ArbG Regensburg, Urteil vom 26.11.2009 - 5 Ca 2335/09
Fundstelle
openJur 2012, 104529
  • Rkr:
Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung noch die hilfsweise fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 6.07.2009 beendet wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Einsteller weiterzubeschäftigen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Der Streitwert wird auf € 9.600,00 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen, Kündigung.

Der 49 Jahre alte Kläger ist seit 22.01.2001 als Einsteller bei der Beklagten mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von € 2.400,00 beschäftigt.

Die Beklagte ist Automobilzulieferer und beschäftigt ca. 300 Arbeitnehmer in ihrem Betrieb in P.

Am Montag, den 13.07.2009 wurde der Kläger von seinem Vorgesetzten, Herrn ... aufgefordert, in der folgenden Woche vom 20.07.2009 bis 24.07.2009 Aufgaben für die Beklagte in deren Tochterunternehmen in Vilnius/Litauen, ... zu erledigen. Das Produktionsvolumen dort wird permanent ausgebaut, in diesem Zusammenhang wurden auch Werkzeuge und Maschinen von der Beklagten zur ... verlagert. Serienteile die bisher bei der Beklagten in P gefertigt wurden, werden nach Verlagerung in Litauen weiterproduziert. Der Kläger sollte bei der ... Produktionsprozesse in der Stanzerei, die bereits dorthin verlagert worden war, optimieren und die dortigen Arbeitnehmer entsprechend einweisen.

Die Beklagte schickt seit 2005 regelmäßig geeignete Arbeitnehmer abwechselnd nach Litauen. Die Anreise erfolgt per Flugzeug mit entsprechendem Shuttleservice zu und von den Flughäfen. Die Unterbringung erfolgt im Hotel oder in einer firmeneigenen Wohnung. Reisezeit und Überstunden werden neben dem normalen Lohn und der tariflichen Leistungszulage vergütet und es gibt entsprechende Verpflegungspauschalen. Reisekosten und Unterbringung trägt die Beklagte ebenfalls.

Der Betriebsrat wurde bei solchen Einsätzen von Arbeitnehmern in Litauen niemals einbezogen und hat dies erstmals beim Kläger moniert.

Der Kläger hat sich geweigert nach Litauen zu reisen. Gegenüber dem Vorarbeiter äußerte er, er wolle nicht am Verlust des eigenen Arbeitsplatzes mitwirken. In einem weiteren Gespräch mit dem Produktionsleiter ... und dem Personalleiter ... hat der Kläger geäußert, "dass mache er nicht, er lehne dies ab und auch der Betriebsratsvorsitzende habe ihm gesagt, dass er dies nicht tun brauche".

Hierbei blieb er auch in einem weiteren Gespräch an dem der Betriebsratsvorsitzende ... teilgenommen hat.

Mit Schreiben vom 14.07.2009 wurde der Betriebsrat über die beabsichtigte außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung informiert. Bezüglich des genauen Inhalts des Schreibens wird auf Blatt 40/41 der Akte verwiesen.

Der Betriebsrat hat mit Schreiben vom 15.07.2009 zur beabsichtigten Kündigung Stellung genommen.

Mit Schreiben vom 16.07.2009, dem Kläger am 17.07.2009 zugegangen, hat die Beklagte die außerordentliche fristlose sowie hilfsweise ordentliche Kündigung erklärt. Mit seiner Klage vom 24.07.2009, beim Arbeitsgericht Regensburg am 29.07.2009 eingegangen, wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung.

Er meint die Kündigung sei weder als außerordentliche noch als ordentliche Kündigung wirksam, weil er nach seinem Arbeitsvertrag nicht verpflichtet sei in Litauen zu arbeiten und weil der Betriebsrat unstreitig nicht dem Einsatz in Litauen zugestimmt habe. Der Hinweis auf die Flugangst sei keine Drohung von ihm gewesen, sondern als Hinweis von ihm eingewendet worden, denn er leide tatsächlich an Flugangst. Daher liege auch keine beharrliche Arbeitsverweigerung vor.

Der Kläger beantragt zuletzt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung noch die hilfsweise fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 16.07.2009 beendet wird.

2. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Einsteller weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung.

Sie meint der Kläger sei aufgrund des Arbeitsvertrages verpflichtet auch in Litauen seine Arbeitsleistung zu erbringen. Der Einsatz sei zumutbar und der Betriebsrat sei nicht zu beteiligen gewesen, weil eine mitbestimmungspflichtige Versetzung nicht vorliege. Dies folge daraus, dass kein Einsatz von über einem Monat geplant sei und eine erhebliche Änderung der Arbeitsumstände nicht erkennbar sei. Der Kläger habe in dem letzten Gespräch gesagt, er werde einen Arzt aufsuchen und sich eine ärztliche Bescheinigung über Flugangst ausstellen lassen. Dies habe die Beklagte als Drohung aufgefasst.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen hierzu sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet:

1. Das Arbeitsgericht Regensburg, Gerichtstag Neumarkt, ist im Rechtsweg und örtlich zuständig (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 a, b ArbGG, §§ 12, 17 ZPO i. V. m. II A Nr. 1. 2 Geschäftsverteilungsplan des Arbeitsgerichts Regensburg).

2. Die Kündigung ist weder als außerordentliche noch als ordentliche Kündigung wirksam. Der Kläger war nicht zur Arbeitsleistung in Vilnius/Litauen verpflichtet, daher liegt keine Arbeitsverweigerung vor. Auch kann dem Kläger keine Arbeitsvertragsverletzung durch Drohung angelastet werden.

2.1 Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist nur gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Kündigungsgrund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB ist dabei ein Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet. An das Vorliegen eines wichtigen Grundes sind strenge Anforderungen zu stellen. Neben Verletzung im Leistungsbereich kommen vor allem Störungen im persönlichen Vertrauensbereich der Vertragspartner in Betracht. Die außerordentliche Kündigung ist entsprechend dem im Kündigungsrecht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur dann zulässig, wenn sie die unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) für den Kündigungsberechtigten darstellt, um weitere Störungen des Arbeitsverhältnisses zu verhindern. Der wichtige Grund muss im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung vorliegen. Das Bundesarbeitsgericht hat bisher in Fällen einer sogenannten beharrlichen Arbeitsverweigerung in aller Regel eine außerordentliche Kündigung als gerechtfertigt angesehen (vgl. BAG v. 21.11.1996, 2 AZR 357/95). Dabei ist es davon ausgegangen, die beharrliche Arbeitsverweigerung setze in der Person des Arbeitnehmer im Willen eine Nachhaltigkeit voraus; der Arbeitnehmer müsse die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genüge, dass der Arbeitnehmer eine Weisung unbeachtet lasse, sondern die beharrliche Arbeitsverweigerung setze voraus, dass eine intensive Weigerung des Arbeitnehmers vorliege. Allerdings könne das Moment der Beharrlichkeit auch darin zu sehen sein, dass in einem einmaligen. Falle der Arbeitnehmer eine Anweisung nicht befolge, das müsse dann aber z. B. durch eine vorhergehende, erfolglose Abmahnung verdeutlicht werden.

2.2 Eine Arbeitsverweigerung ist vorliegend jedoch nicht anzunehmen, weil der Kläger nicht verpflichtet war, seine Arbeitsleistung in Vilnius/Litauen zu erbringen. Dies folgt daraus, dass die Beklagte die Zustimmung des Betriebsrats zum Einsatz des Klägers in Vilnius/Litauen nicht eingeholt hat. Diese war jedoch gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG erforderlich, weil die Entsendung des Klägers nach Vilnius/Litauen eine Versetzung gemäß § 95 Abs. 3 BetrVG darstellte.

24Nach dem betriebsverfassungsrechtlichen Versetzungsbegriff in § 95 Abs. 3 BetrVG ist unter Versetzung die tatsächliche Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches zu verstehen, gleichgültig ob er höhere, niedrigere oder gleichwertige Anforderungen an den Arbeitnehmer stellt (vgl. BAG v. 19.02.1991, AP Nr. 26 zu § 95 BetrVG 1972), die entweder voraussichtlich länger als einen Monat oder – auch bei kürzerer Dauer – mit einer erheblichen Änderung der äußeren Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Es handelt sich also um einen räumlichen (und) oder einen funktionalen Versetzungsbegriff (vgl. Fitting 23. Aufl. § 99 Rd-Nr. 102). Der Begriff des Arbeitsbereichs wird durch die Aufgabe und die Verantwortung sowie die Art der Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs umschrieben. Es geht also um den konkreten Arbeitsplatz und seine Beziehung zur betrieblichen Umgebung in räumlicher, technischer und organisatorischer Hinsicht (vgl. BAG v. 19.02.1991 a. a. O.). Auch eine erhebliche Änderung der Umstände allein ohne Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs kann eine Versetzung sein (BAG v. 26.05.1998, AP Nr. 13 zu § 95 BetrVG 1972). Unter den Umständen der Arbeitsleistung ist insbesondere auch der Ort der Erbringung der Arbeitsleistung entscheidend.

25Die Entsendung eines Arbeitsnehmers zu einem anderen Arbeitsort bedeutet Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs. Ein Ortswechsel wird schon nach allgemeiner Anschauung als Versetzung angesehen. Dabei genügt es in jedem Fall, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung in einer anderen geografischen Gemeinde erbringen soll. Bei einem nicht unerheblich veränderten Anfahrtsweg reicht sogar die Ortsveränderung auch innerhalb der Gemeinde. Auch wenn der Arbeitsplatzwechsel an einen anderen Ort von kürzerer Dauer ist als einen Monat, aber mit einer erheblichen Veränderung der Umstände verbunden ist, liegt eine zustimmungspflichtige Versetzung vor. Dies gilt insbesondere bei Entsendung inländischer Arbeitskräfte ins Ausland (BAG v. 18.02.1986, AP Nr. 33 zu § 99 BetrVG). Demnach ist beim Arbeitseinsatz des Klägers in Vilnius/Litauen für eine Woche zum Optimieren der Produktionsabläufe und Einweisung des dortigen Personals sowohl in örtlicher Hinsicht, als auch inhaltlicher Hinsicht von der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs auszugehen. Der Kläger hat eine weite Anreise ins Ausland, hat dort eine andere Unterbringung, ist mit fremdsprachigen Mitarbeitern konfrontiert und ist nicht wie zuhause im Betrieb als Produktionsmitarbeiter, sondern als Einweiser tätig, so dass hier nicht von einer unerheblichen Änderung der Arbeitsumstände auszugehen ist, sondern ganz im Gegenteil, die Umstände geradezu augenfällig verändert sind.

26Mitbestimmungspflichtige Versetzungen ohne Beteiligung des Betriebsrats sind jedoch unwirksam, auch wenn kraft Arbeitsvertrags das Direktionsrecht des Arbeitgebers eine solche Versetzung umfassen würde (vgl. BAG v. 26.01.1988, AP Nr. 50 zu §§ 99 BetrVG 1972). Der Arbeitnehmer braucht daher einer betriebsverfassungswidrigen Versetzungsanordnung nicht nachzukommen.

Damit kann dem Kläger keine Arbeitsverweigerung und mangels Abmahnung schon gar keine beharrliche Arbeitsverweigerung vorgeworfen werden, es ist im Hinblick darauf bereits ein Kündigungsgrund an sich nicht gegeben. Auf ein möglicherweise im Arbeitsvertrag geregeltes Versetzungsrecht kommt es damit nicht an. Dies kann entsprechend dahingestellt bleiben.

282.3 Die Äußerung des Klägers, er leide an Flugangst und lasse sich dies ggf. auch von einem Arzt attestieren, stellt ebenso keine Arbeitsvertragsverletzung dar und ist daher bereits an sich ebenfalls kein geeigneter wichtiger Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB. Drohung ist das in Aussicht stellen eines künftigen Übels; sie muss den Betroffenen in eine Zwangslage versetzen. Beim Bedrohten muss der Eindruck entstehen, dass der Eintritt des Übels vom Willen des Drohenden abhängig ist. Der Hinweis auf eine objektiv bestehende Zwangslage genügt nicht (vgl. Palandt Heinrichs BGB, 62. Aufl., § 123 Rd-Nr. 15 ff.).

Die Darlegungs- und Beweislast trägt die Beklagte. Die Beklagte behauptet jedoch nicht einmal, dass der Kläger nicht an Flugangst leide. Wie sich daraus objektiv eine widerrechtliche Drohung ableiten lässt ist für die Kammer unerfindlich. Eine subjektive Einschätzung der Beklagten, die ohne objektiven Anhaltspunkt behauptet wird, genügt zur Annahme eines wichtigen Grundes jedenfalls nicht.

3. Da, wie oben dargelegt, keinerlei arbeitsvertragswidriges Verhalten des Klägers vorliegt, ist auch die ordentliche Kündigung gem. § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam. Das Kündigungsschutzgesetz ist gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG anwendbar. Damit bedarf es zur Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung eines Kündigungsgrundes. Ein solcher liegt wie oben dargestellt nicht im Verhalten des Klägers vor.

4. Die Beklagte ist auch zur Weiterbeschäftigung des Klägers im Rahmen seines Arbeitsvertrages verpflichtet. Nach der Entscheidung des großen Senats des BAG vom 27.02.1985, NJW 1985, Seite 2968, besteht auch im streitigen Arbeitsverhältnis nach §§ 611, 613, 241 Abs. 2 BGB i. V. m. Artikel 1, 2 Grundgesetz, ein Recht des Arbeitnehmers auf tatsächliche Beschäftigung bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Kündigung. Der Anspruch hängt von einer Interessenabwägung zwischen dem Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers und dem Interesse des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer aus dem Betrieb fernzuhalten ab. Das entscheidende Kriterium für die Interessenabwägung ist die Klärung der Rechtslage. Da die Kündigung wie oben dargelegt unwirksam ist, überwiegt das Interesse des Arbeitnehmers an der Beschäftigung. Umstände die eine andere Interessenabwägung zugunsten der Beklagten erkennen ließen sind nicht vorgetragen.

5. Die Kostenentscheidung erfolgt aufgrund der §§ 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 ZPO. Danach waren der unterlegenen Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

6. Der Streitwert war gemäß § 61 ArbGG i. V. m. § 42 Abs. 4 GKG, § 3 ZPO auf drei Bruttomonatsgehälter festzusetzen, während der Weiterbeschäftigungsantrag mit einem weiteren Bruttomonatsgehalt zu berücksichtigen war.

Krottenthaler

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