Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.10.2009 - 2 CS 09.2121
Fundstelle
openJur 2012, 103617
  • Rkr:
Tenor

I. Nr. II des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 14. August 2009 wird aufgehoben.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beigeladenen (als Gesamtschuldner) die Hälfte, der Antragsteller und die Antragsgegnerin je ein Viertel.

IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Eigentümer eines mit einer Doppelhaushälfte bebauten Grundstücks. Er wendet sich gegen die Errichtung eines zweigeschossigen Mehrfamiliehauses mit einer Firsthöhe von ca. 9,5 m und einer Grundfläche von 12,76 x 12,25 m im rückwärtigen Bereich seines nördlichen Nachbargrundstücks. Vor dem Verwaltungsgericht hatte sein Antrag, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Baugenehmigung vom 25. November 2008 in der Fassung der Tekturgenehmigung vom 3. März 2009 anzuordnen, Erfolg (Nr. I des Beschlusses vom 14.8.2009). Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts hält das Vorhaben auf seiner Südseite unter mehreren Gesichtspunkten die erforderlichen bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen nicht ein. Nr. II des Beschlusses vom 14.8.2009 lautet: “Die Bauarbeiten auf dem Grundstück Pachemstr.7 Plan Nr. 211/27 Gemarkung Berg am Laim werden eingestellt. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Baueinstellung zu überwachen.“ Hierzu führt das Verwaltungsgericht in den Gründen aus, diese Entscheidung beruhe auf § 80 a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VwGO. Da der Antragsteller glaubwürdig dargelegt habe, dass mit den Bauarbeiten aufgrund der streitgegenständlichen Baugenehmigung bereits begonnen worden sei, sei eine solche Verpflichtung zur Baueinstellung notwendig, um zu vermeiden, dass rechtswidrige Zustände eintreten. Zur Überwachung sei die Antragsgegnerin zu verpflichten gewesen, da dem Gericht hierzu sowohl Personal- als auch Sachausstattung fehlten.

Im Beschwerdeverfahren wenden sich die Beigeladenen gegen die gerichtliche Baueinstellung sowie dagegen, dass das Verwaltungsgericht aufgrund der von ihm angenommenen Abstandsflächenverstöße insgesamt die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. Den vom Gericht gerügten Abstandsflächenunterschreitungen werde durch Einreichung entsprechender Tekturanträge Rechnung getragen. Für die Bauteile des genehmigten Gebäudes bis einschließlich der Decke über dem Erdgeschoss seien keinerlei eventuelle Nachbarrechtsverstöße zu Lasten des Antragstellers erkennbar. Von ihm könnten daher keine berechtigten Interessen gegen den Bau der Tiefgarage, des Kellers und des Erdgeschosses geltend gemacht werden. Zur Vermeidung eines unverhältnismäßig hohen Schadens auf Seiten der Beigeladenen sei es insbesondere im vorliegenden Fall geboten, die aufschiebende Wirkung nur auf die strittigen Punkte des Bauvorhabens zu beschränken.

Die Beigeladenen beantragen,

1. Ziff II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 14. August 2009 – Anordnung der Einstellung der Bauarbeiten - aufzuheben.

2. Ziff. I des Beschlusses vom 14. August 2009 dahingehend abzuändern, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung für die Gebäudeteile über der Decke des Erdgeschosses angeordnet wird.

Der Antragsteller verteidigt den angegriffenen Beschluss. Er beantragt,

die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Für die gerichtliche Baueinstellung in Ziff. II des Beschlusses vom 14. August 2009 gibt es keinen hinreichenden Grund. Nicht zu beanstanden ist hingegen, dass das Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht – wie von den Beigeladenen begehrt – auf die Gebäudeteile über der Decke des Erdgeschosses beschränkt hat. Insoweit bleibt die Beschwerde erfolglos.

1. Soweit die Beigeladenen die Aufhebung von Ziff II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 14. August 2009 – Anordnung der Einstellung der Bauarbeiten – begehren, ist die Beschwerde begründet. Dabei kann offen bleiben, ob das Gericht – wie die Beigeladenen vortragen – Maßnahmen zur einstweiligen Sicherung von Rechten Dritter gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich nur auf einen entsprechenden gesonderten Antrag des Dritten erlassen darf oder ob das Gericht diese Maßnahmen auch „von sich heraus“ bzw. „von Amts wegen“ treffen kann (dazu neigend BayVGH v. 3.5.1993 Az. 14 CS 93.1223, juris RdNr. 11 = BayVBl 1993, 533; wohl auch BayVGH v. 19.4.1993 Az. 14 AS 93.790). Denn für die Anordnung derartiger Sicherungsmaßnahmen bedarf es in jedem Fall eines hinreichenden konkreten Grundes. Einem gerichtlichen Aussetzungsbeschluss brauchen nicht vorbeugend gewissermaßen automatisch Sicherungsmaßnahmen beigefügt zu werden. Denn es ist in der Regel zu erwarten, dass die Beteiligten eine gerichtliche Entscheidung auf Aussetzung der Vollziehung auch ohne beigefügte Sicherungsmaßnahmen respektieren (BayVGH v. 3.5.1993, a.a.O., RdNr. 11; vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern v. 17.1.2005 Nr. 3 M 37/04, juris RdNr. 31).

Ein derartiger hinreichender Grund liegt hier nicht vor. Das Gericht hat die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen der Sache nach allein darauf gestützt, dass die Beigeladenen mit den Bauarbeiten aufgrund der streitgegenständlichen Baugenehmigung bereits begonnen haben und deshalb die Verpflichtung zur Baueinstellung notwendig sei, um zu vermeiden, dass rechtswidrige Zustände eintreten. Damit wird den Beigeladenen aber letztlich allein vorgehalten, dass sie von der durch § 212 a BauGB gesetzlich legitimierten Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, mit der Verwirklichung eines baurechtlich genehmigten Bauvorhabens trotz eines anhängigen Nachbarrechtsbehelfs zu beginnen. Dies allein reicht aber für den Erlass gerichtlicher Sicherungsmaßnahmen auf der Grundlage des § 80 a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 VwGO keinesfalls aus. Für die Annahme, dass die Beigeladenen und auch die Antragsgegnerin als Bauaufsichtsbehörde der in Nr. I des Gerichtsbeschlusses erfolgten Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Nachbarklage nicht in der gebotenen Weise Rechnung tragen würden, gibt es im konkreten Fall keinerlei Anlass.

Durchgreifende Bedenken bestehen nach Auffassung des Senats auch dagegen, dass das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall durch Nr. II des Beschluss-Tenors die Baueinstellung selbst verfügt und sich gerade nicht darauf beschränkt hat, die Antragsgegnerin als Bauaufsichtsbehörde zu verpflichten, die Bauarbeiten einzustellen, wie die Begründung des Beschlusses nahelegt. Dass das Gericht nach § 80 a Abs. 3 Satz 1 VwGO Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 u.a. treffen kann, bedeutet nämlich nicht, dass es - entgegen den dem Prinzip der Gewaltenteilung geschuldeten grundsätzlich unterschiedlichen Befugnissen nach § 113 Abs. 1 und 5 VwGO - Verwaltungsakte selbst erlassen könnte (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16.Aufl., RdNr. 150 zu § 113; zu a.A. vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern a.a.O.). Auch wenn deshalb - etwa bei Missachtung der vom Gericht angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klage - einstweilige Maßnahmen im Sinn von § 80a Abs.1 Nr.2 VwGO angezeigt sind, ist das Gericht wohl darauf verwiesen, die Bauaufsichtsbehörde zum Erlass von Maßnahmen nach Art. 75 BayBO zu verpflichten. Dies erscheint auch um des erforderlichen vollstreckbaren Inhalts der gerichtlichen Anordnung willen unerlässlich (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O. RdNr. 206 zu § 80).

2. Nicht zu beanstanden ist hingegen, dass das Verwaltungsgericht aufgrund der von ihm angenommenen und auch von den Beigeladenen der Sache nach nicht in Frage gestellten Verstöße gegen die Abstandsflächenvorschriften die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht – wie von den Beigeladenen begehrt – auf die Gebäudeteile über der Decke des Erdgeschosses beschränkt hat. Baugenehmigungen sind in aller Regel nicht in dem Sinne teilbar, dass Verstöße gegen Nachbarrechte schützende öffentlich-rechtliche Vorschriften gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO („soweit“) nur zu einer Teilaufhebung führen könnten (BayVGH vom 22.4.1998 Az. 26 CS 98.338, juris RdNr. 13). Im vorliegenden Fall liegen angesichts der vom Verwaltungsgericht aufgrund summarischer Prüfung festgestellten Verstöße gegen die Abstandsflächenvorschriften keine besonderen Umstände vor, die ausnahmsweise die von den Beigeladenen begehrte teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen könnten.

Dem Umstand, dass die Beigeladenen bei der Antragsgegnerin inzwischen einen Tekturantrag eingereicht haben, der den vom Verwaltungsgericht beanstandeten Mängeln Rechnung tragen soll, kommt im Rahmen des Beschwerdeverfahrens keine Bedeutung zu. Denn Gegenstand dieses Verfahrens ist der Genehmigungsbescheid in der jetzigen Gestalt.

Insoweit bleibt die Beschwerde daher erfolglos.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 bis 3, § 155 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.