VG München, Urteil vom 21.10.2009 - M 18 K 08.6355
Fundstelle
openJur 2012, 103625
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Mit der Klage begehrt die Klägerin Einsicht in einen zweiseitigen Aktenvermerk, der sich in den Jugendhilfeakten des Beklagten befindet.

Die Klägerin ist Mutter des am … 1999 geborenen …. Soweit es nach Akteninhalt feststellbar ist, haben die Klägerin und der Vater des Kindes das Sorgerecht gemeinsam inne. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht wurde mit Beschluss des Familiengerichts vom …. Juni 2005 auf den Vater übertragen, bei dem das Kind auch lebt.

Mit Telefax vom …. März 2008 bat die Klägerin den Beklagten um Unterstützung beim Umgangsrecht mit ihrem Sohn. Der letzte Umgang habe am …. März 2007 stattgefunden.

Bei einer Vorsprache am …. April 2008 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass der Beklagte derzeit nicht in eine außergerichtliche Umgangsvermittlung einsteigen könne, da der Vater des Kindes hierzu nicht bereit sei.

Einem Antrag der Klägerin vom …. August 2008 auf Einsicht in die Beratungsakte wurde mit Schreiben des Beklagten vom …. August 2008 stattgegeben. Nach der am …. September 2008 erfolgten Akteneinsicht wurde der Klägerin auf ihren Wunsch hin mit Schreiben vom …. September 2008 auch eine Kopie der Akte zugesandt.

Nachdem die Klägerin bei einer Besprechung beim Beklagten am …. September 2008 die Befürchtung geäußert hatte, dass eine Gefährdung des Kindeswohls durch die Unterbringung beim Vater gegeben sei, sagte der Beklagte zu, die Situation im Rahmen eines Hausbesuches zu überprüfen.

Am …. November 2008 beantragte die Klägerin erneut vollständige Einsicht in die Akte des Beklagten. Mit Bescheid vom …. November 2008 gewährte der Beklagte die Einsichtnahme mit Ausnahme eines Aktenvermerks vom …. November 2008, der ein Telefonat mit dem Vater des Kindes am …. Oktober 2008 und den Hausbesuch bei dem Vater des Kindes am …. Oktober 2008 betraf. Der Einsicht in diesen Aktenvermerk stehe § 25 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 65 SGB VIII entgegen. Anvertraute Sozialdaten dürften an Dritte nicht ohne Weiteres weitergegeben werden. Die Angaben des Vaters seien unter dem Vorbehalt der Geheimhaltung erfolgt.

Mit Telefax vom 28. Dezember 2008 erhob die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag:

„I. Der Bescheid des Beklagten vom …. November 2008 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Einsicht in Blätter 81 und 82 der Akte (Aktenvermerk vom ….11.2008 betreffend Telefonat mit Herrn …. vom ….10.2008 sowie Hausbesuch bei Herrn …. und …. am ….10.2008, der das Verfahren … geboren ….1999 Hilfe und Unterstützung beim Umgang nach § 18 SGB VIII, betreffenden Akten des Beklagten zu erteilen.

III. Hilfsweise: Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

IV. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin einschließlich der Kosten des Klageverfahrens.“

Zur Begründung führte die Klägerin aus, beim Beklagten laufe ein Verfahren nach § 18 SGB VIII zur Hilfe und Unterstützung beim Umgang. Entgegen ihrem Antrag vom …. November 2008 sei ihr die Einsicht in die vollständigen Akten teilweise verweigert worden wegen angeblich schützenswerter Belange Dritter. Sie habe einen Anspruch auf Akteneinsicht zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen. Der Beklagte habe selbst gegen Datenschutzbestimmungen verstoßen, wobei eine strafrechtliche Überprüfung noch ausstehe. Sie habe nach § 84 SGB X ein Recht auf Löschung und Sperrung von falschen Daten. Unstrittig befänden sich rechtswidrig ermittelte Daten in den Akten, weshalb eine vollständige Akteneinsicht notwendig sei. Insbesondere Einsicht in die ordnungsgemäße aktuelle Befragung des Kindes stehe ihr zu. Zur Geltendmachung und Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen und zur Ermittlung der Ursache der Untätigkeit des Beklagten sei die Akteneinsicht dringend erforderlich. Aufgrund der nicht plausibel begründeten Versagung werde vermutet, dass der Beklagte ein Geheimverfahren gegen die Klägerin führe. Ein Interesse Dritter an der Geheimhaltung sei demgegenüber nicht ersichtlich. Der Beklagte habe keine Abwägung zwischen dem gewichtigen Interesse der Klägerin an der Akteneinsicht und dem Interesse Dritter an der Geheimhaltung vorgenommen.

Der Beklagte nahm im Schriftsatz vom …. März 2008 zur Klage Stellung und wies darauf hin, dass Herr …. bei dem Hausbesuch im Gespräch mit der Mitarbeiterin des Beklagten sein Bedürfnis nach Verschwiegenheit habe deutlich erkennen lassen. Ein überwiegendes Interesse der Klägerin zur Einsichtnahme komme nicht in Betracht. Ein solches könne nur dann das Interesse eines Dritten an der Geheimhaltung von Sozialdaten überwiegen, wenn ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen würden, dass der Dritte wider besseren Wissens und in der vorgefassten Absicht, den Ruf der Klägerin zu schädigen, gehandelt oder leichtfertig falsche Informationen gegeben hätte. Hierfür würden jedoch keine Anhaltspunkte vorliegen.

In der mündlichen Verhandlung am 21. Oktober 2009, zu der die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschien, wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Beklagtenvertreter erklärten folgendes: „Der erste Vermerk betrifft ein Telefongespräch mit dem Vater allein zur Terminsvereinbarung für den Hausbesuch. Der zweite Vermerk hält das Ergebnis des Hausbesuchs fest, mit dem geprüft werden sollte, ob das Kindeswohl gefährdet ist. Es wurden die Wohnverhältnisse und die Unterbringung des Kindes festgehalten. Es ergaben sich keine Beanstandungen, insbesondere hatte das Kind ein eigenes Zimmer. Es wurde auch die Betreuungssituation des Kindes und seine schulische und außerschulische Situation seit Januar 2007, wie vom Vater angegeben, festgehalten.“ Die Beklagtenvertreter beantragten,

die Klage abzuweisen.

Zum Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift, wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakte verwiesen.

Gründe

Die mündliche Verhandlung konnte trotz Abwesenheit der Klägerin durchgeführt werden, da die Klägerin in der ordnungsgemäßen und fristgerechten Ladung darauf hingewiesen wurde, dass bei ihrem Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Gemäß § 88 VwGO wurde die Klage dahingehend ausgelegt, dass die Klägerin nur für sich, nicht auch für ihren Sohn klagt. Bei gemeinsamer elterlicher Sorge müsste eine Klageerhebung, die auch über die Alltagssorge dessen, bei dem das Kind lebt, hinausgeht, durch beide sorgenberechtigte Elternteile erfolgen. Bei Erhebung durch nur einen Elternteil wäre die Klage als unzulässig abzuweisen.

Die Klage ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (geworden), soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung abstrakte Angaben zum Inhalt des streitgegenständlichen Aktenvermerks vom …. November 2008 (Bl. 81 und 82 der Verwaltungsakten) gemacht und die Klägerin ihr Klageziel, nämlich Informationen über den (nicht geschützten) Inhalt des Aktenvermerks zu erhalten, erreicht hat.

Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber nicht begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom …. November 2008, der der Klägerin Akteneinsicht mit Ausnahme des Aktenvermerks vom …. November 2008 gewährt, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Beklagte hat der Klägerin die Akteneinsicht insoweit zu Recht verwehrt; ihrem Recht auf Akteneinsicht stehen das besondere Interesse Dritter am Schutz ihrer Sozialdaten und der besondere Geheimhaltungsschutz im Jugendhilferecht entgegen.

Gemäß § 25 Abs. 1 SGB X hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Allein ein berechtigtes Interesse eines Verfahrensbeteiligten ist nicht ausreichend.

Der Anspruch auf Akteneinsicht richtet sich auf „die das Verfahren betreffenden Akten“, worunter nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein laufendes Verwaltungsverfahren zu verstehen ist (BVerwG, Urteil vom 4.9.2003, 5 C 48/02 m.w.N.). Vorliegend ist bereits fraglich, ob ein laufendes Verwaltungsverfahren (noch) besteht.

Nach dem Aktenvermerk des Beklagten über die Besprechung vom …. September 2008 (Bl. 74 der Verwaltungsakten) wurde als Ergebnis des Gesprächs mit der Klägerin, an dem auch die Landrätin teilnahm, festgehalten, dass mit diesem Gespräch die beantragte Umgangsberatung nach § 18 SGB VIII als stattgefunden gelten sollte, dieses Verfahren somit einen Abschluss gefunden hatte. Ein sonstiges laufendes Verwaltungsverfahren, das die Klägerin oder ihren Sohn betrifft, ist beim Beklagten nicht anhängig.

Aber auch wenn man den Hausbesuch und die von der Klägerin wohl deswegen beantragte Akteneinsicht aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs noch als im laufenden Verfahren beantragt ansieht, und auch die Möglichkeit eines rechtlichen Interesses der Klägerin bejaht (vgl. Hauck, SGB X, § 25, RdNr. 8), steht dem Anspruch der Klägerin § 25 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 65 SGB VIII entgegen.

Danach ist eine Behörde im Bereich der Jugendhilfe nicht zur Gestattung der Akteneinsicht berechtigt, soweit die streitbefangenen Sozialdaten den Mitarbeitern des Jugendamtes zum Zwecke persönlicher oder erzieherischer Hilfe anvertraut wurden und kein Ausnahmefall der Nrn. 1 bis 5 gegeben ist. Sozialdaten sind gemäß § 67 SGB X alle Einzelangaben über persönliche oder sächliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person, die von einer in § 35 SGB I genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben nach diesem Gesetzbuch erhoben, verarbeitet oder genutzt werden.

Sozialdaten in diesem Sinne sind die Angaben, die Herr …. anlässlich des Hausbesuchs am …. Oktober 2008 gegenüber dem Beklagten gemacht hat, nämlich Angaben, die einen persönlichen Bezug haben und über ihn etwas aussagen. Der Beklagte hat auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Angaben dem Mitarbeiter, der den Hausbesuch durchgeführt hat, von Herrn …. anvertraut worden, also im Vertrauen auf die besondere Schutzpflicht dieses Mitarbeiters, die auch eine Pflicht zur Geheimhaltung einschließt, getätigt worden sind.

Anvertraute Sozialdaten unterliegen einem besonderen Schutz, der weitergehend als der allgemeine Schutz von Sozialdaten ist und der eine Weitergabe dieser Daten nur in den engen Grenzen des § 65 Nrn. 1 bis 5 SGB VIII zulässt. Die darin aufgeführten Tatbestände, insbesondere eine Einwilligung von Herrn B. in die Weitergabe seiner Daten, liegen unstreitig nicht vor. Grund für die rigorose Einschränkung der Informationsweitergabe bei anvertrauten Daten ist das staatliche Interesse an einer effektiven Hilfeerbringung im Interesse des Hilfebedürftigen, in der Regel also die Gewährleistung des Kindeswohls, hinter dem auch Informationsbedürfnisse der leiblichen Eltern zurückzustehen haben (vgl. VG Aachen, Urteil vom 9.9.2008, Az: 2 K 213/06, recherchiert in Juris).

Im Interesse der Aufrechterhaltung des Vertrauens zu den Mitarbeitern des Jugendamtes stellt § 65 sicher, dass ausschließlich derjenige, der den Mitarbeitern des Jugendamtes Sozialdaten anvertraut hat, auch weiterhin darüber entscheidet, ob und ggf. an wen diese Informationen weitergegeben werden dürfen.

Die Klage war daher sowohl bezüglich des Haupt- wie auch des Hilfsantrages mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.

Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt konnte unterbleiben, da nennenswerte Auslagen des Beklagten nicht ersichtlich sind.

Die Berufung war mangels vorliegender Voraussetzungen des § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht zuzulassen.