AG München, Beschluss vom 25.11.2009 - 551 F 5932/09
Fundstelle
openJur 2012, 104536
  • Rkr:
Tenor

1.Das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Ausübung der Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Ausübung der Schulwahl für das gemeinsame minderjährige Kind …. wird dem Vater übertragen.

2. Der Antrag der Mutter auf Übertragung der elterlichen Sorge wird zurückgewiesen.

3. Die gerichtlichen Kosten des Verfahrens haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Parteien sind die getrennt lebenden Eltern des Kindes Cl. Sie haben die gemeinsame elterliche Sorge für C. Das Kind hat seinen Lebensmittelpunkt bei der Mutter.

Die Trennung der Parteien erfolgte im März 2008. Nachdem ein vereinbarter Umgang im April 2008 nicht stattfand, beantragte der Vater am 18.06.2008, das Umgangsrecht gerichtlich zu regeln. In diesem Verfahren schlossen die Parteien am 13.08.2008 eine Vereinbarung über einen 14tägigen Umgang des Vaters von Freitag 13.00 Uhr bis Sonntag 18.00 Uhr und verpflichteten sich, während des Umgangs nicht schlecht über den jeweils anderen zu sprechen und schnellstmöglich in eine Beratung zu gehen.

Am 17.10.2008 beantragte die Mutter, den vereinbarten Umgang bis auf weiteres auszusetzen, da er nicht dem Wohl des Kindes entspreche. Eine Beratung der Eltern bei der Brücke e.V. scheiterte im Dezember 2008. Am 20.01.2009 beantragte der Vater die Verhängung eines Zwangsgelds gegen die Mutter wegen Umgangsverweigerung. Eine gerichtliche Mediation der Parteien im Januar 2009 scheiterte.

Am 15.04.2009 schlossen die Parteien dann erneut eine gerichtliche Umgangsvereinbarung. Diese hatte folgenden Inhalt:

1. Beide Parteien erklären sich mit der Einsetzung eines Umgangspflegers einverstanden.

2. Die Parteien erklären sich mit der Therapie für C durch einen von der Brücke e.V. vorzuschlagenden Therapeuten einverstanden.

3. Der Antragsgegner verpflichtet sich, die Arztrechnungen für C zu bezahlen.

4. Der Antragsgegner hat das Recht und die Pflicht zum Umgang wie folgt:

a) zunächst 14tägig samstags von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr in Begleitung des Umgangspflegers.

b) Nach 3 stattgefundenen samstäglichen Umgangsterminen künftig 14tägig von Freitag 13.00 Uhr durch Abholung an der Grundschule bis Sonntag 18.00 Uhr.

5. Die Parteien sind darüber einig, daß der Lebensmittelpunkt von C bei der Antragstellerin ist und der Antragsgegner verpflichtet sich, C nach den Umgangsterminen pünktlich zurückzubringen.

6. Der Antragsgegner hat in den Sommerferien das Recht zum Umgang vom 03.08.2009 bis 09.08.2009 und vom 29.08.2009 bis 06.09.2009. Der Antragsgegner verpflichtet sich, seinen Urlaub mit C nur in Deutschland oder Österreich zu verbringen.

7. Die Weihnachtsferien verbringt vom 24.12.2009 bis 30.12.2009 bei der Antragstellerin und vom 31.12.2009 10.00 Uhr bis 05.01.2010 18.00 Uhr beim Antragsgegner.

Seit der Trennung der Parteien im März 2008 bis heute fand Umgang nur 5 Mal und zwar an folgenden Terminen statt:

22.08. bis 24.08.200802.09. bis 03.09.200819.09. bis 21.09.200823.05.2009 und 13.06.2009 begleiteter Umgang in Anwesenheit der Umgangspflegerin.Weitere Umgangstermine verweigerte die Antragsgegnerin.

Draufhin beantragte der Antragsteller im Juli 2009, ihm wegen der fortdauernden Umgangsverweigerung u.a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für C zu übertragen.

Im Herbst 2009 meldete die Antragsgegnerin C ohne Zustimmung des Vaters bei der bisher besuchten Schule ab.

Die entsprechend der gerichtlichen Vereinbarung der Parteien von der Brücke e.V. vorgeschlagenen Therapeuten für C wurden von der Antragsgegnerin nicht kontaktiert.

Die Umgangspflegerin Frau M hat in ihrem Bericht vom 20.07.2009 ausgeführt:

"Es konnte nichts gefunden werden, was gegen einen häufigen regelmäßigen Umgang zwischen C und seinem Vater spricht. Im Gegenteil: C wurde in der Zeit des ehelichen Zusammenlebens häufig vom Vater betreut. Es besteht eine intensive Bindung zwischen beiden. C fühlt sich im Umgang mit dem Vater ausgesprochen wohl. Beide haben viele Gemeinsamkeiten und ständig etwas zu besprechen. Ich habe zu keiner Zeit eine negative Äußerung von Herrn B über Frau K vernommen. Frau dagegen spricht häufig auch in Hörweite von C sehr negativ über "den B". Sie behindert nicht nur den Kontakt zwischen Vater und Sohn massiv, sie beeinflußt und manipuliert C auch so, daß dieser sich nicht mehr traut, seine Sehnsucht nach dem Vater zuzugeben. C wird von vielen bisherigen Freunden und Aktivitäten ferngehalten. Er rutscht zunehmend in die Außenseiterrolle."

Das Jugendamt trägt in der Stellungnahme vom 03.08. 2009 vor:

"Aus fachlicher Sicht ist festzustellen, daß C sich in einem massiven Loyalitätskonflikt befindet und sehr unter der Situation leidet. Im Gespräch mit ihm wurde deutlich, wie wichtig dem Kind die Familie und der Kontakt zu beiden Elternteilen ist. Zur Abwendung der weiteren Beeinträchtigung des Kindeswohls muß Ruhe in die familiäre Situation einkehren. Dabei müssen die Erwachsenen entscheiden. Was C braucht und möchte, steht außer Zweifel, eine Befragung des Jungen ist nicht notwendig und würde ihn zusätzlich belasten.

Frau K hat C in der Vergangenheit zunehmend isoliert, indem sie bestimmte Freundschaften nicht mehr zuließ, ihn von Sportverein und Mittagsbetreuung abmeldete und ihn schließlich in der letzten Woche des Schuljahres nicht mehr in die Schule schickte.

Mit Frau K konnte kein konkreter Ansatzpunkt zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Ziel der Ausarbeitung eines Lösungswegs im Umgangskonflikt im Sinne einer Umsetzung der gerichtlichen Vereinbarung und einer Stabilisierung der Umgangskontakte gefunden werden."

Die Sachverständige Dr. Manuela H führt im Gutachten vom 09.11.2009 aus:

"Bezüglich der Erziehungsfähigkeit von Frau K hinsichtlich ihres Sohnes C ist zunächst festzustellen, daß bei der Probandin eine psychische Erkrankung, die zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Erziehungsfähigkeit führen könnte, nicht besteht.

Allerdings bestehen problematische Wesenzüge aufgrund derer sie nur unzureichend in der Lage erscheint, mit der derzeitigen konfliktgeladenen Trennungssituation adäquat umzugehen. Gerade im Zusammenhang von Umgangsvereinbarungen des Vaters mit dem gemeinsame Sohn kommt es bei der Probandin zu massiven psychischen Belastungsreaktionen, in denen sie, ohne es zu beabsichtigen oder sich dessen bewußt zu sein, nicht ausreichend in der Lage ist, ihre eigenen Ängste von der Befindlichkeit ihres Sohnes zu trennen und ihm so ein unbelastetes Miteinander mit seinem Vater zu ermöglichen. Auf kognitiver Ebene ist Frau K durchaus bereit und in der Lage, die Wichtigkeit auch der väterlichen Präsenz für das Kind wahrzunehmen und einzuräumen. Emotional dagegen ist aufgrund ihrer eigenen angstvoll erlebten Erfahrungen mit dem Kindsvater ihre Fähigkeit, den Kontakt zwischen Vater und Sohn zuzulassen und sogar aktiv zu fördern, deutlich herabgesetzt. Ihre Vorbehalte entspringen der Befürchtung, ihr Sohn könnte sich bei seinem Vater nicht wohl fühlen oder sogar in Gefahr sein. Aus den Berichten der involvierten professionellen Helfersysteme ergeben sich hierfür jedoch keine Anhaltspunkte, so daß die Befürchtungen der Probandin zumindest irrational übersteigert erscheinen. Eine kritische reflektierte Position kann Frau K hierzu jedoch nicht beziehen, sie ist nach wie vor massiv in die eheliche Auseinandersetzung involviert, so daß es ihr persönlichkeitsbedingt nicht möglich ist, unter Hintanstellung ihrer eigenen Befindlichkeit und Ängste das Bedürfnis ihres Sohnes nach Kontakt auch zu seinem Vater ausreichend zu respektieren und zu unterstützen. In diesem Bereich der Bindungstoleranz zum Vater erscheint aus Sachverständigensicht die Erziehungsfähigkeit der Probandin deutlich eingeschränkt."

Das Kind C wurde am 15.04.2009 und am 25.11.2009 angehört. Am 15.04.2009 war C noch zu einem 14tägigen Umgang mit dem Vater bereit. Im Termin vom 25.11.2009 gab er an, seinen Vater derzeit nicht sehen zu wollen, sondern erst wieder, wenn sich die Situation beruhigt habe.

Der Vater und Antragsteller beantragt, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht der Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Schulwahl zu übertragen.

Er ist bereit, der Antragsgegnerin im Falle der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn ein großzügiges Umgangsrecht zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Anträge zurückzuweisen und ihr die elterliche Sorge allein zu übertragen.

II.

Nachdem beide Eltern den Lebensmittelpunkt des Kindes bei sich haben wollen, ist das gemeinsame Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern aufzuheben und gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf den Vater zu übertragen, da dies dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

Beim Antragsteller, dem Vater des Kindes, bestehen keine Erziehungsdefizite. Die ursprünglich von der Mutter geäußerte Sorge, der Vater sei Mitglied einer Sekte oder einer ähnlichen Vereinigung und dort schädlichen Einflüssen ausgesetzt, hat sich nicht bestätigt. Die Mutter hat auch weiter keine konkreten Angaben gemacht, wieso der Vater schädlich für das Kind sein soll. Auch die Umgangspflegerin, die in früheren Verfahren bestellte Verfahrenspflegerin und die Mitarbeiterin des Jugendamts kommen zu dem Ergebnis, daß eine enge vertrauensvolle Vater-Kind-Bindung gegeben ist, und diese unverzichtbar für eine positive Entwicklung des Kindes ist.

35Die Antragsgegnerin und Mutter des Kindes ist ebenfalls grundsätzlich erziehungsfähig. Auch sie hat eine enge intakte Beziehung zu ihrem Sohn. Allerdings ist ihre Erziehungsfähigkeit im Hinblick auf die Bindungstoleranz eingeschränkt. So ist sie nicht in der Lage, das Bedürfnis ihres Sohnes nach Kontakt zu seinem Vater unter Hintanstellung ihrer eigenen Befindlichkeiten und Ängste ausreichend zu respektieren und zu unterstützen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. Manuela Haag vom 09.11.2009 verwiesen, welchem das Gericht sich vollumfänglich anschließt.

36Der Kontaktabbruch zu einem Elternteil widerspricht dem Kindeswohl, wenn wie hier, keine Defizite in der Erziehungsfähigkeit des Elternteils vorliegen.

37Nachdem sämtliche Interventionsbemühungen wie Beratung, Mediation, Einsetzung eines Umgangspflegers, begleiteter Umgang und Zwangsgeldandrohungen gescheitert sind, ist als letztes verfügbares Mittel ein Überwechseln des Kindes zum anderen Elternteil angezeigt. Der Wechsel der Hauptbezugsperson ist vom Kind leichter zu verkraften als die fortdauernde Traumatisierung durch den Verlust einer Elternbeziehung (vgl. FA-FamR /Büte 4, 540).

38Wenn ein Elternteil den Umgang mit dem anderen zuläßt und fördert und der andere nicht, entspricht es daher dem Kindeswohl, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Elternteil zu übertragen, welcher den Umgang mit dem anderen möglich macht. Daher war das Aufenthaltsbestimmungsrecht hier auf den Vater zu übertragen. Der Vater verfügt über die notwendige Bindungstoleranz. Er hat am 15.04.2009 im Rahmen der gerichtlichen Vereinbarung explizit sein Einverständnis erklärt, dass der Lebensmittelpunkt von C bei der Mutter ist. Den Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts hat er erst gestellt, nachdem auch nach der zweiten gerichtlich geschlossenen Umgangsvereinbarung kein regelmäßiger Umgang stattfand. Er ist bereit, der Mutter regelmäßigen Umgang einzuräumen.

Daß C mittlerweile den Umgang mit dem Vater selbst ablehnt, führt zu keinem anderen Ergebnis.

Zwar hat dem Kindeswillen ein angemessener Anteil bei der Entscheidung zuzukommen (OLG Bamberg ZfJ 1996, 194, 195). Er hat Bedeutung für die Bindungen und Neigungen des Kindes, kann aber nur dann streitentscheidend sein, wenn er so stark ist, dass er nicht übergangen werden kann, ohne das Kind in seiner Existenz zu gefährden. Wenn es seinem Wohl und Schutz dient, hat das Kind auch eine von ihm abgelehnte Fremdbestimmung hinzunehmen (OLG Hamm FamRZ 1996, 1096; OLG Bamberg NJW 1995, 1684).

Die Berücksichtigung des Kindeswillen hat altersabhängig zu erfolgen und es ist zu prüfen, ob der geäußerte Wille stabil ist und sich objektiv mit dem Wohl des Kindes vereinbaren läßt (OLG Bamberg ZfJ 1996, 194, 195).

Hier ist zu sehen, dass es sich bei dem von C geäußerten Willen nicht um einen festen, nachvollziehbar begründeten Entschluss, sondern um eine momentane, durch die Konfliktsituation beeinflusste Einstellung handelt.

Angesichts des Alters des 10-jährigen C und seiner schwankenden Haltung zum Umgang mit dem Vater, sowie der Tatsache, dass er die Ablehnung mit den Streitigkeiten seiner Eltern begründet, ist offensichtlich, dass seine Ablehnung Ausfluss des Loyalitätskonflikts ist.

Dies kann nicht dazu führen, dass C keinen Kontakt mehr zum Vater hat.

45Derjenige Elternteil, bei dem das Kind lebt, muß die Bedingungen schaffen, daß der Umgang mit dem anderen Elternteil von dem Kind wahrgenommen werden kann und dafür Sorge tragen, daß das Kind nicht in den Paarkonflikt hineingezogen wird und sich deshalb aus Loyalitätsgründen veranlaßt sieht, keinen Umgang mehr zu wollen. Gelingt dies dem Elternteil nicht, bei dem das Kind lebt, spricht dies ebenfalls für einen Aufenthaltswechsel zu dem Elternteil, der die Kompetenz hat, eine positive Einstellung des Kindes zum Umgang zu wecken.

Auch in den Teilbereichen der elterlichen Sorge betreffend die Ausübung der Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Schulwahl war die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben.

Nachdem massive Konflikte der Eltern hinsichtlich der richtigen Therapie für C und der richtigen Schule bestehen und eine Einigung nicht erzielt werden konnte, waren auch diese Teilbereiche der elterlichen Sorge auf den Elternteil zu übertragen, in dessen Obhut sich das Kind befindet, also hier auf den Antragsteller.

Der Antrag der Mutter, ihr die elterliche Sorge allein zu übertragen, war zurückzuweisen. Eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge über die genannten Teilbereiche hinaus erscheint derzeit nicht veranlaßt. Aus den dargelegten Gründen käme im übrigen auch die Übertragung weiterer Teilbereiche der elterlichen Sorge auf die Antragsgegnerin im Falle der Notwendigkeit der Aufhebung der gemeinsamen Sorge nicht in Betracht.

Kosten:

Die Kostenenscheidung beruht auf §§ 94 Abs. 1. Nr. 3 - 6, Abs. 3 Satz 2 KostO, 13 a FGG.

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