Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.08.2009 - 11 CS 09.1379
Fundstelle
openJur 2012, 102342
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert wird für das erstinstanzliche Verfahren – insoweit unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 14. Mai 2009 – und das Beschwerdeverfahren auf je 2.500,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen den Sofortvollzug der Aufforderung, seinen tschechischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen.

Ihm war mit rechtskräftigem Urteil vom 26. April 2001 die Fahrerlaubnis wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (BAK 2,01 ‰) entzogen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von elf Monaten angeordnet worden. Am 21. Januar 2005 erwarb der Antragsteller eine tschechische Fahrerlaubnis der Klasse B, in der als Wohnort des Antragstellers „Reichertshausen, Spolkova Republika Nemecko“ eingetragen ist.

Am 11. März 2009 verpflichtete der Antragsgegner den Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung, seinen tschechischen Führerschein vom 21. Januar 2005 unverzüglich zur Eintragung eines Sperrvermerks für die Bundesrepublik Deutschland vorzulegen. Hiergegen legte der Antragsteller entsprechen der Rechtsbehelfsbelehrung Widerspruch ein. Weiter beantragte er beim Verwaltungsgericht München, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11. März 2009 wiederherzustellen.

Mit Beschluss vom 14. Mai 2009 lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag ab. Der Sofortvollzug sei ausreichend begründet. Der Antragsteller sei nicht berechtigt, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, da er zum Zeitpunkt der Ausstellung keinen Wohnsitz in der Tschechischen Republik gehabt habe und sich diese Tatsache unmittelbar aus dem ausländischen Dokument selbst ergebe. Dies stehe auch im Einklang mit EU-Recht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 2009 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch zurück. Dieser sei unstatthaft. Aus dem Umstand, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung des streitgegenständlichen Bescheids der Widerspruch als ein neben der Klage zulässiger Rechtsbehelf genannt worden sei, ergebe sich nichts anderes.

Zwischenzeitlich legte der Antragsteller seinen Führerschein bei der Antragsgegnerin vor; der Sperrvermerk wurde eingetragen. Am 27. Mai 2009 erhob der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München Anfechtungsklage mit dem Antrag, den Bescheid des Landratsamts Pfaffenhofen vom 11. März 2009 und den Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom „16. März 2009“ (richtig: 7.5.2009) aufzuheben.

Mit der Beschwerde (Schriftsatz vom 25. Juni 2009) verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er beantragt auch im Beschwerdeverfahren, den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 14. Mai 2009 dahingehend abzuändern, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers wiederhergestellt werde. Zur Begründung tragen seine Bevollmächtigten – wie in weiteren von ihnen vertretenen und vom Senat bereits entschiedenen Verfahren - vor, die Anordnung des Sofortvollzugs scheitere bereits an der nicht vorhandenen Eilbedürftigkeit. Der Antragsteller nehme seit Jahren wieder am Straßenverkehr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland teil, ohne auffällig geworden zu sein. Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG gebe dem Antragsgegner keine Anerkennungsversagungskompetenz in Bezug auf den tschechischen Führerschein des Antragstellers. Die Verordnung sei formell und materiell europarechtswidrig. Die Entscheidung des EuGH vom 26. Juni 2008, mit der er den vollziehenden Behörden erstmals eine Anerkennungsversagungskompetenz eingeräumt habe, sei vom Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt. Auch hätte die zuständige Behörde nach der Entscheidung des EuGH eine Ermessensentscheidung treffen müssen, an der es vorliegend aber fehle.

Der Antragsgegner verteidigt den angegriffenen Beschluss.

Im übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Unter Berücksichtigung der Prüfungsbeschränkung, die sich für den Verwaltungsgerichtshof aus § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ergibt, spricht alles dafür, dass der Hauptsacherechtsbehelf erfolglos bleiben wird. Auch eine über die Berücksichtigung der Hauptsacheerfolgsaussichten hinausgehende Interessenabwägung führt nicht zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.

1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig. Er ist im Sinne des Antragstellers dahingehend auszulegen, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der am 27. Mai 2009 erhobenen Anfechtungsklage begehrt wird. Zwar hat der anwaltlich vertretene Antragsteller mit Schriftsatz vom 26. Juni 2009, also deutlich nach Erhebung der Anfechtungsklage, beim Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich beantragt, im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen. Insoweit handelt es sich aber offenbar um ein Versehen, nachdem mittlerweile Anfechtungsklage erhoben wurde.

Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs wiederherzustellen, in der hier gegebenen Konstellation unzulässig wäre. Statthafter Rechtsbehelf gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners vom 11. März 2009 ist nach Art. 15 Abs. 2 AGVwGO die Anfechtungsklage, da es sich hierbei nicht um eine personenbezogene Prüfungsentscheidung im Sinn von Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO handelt (BayVGH vom 7.8.2008 BayVBl 2009, 111). Die unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids des Antragsgegners vom 11. März 2009 ändert hieran nichts. Wenn ein Hauptsacherechtsbehelf offensichtlich unzulässig ist, ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung dieses Hauptsacherechtsbehelfs anzuordnen bzw. wiederherzustellen, ebenfalls unzulässig. Demgegenüber ist die am 27. Mai 2009 erhobene Anfechtungsklage nicht offensichtlich wegen Verfristung unzulässig, da wegen der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung des streitgegenständlichen Bescheids vom 11. März 2009 insoweit die Jahresfrist gilt (§ 58 Abs. 2 VwGO).

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist auch nicht unstatthaft. Die Aufforderung zur Vorlage des Führerscheins zum Zweck der Eintragung eines Sperrvermerks hat sich nicht durch die Eintragung des Sperrvermerks selbst erledigt. Denn zum einen wird durch das Vorhandensein des Sperrvermerks die Berechtigung des Antragstellers, von einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland Gebrach zu machen, laufend verneint. Und zum anderen ist der Antragsteller der Befolgung seiner Verpflichtung nicht freiwillig, sondern aufgrund eines für sofort vollziehbar erklärten Bescheides nachgekommen.

2. Jedoch sind auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens des Antragstellers keine überwiegenden Hauptsacheerfolgsaussichten gegeben. Soweit er sinngemäß eine fehlende Zustimmung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft zu § 28 FeV rügt, ist dieser Einwand unbegründet. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-476/01 („Kapper“) erklärt, dass sie ihre nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG erforderliche Zustimmung zu den Bestimmungen des § 28 FeV implizit gegeben habe, da diese von ihr notifiziert worden sei und sie gegen diese Bestimmungen keine Einwände gehabt habe. Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie verlange von der Kommission keine förmlichen Entscheidungen, mit denen sie den ihr von dem Mitgliedstaat mitgeteilten nationalen Vorschriften ausdrücklich ihre Zustimmung erteile (vgl. EuGH vom 29.4.2004; DAR 2004, 333/339, RdNr. 69). Der Senat hält die wiedergegebene Rechtsauffassung der Kommission für zutreffend (vgl. BayVGH vom 28.4.2009 Az. 11 CS 09.350, Az. 11 C 09.355).

Der Antragsteller behauptet zu Unrecht, dass § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV mit dem materiellen Gemeinschaftsrecht nicht im Einklang stehe, was sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. April 2004 in der Rechtssache Kapper (DAR 2004, 333) ergebe. Insoweit nimmt er zwar die Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung durch die vom Verwaltungsgericht zutreffend wiedergegebenen Urteile des Europäischen Gerichtshofs zur Kenntnis, bestreitet aber die Richtigkeit dieser Entscheidungen. Dass er mit diesem Vorbringen nicht durchdringen kann, bedarf keiner weiteren Erläuterung (BayVGH a.a.O.).

Die Behauptung des Antragstellers, dass sich die vom Europäischen Gerichtshof aus Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG hergeleitete Anerkennungsversagungskompetenz an die „zuständigen Behörden“, nicht aber an den nationalen Gesetz- und Verordnungsgeber richte, ist unzutreffend (vgl. im einzelnen dazu BayVGH a.a.O.). Der vom Antragsteller in Bezug genommenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zur Nichtanwendbarkeit von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 FeV wegen Unvereinbarkeit mit der Richtlinie 91/439/EWG vom 22.1.2009 (Az. 16 A 1877/08) folgt der Senat nicht (vgl. im einzelnen BayVGH a.a.O.).

Schließlich war auch keine Ermessensentscheidung der Fahrerlaubnisbehörde notwendig (vgl. BayVGH a.a.O.).

3. Die Behauptung des Antragstellers, es bestehe aufgrund seiner langjährigen unauffälligen Teilnahme am Straßenverkehr in der Bundesrepublik Deutschland keine Notwendigkeit, den streitgegenständlichen Verwaltungsakt für sofort vollziehbar zu erklären, könnte allenfalls im Rahmen einer Interessenabwägung ohne Berücksichtigung der Hauptsacheerfolgsaussichten durchschlagen. Diese Behauptung ist jedoch unzutreffend. Es liegt auf der Hand, dass der fahrungeeignete und deshalb ein Verkehrsrisiko darstellende Antragsteller ohne Eintragung des Sperrvermerks mit seiner tschechischen Fahrerlaubnis am deutschen Straßenverkehr mit einem Kfz ohne das Risiko teilnimmt, dass bei Verkehrskontrollen seine fehlende Fahrerlaubnis entdeckt wird und die konkrete Gefahr besteht, dass er Verkehrsübertretungen begeht und sogar möglicherweise die Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer beschädigt. Allein aus der Behauptung, dass der Antragsteller nach eigenem Vorbringen seit Jahren wieder am Straßenverkehr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland teilnehme, ohne sich auch nur das Mindeste zu Schulden kommen zu lassen, würde sich selbst dann nichts anderes ergeben, wenn sie zutreffend wäre.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in den Abschnitten II.1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327). Die Befugnis, die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung von Amts wegen zu ändern, ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.