grundstück der Antragsteller nicht mehr von der Baumaßnahme betroffen werden. Diese Absichtserklärung ist durch die nachträglich geschlossene Vereinbarung vom 6. Mai 2009 und den daraufhin ergangenen ergänzenden Planfeststellungsbeschluss vom 20. August 2009 überholt.

Die Einwendungen hinsichtlich eines unzureichenden Sicherheitsabstands der Rohrleitung hat das Verwaltungsgericht zu Recht als präkludiert angesehen. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Betroffener einen Änderungsplanfeststellungsbeschluss nur insoweit angreifen, als er durch dessen Festsetzungen erstmals oder weitergehender als durch den abgeänderten bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss betroffen wird (BVerwG vom 19.12.2007 BVerwGE 130, 138 m.w.N.). Die Antragsteller haben nicht dargelegt, dass im Hinblick auf die versäumte Klagefrist gegen den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt wurde. Diesem wäre auch wegen Versäumung der Jahresfrist des § 60 Abs. 3 VwGO nicht stattzugeben. Die Antragsteller haben auch nicht dargelegt, inwieweit sie durch die geänderte Trasse, die sie selbst vorgeschlagen haben, einer größeren Gefährdung als durch die ursprüngliche Trasse ausgesetzt sind, oder warum nunmehr höhere Sicherheitsanforderungen hinsichtlich Brand- und Katastrophenschutz gelten sollten. Bei einem Vergleich der ursprünglichen mit der neuen Trassenführung lässt sich insoweit keine Änderung im Sinne einer stärkeren Beeinträchtigung erkennen; insbesondere verläuft die geänderte Trasse sogar in etwas größerer Entfernung zur vorhandenen Maschinenhalle der Antragsteller als die ursprüngliche Trasse.

Zwischenzeitliche Veränderungen an oder auf dem Grundstück der Antragsteller führen ebenso wenig zu einer anderen Betrachtung wie die vorgetragene mögliche bauliche Erweiterung oder Hofaussiedlung. Denn die Antragsteller haben sich mit der Trasse einverstanden erklärt; durch die einvernehmliche Verlegung der Trasse an den Rand des Grundstücks durch die Vereinbarung vom 6. Mai 2009 sollten Einschränkungen der Bebaubarkeit gerade vermieden werden.

Unbeachtlich ist die im Laufe des ursprünglichen Planfeststellungsverfahrens erfolgte Änderung der Rechtsform der Beigeladenen als Vorhabenträgerin. Gegenüber der Regierung von Oberbayern als Planfeststellungsbehörde wurde mit Schreiben vom 21. Februar 2007, und damit lange vor Erlass des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses, die Änderung der Rechtsform mitgeteilt. Darin liegt zugleich - soweit überhaupt erforderlich - die konkludente Erklärung der Beigeladenen, in ihrer neuen Rechtspersönlichkeit das von der früheren Gesellschaft bürgerlichen Rechts beantragte Planfeststellungsverfahren weiterführen zu wollen. Dementsprechend war die Beigeladene in ihrer jetzigen Rechtsform auch richtige Adressatin des ursprünglichen wie auch des ergänzenden Planfeststellungsbeschlusses.

Soweit die Antragsteller erstmals im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 12. November 2009 auf ein betrieblich notwendiges Überfahren der Ethylen-Rohrleitung vor ihrer Maschinenhalle mit einem überschweren Zuckerrübenvollernter hinweisen, weshalb eine besondere Absicherung der Leitung in diesem Bereich erforderlich sei, ist dieses neue Vorbringen nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO wegen Nichteinhaltung der Begründungsfrist von einem Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung (am 5.10.2009) verfristet.

2.3 Zum Antrag gemäß § 123 VwGO:

Es kann offen bleiben, ob die Antragsteller erreichen wollen, dass der Antragsgegner die Inanspruchnahme des Grundstücks der Antragsteller vorläufig unterbindet, oder ob sie sinngemäß die gerichtliche Anordnung der Untersagung einer Inbesitznahme des Grundstücks zu Baumaßnahmen durch die Beigeladene und ihre Beauftragten erreichen wollen (was eine Antragsänderung entsprechend § 91 VwGO mit Auswechslung des Antragsgegners bedeuten würde). Denn beide Begehren bleiben ohne Erfolg.

2.3.1 Für ein hoheitliches Einschreiten des Antragsgegners gegenüber der Beigeladenen, um die Inbesitznahme des Grundstücks der Antragsteller und den Beginn von Baumaßnahmen zu verhindern, hat das Beschwerdevorbringen keinen Anordnungsanspruch dargelegt; ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Es ist nicht ersichtlich, dass derzeit eine Befugnis des Antragsgegners bestehen könnte, in die Auseinandersetzungen der Antragsteller und der Beigeladenen um die Vereinbarung vom 6. Mai 2009 einzugreifen. Vorbeugender Rechtsschutz gegen den Erlass eines Besitzeinweisungsbeschlusses kommt hier ebenfalls nicht in Betracht.

2.3.2 Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, der Beigeladenen bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren die Durchführung von Baumaßnahmen auf dem Grundstück der Antragsteller zu untersagen, wird im wesentlichen nur die behauptete Unwirksamkeit der Vereinbarung vom 6. Mai 2009 angeführt. Der Sache nach machen die Antragsteller Unterlassungsansprüche wegen Besitzentziehung oder Besitzstörung (§ 861, § 862 BGB) bzw. einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB geltend. Hierzu hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Einigung der Beteiligten in der Vereinbarung vom 6. Mai 2009 als Bauerlaubnis anzusehen ist, die der Beigeladenen den Besitz am Grundstück der Antragsteller zur Verlegung der Ethylenleitung einräumt (§ 854 Abs. 2 BGB, vgl. Büchs, Handbuch des Eigentums- und Entschädigungsrechts, 3. Aufl. 1996, RdNr. 1788, wonach die vorläufige Bauerlaubnis nach heute herrschender Meinung den direkten Besitzübergang i.S. von § 854 Abs. 2 BGB bewirkt).

Die dagegen erhobenen Einwendungen der Antragsteller greifen nicht durch (vgl. oben 2.1).

Kosten: § 154 Abs. 2, § 159, § 162 Abs. 3 VwGO.

Streitwert: § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 3, § 63 Abs. 3 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs. Hinsichtlich des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses ist im Hauptsacheverfahren ein Streitwert in Höhe von 15.000 Euro, wegen der erhobenen Feststellungs- bzw. Unterlassungsklage ist der Auffangstreitwert anzusetzen.