Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.12.2009 - 20 CS 09.2156
Fundstelle
openJur 2012, 104714
  • Rkr:
Tenor

I. Unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 13. August 2009 wird die Aussetzung der Zwangsvollstreckung in Umsetzung der Fälligerklärungen vom 2. Februar und 18. Mai 2009 angeordnet.

Im Übrigen werden die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

II. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen werden gegeneinander aufgehoben.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.650,-- € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat nur zu einem Teil Erfolg.

Im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO war die Aussetzung der Zwangsvollstreckung in Umsetzung der Fälligerklärungen vom 2. Februar und 18. Mai 2009, denen die bestandskräftigen Zwangsgeldandrohungen vom 4. Dezember 2008 und 2. Februar 2009 zugrunde liegen, auszusprechen, weil bei summarischer Betrachtung vieles dafür spricht, dass unklar ist, in welchem Umfang die Bedingungen infolge der Zwangsgeldandrohungen als aufschiebend bedingte Leistungsbescheide (Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG) eingetreten sind und in welchem Umfang deswegen Fälligerklärungen hätten erfolgen dürfen. Dies – etwa im Zuge weiterer Sachverhaltsermittlungen oder einer Beweisaufnahme – festzustellen, sprengte den Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und muss gegebenenfalls noch umfassenden Ermittlungen im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dabei berücksichtigt der Senat, dass sich der Antragsgegner für seine Fälligerklärungen auf die HI-Tier-Datenbank mit den Zeiträumen 7. Dezember 2008 bis 20. Januar 2009 und 3. Februar bis 21. März 2009 gestützt und offensichtlich Rinder bei der Bemessung des Zwangsgeldes nicht berücksichtigt hat, die noch nicht 3 Monate alt, dem Betrieb abgegangen oder verendet sind (vgl. Bl. 70 bis 74 sowie 101 bis 108 der Behördenakte). Demgegenüber wendet der Antragsteller unter anderem unter Vorlage einer Tierarztrechnung vom 30. Juni 2009 für den Zeitraum 14. November 2008 bis 7. Februar 2009 ein, sein Tierbestand sei auch nicht impffähig gewesen, weil er in diesem habe regelmäßig und wiederholt Mutterschutzimpfungen vornehmen lassen müssen und weil nur gesunde Tiere hätten geimpft werden dürfen. Darauf, inwieweit Mutterschutzimpfungen von Rindern und gegebenenfalls weitere, aus der Tierarztrechnung ersichtliche behandelte Krankheitsbilder eine Impfung gegen die Blauzungenkrankheit ausgeschlossen oder zeitlich aufgeschoben hätten, geht der Antragsgegner, dem über die Veterinärämter Fachwissen zur Seite steht, aber nicht substantiiert ein.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen die Zwangsgeldandrohungen des Antragsgegners vom 4. Dezember 2008 und 2. Februar 2009 gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kommt nicht mehr in Betracht, weil diese aufschiebend bedingten Leistungsbescheide, soweit in diesem summarischen Verfahren ersichtlich, bestandskräftig geworden sind. Zwar hatte sie der Antragsteller noch mit Widersprüchen angefochten, die aber die Regierung von Niederbayern mit Widerspruchsbescheiden vom 13. Januar 2009 und 18. Mai 2009, denen eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, zurückgewiesen hatte. Der Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2009 wurde dem Antragsteller am 15. Januar 2009, der Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2009 seinem ehemaligen Bevollmächtigten am 23. Mai 2009 zugestellt. Die dagegen erhobenen Klagen gingen beim Verwaltungsgericht erst am 23. Juli 2009 und 8. August 2009 ein (Verfahren RN 5 K 09.1308 und RN 5 K 09.1426), mithin jeweils nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO. Der Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2009 wurde nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes zugestellt (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 VwZVG, § 3 VwZG), die Ersatzzustellung nach § 180 ZPO konnte zulässigerweise vorgenommen und das zuzustellende Schriftstück in den Briefkasten gelegt werden (vgl. BVerwG vom 2.8.2007 NJW 2007, 3222). Dass der ehemalige Bevollmächtigte des Antragstellers diesen Widerspruchsbescheid nicht erhalten haben will und dass die Zustellung fehlerhaft erfolgte, hat der nunmehrige Vertreter des Antragstellers lediglich behauptet, ohne dafür schlüssige Tatsachen vorgetragen und in diesem summarischen Verfahren glaubhaft gemacht zu haben, etwa durch eine anwaltliche Versicherung des ehemaligen Bevollmächtigten. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefristen (§ 60 VwGO) wurde beantragt, ohne aber hierfür Gründe auszuführen. Solche waren auch ansonsten nicht ersichtlich.

Der – in 2. Instanz erstmals – hilfsweise gestellte Antrag, wegen Nichtigkeit der Zwangsgeldandrohungen vom 4. Dezember 2008 und 2. Februar 2009 gemäß § 123 VwGO die Einstellung der Zwangsvollstreckung zumindest unmittelbar „auf der Grundlage dieses Bescheides“ anzuordnen, führt ebenfalls nicht zum Erfolg. Nichtigkeitsgründe sind weder dargelegt noch ersichtlich. Nach Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Ohne Rücksicht auf das Vorliegen dieser Voraussetzung ist gemäß Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG (absolute Nichtigkeitsgründe) ein Verwaltungsakt nichtig, den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann. Die bestandskräftigen Verwaltungsakte – die aufschiebend bedingten Leistungsbescheide (Zwangsgeldandrohungen unter Fristsetzungen) – vom 4. Dezember 2008 und 2. Februar 2009 – mögen im Hinblick auf Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG aus den in den Beschlüssen des Senats vom 3. Dezember 2009 Az. 20 CS 09.2381 und vom 8. Dezember 2009 Az. 20 CS 09.2721 und 20 CS 09.2722 angeführten Gründen rechtswidrig sein, sie sind jedoch nicht nichtig, weil vom Antragsteller nichts objektiv tatsächlich Unmögliches verlangt wurde (vgl. Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG; siehe auch BayVGH vom 23.10.2009 Az. 20 CS 09.2005). Die ihm aufgegebenen Impfungen hätte der Antragsteller nämlich im Laufe der von den Bescheiden vorgegebenen Zeiträumen – abgesehen von einer rechtlichen Verpflichtung – tatsächlich durchführen lassen können.

War nach alledem die Aussetzung der Zwangsvollstreckung in Umsetzung der Fälligerklärungen veranlasst, brauchte nicht mehr darüber befunden zu werden, ob noch aus anderen Gründen (vgl. Art. 21 und Art. 22 VwZVG) die Zwangsvollstreckung hätte eingestellt werden müssen. Der Antragsteller hat förmliche Einwendungen nach Art. 21 VwZVG in den einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht mehr geltend gemacht (vgl. demgegenüber Schriftsatz vom 20.7.2009 Blatt 117 ff. der Behördenakte), und muss sich an den hilfsweise erhobenen Feststellungsklagen festhalten lassen (BayVerfGH vom 24.1.2007 BayVBl. 2007, 306). Sollte jedoch die Pflichtimpfung abgeschafft und insoweit die EG-Blauzungenbekämpfung-Durchführungsverordnung geändert werden (siehe Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit vom 3.11.2009 Az. 46 – G 8765 – 2009/210 – 4), spräche vieles dafür, dass sich die in den Hauptsacheverfahren noch anhängigen Vollstreckungsverfahren erledigten, weil Vollstreckungsmaßnahmen nach Art. 22 Nr. 3 VwZVG einzustellen wären.

Die Kostenentscheidung folgt § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt, dass der Antragsteller mit seinen Rechtsschutzbegehren in den einstweiligen Rechtsschutzverfahren weitgehend unterlegen ist und nur zu einem geringen Teil mit seinem Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO durchdringen konnte.

Der Streitwert ergibt sich aus § 45 Abs. 1 Satz 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nrn. 1 und 2, § 52 Abs. 1 und 3 GKG. Er beträgt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein Viertel des angedrohten Zwangsgeldes (insgesamt 6.200,-- €), das hier jeweils dem Hauptantrag und den zwei Hilfsanträgen zugrunde zu legen ist.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.